Sicherheitshalber der Podcast #86: Realismus und Realität – wozu Theorien gut sind | War die ganze Rüstungskontrolle fürn Arsch?
Sicherheitshalber ist der Podcast zur sicherheitspolitischen Lage in Deutschland, Europa und der Welt. In Folge 86 sprechen Ulrike Franke, Frank Sauer, Carlo Masala und ich zuerst über Theorie und Praxis. Was können politikwissenschaftliche Theorien der Internationalen Beziehungen leisten, was nicht? Welche Perspektiven eröffnen sie auf den russischen Krieg gegen die Ukraine? Warum ist es auch für Nicht-WissenschaftlerInnen vielleicht ganz praktisch, von verschiedenen theoretisch informierten Perspektiven schon mal gehört zu haben, um sich in Debatten besser zurechtzufinden?
Im zweiten Segment fragen wir uns, ob das mit der Rüstungskontrolle vielleicht alles ein naives Unterfangen und ein Selbstbetrug war. Warum wird Rüstungskontrolle gemacht – und welche Ziele werden mit ihr verbunden? Welche Bedingungen müssen für Rüstungskontrolle gegeben sein? Wie und wann geht’s mit ihr weiter? Abschließend wie immer der Sicherheitshinweis, der kurze Fingerzeig auf aktuelle, sicherheitspolitisch einschlägige Themen und Entwicklungen – diesmal mit Wahlen in Österreich, Drohnenregeln in der Bundeswehr, der Marine im Mittelmeer und einer Nukleardoktrinänderung in Russland.
Feedback zur letzten Folge: 00:02:14
Theorie: 00:13:00
Rüstungskontrolle: 00:47:46
Fazit: 01:30:17
Sicherheitshinweise: 01:33:10
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Erwähnte und weiterführende Interviews, Literatur und Dokumente:
Thema 1: Theorie und Praxis
Gert Krell 2023: Theorien in den Internationalen Beziehungen, in: Staack, Michael: Einführung in die Internationale Politik – Studienbuch, DrGruyter, 27-76. (Abschnitt 2: Der Krieg Russlands gegen die Ukraine aus der Sicht der IB-Theorie, 55-69).
Stephen Walt 1998: International Relations: One World, Many Theories, in: Foreign Policy Nr. 110, 29-34.
Sabine Fischer 2023: Die chauvinistische Bedrohung: Russlands Kriege und Europas Antworten. Econ.
Janice Gross Stein 2023: Escalation Management in Ukraine: “Learning by Doing” in Response to the “Threat that Leaves Something to Chance”, in: Texas National Security Review 6 (3), 29-50.
Richard Ned Lebow 2022: International Relations Theory and the Ukrainian War, in: Analyse&Kritik 44 (1), 111-135.
Joseph S. Nye Jr. 2008: International Relations: the Relevance of Theory to Practice, in: Christian Reus-Smit and Duncan Snidal (Hrsg.): Oxford Handbook of International Relations. Oxford University Press, 648-660.
Alexander Wendt 1992: Anarchy is what States Make of it: The Social Construction of Power Politics, in: International Organization 46 (2), 391-425.
Thema 2: Rüstungskontrolle
Gustav Gressel, Under the gun: Rearmament for arms control in Europe, ECFR, 28 November 2018
Rosert, Elvira/Sauer, Frank 2023: Dilemma mit Streuwirkung, in: die tageszeitung, No. 37, 22.07.2023, 15.
Rosert, Elvira/Sauer, Frank 2021: How (not) to stop the killer robots: A comparative analysis of humanitarian disarmament campaign strategies, in: Contemporary Security Policy 42 (1): 4-29.
Sauer, Frank 2020: Konventionelle Rüstungskontrolle und neue Technologien, in: Metis Studien Nr. 19, September 2020.
Thomas C. Schelling and Morton H. Halperin 2014 (1961): Strategy and Arms Control.
Thomas C. Schelling 1966: Arms and Influence, New Haven, CT.
Thomas C. Schelling 1979 (1960): The Strategy of Conflict, Cambridge, MA.
Justinas Žilinskas, When Security Prevails: Lithuania Votes to Withdraw from the Convention on Cluster Munitions, Lieber Institute, West Point, 13.08.2024.
Sicherheitshinweise:
Carlo: Steigt Österreich aus dem ESSI aus?
Frank: Russland ändert seine Nukleardoktrin, http://kremlin.ru/events/president/news/75182
Rike: Einsatzgrundsätze für Drohnen? Fehlanzeige, https://augengeradeaus.net/2022/04/parlamentarier-billigen-drohnen-bewaffnung-fuer-die-bundeswehr-unter-strengen-auflagen/
Thomas: Deutsche Fregatte ‚Hamburg‘ im Mittelmeer im Einsatz mit US-Docklandungsschiff
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Carlo tröötet nicht.
Thomas
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Thomas‘ Sicherheitshinweis hat keinen Link verlinkt… ;)
Kleine Anmerkung zum ersten Teil des Podcasts:
Ich versteige mich mal zu der Bemerkung das dies den überwiegenden Teil des real existierenden Stammpublikums ( zumindest in dieser epischen Breite ) eher weniger angesprochen haben dürfte.
Gleichwohl fand ich es recht interessant. Aber etwas mehr Kant, Nietzsche und Sartre wäre durchaus möglich gewesen ;-)
Zum traurigen zweiten Teil:
In der Tat, wie Frank Sauer bemerkte, Abrüstung as we know it for many decades is dead. Punkt.
Und ja, wenn man extrem pessimistisch ist dann verlässt man sich nicht auf Artikel 5 der Organisation dessen Name nicht genannt werden darf…
Dann braucht man selber die Bombe, die Langstreckenrakete und auch den Flugzeugträger.
Es gibt da einen interessanten Spiegelartikel vom 21.02.2018 in dem freigegebene alte US-Papiere aufgearbeitet werden. Der gute, alte Adenauer und später F.J.Strauss in Tateinheit mit etlichen FDP-Politikern wollten die deutsche Bombe.
Und selbst die „neutrale“ Schweiz hatte in den 1950ern ein Atomwaffenprogramm.
Es bleibt zu hoffen das diese Zeiten vorbei sind.
Zum angesprochenen Thema B und C – Waffen:
In der Tat ist es oft so das hier der militärische Nutzen den angerichteten Schaden, auch in der Reputation, nicht aufwiegt.
Trotzdem hatte z.B. Russland mit der SS-18 Satan Langstreckenrakete die Option auf einen Sprengkopf mit fast zwei Tonnen (!) eines VX Nervengases. Diese Menge hätte rein theoretisch für über eine Milliarde Tote gereicht…
Und noch ein Punkt zu diesen Raketenangriffen diverser Gruppierungen/Länder auf Israel.
Vor kurzem wurde in einer bekannten deutschen Talkshow die durchaus berechtigte Frage gestellt warum denn Israel in aller Ruhe mit Kampfflugzeugen alles mögliche bombardiert, aber nie abgeschossen wird…
Die anderen hätten doch angeblich über 100.000 Raketen. Warum dann Null Flugabwehr die doch auch mit Raketen funktioniert ?
Die Antwort ist simpel:
Das sind (fast) alles Billigrakten, weitgehend ungelenkt. Zumindest so ungenau das viele aufs freie Feld einschlagen.
Die nächste Stufe wären Raketen die unbewegliche Ziele am Boden recht sicher treffen. Dann kämen langsame Flugziele wie Drohnen. Und am Ende der Ingenieurskunst dann extrem schnell manövrierende Flugabwehrraketen mit Bodenradar und Feuerleitrechner.
Die hat die Hamas schlicht nicht…
Bleibt auch hier zu hoffen das der „Austausch“ zwischen dem Iran und Russland keine Verschiebung in Richtung HighEnd-Flarak oder Schlimmeres bedeutet…
Und noch ein allerletzter Punkt bei dem mir auch regelmäßig der Hut hochgeht: Minen.
Selbst die Bundeswehr legt grosse ( natürlich abgezäunte ) Minenfelder um Camps bei Auslandseinsätzen. Spart extrem viel Wachpersonal. Und dient in der Tat der Sicherheit des eigenen Personals.
Irgendwie scheint es ganz ohne nicht zu gehen…
Guter Tipp noch mit dieser Veranstaltung in Wien mit dem Sicherheitshalber Podcast Live. Ich werde vermutlich kommen…
@ Apollo 11 Interessehalber: Was für Minen meinen Sie?
Mir hat auch der erste Teil sehr gut gefallen. Ausdrücklich: Danke dafür! Mir ist klar, dass das wahrscheinlich an der interessierenden Breite der Hörerschaft vorbeigeht. Es gibt aber nicht viele Gelegenheiten, auch mal die Theorien hinter den Stellungnahmen, Analysen etc. in Presse, Funk und Fernsehen auf das wesentliche reduziert erläutert zu bekommen.
Nachtrag: Mit Minen meine ich grundsätzlich ALLE Minen. Gross, klein, zu Wasser oder zu Lande.
Völlig egal wie berechtigt die Verlegung auch sein mag. Die Dinger sind auch viele Jahrzehnte später noch lebensgefährlich. Und ja, auch sich selbstzerstörende Minen haben Funtionsstörungen. Und auch die besten Verlegepläne bringen nichts wenn sie nicht zur Entminung genutzt werden. Aus welchen Gründen auch immer.
Schaut man sich die Entwicklung in diversen Internet-Artikeln an wird es teils unglaublich perfide. Von Springminen im Vietnamkrieg bis zu nicht detektierbaren Glasminen im Hürtgenwald in WW2.
Aber die Bemerkung von Frank Sauer über den ehrenwerten Einsatz von Lady Diana gegen Minen trifft es recht gut.
In Krisengebieten interessiert das regelmäßig niemanden.
@Apollo 11 sagt: 03.10.2024 um 20:36 Uhr
Sie haben aber schon mitbekommen, daß Anti-Personenminen mit der Ottawa-Konvention 1997 geächtet wurden? Und das 164 Staaten diese ratifiziert haben?
Ich meine nur wegen WW2 und Vietnam und so?
Minensperren (nicht Felder) werden ausschließlich gegen Fahrzeuge angelegt. Und sie werden dokumentiert und auch wieder aufgenommen, zumindest bei der Bw.
@Pio-Fritz
Zumindest im KOSOVO wurde das Camp noch mit einem Minengürtel abgesichert, es kann aber sein, daß dies vor 1997 war.
Wenn die Verlegung deutlich angezeigt ist sehe ich auch kein Problem damit. Problematisch ist natürlich die ungewollte bzw. undokumentierte Verschiebung, z.B. durch Hochwasser.
@Pio-Fritz
In der Tat, bei der Bundeswehr hab ich die wenigsten Bedenken…
Und auch beim Ottawa-Abkommen wird immer der übliche Fehler gemacht und mit der Anzahl der unterzeichneten Staaten argumentiert.
Interessant ist eher die Liste der Nichtunterzeichner.
Bspw. die USA, China, Indien, Russland.. Oder auch in der Vergangenheit fürchterlich betroffene Staaten wie Vietnam…
Zusammengerechnet sind das Staaten mit Milliarden von Menschen.
Ist ein guter Anfang, zugegeben.
Die Gesamtsituation kann ich aber, wie Lady Di, nicht wirklich gut finden…
@Apollo 11
„…Selbst die Bundeswehr legt grosse ( natürlich abgezäunte ) Minenfelder um Camps bei Auslandseinsätzen. Spart extrem viel Wachpersonal. Und dient in der Tat der Sicherheit des eigenen Personals.
Irgendwie scheint es ganz ohne nicht zu gehen…“
Also sorry, auch wenn hier in den OT abgedriftet wird, aber dass kann ich als Teilnehmer von Einsätzen bei KFOR, ISAF, RSM und EUTM so nicht stehen lassen.
Es ist schlichtweg falsch und unwahr.
Die Bw sichert ihre Camps nicht mit Minen, ganz gleich welcher Art; weder bei rein national noch multinational genutzten Camps.
Und bevor jemand zuckt, dass man so etwas nicht laut aussprechen dürfte, weil der „Feind“ dadurch Erkenntnisse erlangen könnte. Das weiß Jeder.
Wie kommen Sie zu solch einer Aussage?
023 hatte Deutschland sogar die Präsidentschaft der Ottawa-Konvention inne. Da wäre es Wunder, wenn dann deutsche Streitkräfte Anti-Personenminen um ihre Feldlager verlegten. Die deutschen Bestände sind seit 1997 zerstört.
@JFST
Die Bw sichert ihre Camps nicht mit Minen, ganz gleich welcher Art; weder bei rein national noch multinational genutzten Camps.
Ah, guter Einwand. Ich bin jetzt nicht sicher ob die BW zur Sicherung von Camps bei Auslandseinsätzen früher Minen verlegt hat.
Ich bin recht sicher das es mal BW-Einheiten in durch Minen gesicherten Feldlagern gab…
Das die BW seit der Gültigkrit des Ottawa-Abkommens keine Antipersonen-Minen mehr besitzt steht ausser Frage…
Sollte die BW bei Auslandseinsätzen nie Minen verlegt haben würde mich das sehr freuen…
@ Thomas Melber Der Kosovo-Einsatz fing 1999 an. Ich war 1999/2000 da. Ich kann mich an keine Minensperren im Bereich deutscher Feldlager erinnern. Ich denke, Apollo 11 hat sich hier ein bisschen verrannt.