Entwürdigende Vorfälle in Pfullendorf: Auch Bundeswehr-intern kein Beleg

Nach den Vorfällen am Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in der Staufer-Kaserne in Pfullendorf, die Anfang des Jahres als Skandal die Öffentlichkeit erreichten und eine Folge von ministeriellen Aktionen in Gang setzten, hatte die zuständige Staatsanwaltschaft bereits vor zwei Wochen die Vorwürfe deutlich herabgestuft: Von Verstößen gegen die Achtung der Menschenwürde, der sexuellen Selbstbestimmung und des Schamgefühls könne zumindest im strafrechtlichen Sinne keine Rede sein, hatten die Strafverfolger in Hechingen im Mai öffentlich erklärt.

Jetzt wurde die Mitte Mai ergangene Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft im Detail bekannt – und daraus lässt sich ablesen, dass die Ermittlungsbehörde dem Verteidigungsministerium eine gewisse Mitschuld an einer falschen öffentlichen Wahrnehmung zuweist. Die Vorwürfe sind, so stellen die Staatsanwälte fest, nicht nur strafrechtlich nicht relevant (was ja immer noch bedeuten könnte, dass die disziplinarisch geahndet werden müssten), sondern auch offensichtlich nicht korrekt – oder vom Ministerium nicht korrekt dargestellt worden.

Die Verfügung der Staatsanwaltschaft Hechingen, Aktenzeichen 22 AR 20/17, listet auf 13 Seiten den Ablauf der Vorermittlungen auf. Die Strafverfolger wurden zwar zunächst aufgrund der Medienberichterstattung vor allem bei Spiegel Online tätig, stützten sich aber auch auf die eigenen Meldungen der Bundeswehr – zuerst auf die auch hier zitierte umfangreiche Stellungnahme auf der Webseite der Bundeswehr (genauer: des Deutschen Heeres) und legte eine Akte an, obwohl die Bundeswehr in diesem Fall keine Anzeige erstattete:

Hinsichtlich der angeblichen sadistischen und sexuell motivierten Praktiken bei der Kampfsanitäterausbildung hat die Bundeswehr der Staatsanwaltschaft Hechingen hingegen keine Anzeige vorgelegt. Da die Bundeswehr auf ihrer eigenen Webseite „bundeswehr.de“ am 27.01.2017 allerdings darüber berichtet hatte, dass Anteile der sanitätsdienstlichen „Combat First Responder“-Ausbildung im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf hinsichtlich des Gebotes zur Achtung der Würde des Menschen, der sexuellen Selbstbestimmung und des Schamgefühls unangemessen gewesen seien und die Bundesministerin der Verteidigung am 27.01.2017 in einem Fernsehinterview erklärt hatte, „die Vorgänge in Pfullendorf sind abstoßend und sie sind widerwärtig“, wurde der vorliegende AR-Vorgang [Allgemeines Register, T.W.] angelegt zur Prüfung, ob auch bezüglich der Praktiken bei der Kampfsanitäterausbildung ein Anfangsverdacht für ein verfolgbares strafbares Verhalten besteht.

Die Staatsanwälte listen dann die Vorwürfe noch mal im Detail auf, wie sie auch in Berichten des Ministeriums an den Verteidigungsausschuss des Bundestages erwähnt wurden (und in wesentlichen Teilen hier nachzulesen sind). Allerdings, so heißt es in der Verfügung, habe die Soldatin, die mit ihren Beschwerden über die Vorfälle die ministerielle Befassung ausgelöst hatte, bei einer späteren Vernehmung die Vorwürfe abgeschwächt; so habe sie mit dem Wort Entkleiden nicht gemeint, dass sich jemand habe ausziehen müssen, sondern dass der Intimbereich kurzfristig entblößt worden sei, um die beschriebene Untersuchung vorzunehmen.

Nach mehrseitiger Beschreibung der Vorschriften und Verfahren für die Kampfsanitäter-Ausbildung kommen die Staatsanwälte zu dem Schluss, dass es nicht Aufgabe der Strafverfolger sei, zu bewerten, welche Lösungen für die nötigen Ausbildungsinhalte gefunden würden:

Deren Prüfungskompetenz ist auf die Frage beschränkt, ob es zu strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen gekommen ist, die selbst unter Berücksichtigung der verfolgten dienstlichen Belange nicht mehr vertretbar waren, etwa indem auf Soldatinnen oder Soldaten die Grenze zur Nötigung überschreitender Druck ausgeübt wurde, sich bestimmten Ausbildungspraktiken zu unterwerfen, oder wenn Ausbildungsbelange nachweislich nur vorgeschoben wurden, um unter diesem Deckmantel tatsächlich sexuelle Motive zu verfolgen und entsprechende Handlungen vorzunehmen. Zureichnde tatsächliche Anhaltspunkte für derartige Verhaltensweisen, die gem. § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung die Einleitung eines strafrechlichen Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würden, sind jedenfalls derzeit nicht ersichtlich.

Das ist die strafrechtliche Würdigung. Interessanter ist angesichts der öffentlichen Debatte in den vergangenen Monaten aber, was die Bundeswehr selbst bei ihren dienstlichen Ermittlungen herausgefunden hat – und auch die haben, so ist der Verfügung zu entnehmen, die Vorwürfe nicht bestätigt:

Diese Ermittlungen ergaben, dass ein komplettes Entkleiden der Lehrgangsteilnehmer nicht stattgefunden hat. Den weiblichen Lehrgangsteilnehmern wurde vielmehr empfohlen, doppelte Unterwäsche zu tragen und die Untersuchungsschritte zwischen den beiden Untersuchungswäschestücken durchzuführen bzw. anzudeuten. Die Lehrgangsteilnehmerinnen gaben in ihren dienstlichen Vernehmungen übereinstimmend an, dass sie dieses so umgesetzt hätten. Zudem bildeten die Lehrgangsteilnehmer, so weit es möglich war, gleichgeschlechtliche Ausbildungspaare. war dieses nicht der Fall, konnten die weiblichen Lehrgangsteilnehmer ihre Übungspartner aussuchen und festlegen, welche Übungsschritte sie durchführen lassen wollten.
Ein grundsätzliches Entfernen der Bustiers, Büstenhalter oder der Sportwäsche bei weiblichen Lehrgangsteilnehmern hat nach diesen Ermittlungen ebenfalls nicht stattgefunden. (…)
Das Einführen von Tamponade in den After wurde nach den Ermittlungen der Bundeswehr hingegen nicht praktiziert. Es besteht zwar insoweit ein Lichtbild, das Bestandteil einer Powerpoint-Präsentation ist. Dieses Bild wurde aber im Unterricht wahrscheinlich nicht verwendet, da keiner der Lehrgangsteilnehmer sich daran erinnern konnte. Da auf dem Bild veraltetes Ausrüstungsmaterial zu sehen ist, könnte dieses Bild sogar 10 Jahre alt sein.

Die öffentliche Wahrnehmung nach den bekanntgewordenen Berichten aus dem Ministerium, insbesondere nach den Berichten an den Verteidigungsausschuss, war davon doch deutlich abweichend. Die Staatsanwaltschaft, die ja die Medienberichterstattung als Ausgangspunkt genommen hatte, äußert für die Gründe auch eine vorsichtige Vermutung:

Die Medienberichterstattung beruht vermutlich darauf, dass xxx, die Mutter von xxx, in Unkenntnis der tatsächlichen Sachlage in einem Schreiben an den Wehrbeauftragten vom 20.09.2016 den Begriff  „sexuelle Nötigung“ verwendet und der Parlamentarische Staatssekretär in seinem Bericht vom 13.02.2017 die Sachlage verkürzt dargestellt hat.

(Gemeint ist der hier zitierte Bericht).

Und weiter:

Unter Berücksichtigung der unter 1.a) geschilderten Grundlagen und Zielsetzungen der Ausbildung waren die gelehrten Ausbildungsinhalte nicht nachweislich sexuell motiviert und dienten nicht der Herabwürdigung einzelner – insbesondere weiblicher – Lehrgangsteilnehmer, sondern waren darauf ausgerichtet, eine ausreichende Erstversorgung verwundeter Kameradinnen und Kameraden auch unter Gefechtsbedingungen zu gewährleisten. Konkrete Anhaltspunkte für über die Ausbildungszwecke hinausgehendes Verhalten der Ausbilder oder von Lehrgangsteilnehmern im Einzelfall, das strafrechtlich relevant sein könnte, liegen nicht vor.

Das ist schon recht interessant, wenn man sich anschaut, wie das Ministerium am 24. Mai auf die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft (und in Kenntnis dieser Einstellungsverfügung) argumentiert hat:

Die Einstellungsverfügung bestätigt die von Anfang an getroffene Einschätzung der Bundeswehr in Bezug auf eine denkbare strafrechtliche Relevanz der Vorgänge in Pfullendorf den Tatkomplex sexuelle Erniedrigung und Mobbing betreffend. Wie Sie sich sicher erinnern, hat die StA Hechingen in dem jetzt eingestellten Fallkomplex aufgrund eigener Initiative (nach Presseberichterstattung) ermittelt. Zur Anzeige gebracht hatte die BW selbst lediglich den Tatkomplex Aufnahmerituale. Der ist nicht eingestellt. Aussagen zur Frage, ob die praktizierten Ausbildungsmethoden sachgerecht oder schlicht pietätlos waren, trifft die StA ausdrücklich nicht. Disziplinare Ermittlungen, bzw Konsequenzen in der Bundeswehr laufen auf einem anderen Strang und auch nach anderen Kriterien.

Da bleibt doch ein gewisses Delta. Denn auch die internen Ermittlungen der Bundeswehr, so geht ja aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft hervor, kamen offensichtlich inhaltlich nicht zu anderen Erkenntnissen.

(Wie bei diesem Thema erforderlich, werden alle Kommentare moderiert – und ich bitte schon mal vorsorglich um Sachlichkeit in der Debatte. Und noch eine dringliche Bitte: Zur Person der Soldatin, die den Vorgang ins Rollen gebracht hat, ist in den Kommentaren zu diesem Thema hier ausreichend Stellung genommen worden. Dieser Punkt muss und sollte hier nicht erneut eine Rolle spielen.)

(Foto: Staufer-Kaserne in Pfullendorf – Bundeswehr/Michael Frick)