Kabinett stellt Weichen für den Abzug vom Hindukusch

Am OP North (Foto © Timo Vogt/randbild)

Das Bundeskabinett hat am (heutigen) Mittwoch erwartungsgemäß die Weichen gestellt für die weitere Reduzierung des deutschen militärischen Engagements in Afghanistan und damit für den geplanten Abzug eines Großteils der Truppen vom Hindukusch. Die Ministerrunde billigte das von Außen- und Verteidigungsministerium vorgelegte Mandat, das jetzt zur Beschlussfassung an den Bundestag geht. Kernpunkt: Die Höchstzahl der deutschen Soldaten wird von derzeit 4.900 auf 4.400 zum 1. Februar 2013 verringert und soll bis Ende Februar 2014 auf 3.300 abschmelzen.

Die Zahl 3.300 findet sich allerdings nicht im eigentlichen Mandatstext, sondern in der Begründung:

Als Folge der bisherigen Fortschritte war es mit Mandatsbeginn 2012 erstmals möglich, auch das deutsche militärische Engagement zu reduzieren. Die Personalobergrenze liegt in diesem Mandat bei bis zu 4.400 Soldatinnen und Soldaten. Darüber hinaus ist es das Ziel der Bundesregierung, bis zum Ende des Mandatszeitraums das Kontingent auf bis zu 3.300 Soldatinnen und Soldaten zu reduzieren, so weit die Lage dies erlaubt und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden.
Die Personalobergrenze umfasst das zusätzlich in Afghanistan benötigte Personal für Rückbau und Logistik (sogenannte Rückverlegungskräfte) im Zuge der Rückführung von Material und Personal.

Als Kosten für den Einsatz in diesem Mandatszeitrum – 1. Februar 2013 bis 28. Februar 2014 – kalkuliert das Verteidigungsministerium gut 1,07 Milliarden Euro.

In der gleichen Kabinettssitzung befasste sich die Bundesregierung auch mit dem Fortschrittsbericht Afghanistan – den ich hier nicht detailliert widergeben will, aber einen Punkt herausgreifen:

Noch ist die Sicherheitslage in vielen Teilen Afghanistans instabil. Auch wenn die Einsatzbereitschaft der ANSF inzwischen so gut entwickelt ist, dass sie auf Bedrohungslagen in vielen Fällen selbständig und effektiv reagieren können, bleiben die regierungsfeindlichen Kräfte (RFK) weiterhin handlungsfähig. Die Bundesregierung nimmt darüber hinaus die wachsende Bedrohung sehr ernst, die von Anschlägen sogenannter Innentäter in den ANSF auf ihre eigenen Kameraden und auf ISAF-Angehörige ausgeht. In diesem Jahr haben bereits 48 ISAF-Soldaten ihr Leben bei solchen Anschlägen verloren.
Dauerhafter Frieden in Afghanistan wird nur eintreten, wenn der innerafghanische Versöhnungs- und Friedensprozess Fortschritte macht. Dies ist bisher nicht gelungen. Nach Sondierungsgesprächen zu Beginn dieses Jahres haben die Taliban als größte Fraktion der RFK schon im März diese Gespräche mit den USA vorerst wieder ausgesetzt. Die Tür zu Verhandlungen steht ihnen jedoch weiter offen. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass wichtige, bestimmende Teile der Taliban eine Wiederbelebung des Prozesses wollen.
Allerdings darf es keinen Frieden um jeden Preis geben. Am Ende eines Versöhnungsprozesses müssen folgende nicht verhandelbare Bedingungen erfüllt sein: der Bruch mit dem internationalen Terrorismus, der Verzicht auf Gewalt und die Anerkennung der afghanischen Verfassung einschließlich ihrer Gebote zum umfassenden Schutz der Menschenrechte.

Unterm Strich: Gerade vor dem Hintergrund der Aussage, dass es beim innerafghanischen Friedensprozess keine Fortschritte gibt, sind generelle Aussagen über die Fortschritte am Hindukusch doch ein wenig skeptisch zu sehen. Geradezu exemplarisch illustriert das der Hinweis sowohl im Fortschrittsbericht als auch im Mandatsentwurf, dass sich mit Blick auf die Sicherheitslage in diesem Jahr der leicht positive Trend des Vorjahres fortgesetzt habe. Ist halt eine Frage, wie man Statistiken liest – zum Beispiel diese offizielle ISAF-Statistik:


Die Balken zeigen die Zahlen ausgeführter Anschläge mit Sprengfallen, so genannten Improvised Explosive Devices (IED) – der wichtigsten Waffe der Aufständischen. In der Tat ist die Zahl in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Interessanter ist aber der Vergleich zu den Jahren 2008 und 2009 – und da gab es 2012 doch deutlich mehr solcher Anschläge.