Anja Niedringhaus: Eine Fotografin des Krieges, keine ‚Kriegsfotografin‘

2009 09 04 anja kabulA

Mit einer recht speziellen Frage rief mich Anja Niedringhaus an, es muss irgendwann 2010 gewesen sein: Ob ich mal herausfinden könnte, in welchem Bundeswehrkrankenhaus die Ärzte am besten darauf spezialisiert seien, Granatsplitter herauszuoperieren? Auf meine besorgte Frage erzählte sie dann, eher beiläufig, dass sie bei einer Fußpatrouille mit kanadischen Soldaten bei Kandahar in einen Hinterhalt geraten sei. Eine über die Lehmmauern geworfene Handgranate hatte sie nur knapp verfehlt; die Splitter bohrten sich unterhalb der Schutzweste in ihre Hüfte.

Krieg, und zwar am scharfen Ende, hatte Anja seit Anfang der 1990-er Jahre mit der Kamera dokumentiert. Vom Balkan über Irak, Libyen und immer wieder Afghanistan (und vermutlich habe ich noch ein paar Konflikte vergessen). Die meisten deutschen Zeitungs- und Webseitenleser dürften zwar von Anja noch nie etwas gehört haben, aber etliche ihrer Bilder kennen – wie das vom deutschen Soldaten, der auf Patrouille bei Faisabad seinen 34. Geburtstag feiert; das von seinem Kameraden, der sich nach der Rückkehr aus Kundus erleichtert eine Zigarre ansteckt (hier das 20. Bild), oder das vom US-Infanteristen in Falludscha, der eine Figur des GI Joe als Glücksbringer mit ins Gefecht nimmt. Immer wieder war die deutsche Fotografin dabei in kritische Situationen gekommen, die sie immer wieder überlebte. Gut 20 Jahre lang.

Bis zum (heutigen) Freitag, als Anja  in Ost-Afghanistan von einem Mann in Polizeiuniform erschossenwurde; ihre Reporterkollegin von Associated Press, Kathy Gannon, wurde schwer verwundet. Nicht an irgendeiner Front, nicht in einer militärischen Auseinandersetzung, nicht im Kugelhagel oder auf Patrouille. Sondern bei der Recherche zur bevorstehenden Präsidentenwahl am Hindukusch.

Denn Anja war eben nicht eine Kriegsfotografin, auch wenn sie die vergangenen Jahrzehnte von Konflikt zu Konflikt zog. Sie fotografierte Menschen in Konfliktgebieten, Menschen im Krieg, Menschen, die sich mit den Auswirkungen einer kriegerischen Auseinandersetzung arrangieren müssen. Seien es Soldaten, Zivilisten oder, wie in ihrem letzten großen Projekt aus Afghanistan, weibliche Parlamentsabgeordnete.

Weit mehr deutsche Zeitungsleser dürften allerdings, ohne dass sie es wussten, ganz andere Fotos von Anja wahrgenommen haben. Jedes Jahr hatte sich die Journalistin den Termin des Tennisturniers in Wimbledon fest im Kalender markiert: Solche Sportereignisse, aber auch ganz andere Dinge wie Papstreisen nahm sie als Fotografin wahr, um nicht völlig vom Blick auf Krieg und Konflikte aufgesogen zu werden. Sie brauche das, um sich zu erden, erzählte sie mir einmal.

Für ihren Blick auf Menschen im Krieg nahm Anja Anstrengungen auf sich, die weit über das übliche journalistische Tagesgeschäft hinausgingen.

Bei ihrer Begleitung amerikanischer Rettungsflieger (Rufname Dustoff) in Afghanistan geriet sie nicht nur zusammen mit den Rettungscrews mehrfach unter Beschuss – sie hatte sie immer wieder auch verwundete Soldaten im Sucher. Aus Rücksicht auf die Verwundeten (und nicht allein wegen der offiziellen Richtlinien) verwendete sie meist die Fotos, auf denen der Soldat nicht zu erkennen war – doch einmal war es ihr wichtig, einen schwer verwundeten US-Soldaten in seiner Not zu zeigen, während er vom Schlachtfeld ausgeflogen wurde. Anja reiste eigens Monate später in die USA, um den inzwischen genesenden Soldaten aufzusuchen, ihm die Fotos von seiner Evakuierung zu zeigen – und ihn um die Genehmigung zu bitten, diese Bilder zu veröffentlichen. Sie bekam die Genehmigung.

Und sie gab auch deutschen Soldaten eine Stimme:


(Direktlink: http://youtu.be/hXDczKodd6c)

Ihr kompromissloser Blick auf die Menschen im Krieg kam bisweilen der offiziellen Nachrichtengebung in die Quere. Zum Beispiel im Februar 2011, als ein Mann in afghanischer Uniform das Feuer auf deutsche Soldaten im OP North eröffnete. In einem der Blackhawk-Hubschrauber, die die Verwundeten ausflogen, saß Anja – zur der Zeit (wieder einmal) bei Dustoff embedded. Ihre Fotos zeigten den Abtransport der (nicht erkennbaren) verwundeten deutschen Soldaten – zum Ärger von etlichen in Bundeswehr und Verteidigungsministerium. Doch diese Bilder waren wichtig. Und es war gut, dass Anja mit den Amerikanern einflog – die Deutschen hätten sie diese Fotos vermutlich nicht machen lassen.

Wir haben die Aufgabe, zu informieren so gut wir können, beschrieb Anja in einem Fernsehinterview (siehe unten)  ihr Credo als Journalistin. Wenn alle Journalisten sich das vornähmen und gar nicht so viel mehr, hätten wir schon viel erreicht.

Danke, Anja. RIP.


(Direktlink: http://youtu.be/Hpv5TaSL2dI)

 


(Direktlink: http://youtu.be/q1BiQdOlrSw)

(Ich bitte um Verständnis, wenn ich diesmal vielleicht die nötige professionelle Distanz vermissen lasse. Anja ist die vierte mir gut bekannte Kollegin/Kollege, der/die in den vergangenen Jahren in einem Kriegsgebiet ums Leben gekommen ist. Und das stecke ich nicht einfach weg.)

Nachtrag:

Eines von Anjas letzten Interviews, in der Süddeutschen Zeitung (Link ausnahmsweise): „Keiner würde sagen: Hör auf damit!“

Der Nachruf von AP: Acclaimed photographer Anja Niedringhaus dies

Aus dem Blog des AP-Kollegen Frank Jordans: My friend Anja died today

Ein Interview bei publikative.org: Es geht mir bei meiner Arbeit darum, die Geschichten der Menschen zu erzählen

(Foto: Anja Niedringhaus am 4. September 2009  auf dem Weg nach Kundus –  © Frank Jordans)