USA/Russland/Ukraine/NATO – Kurzer Sammler am Montag
Unmittelbar vor einem virtuellen Treffen von US-Präsident Joe Biden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wird der Ton zwischen beiden Großmächten noch angespannter. Die USA drohten für den Fall eines russischen Einmarschs in der Ukraine mit militärischer Verstärkung in Osteuropa, wenn auch nicht in der Ukraine selbst, und wirtschaftlichen Sanktionen. Der US-Stabschef beriet sich mit den Militärchefs der anderen NATO-Staaten.
Eine Übersicht am (heutigen) Montagabend, vor dem Hintergrund eines großen russischen Truppenaufmarsches in der Nähe der ukrainischen Grenze:
Der britische Guardian fasst ein Briefing der US-Administration für Journalisten zusammen:
The US has said it would send reinforcements to Nato’s eastern flank in the wake of a Russian invasion of Ukraine, as well as imposing severe new economic measures, in a warning to Moscow on the eve of talks between Joe Biden and Vladimir Putin.
Biden will also make clear to Putin that the US will not rule out future Ukrainian membership of Nato, as the Russian leader has demanded, a senior US official said. (…)
The official pointed out in a briefing to reporters before the Biden-Putin video summit that the first Russian military intervention in Ukraine led to more US troops and equipment to be deployed in eastern Europe, and there would be similar response this time.
Ein Zitat aus diesem Hintergrund-Briefing:
When it comes to Ukraine, we have made clear our deep concern by evidence that Russia is stepping up its planning for significant military action against Ukraine. … To be clear, we do not know whether President Putin has made a decision about further military escalation in Ukraine, but we do know that he is putting in place the capacity to engage in such escalation should he decide to do so.
We’ve seen this Russian playbook before, in 2014, when Russia last invaded Ukraine. Then, as now, they intensified disinformation in an effort to portray Ukraine as the aggressor and use that in an effort to justify what was a preplanned military offensive.
Obviously, President Biden will raise these concerns. He will make clear that there will be very real costs should Russia choose to proceed, but he will also make clear that there is an effective way forward with respect to diplomacy.
US-Stabschef Mark Milley konferierte via Video mit den Militärchefs, den Chiefs of Defense, wie sein Büro in einer knappen Erklärung mitteilte:
Chairman of the Joint Chiefs of Staff Gen. Mark A. Milley virtually met today with all NATO chiefs of defense.
The committee discussed items of mutual interest, including the significant security developments across Europe. The military leaders agreed NATO stands ready to defend and protect all Allies from any threat.
(Ergänzung: Das Statement des Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses, des niederländischen Admirals Rob Bauer, zu dieser Videokonferenz ist noch ein bisschen kryptischer:
Supreme Allied Commander Europe briefed the Military Committee, as did the Assistant Secretary General for Intelligence and Security. The Chiefs of Defence exchanged information to obtain a collective understanding in order to bolster the deterrence and defence posture of the Alliance. The goal of the meeting was to promote transparency amongst Allies and to align ongoing national and Allied activities.)
Das US-Magazin Foreign Policy berichtete unterdessen von unverändertem Drängen der Ukraine an die USA, mit militärischem Gerät zu unterstützen:
Ukraine was, and still is, asking the Biden administration for a wide range of capabilities that officials hope could change Russia’s calculus about launching another invasion of the country. The list, which was first detailed by Reznikov to Austin in mid-November and has not been previously reported in detail, includes support for air and naval defense and electronic warfare—a potential shield against devastating bombings and electromagnetic attacks that would likely accompany any forward march across Ukraine by Russian mechanized forces.
Kyiv is also seeking some of the U.S. military equipment earmarked for Afghanistan before the fall of Kabul, including U.S.-owned Soviet-era Mi-17 helicopters undergoing maintenance in Ukraine and munitions that were initially intended to be sent to the Afghan army, according to a Ukrainian defense official speaking on condition of anonymity to discuss sensitive bilateral talks.
Am Vortag hatte die Financial Times (Bericht hinter Paywall) berichtet, die USA hätten ihren europäischen Partner weitere Erkenntnisse zum russischen Aufmarsch vorgelegt – und damit auch vorher zurückhaltende Verbündete von der Notwendigkeit einer möglichen harten Antwort auf ein russisches Vorgehen überzeugt:
EU and Nato allies have swung behind the Biden administration’s assessment that Russia may be poised to invade Ukraine, following unprecedented sharing of US intelligence on Moscow’s military preparations. … Some EU states and Nato members that have called for dialogue with Moscow rather than confrontation have cited that de-escalation as evidence that Russia would not embark on a full invasion unless provoked. But the US intelligence on the recent troop deployments has shifted that analysis.
Weiter, voraussichtlich am Dienstag, nach Entwicklung.
„Die USA drohten für den Fall eines russischen Einmarschs in der Ukraine mit militärischer Verstärkung in Osteuropa, wenn auch nicht in der Ukraine selbst, und wirtschaftlichen Sanktionen.“
Die Sanktionen werden Russland nicht beeindrucken. Und die Ukraine haben die USA also bereits abgeschrieben und konzentrieren sich auf die Bündnis-Verteidigung.
Der diplomatische Weg scheint für ein Land, was Konflikte gerne auf anderen Kontinenten ausfechtet, wenig interessant zu sein. Solange man Kriege nicht auf eigenem Boden führen muss, kann man wohl so denken…
„But the US intelligence on the recent troop deployments has shifted that analysis.“
Falls dies wirklich so stimmt, stellt sich ja die Frage, warum die Europäer nicht in der Lage sind ein vergleichbares Lagebild zu erstellen. Aber gleichzeitig wird politisch fortlaufend über strategische Autonomie bzw. ein stärkere europäische Säule der NATO gesprochen.
Ein Teil der Abschreckung wäre ja auch die, von den USA angekündigte (s.o.), verstärkte militärische Präsenz in Europa.
Welche Beiträge kann dabei Europa und insbesondere Deutschland liefern?
Bald 8 Jahre nach der Krim.
Kaltstartfähigkeit wird ja nun viel gefordert.
Und nun?
Die VJTF 2023 ist ab nächstes Jahr in der stand-up-Phase. Aber alles andere?
Auf dem Papier gibt es ja noch die NATO Readiness Initiative (4×30).
Bin mal gespannt wie sich die Ampel zur konventionellen Abschreckung verhält.
Selten war das Thema so konkret, aber was folgt daraus aus Sicht der Ampel?
Die neuen Leitungen im AA und dem BMVg haben da schon gleich ein Thema auf dem Tisch, wenn man das Problem nicht einfach weiter negiert. Die wahrscheinlichere Variante, jedoch mit internationalen Problemen (siehe Beginn meines Beitrages).
Man ist in diesem Falle als Beobachter der Entwicklung eingeklemmt zwischen Baum und Borke, schwer fällt es zu erkennen, wer hier welche Interessen vertritt und welche Absichten hegt.
Was könnte Putin gewinnen, wenn er sich noch eine zusätzliche Scheibe der Ukraine sichert, welche Risiken muss er dafür eingehen, ohne einen wirklichen Gewinn zu erzielen?
Welche Möglichkeiten hat der Westen, als zusätzliche Sanktionen zu verhängen, oder die Ukraine mit weiteren Waffen zu beliefern, die aber eigentlich keinen Einfluss auf einen möglichen Angriff hätten, und nur zur Eskalation beitragen?
Die eigentliche Intention Putins bleibt mir verborgen, warum hält er die Rolle des „Klassenbullies“ bei, obwohl er Gefahr läuft, Russland immer weiter zu isolieren, und das eigene Wirtschaftswachstum, und damit die Zufriedenheit der eigenen Bevölkerung, zu gefährden?
@Memoria
Was wir wirklich richtig gut können hat das Hochwasser und die Pandemie gezeigt!
Was wir nicht nicht oder wenigstens nicht gut können sehen wir seit 2015 bei der VJTF!
Abschreckung geht sicherlich anders, aber WER in DEU will tatsächlich WEN in der bösen, kalten Realität abschrecken??
Und wenn ich höre das wir 2027 ff (wenn alle Verantwortlichen von Heute längst aus dem aktiven Dienst raus sind) zu etwas in der Lage sein sollen, was wir eigentlich schon längst aus dem Ärmel schütteln müssten, dann denke ich mal das sich auch in Zukunft nicht viel ändern wird, abgesehen von den Zeitlinien (für welche Zielerreichung auch immer)!
Es bleibt spannend!
Die Zeichen stehen auf erneutem Aufbau eines eisernen Vorhangs – diesmal weiter östlich in Europa.
Die Grenze zwischen Polen und Weiß-Russland wird derzeit schon abgedichtet. Und es scheint im Augenblick nur noch eine Frage der Zeit bis die NATO weitere und dauerhaftere Stationierungen in Ost-Europa von der Ostsee bis zum schwarzen Meer in Angriff nehmen wird.
Eine erneute – wie auch immer geartete – deutliche Intervention Russlands auf dem ukrainischen Staatsgebiet wäre der Startschuss für die NATO hier die letzte Zurückhaltung aufzugeben.
@Torsten Angerer
Die eigentliche Intention Putins
– Erhalt, Ausbau eines pro-russischen Glacis im Osten und Süden der RF
– politisch gleichstellende Behandlung auf Augenhöhe mit den USA
– Begrenzung NATO Truppenpräsens im Baltikum, Polen, Rumänien,
– ökonomische Vorteile über unbeschränkten Gas/Ölexport.
Ich schätze, dass der Putin-Admministration eine weitere Verstärkung der NATO-Truppenpräsenz in Osteuropa egal ist. Solange Russland seinen Puffer zur NATO hin behält. Die Russen wollen diesen Puffer zur NATO um jeden Preis behalten. Wenn sie dazu die halbe Ukraine besetzen müssen, dann werden sie das tun.
Die aktuelle Verschärfung des Konflikts würde es auch gar nicht geben, wenn die ukrainische Regierung ihre NATO-Beitrittspläne aufgeben, bzw. wenn Washington seine Aufnahmepläne (trotz Konflikt) aufgeben würde.
Im Prinzip hat Biden mit seiner Ankündigung der Steigerung der Truppenpräsenz in den östlichen NATO Mitgliedsstaaten nur angekündigt, was im NATO-Rat mehrheitsfähig ist. Mehrheitsfähig ist eben keine NATO Truppenpräsenz in der Ukraine.
Diese Ankündigung ist aber auch ein Signal an die Ukraine. Im Falle einer russischen Invasion wird sie keine Hilfe von den USA oder der NATO erwarten können. Das ist nicht weiter überraschend. Die Georgier 2008 und die Kurden 2019 wurden von den USA genauso im Stich gelassen (was das wohl im V-fall für uns bedeuten würde?)
Ich stimme Realist zu. Von Sanktionen lassen sich die Russen nicht beeindrucken. Zu befürchten ist allerdings, dass sich die Russen dann stärker an China anlehnen werden. Ich schätze, die US-Regierung wird sich langsam mal entscheiden müssen, welche der beiden anderen Supermächte das größere Problem ist und mit welchem der beiden Systeme man sich eher arrangieren kann. Diese Frage wird auch unsere Regierung langsam mal beantworten müssen.
Gestern im DLF:
„Ukraine-Russland-Konflikt/Droht ein neuer Krieg?“
https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-droht-invasion-durch-russland-hintergrund-100.html
@Torsten Angerer „Die eigentliche Intention Putins bleibt mir verborgen, warum hält er die Rolle des „Klassenbullies“ bei, obwohl er Gefahr läuft, Russland immer weiter zu isolieren, und das eigene Wirtschaftswachstum, und damit die Zufriedenheit der eigenen Bevölkerung, zu gefährden?“ Ich fürchte, Piutin hat vor allem innenpolitische Gründe denn es läuft in Russland einfach schlecht. Putin regiert seit über 20 Jahren und kann kaum mehr andere vewrantwortlich machen für das Ergebnis: Der Masse der Bevölkerung geht es von Jahr zu Jahr schlechter. Selbst Indikatoren wie die Lebenserwartung zeigen nach unten, von Luxus wie Realeinkommen zu schweigen.
Die Wirtschaftsstrategie bleibt wie vernagelt auf Öl und Gas eingestellt als ob mit jeder Windmühle, jedem Solar-Panel, jeder Wärmepumpe, jeder Biogas-Anlage, jedem Atomkraftwerk im Rest der Welt die Nachfrage nach Öl und Gas steigen und nicht fallen würde. In dieser Lage investiert Russland mehr den je in die arktischen Felder (Yamal etc) während ihnen gleichzeitig die exitierende Infrastruktur unterm Hintern wegsackt. In Norilsk (150-200k Einwohner) müssen mittlerweile sogar Wohnblöcke stabilisiert werden durch Eismaschinen, die den Boden rund um die Fundamente gefroren halten. Ähnliches gilt letztlich für jede Förderanlage, jede Pipeline, jede Pump- und Verdichterstation, jede Straße, jede Eisenbahnlinie. Alle großen „Havarien“ der letzten Zeit sind darauf zurückzuführen. Und genau dort investiert das strategische Genie im Kreml Milliarden Dollar in neue Öl- und Gasfelder obwohl klar ist, dass Russland mit seiner arktischen Produktion in die gleiche Lage kommt wie es die US-Schieferöl-Produzenten gerade erlebt haben: Russland wird in einem schrumpfenden Markt aufgrund der ungünstigen Kostenstruktur zum Marginalanbieter: Als letzter rein, als erster raus denn mit den arabischen Quellen wird Russland nie mithalten können.
Der Zerfall der materiellen Infratruktur setzt sich in den zivilen Institutionen fort. Ob bei Transparency International oder kommerziellen Quellen: Russland steht wird regelmäßig im am stärksten von Korruption betroffene Drittel der Welt eingeordnet, in der Regel noch etwa 10 Rangplätze schlechter als der „failed state“ Kosovo. Mittlerweile halten sogar rund 20% der russischen Staatsanwälte den Schutz der ganz normalen Eigentumsrechte der Bürger durch die Justiz für nicht mehr gewährleistet in Putins Mafia-Staat.
Wen wundert es, dass niemand östlich der Oder irgendetwas mit dem korrupten Gesocks im Kreml zu tun haben will? Und das gilt längst auch am Ostrand Russlands. Kasachstan hat sich jetzt bei der Produktion von Brennstäben für AKWs mit China in einem Joint Venture zusammen getan, das sich wiederum die Technologie per Lizenz bei Framatome (Frankreich) gekauft hat. China hat auch aufgehört, Taschikistan noch weitere Kredite zu gewähren. Es gibt nur noch direkte projektgebundene Zuwendungen aus dem Zentralbudget in Peking. Eine ehemalige Sowjetrepublik wird als Nebenhaushalt von Peking aus administriert. Es ist den nachbarn auch nicht verborgen geblieben, dass Aserbeidschan trotz des von Russland gewünschten Waffenstillstands an russischen „Peacekeepern“ vorbei auf das eigentliche Hoheitsgebiet des russischen Verbündeten Armenien vorstoßen konnte und damit Putin als unzuverlässigen Verbündeten vorgeführt hat.
Und dann geht Putins Gang jetzt auch noch auf Raubzug im IT-Bereich, zuletzt mit dem erzwungenen Verkauf von VK an Gazprom und der nach gewohnten Muster angesetzten Erpressung in Sachen Group-IB etc etc.
Für das Warum der Aggression gibt es also eine übersichtliche Antwort: Es läuft schlecht in Putins Russland, deshalb wird neben der hochgefahrenen Repression Ablenkung benötigt und es wird sich weiter verschlechtern, weil Putins Gang bezahlt werden muss durch neue Beute. Da ist ordentlich Spannung und nationalistisches Geschrei ewin probates Mittel.
Noch was…
„NATO Should Put Troops In Ukraine On Rotational Basis To Deter Russia, Bolton Says“
https://www.rferl.org/a/bolton-ukraine-russia-transdniester/31596644.html
[Pardon, aber Bolton als Quelle anführen? Echt? T.W.]
Ein Ausweg der Ukraine aus dem Dillemma könnte ein Modell à la Finnland sein?
ich denke die Motive Russlands und Putins sind hier sehr vielschichtig.
Man will:
– schauen wie der Westen reagiert und ob er überhaupt reagieren kann (politische und militärische Bündnisse und Fähigkeiten in der „Krise“ austesten) -> wenn keine Einigkeit vorherrscht wäre eine weitere Destabilisierung machbar
– der NATO Osterweiterung einen Riegel vorschieben (durchaus nachvollziehbar)
– ggf doch den Landkorridor zur KRIM sichern und die Ukraine auf 50-60% ihrer bisherigen Größe einschrumpfen (als schwaches Land/schwacher Puffer zwischen dem Westen/NATO und der Russland -> zeigen dass die Ukraine zu Russland gehört
– die Ukraine wieder näher an Russland bringen (Umsturz der dortigen Regierung erzwingen, von einer pro-westlichen zu einer pro-russischen) -> Ziel eines pro-russischen Puffers zwischen Russland und der NATO
– Druck auf den Westen bzgl Gasversorgung ausüben (Zertifizierung Ostseepipeline)
– wie immer Destabilisierung des Westens
– zeigen dass Russland noch immer weltpolitisch in der 1. Liga spielt (wenn auch „nur“ militärisch und bzgl Rohstoffversorgung)
– ablenken von innenpolitischen Problemen (Corona, schlechte wirtschaftliche Lage, Opposition erstarkt) in Russland -> die Geschichte zeigt uns dass Krieg, oder die Vorstufe dazu das eigene Volk eint und von Zerwürfnissen und Problemen im Inland ablenken kann
aus Sicht Putins sind das schon viele relevante Themen um mal seine Grenzen auszutesten -> mit offenem Ende
die NATO hat eigentlich nur 4 Möglichkeiten:
– aktive Waffenlieferungen an die Ukraine (Drohnen, Panzerabwehr, Aufklärung, Luftabwehr)
– Verstärkung der Ostflanke -> Truppenaufstockungen in Polen, den baltischen Staaten
– Stärkung der konventionellen Abschreckung in Europa -> Verfügbarkeit/Einsatzfähigkeit/Ausweitung von VJTF2023 Pendants (hier wird vor allem Deutschland gefordert sein)
– weitere wirtschaftliche Sanktionen (da bleibt nicht mehr viel übrig)
alternativ:
– komplettes einknicken und nachgeben und die Suche eines Ausgleichs -> nennen wir es „Appeasement Politik“ (starke Zusicherung ggü Russlands dass keine weiteren Ambitionen ggü der Ukraine, keine Einmischung mehr in die Weiterentwicklung der Ukraine, Reduktion der militärischen Präsenz an der NATO Ostflanke und im Baltikum, Nordstream 2 wird abgesegnet, sonstige bestehenden Sanktionen ggü Russland werden zurückgefahren )
@ Torsten Angerer
Putin und sein Umfeld denken in Einflusssphären. Nach dieser Sichtweise sind die Staaten Osteuropas keine gleichwertigen Akteure auf der internationalen Bühne, sondern Staaten die sich der russischen Außenpolitik anzupassen haben. Ein Beispiel hierfür sind die Aussagen Putins zur Ukraine („künstliches Konstrukt“, Anti-Russland“ und die Aussage das es eine eigenständiges ukrainisches Volk gar nicht gebe). Dies erklärt auch die gebetsmühlenartig wiederholte Mär von der „Ausbreitung der NATO nach Osten“. Der Beitritt der Staaten Osteuropas wird unter diesen Vorzeichen nicht als Teil der legitimen Sicherheitspolitik eines souveränen Staates gesehen, sondern als aktiv vorangetriebene Strategie anderer großer Akteure (USA/NATO/EU), welche nur gegen Russland gerichtet sein kann. Russland unter Putin spielt im Grunde eine Variante des „Great Game“ aus dem 19. Jahrhundert bei dem ein Gewinn an Sicherheit oder Wohlstand immer nur auf Kosten einer anderen Partei erfolgen kann. Und wirtschaftliche Überlegungen sind dann halt zweitrangig.
Einer auf Verrechtlichung und Institutionalisierung beruhenden Außenpolitik die kein Nullsummenspiel ist entspricht das natürlich nicht gerade.
Das die Russen einen Nato-freien Staat an ihrer wichtigen Südgrenze haben wollen ist doch verständlich. Hier sollten die Bemühungen seitens des USA die Ukraine in die Nato aufzunehmen endlich aufhören. Das war ja schon das Problem der Maidan-Revolution, dass die Russen verhindern wollten, dass die Ukraine exklusives Mitglied der EU wird. Erst danach kam es ja zum Krieg in der Ost-Ukraine und zur Besetzung der Krim-Halbinsel.
Dieser Wunsch ist ja auch legitim, wenn man an die Worte von unserem Aussenminister Genscher anläßlich der Wiedervereinigung denkt, wo er sich zur Nichtausbreitung der Nato in den Osten äußerte.
Interessant finde ich die Zusammenfassung der Handlungsmöglichkeiten von @Denethor in einem früheren Faden:
https://augengeradeaus.net/2021/12/russland-ukraine-nato-der-sammler-1-dezember/comment-page-1/#comment-371056
Natürlich gibt es Sanktionen die brutal wirksam sind, die Ausschließung aus dem SWIFT-Abkommen würde den russischen Aussenhandel lahmlegen. Die russischen Rohstofflieferungen würden implodieren (was den amerikanischen Erdgasproduzenten wohl nicht unrecht wäre), aber die Gefahr bestünde, dass dies erst recht ein Kriegsgrund für die Russen wäre.
2 x Schweizer NZZ:
„Von Sibirien an die Grenze zur Ukraine: was öffentlich zugängliche Bildquellen über Putins Truppenaufmarsch verraten“
https://www.nzz.ch/international/ukraine-russland-schafft-truppen-aus-sibirien-herbei-ld.1658782
„Kommentar
Eine neue Aufteilung Europas kann es nicht geben“
https://www.nzz.ch/meinung/biden-und-putin-sicherheitsgarantien-fuer-russland-gibt-es-nicht-ld.1658823
(@TW: gegebenfalls Links entfernen)
Die Ukraine könnte, wenn sie denn wollte, um militärische Unterstützung durch die USA und die NATO bitten. Aber ich denke, dass das selbst unter dem Vorzeichen russischer Kraftmeierei jenseits der Grenze innerhalb der Ukraine derzeit noch nicht mehrheitsfähig sein dürfte.
Ansonsten braucht es gar keine direkte Invasion: Zelenskij hat ja schon vor einem Staatsstreich gewarnt. Die russischen und weißrussischen Truppen an der Grenze wären dann in idealer Position, den „Putschisten“ „zur Hilfe zu eilen“. Das Narrativ wird dann voraussichtlich sein, dass Putin und Lukaschenko gönnerhaft dem von einem „kriminellen Regime geknechteten ukrainischen Brudervolk zur Hilfe kommen“. Oder irgendwas anderes ähnlich hanebüchenes.
Eine dauerhafte militärische Präsenz in der Ukraine dürfte für Putin nicht interessant sein. Denn dann hat er ja die gewünschte Pufferzone zwischen sich und der NATO gerade nicht. Eher wird ein Marionettenregime installiert, mit einem weiteren starken Mann in Kiew, der dann tut was man ihm aus Moskau sagt. Man kann gespannt sein, ob dann auch die eigentlich nur durch aktive russische Hilfe überhaupt noch existenten Donbass-Republiken wieder in die Ukraine eingegliedert werden – und was dann mit der Krim passiert. Die ist zwar nach Russland „heimgeholt“ worden, verursacht aber jede Menge wirtschaftliche Probleme, weil die Ukraine wenig überraschend gar nicht einsieht, die Krim noch infrastrukturell mit Strom, Wasser usw. zu versorgen. Das bedeutet, Russland pumpt seither Unsummen für Infrastruktur in die Region, zuzüglich der Beträge für die vollmundigen Rentenversprechen an die Bewohner… (Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 18. März 2019, „Fünf Jahre Annexion der Krim – Wirtschaftliches Desaster für Russland“ Link aus bekannten Gründen nicht).
Und dass Putin Sanktionen nicht interessieren…. naja, immerhin werden die Folgen für die russische Wirtschaft auf bis zu sechs Prozent Wirtschaftsleistung geschätzt Ob man das nun auf Dauer geschmeidig ignorieren kann?! Eher ist die Wahl militärischer Optionen ein Hinweis darauf, dass die Sanktionen die mittelfristigen Optionen langsam zusammenschnurren lassen, und man deshalb die „Gunst der Stunde“ nutzen muss, will man nicht am Ende selbst vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Im Augenblick sieht Russland die evidente militärische Schwäche der NATO und profitiert aktuell vom hohen Öl- und Gaspreis, das mag aber auch nicht immer so bleiben…
Was die immer wieder angeführte „Behandlung auf Augenhöhe“ angeht: Wer sich selbst durch sein Verhalten als rüpelig-hinterhältiger Gnom entlarvt, aber dabei unaufhörlich krakeelt, man wolle doch bitte auf Augenhöhe ernstgenommen werden, verdient sich m.E. damit nicht den nötigen Respekt, um wirklich auch Augenhöhe zu erreichen. Da kann man sich noch so lange im vergangenen Glanz der Sowjetunion sonnen. Aber solange Russland penetrant Augenhöhe einfordert, liegt darin ja prinzipiell das Eingeständnis, dass es gerade nicht auf Augenhöhe ist. Jedenfalls nicht auf dem Niveau, das man dort gern hätte.
Unter Trump liefen die USA ja Gefahr, sich in ähnlicher Weise durch unforcierte Arroganz und Ungehobeltheit zu verzwergen. Das ist jetzt gottlob ein Stück weit vom Tisch. Aber Biden sehe ich derzeit noch nicht als den Inbegriff der Rückkehr zur „world leadership“ der Vereinigten Staaten. Zumal der Status quo dort auch auf tönernen Füßen steht. Wer weiß, was die nächsten Präsidentschaftswahlen dort bringen?
@TW
„[Pardon, aber Bolton als Quelle anführen? Echt? T.W.]“
Glauben Sie, dass die Republikaner überhaupt keinen Einfluß mehr auf die US-Außenpolitik haben?
Wer weiß es schon… Vielleicht ist der nächste Präsident wieder ein Republikaner. ;-)
@Georg:
Nun ja, was immer häufig in der ganzen Melange (sowohl der „Mär vom bösen Westen“ (Putin) als auch der Diskussion um „Russland als Classroom Bully“ (diverse Transatlantiker*innen)) fehlt, sind die Aspekte wirtschaftlicher und kultureller (!) Verflechtung, welche den deutsch-russischen diplomatischen Eiertanz ganz gut erklären:
Zum ersten Punkt … die russischen Erdgaslieferungen machten 2020 mehr als die Hälfte der deutschen Erdgasimporte über Pipelines aus. Das sagt erstmal wenig über den gesamten „Osthandel“ und die wirtschaftliche Verzahnung aus, aber es ist ein großes Volumen und strategisch relevant – auch für die Transitgebühren der Ukraine (wobei diese de facto strategisch ersetzt werden können und es diese Verschiebungen seit 2012 bereits real gibt). Daher ist „Nord Stream II“ strategisch und symbolisch relevanter als operativ (sicherlich geht über Abschreibungen viel, aber … schwierig).
Zum zweiten Punkt … gemäß des Mikrozensus 2019 steht die Zahl von 3,5 Millionen Menschen mit Wurzeln bzw. einen Migrationshintergrund aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion haben. Die meisten hatten einen Migrationshintergrund aus Russland, Kasachstan oder der Ukraine – eine genaue Aufschlüsslung ist schwierig (und war methodisch lange auch nicht erfasst – einfach weil es kein gesellschaftspolitisches Thema war). Nicht umsonst werden die Deutschsprachigen in Russland (0,43% der Bevölkerung der russischen Förderation) überproportional medial (in Russland) diskutiert und gleichzeitig über RT massiv – nicht nur – in die russischsprachige Community in Deutschland eingewirkt. Gleiches lässt sich auch bei der AfD sehen, welche sich massiv auf die „Deutschrussen“ bzw. „Russlanddeutschen“ (beides schwierige methodische Begriffe) konzentriert (bezogen auf die Dekadenz und den Werteverfall in Deutschland).
Deutschland hat – auch bezogen auf die Geschichte der BRD/DDR und der historischen Genese bis hin zu Katharina der Großen und Nikolaus I. – eine andere „Story“ und einen anderen Widerhall in Moskau und St.Petersburg. Das kann man als Schwäche sehen (das was gern Transatlantiker in dem besonderen dt.-russ. Kontext sehen), als Dekadenz und Abkehr vom rechten Weg (RT, AfD etc.) oder als eine Art diplomatischem Vorteil ggü. allen anderen westlichen Staaten (wenn man mit osteuropäischen Vertreter*innen spricht, die historisch gesehen beiden Ländern ggü. skeptisch eingestellt sind).
Aber die Diskussion um einen ukrainischen Winterkrieg … die ist doch übertrieben. Realistisch ist es aber natürlich, dass die Anzahl der Kämpfe in der „hot zone“ zunehmen werden, es vermehrt Drohnenzwischenfälle geben wird und dass es „Terroranschläge“ im rückwärtigen Gebiet (SOF) geben kann mit entsprechender medialer Wirkung und einem Drehen an der Eskalationsschraube. Das ist die hybride Wirklichkeit … aber ein „Meine 150.000 Mann schlagen Deine 110.000 Mann“ … ist zu teuer und zu ungewiss. Kämpfen müssen ist manchmal einfach nur sterben oder jämmerlich leiden und vielleicht verlieren.
@Zivi a.D., @Papa Wutz,
danke für das ausführliche Feedback!
Auch ich sehe die innenpolitische Schwäche Putins als einen der Hauptgründe für sein außenpolitisches Auftreten an, wollte aber hier nicht zu weit vom Thema abweichen. Es scheint, als ob er den Niedergang der UDSSR nicht überwinden kann, den Verlust an Bedeutung innerhalb der globalen Gemeinschaft.
Dennoch verbleibt die Frage, warum er seinen Einfluss auf die ehemaligen Satellitenstaaten nicht genutzt hat, um sich den Polen, den Rumänen oder den Balten als fairer und verlässlicher Handelspartner zu präsentieren, und zu versuchen, sie zumindest ein wenig aus der Sphäre des Westens zu ziehen?
Hoffentlich können die aktuellen Dissonanzen ausgeräumt werden, mal sehen, was Biden und Putin sich zu sagen haben.
@Hannes:
Mir erscheint eine Aufteilung die wahrscheinlichere Variante:
https://thehill.com/opinion/international/584619-why-the-us-shouldnt-try-to-deter-a-russian-invasion-of-ukraine
Wir sollten uns eher überlegen, in unsere Anstrengungen zur Verteidigung des Bündnisgebietes ausreichend sind.
@ Metallkopf
Zitat: „Intellektuell nachvollziehbar ist das alles sicherlich. Aber Verständnis mag ich für so eine Haltung Russlands wirklich beim besten Willen nicht aufbieten. Dass der Krieg in der Ostukraine und die Besetzung und Annexion der Krim eine Folge der Maidan-Revolution war, geht ohne entsprechende Kontexteinordnung eher in Richtung Victim-Blaming.“
Von der Maidan-Revolution sind mir zwei Forderung in Erinnerung geblieben:
1. Die EU forderte von der Ukraine eine „exklusive Wirtschaftsbeziehung“ zu der EU, also unter Ausschluss von Russland. Das war strategisch sicherlich ungeschickt, weil es das Land spaltete in die Pro-Russen Fraktion und die Pro-Europäer Fraktion.
2. Haben die Amerikaner bei der Maidan-Revolution ihr „eigenes Süppchen“ in der Ukraine gekocht. In Erinnerung blieb mir der Ausspruch einer US-Diplomatin im abgehörten Telefonat „Fuck Europe“.
Nach der Rolle der Amerikaner bei den Revolutionen im Nahen Osten rund um das Jahr 2010 ist dieses Vorgehen eher als fraglich zu bewerten.
Es ist zwar verständlich, dass die Ukraine Sicherheit gegen den mächtigen Nachbarn Russland wollte, aber es muss die Frage erlaubt sein, ob sich die Nato sich wirklich an die Grenze neben Russland ausdehnen will und muss, denn subjektiv sieht Russland darin eine Bedrohung seiner Sicherheitsinteressen.
Nachdem diese Vorgehensweise als Blaupause schon 2008 in Georgien schief gelaufen ist, stellt sich die Frage warum sich die Amerikaner mit der Unterstützung in Kiew nicht zurückgehalten haben.
3. Hilft der Blick wie die Amerikaner mit der Sicherheitsbedrohung des Sozialistischen Kubas 90 Meilen vor ihrer Haustüre umgegangen sind. Nachdem die russischen Atomraketen abgebaut waren, die Sowjetunion aufgehört hat zu existieren, die Unterstützung für Kuba unter Jelzin stark reduziert wurde, hat es noch 20 Jahre bis Präsident Obama gedauert bis die Amerikaner mit Kuba wirtschaftliche Beziehungen aufgenommen haben.
Das kleine, sozialistische, kommunistische Kuba haben die riesigen USA über 20 Jahre nach der Beendigung des Ost-West Konfliktes immer noch provoziert ? So provoziert, dass sie immer noch die Garnision in der Schweinebucht auf Kuba aufrechterhalten ?
Ich bitte nur bei der Bewertung der Vorgänge gleiche und realistische Maßstäbe anzulegen. Die USA, Russland und China führen verschiedene Aktionen aus, weil sie es nach ihrer Meinung machen können und es machen wollen.
Russland wird dauerhaft verhindern, dass die Ukraine Mitglied der Nato werden wird ! Eben weil sie es kann !
Es gibt mir aktuell einfach zu viele Unsicherheiten in der Berichterstattung.
Geschrei wegen einer angeblich bevorstehenden Invasion der russischen Armee in die Ukraine gibt es regelmäßig seit dem dieser Konflikt nach dem Putsch in der Ukraine eskaliert ist. Passiert ist nix.
Auch diesmal ist nicht klar, wieviele russische Truppen sich wirklich in Grenznähe aufhalten. Bevor mir wieder jemand mit den zivilen Satelliten-aufnahmen kommt. Die hatten wir in der Anfangsphase auch auch und sie bewiesen wenig. Man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass der Erfinder der Potemkinschen Dörfer ein Russe war.
Unter welchen Bedingungen würde die russische Armee tatsächlich angreifen? Auch darüber kann man nur spekulieren. Die russische Regierung hat deutlich gemacht, dass sie bei einer Überschreitung ihrer roten Linien handeln wird und es gibt keine Zweifel darüber, was diese roten Linien sind. Ich halte den Zeitpunkt für einen Einmarsch für gekommen wenn:
a) aus russischer Sicht ein NATO-Beitritt der Ukraine unmitttelbar bevorsteht,
b) Eine Verlegung von NATO, bzw. US-Truppen in die Ukraine wahrscheinlich wird,
c) aus russischer Sicht eine Offensive der ukrainischen Armee (mit Aussicht auf Erfolg) zur ‚Befreiung‘ der Aufstandsgebiete bevorsteht oder
d) die Waffenlieferungen des Westen aus russischer Sicht ein so großes Ausmaß annehmen, dass eine weitere Verschiebung einer Invasion für die russische Armee zu zu großen Verlusten führen würde.
Natürlich ist hier nur die russische Sicht maßgebend und was die Sache wirklich unsicher gestaltet, dass ist die Frage: „wie gut ist die russische Sicht?“ Russische Geheimdienste haben die Reputation einer besonders hohen Effektivität.
Aktuell tut die ukraninische Regierung alles dafür um die Wahrscheinlichkeit für einen solchen Einmarsch zu erhöhen.
A) Sie hält sich nicht an das Minsker Abkommen (hat Poroschenko auch schon nicht getan).
B) Sie bettelt um Aufnahme in die NATO.
C) Sie modernisiert die Streitkräfte nach NATO-Standards und steigert die Waffenimporte.
Wladimir Putin hat bewiesen, dass er das ‚great Game‘ (Rudyard Kipling) auf dem Grand Chessboard (Brzezinski) meisterhaft beherrscht. Er hat effektiv die Pläne der USA für eine Aufnahme Georgiens in die NATO durchkreuzt. Er hat die Regime Change Pläne des Westens in Syrien durchkreuzt und er tut dasselbe in der Ukraine. Er tut das alles mit einem Minimum an Resourcen (vor allem im Vergleich mit den Aufwendungen der USA).
Ein Militäreinsatz ist teuer. Auch für die russische Regierung. Er könnte auch schief gehen.
Deshalb wird es einen Militäreinsatz in der Ukraine nur geben, wenn die russische Regierung dies zur Wahnehmung ihrer Interessen für absolut geboten hält. Lehnen wir uns also gespannt zurück und genießen wir die Show. Einfluss darauf haben wir nämlich keinen.
@Thorsten Angerer: „Dennoch verbleibt die Frage, warum er seinen Einfluss auf die ehemaligen Satellitenstaaten nicht genutzt hat, um sich den Polen, den Rumänen oder den Balten als fairer und verlässlicher Handelspartner zu präsentieren, und zu versuchen, sie zumindest ein wenig aus der Sphäre des Westens zu ziehen?“
Da steht ihm der Anspruch im Weg, das neue Russland als alte UdSSR mit leicht überarbeiteter ideologischer Verfassung zu sehen. Das Ende der UdSSR ist für ihn die größte geschichtliche Katastrophe und seine ganze Politik letztlich auf eine Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse unter der Trikolore statt Hammer&Sichel ausgerichtet, etwa so wie die CDU bis aufs Blut gegen die Ostverträge und noch Ende der 70er Jahre für den Anspruch „Deutschland in den Grenzen von 1937“ gekämpft hat. Für Putin waren und sind Polen, Rumänen, Balten abtrünnige Untertanen, auf die er ein Besitzrecht zu haben glaubt. Daher ist Ihre Idee eines kooperativen Russland ungefähr so realistisch wie ein Klu-Klux-Klan-Mann, der sich den schwarzen US-Bürgern „als fairer und verlässlicher Handelspartner“ präsentiert und versucht, die schwarzen Mitbürger „zumindest ein wenig in die Sphäre“ der weißen Mehrheitsgesellschaft zu ziehen. Für Putin ist klar: Die ehemaligen Satelliten sollen ihm nicht trauen, sie sollen ihn fürchten. Und seltsamerweise haben die darauf so gar keine Böcke . . .
Genau genommen ist dieser Konflikt schon in dem Streit zwischen der polnischen Zaren-Untertanin Rosa Luxemburg und dem Großrussen Wladimir Iljitsch Ulanow angelegt. Lenin hat nie verstanden, dass sein Herrschaftsanspruch jemanden wie Luxemburg nur erschrecken und abstoßen konnte. Anders als Luxemburg hat er nicht gesehen, dass er damit irgendeinem Stalin den Weg bahnt.
Putin geht es nur am Rande um „Sicherheitsgarantien“, das ist eine Nebelkerze. Es geht ihm darum, nach der Krim nun weitere Teile der Ukraine Russland einzuverleiben oder als Marionette anzubinden – wenn nötig auch mit Gewalt.
In Moskau wurden Anfang Dezember beide selbst ernannte „Anführer“ bzw. „Präsidenten“ der nicht anerkannten „Volksrepublik Donezk“ (DVR) und „Volksrepublik Lugansk“ (LVR) offiziell zu Mitgliedern der Putin-Partei „Einiges Russland“ ernannt. Dmitri Medwedew übergab ihnen die Parteiausweise der Partei „Einiges Russland“ .
Im Juli 2021 veröffentlichte Wladimir Putin einen 5000 Worte umfassenden Aufsatz „Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern“ . Darin spricht Putin der Ukraine jede Eigenständigkeit ab. Er wiederholt wie schon so oft vorher seine Propagandathesen: Ein eigenständiges ukrainisches Volk gebe es nicht; es sei eins mit dem russischen Volk; der ukrainische Staat sei ein künstliches Konstrukt, ein historischer Zufall . Die Ukraine stehe unter „Verwaltung“ der USA und ihrer EU -Vasallen, die den Plan hätten, ein „Anti-Russland“ zu schaffen.
Es gebe Millionen Menschen in der Ukraine, die sich nach der „Umarmung“ durch Russland sehnten.
Selbst wenn EU und USA Putin jetzt weitreichende Zugeständnisse machen sollten, Putins fixe Idee, dass die Ukraine „heimgeholt“ werden müsse, würde dadurch nicht verschwinden. Im Gegenteil: Je mehr Schwäche der Westen zeigt, umso entschlossener wird Putin die Gelegenheit nutzen, neue Grenzen zu ziehen.
Die Ukraine kann nicht mit westlichem Appeasement vor Putins Eroberungsphantasien bewahrt werden.
Es ist völlig richtig, was Robert Habeck schon vor einiger Zeit sagte: (Defensiv-) Waffen helfen der Ukraine mehr als warme Worte.
Deutschland hat der Ukraine bisher bewusst keine Verteidigungswaffen geliefert, in der Hoffnung Putin zu besänftigen – Putin sieht das aber eher als Ermunterung an, die Gelegenheit zur Aggression zu nutzen.
@Hohenstaufen
„Darin spricht Putin der Ukraine jede Eigenständigkeit ab. Er wiederholt wie schon so oft vorher seine Propagandathesen: Ein eigenständiges ukrainisches Volk gebe es nicht; es sei eins mit dem russischen Volk; der ukrainische Staat sei ein künstliches Konstrukt, ein historischer Zufall……“
Könnten Sie bitte die Textstellen im entsprechenden Aufsatz (http://en.kremlin.ru/events/president/news/66181) verlinken, wo sie das alles so gelesen haben?
Schliessen Sie das aus seiner Enleitung:
„Kürzlich antwortete ich auf eine Frage zu den russisch-ukrainischen Beziehungen beim „Direkten Draht“, dass Russen und Ukrainer ein Volk, ein Ganzes sind. Diese Worte sind kein Tribut an irgendeine Konjunktur oder an die aktuellen politischen Umstände. Ich habe das mehr als einmal gesagt, das ist meine Überzeugung.“
Oder aus diesem Satz:
„Die Russische Föderation hat die neuen geopolitischen Realitäten anerkannt. Und sie hat sie nicht nur anerkannt, sondern viel dazu beigetragen, dass die Ukraine ein unabhängiges Land wurde.“
Oder aus diesem:
„Ich wiederhole: Für viele Menschen in der Ukraine ist das „Anti-Russland“-Projekt einfach inakzeptabel. Und es gibt Millionen solcher Menschen.“
Oder gar diesem:
„Heute werden diese Worte von einigen mit Feindseligkeit wahrgenommen. Sie können beliebig interpretiert werden. Aber viele Menschen werden mich hören. Und ich sagen nur eines: Russland war nie und wird nie „anti-ukrainisch“ sein. Aber was die Ukraine sein wird, müssen ihre Bürger entscheiden.“
Wo steht das?
Unabhängig von den Interpretation seiner Juli-Rede … der Kiewer Rus ist die Wiege und historische Keimzelle des modernen Russlands (einer sehr wirkmächtigen, wenn auch nicht unumstrittenen historischen Interpretation).
Als Einführung kann man sich in die politisch-historischen Hintergründe hier einlesen:
https://m.bpb.de/internationales/europa/russland/295403/die-kiewer-rus-geteilte-erinnerung-in-der-ukraine-und-in-russland
Das russisch-ukrainische Narrativ lässt sich halt nicht so einfach erklären, sondern ist historisch immer aufgeladen (vgl. auch den – teils extremen – ukrainischen Nationalismus und die Frage nach einer europäischen Idee in UKR). Wir haben aktuell – als zivilgesellschaftlicher Akteur – sowohl ein größeres EU-gefördertes Projekt in der Ukraine (EU4Youth im Bereich DG NEAR, also östliche Partnerschaft) als auch ein EU-gefördertes Projekt in Russland (Rechtsberatung in der sozialen Arbeit). Da beides eher SiPo-uninteressant ist, klappt die Arbeit vor Ort mit lokalen Partnern tatsächlich gut. Der „soft Power „-Ansatz der EU klappt mMn auch ganz gut in den weichen Politikfeldern, aber es ist natürlich aktuell *alles* v.a. bei den Ukrainer*innen ultrapolitisch und natürlich finden Sicherheitsbriefings statt. Das betrifft aber weniger die „durchschnittlichen Bürger*innen“ als Funktionsträger des ukrainischen Staates. Vor allem die „Kiewer Bubble“ und auch einige der ukrainischen Oligarchen rühren auch die Meinungen hinsichtlich Kriegsgefahr gut durch.
Summa sumarum: Wir machen es uns zu leicht, immer über jeden Stock Putins zu springen und die Ukraine ist von EU- oder NATO-Standards so weit entfernt wie Kasachstan (die als Option auch beides gern hätten)…
Ich habe eine Frage: Gibt es einigermaßen seriöse Zahlen oder Schätzungen darüber, wie viele Prozent der ukrainischen Bevölkerung eher dem Westen zugeneigt sind und wie viele es eher in Richtung Russland zieht? Denn von „der“ Ukraine kann man ja wohl nicht sprechen. Und wie groß ist der Einfluss der Ultranationalisten?
Und vielleicht sollten wir da mal genauer hinsehen, wenn wir uns( bzw. die Amerikaner) da ins Boot holen wollen.
Nicht, dass es uns so ergeht wie mit den Griechen und dem Euro. Jeder wusste, dass die die Kriterien nicht erfüllen, aber es war politisch gewollt. Das Ergebnis ist bekannt. Wir haben derzeit in der NATO und in der EU genügend Probleme. Die sollten erst ein mal gelöst werden, bevor neue Mitglieder aufgenommen werden.
Sonst fliegt uns der Laden noch um die Ohren. Da freut sich dann aber einer.
Zivi a.D. sagt:
07.12.2021 um 18:56 Uhr
So ein Unsinn, den sie da schreiben.
Einfach mal die Fakten studieren und auch mal Reden von Putin hören/lesen und nichts hereininterpretieren.
Putin sagt ganz klar, dass die Sowjetunion Geschichte ist und nicht wiederkommt.
Das bedeutet aber nicht, dass er es gut findet, dass ehemalige Sowjetrepubliken dann in das andere Lager wechseln.
Das sind 2 Paar Schuhe.
[Leute, ich erinnere noch mal ganz freundlich daran, dass der Umgangston hier bisweilen ein Upgrade verdient hat… T.W.]