Pistorius unterzeichnet ‚Osnabrücker Erlass‘ für die ‚Bundeswehr der Zeitenwende‘
Mit einem neuen Erlass hat Verteidigungsminister Boris Pistorius die Neustrukturierung der deutschen Streitkräfte zu einer Bundeswehr der Zeitenwende festgeschrieben. Der Minister unterzeichnete die Neuregelung am (heutigen) Dienstag in seiner Heimatstadt Osnabrück, nach der auch der Osnabrücker Erlass benannt ist. Nach dem Blankeneser Erlass des damaligen Verteidigungsministers Helmut Schmidt 1970 ist es die vierte Festlegung dieser Art für die Führung von Ministerium und Streitkräften.
Die Fokussierung auf den alten und neuen Auftrag Landes- und Bündnisverteidigung ist nach Pistorius‘ Worten der entscheidende Treiber für die Neustrukturierung, deren Grundzüge er Anfang April bekanntgegeben hatte. Der jetzt unterzeichnete Erlass sei ein weiteres Stück, wenn auch ein formales, der von Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 ausgerufenen Zeitenwende. Darin zeige sich auch der grundlegende Unterschied zum vorangegangenen Dresdner Erlass des damaligen Ministers Thomas de Maizière, der unter ganz anderen politischen Vorzeichen gestanden habe.
Eine detaillierte Analyse der Unterschiede von Dresdner Erlass aus dem Jahr 2012 und dem neuen Osnabrücker Erlass ist was für Juristen und Freunde von Verwaltungsstrukturen. Was bei einer ersten Durchsicht auffällt (neben der erstmals in einem solchen Dokument konsequent durchgängigen Geschlechterbenennung Der Bundesminister der Verteidigung … bzw. die Bundesministerin der Verteidigung …):
• Entscheidung von Minister/Ministerin über Einsätze
Im neuen wie im alten Erlass ist erläutert, welche abschließenden Entscheidungen ihnen vorbehalten sind. Während es 2012 noch unter anderem hieß
Einsätze der Bundeswehr außerhalb des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland
i. im Rahmen internationaler Bündnisse/Organisationen (z.B. NATO, EU, VN),
ii. unter nationaler Führung, z.B. militärische Evakuierungsoperationen,
iii. zur humanitären Hilfe;
ist das nun deutlich knapper gefasst:
Entscheidungen zu Einsätzen der Bundeswehr außerhalb des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland
Zwar wird in beiden Erlassen darauf verwiesen, dass der Begriff des Einsatzes … im militärfachlichen Sinne verwendet werde. Es gehe um einen besonders angeordneten, in der Regel befristeten, jenseits von Routinedienstbetrieb, Ausbildung und Übung angesiedelten Auftrag unabhängig von der rechtlichen Einordnung. Die Beschränkungen, die 2012 noch selbstverständlich schienen, sind jedoch in der neuen weltpolitischen Lage weggefallen.
• Keine zwingende Einbeziehung des Haushaltsaspekts
In den Zeiten des knappen Geldes 2012 schien diese Festlegung sinnvoll:
In allen leitungsrelevanten Angelegenheiten, die Auswirkungen auf den Haushalt haben, ist der für die Haushaltsabteilung zuständige Staatssekretär im Hinblick auf seine umfassende Haushaltsverantwortung zu beteiligen.
Im neuen Erlass ist diese Bestimmung ersatzlos weggefallen – der Begriff Haushalt kommt im ganzen Dokument nicht vor.
• Stärkere Stellung des stellvertretenden Generalinspekteurs
In der neuen Führungsstruktur der Streitkräfte war die aufgewertete Stellung des stellvertretenden Generalinspekteurs – bzw. korrekt: des Stellvertreters des Generalinspekteurs – nach den Ankündigungen des Ministers zu erwarten gewesen. Er bekommt besondere Bedeutung im Hinblick auf den neu geregelten Unterstützungsbereich, in dem die bisherigen militärischen Organisationsbereiche Streitkräftebasis (SKB) und Zentraler Sanitätsdienst aufgehen.
Zum Vergleich – die Festlegung im Dresdner Erlass 2012:
Der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr vertritt den Generalinspekteur der Bundeswehr bei dessen Abwesenheit. Er ist Anwesenheitsvertreter in ministeriellen Fachaufgaben nach Festlegung des Generalinspekteurs der Bundeswehr. Er ist keine eigene ministerielle Instanz.
Dagegen die Neuregelung im Osnabrücker Erlass 2024:
Der Stellvertreter bzw. die Stellvertreterin des Generalinspekteurs bzw. der Generalinspekteurin vertritt diese bzw. diesen in Abwesenheit sowie, nach Festlegung des Generalinspekteurs bzw. der Generalinspekteurin, in ministeriellen Fachaufgaben. In Fällen, in denen Konflikte bei der Priorisierung von Aufträgen und der darauf fußenden Zuordnung von Fähigkeiten aus dem Unterstützungsbereich zu Teilstreitkräften auftreten und diese in der nach den strategischen Maßgaben ausgerichteten, eigenständigen Planung und operativen Führung durch das Operative Führungskommando der Bundeswehr nicht aufgelöst werden können, nimmt der Stellvertreter bzw. die Stellvertreterin des Generalinspekteurs bzw. der Generalinspekteurin nach den Vorgaben des Generalinspekteurs bzw. der Generalinspekteurin die erforderlichen strategischen Steuerungsaufgaben wahr.
Er ist zudem Beauftragter bzw. sie ist zudem Beauftragte für Reservistenangelegenheiten und verantwortlich für alle mit der Vorbereitung der Aufwuchsfähigkeit verbundenen militärischen Aufgaben. Mit der Reserve wird im Lichte der aktuellen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr verstärkt, ihre Durchhaltefähigkeit erhöht und die Unterstützung ausländischer Streitkräfte in Deutschland erreicht.
Darüber hinaus ist er Beauftragter bzw. sie Beauftragte für Veteranenangelegenheiten. In diesen Aufgaben wird er bzw. sie unterstützt durch das Veteranenbüro der Bundeswehr. Die gesellschaftliche Anerkennung und Würdigung der Leistungen von Veteraninnen und Veteranen und die Betreuung und Fürsorge der Veteraninnen und Veteranen durch die Bundeswehr soll gestärkt werden.
• Vier Teilstreitkräfte: Heer, Luftwaffe, Marine, CIR
Wie von Pistorius zuvor festgelegt, wird es künftig vier Teilstreitkräfte geben: Wie bisher Heer, Luftwaffe und Marine, hinzu kommt der Cyber- und Informationsraum (CIR) als neue vierte Teilstreitkraft. Alle vier werden von Inspekteuren ebenso wie bisher geführt. Interessant ist die zwar nicht ganz neue, jetzt aber formal festgeschriebene Aufgabe, zur beschleunigten Realisierung von Rüstungsvorhaben beizutragen.
• Operatives Führungskommando
Auch das war bereits bekannt: An die Stelle der bislang zwei Führungskommandos, dem Einsatzführungskommando für Auslandseinsätze und dem Territorialen Führungskommando für das Inland, tritt ein gemeinsames Operatives Führungskommando. Sein Befehlshaber – bzw. konsequent: seine Befehlshaberin – kann Unterstützungsfähigkeiten … auftragsbezogen vorübergehend Verbänden einer Teilstreitkraft unterstellen.
• Unterstützungsbereich
Der neue Unterstützungsbereich bündelt die Fähigkeiten insbesondere der bisherigen Streitkräftebasis und des Sanitätsdienstes. Ihm werden die Sanität sowie die Logistik, das Feldjägerwesen, die ABC-Abwehr und Civil Military Cooperation (CIMIC) unterstellt. Die jeweiligen Aufgaben bleiben in Fähigkeitskommandos organisiert.
• Sanität
Der bisherige Zentrale Sanitätsdienst geht zwar im Unterstützungsbereich auf, bekommt aber eine herausgehobene Rolle. So hat diese Fähigkeit einen eigenen Befehlshaber (wie da die Schnittstellen bzw. Unterstellung zum Befehlshaber des Unterstützungsbereichs sind, habe ich bislang nicht herausfinden können), der zugleich als Chief Medical Officer (CMO) Wehrmedizinischer Berater der Leitung des BMVg wird und außerdem oberster Fachvorgesetzter aller Soldat*innen des Sanitätsdienstes ist, egal wo diese eingesetzt sind.
Die Pressekonferenz des Ministers nach der Unterzeichnung des Erlasses in Osnabrück zum Nachhören:
Dabei äußerte sich Pistorius übrigens auch zu den Planungen für eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht. In einer Klausurtagung der zivilen und militärischen Führung unmittelbar vor der Unterzeichnung des neuen Erlasses sei auch über erste Konzeptionsmodelle dafür gesprochen werden. Er plane damit demnächst auch in die politische Diskussion zu gehen: Nicht vor Juni, weil doch noch einige Fragen zu kären sind, aber dann kann es sehr schnell auch sehr konkret werden.
Der Osnabrücker Erlass zum Nachlesen hier und als Sicherungskopie: 20240430_BMVg_Osnabruecker_Erlass
(Ich bitte um Verständnis, dass die Kommentarfunktion geschlossen ist, weil ich nach diesem Eintrag in den Urlaub gehe)
(Foto: Die – unvollständige – Führungsspitze des BMVg bei der Unterzeichnung des Osnabrücker Erlasses, v.l.: Staatssekretär Nils Hilmer, Parlamentarische Staatssekretärin Siemtje Möller, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Generalinspekteur Carsten Breuer und Staatssekretär Benedikt Zimmer. Der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Hitschler ist nicht dabei – Tom Twardy/Bundeswehr)
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