Wehrpflicht in Schweden: Mythen und Wahrheit
In der aktuellen Debatte um eine (Wieder)Einführung der Wehrpflicht in Deutschland wird immer wieder das schwedische Modell als eine Möglichkeit genannt – auch wenn oft nicht klar ist, was damit genau gemeint ist. Das skandinavische Land hatte 2018 die Wehrpflicht für Männer und Frauen nach neun Jahren wieder eingeführt. Der Verteidigungsattaché der schwedischen Botschaft in Berlin, Kapitän z.S. Jonas Hård af Segerstad, war damit als Referatsleiter im Verteidigungsministerium befasst und erläutert in einem Gastbeitrag, was dieses schwedische Modell ist, wofür es gedacht ist – und wofür nicht.
Im letzten Jahr habe ich ein zunehmendes Interesse für die in 2018 wieder aktivierte Wehrpflicht in Schweden erkannt und verfolge als Attaché natürlich mit großem Interesse die deutsche Debatte, wie die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr zu erreichen ist. Es gibt zwischen der deutschen und der schwedischen Verteidigungspolitik viele Parallelen, die fast gleichzeitige Aussetzung der Wehrpflicht ist nur ein Beispiel.
Schweden hat jedoch die Wehrpflicht wieder aktiviert. Warum? Wie funktioniert das schwedische Modell und welche Ähnlichkeiten und Unterschiede zur früheren deutschen Wehrpflicht gibt es? Als Attaché in Deutschland ist es nicht nur meine Aufgabe, Berichte über Deutschland nach Hause zu schreiben, sondern auch Information über Schweden hier zu verbreiten.
Für die Möglichkeit, einen Gastbeitrag zu schreiben bin ich deswegen sehr dankbar (und bitte als Nichtdeutscher schon vorweg für die sprachlichen Schwächen um Verständnis). Ich habe mich überdurchschnittlich viel mit dem Thema Personal im Kriegsfall beschäftigt, vor allem als Referatsleiter Organisation während der Reaktivierung der Wehrpflicht.
Hintergrund 1902-2018
Ein kurzer Blick in die Geschichte ist immer gut, und ist auch für die politischen Aspekte wichtig. Schweden führte im Jahr 1902 die Wehrpflicht ein. Das alte System, in dem Dörfer und Gemeinden für Hundertschaften und Pferde verantwortlich waren, war mit der Urbanisierung und der zunehmenden Technisierung der Kriegführung einfach überaltert. Die Einführung der Wehrpflicht lief fast parallel zur Demokratisierung der Gesellschaft und wurde zum Teil als Argument für das allgemeine Stimmrecht verwendet – Ein Mann, ein Gewehr, eine Stimme!, lautete ein Schlagwort damals. Dies ist auch ein Grund, warum die schwedische Wehrpflicht – anders als in Deutschland – eher von den linken Parteien hoch geschätzt ist.
Die Wehrpflicht wurde dann über Jahrzehnte als Rückgrat der schwedischen Verteidigung gesehen. Während des Kalten Krieges wurden fast die ganzen Jahrgänge einberufen. Fast 50.000 junge Männer pro Jahr haben die Grundausbildung gemacht, um die Verteidigungsfallstärke von 800.000 Soldaten (25 Prozent der männlichen Bevölkerung) aufrechtzuerhalten. Die Anzahl der Berufssoldaten betrug 17.000 Offiziere und Unteroffiziere, also nur ein geringer Teil der Armee.
Aber mit dem Ende des Kalten Krieges drehte sich die Politik in Schweden genau wie in Deutschland. Die Landesverteidigung wurde mit Auslandseinsätzen ersetzt, und für sie konnten und können wehrpflichtige Soldaten nicht eingesetzt werden. Das Gesetz ist in diesem Punkt eindeutig.
2009 wurde die Wehrpflicht deaktiviert. Das heißt, das Gesetz ist passiv geblieben, aber es wurde gleichzeitig geschlechtsneutral gemacht. Bei einer Reaktivierung sollte die Wehrpflicht sowohl Frauen als auch Männer umfassen. Davor war für Frauen der Wehrdienst freiwillig. Schweden wechselte in eine Berufsarmee mit ausschließlich angestellten Soldaten, die in Auslandseinsätze befohlen werden konnten. Dies bedeutete auch einen geringeren Bedarf, da die Grundausbildung „nur“ die Vorbereitung für die Verpflichtung als Mannschaftsoldat auf Zeit geworden ist. Etwa 3.500 pro Jahr wurde als Ziel gesetzt.
Zwischen 2010 und 2017 kamen deswegen nur Freiwillige in die Streitkräfte. Im Jahr 2017 entschied das Parlament, die Wehrpflicht zu reaktivieren. Diese Entscheidung beruht auf mehreren Gründen:
• Die Landesverteidigung kommt nach der russischen Aggression wieder.
• Die Landesverteidigung braucht eine deutlich größere Masse von Soldaten für den Kriegsfall.
• Das Ziel von 3.500 ist mit Freiwilligen nur ein Jahr erreicht, und wäre für die neue Lage nicht genug. Im Durchschnitt kamen nur 2.200 Freiwillige pro Jahr.
• Die Befürworter – die linken Parteien – hatte die Mehrheit im Parlament und haben die Möglichkeit nicht verpasst, eine von Ereignissen überrannte Entscheidung der Opposition umzuwerfen.

Wie funktioniert denn die schwedische Wehrpflicht?
Die Wehrpflicht ist in Schweden eine von drei Totalverteidigungspflichten. Außer der Wehrpflicht gibt es auch die Zivilpflicht und die allgemeine Dienstpflicht. Hier ist kein Platz um sie tiefer zu thematisieren, es reicht zu sagen dass die zwei letzten für die zivilen Teile der Totalverteidigung bestimmt sind. Die Wehrpflicht ist natürlich ausschließlich für die Streitkräfte da.
Ein Unterschied zwischen Deutschland und Schweden ist die Sicht auf Wehrgerechtigkeit. Wir haben sie nicht. In Schweden wird der Bedarf an Wehrpflichtige von der Größe der Streitkräfte im Kriegsfall bestimmt, und davon leitet sich die Anzahl für die Grundausbildung pro Jahr ab. In Schweden werden so viele einberufen, wie es dieser Anzahl entspricht. Es wäre gegen das Gesetz, alle 100.000 in einem Jahrgang einzuberufen, wenn für die Mehrheit keine Kriegsfallsbeorderung folgen würde.
Die Zielgröße der schwedischen Streitkräfte liegt um 116.000 im Kriegsfall. Von denen sind zirka 46.000 Wehrpflichtige vorgesehen.
Ziel und Hauptzweck des Wehrpflichtsystems ist es also, diese 46.000 auszubilden. Die Systematik dahinter ist recht einfach. Nach der Grundausbildung folgt eine Beorderung in z.B. eine Brigade. Diese erste Beorderung dauert sechs bis acht Jahre, und beinhält eine oder zwei Wehrübungen, die auch Teile der Wehrpflicht sind – keine freiwillige Teilnahme. Nach der ersten Beorderung können eine zweite folgen, normalerweise in die territorialen Einheiten, in Einheiten die hinter der Front ihre Aufgaben haben oder in die Reserve, wo schwedische Wehrpflichtige bis zum 47. Lebensjahr bleiben können. Ein Achtel jeder Brigade wird also jährlich von neuausgebildeten Wehrpflichtigen ersetzt.
Ab 2025 ist das Ziel, 8.000 Wehrpflichtige pro Jahr in die Grundausbildung einzuberufen. Die Anzahl wird in Schweden vom Oberbefehlshaber (Chief of Defence, CHOD) entschieden. Mit einer Stehzeit von acht Jahren bedeutet dies eine theoretische Anzahl von 64.000 für den Kriegsfall. Diese Anzahl wird sogar mit der zweiten Beorderung höher. Aus den 8.000 muss jedoch mit ungefähr 500 Ausfällen während der Grundausbildung gerechnet werden. Von den 8.000 werden auch viele von den Offiziersanwärtern rekrutiert und so bleiben ungefähr 7.000, die jedes Jahr in die Streitkräfte beordert werden können. Die Zahlen sind auch für eine Ersatzreserve ausreichend.
Wie werden die Wehrpflichtigen ausgewählt?
In jedem Jahrgang stehen wie erwähnt 100.000 junge Frauen und Männer zur Verfügung. Dem Gesetz nach sind alle verpflichtet, sich prüfen zu lassen. Alle 18-jährigen schwedischen Staatsbürger bekommen deswegen einen Fragebogen, mit 40 Fragen zur Gesundheit, zum körperlichen Zustand, zur Schule, zur Persönlichkeit und zu eventuellen Straftaten. Der Bogen schließt mit ein paar Fragen zur Motivation ab: wie ist die persönliche Einstellung zur Grundausbildung?
Zusammengenommen ergeben diese Antworten ein erstes Bild davon, wer sowohl physisch und psychisch geeignet für die Grundausbildung sein könnte und wie die Motivation aussieht. Diese Befragung liegt der Auswahl zur zweitägigen Musterung zugrunde, der sich 30.000 Männer und Frauen unterziehen müssen. Von diesen werden schließlich die 8.000 für die Grundausbildung ausgewählt.
Die Befragungen werden allerdings nicht nur für die Auswahl zur Grundausbildung benutzt. Sie können auch später als Unterlagen für andere Aufgaben in der Totalverteidigung benutzt werden.
Die wichtigsten und vielleicht auch interessantesten Aspekte der Auswahl im Pflichtsystem sind:
• die Anzahl für die Grundausbildung steigt deutlich. Keine Überraschung.
• Der Anteil der Grundausgebildeten, die sich nach der Grundausbildung weiter verpflichten, sinkt mit dem Pflichtsystem.
• Die persönlichen Leistungsprofile denen, die im Pflichtsystem ausgewählt werden, sind besser als die bei den Freiwilligen.
• Ein höherer Anteil der Einberufenen erfüllen die formalen Forderungen für die Offiziersausbildung als vorher die Freiwilligen.
• Die Dienstposten mit den höchsten Anforderungen sind die meist nachgefragten.
• Unter den Männern sind die mit den besten persönlichen Eigenschaften gleichzeitig die, die für die Grundausbildung hochmotiviert sind. Unter den Frauen ist diese Kovarianz geringer vorhanden. Das Pflichtsystem begünstigt insofern die Männer.
• Junge Männer schätzen sich selbst höher ein als die Musterung sie später einstuft. Bei Frauen verhält es sich umgekehrt. Die Bewertung der Fragebogen ist mittlerweile dafür angepasst, um gut geeignete Frauen nicht zu übersehen.
Die ersten Schlüsse daraus, sind dass das Pflichtsystem seinen übergeordneten Zweck erfüllt: die Kriegsfallsorganisation zu bemannen. Um junge Männer und Frauen zu gewinnen, die sich als Mannschaftsoldaten nach der Grundausbildung weiter verpflichten, ist es weniger geeignet. (s. Tabelle)

Der Unterschied der Freiwilligkeit gegenüber scheint zu sein, dass die ausgewählten Wehrpflichtigen nicht nur eine Auswahl, sondern eher eine Auslese sind, die gerne ein herausfordernderes Jahr in den Streitkräften machen, aber andere Ziele im Leben haben als sechs Jahre als MG-Schütze zu sein. Jägerzug oder Jurastudium?
Für die Rekrutierung zum Offizierslaufbahn ist das System jedoch klug, da es die dafür richtigen auswählt und ihnen einen Einblick in die Streitkräfte gibt, den sie sonst nie bekommen hätten. Dies sorgt auch für eine wichtige Verwurzelung in der Gesellschaft, da es zunehmend Bürger aller Schichten gibt, die die Wehrpflicht absolviert haben – und sei es nur ein kleiner Anteil.
Es ist mit 6.000 oder 8.000 pro Jahr noch einfach, gut Geeignete, die gleichzeitig motiviert sind, für die Grundausbildung zu finden. Die Frage ist, wie es mit einer Erhöhung auf 10.000 oder 15.000 aussehen würde. Der guten Stellung der schwedischen Streitkräfte nach, sehe ich dies positiv an, aber es ist ein Faktor, mit dem wir rechnen müssen.
Eine andere Schlussfolgerung ist, was die Wehrpflicht für das schwedische Engagement in der NATO bedeuten wird. Wir haben die Wehrpflicht 2017 mit der bündnisfreien Landesverteidigung im Blick reaktiviert. Der Bedarf damals war „Masse nach der Mobilmachung“, aber weniger Einheiten, die schon im Normalfall aktiv sind. Der Einsatz von Wehrpflichtigen in der Abschreckung an der Ostflanke ist nämlich nicht möglich. Hier können nur stehenden Einheiten mit angestellten Soldaten eingesetzt werden.
Wenn ich als Außensteher einen Rat an die Bundeswehr geben darf: stellt fest welche Probleme eine Reaktivierung lösen soll! Die Wehrpflicht ist kein Allheilmittel, die alle Sorgen aus der Welt schafft.
(Archivbild 2016: Soldaten der schwedischen Heimwehr (Hemvärnet) bei einer Übung – Bezav Mahmod/Försvarsmakten)
Sehr guter Gastbeitrag, mit der richtigen Schlussfolgerung. Danke dafür an den Herrn KzS und sie Herr Wiegold.
Mich würde interessieren, ob die letztlich Gezogenen hierdurch Vorteile haben bzw. weshalb es in SWE möglich ist, diese tatsächliche Wehrungerechtigkeit aufrecht zu erhalten.
Bzw. kann man seinen „Wehrunwillen“ im Fragebogen zum Ausdruck bringen? Dann wären die Gemusterten bzw. die dann Gezogenen ja tatsächlich Freiwillige i.w.S.
Wirklich sehr guter und informativer Beitrag. Mich würde interessieren, wie lange es gedauert hat, das Assessment für die Auswahl aufzubauen. Denn das würde eines der ersten großen Probleme sein, die die Bw zu lösen hat. Und der Fragebogen wäre natürlich auch spannend …
Danke für diese Einordnung in dieser, zumindest gefühlt, etwas verwirrt geführten Diskussion (Wehrpflicht vs Dienstpflicht, Gerechtigkeit, Kosten/Nutzen, welche Konzepte gibt es usw). Der Blick über den „Tellerrand“ ist hier gerade sehr willkommen!
Ich bin tatsächlich etwas über die Größenordnung verwundert, ich hatte mit größeren schwedischen Streitkräften gerechnet. Die aufgezeigten parallen zwischen den Ländern finde ich sehr interessant und passend.
Mich würde interessieren, ob es vergleichbare Zahlen zum „Verteidigungswillen“ gibt:
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/forsa-umfrage-nur-17-prozent-der-deutschen-bereit-zur-landesverteidigung-mit-der-waffe/ar-AA1lL4HJ
und ob diese Zahlen sich zu denen unterscheiden, als die Wehrpflicht ausgesetzt war. Ich sehe in einer Wehrpflicht (zumindest vorerst) eher die Möglichkeit die Bundeswehr wieder in der Gesellschaft zu verankern, als die Schlagkraft im V-Fall wirklich zu erhöhen. Der Rat ist sehr passend, ich bin gespannt ob er auch gehört wird.
[Da bekanntermaßen deutsche Verlagswebseiten hier nicht verlinkt werden, habe ich den Link durch einen mit gleichem Inhalt ersetzt. T.W.]
Wie Herr Melber schon erwähnt hört es sich ja so an, als ob man seinen Unwillen schon im Fragebogen deutlich machen kann. Im Zweifel verdeckt, durch die eigene negative Einschätzung von Leistungsfähigkeit und Gesundheitszustand.
Wie lange dauert jetzt eigentlich die Grundbeorderung zur Grundausbildung?
Das bei steigender Anzahl der Grundausgebildeten dievProzentzahl der Weiterverpflichteten sinkt, ist durchaus erwartbar, die tatsächliche absolute Zahl ist ja trotzdem gestiegen! (60% von 2500 Mann/Frau/d 2014 vs 40% von 5000 M/F/d 2020. ist da vielleicht die Stellenzahl in den schwedischen Streitkräften ausschlaggebend?
@ACE:
eventuell kann man das Assessment fürdie BW dann eh integrieren. fände ja ein Ansatz „du willst Offizier werden? dann geh erstmal durch die Grundausbildung“
Ich fand es damals befremdlich als Offiziersbewerber für die Wehrpflicht gesperrt zu sein, ich wurde nur durch einen Fehler dann eingezogen (zu meinem Glück, sonst hätte ich das Angebot am Ende noch angenommen)
Wenn jemand durch die Grundausbildung ist, kennt man den Bewerber für die Offiziersausbildung hoffentlich auch besser als es Köln je könnte.
Danke für den informativen Artikel. Werde den Ausdruck ein paar jungen Leuten zum Lesen zur Verfügung stellen.
Man muß auch sagen, daß in SWE mit dem Konzept der „total defense“ es jedem klar ist, daß er / sie im Falle des Falles zur Verteidigung des Landes beizutragen hat – dies gilt sogar für ausländische Bürger, die, wenn sie in einem verteidigungswichtigen Bereich arbeiten – ebenfalls und grundsätzlich einer Arbeitspflicht und Ausreisesperre unterliegen.
Die Info für die Jugendlichen – alles leicht verständlich aufbereitet:
https://www.pliktverket.se/download/18.40e6d5df184b9175cb1d55f/1671088704481/Eng___Mo%E2%95%A0%C3%AAnstringsbroschyr_2022_omslag_med_flicka.pdf
Hier die drei Arten des Dienstes für die „total defense“:
https://www.krisinformation.se/en/hazards-and-risks/hojd-beredskap-och-krig/total-defence-service
Unserer Regierung bzw. der Politik kreide ich an, daß sie in Bezug auf eine (mögliche / latente) RUS Bedrohung schizophren agiert:
M1
RUS stellt tatsächlich eine Bedrohung dar und ein Angriff auf die NATO bzw. EU ist möglich (noch nicht likely oder highly likely), dann muß ich ab sofort sicherstellen, daß das Land nachhaltig verteidigungsbereit und resilient wird. Dies muß auch der Bevölkerung kommuniziert werden. Studien, daß RUS in drei bis fünf oder sechs Jahren wieder sprungbereit und ggf. auch willig ist gibt es ja. Es gibt auch die Ansicht, daß wir uns mit RUS (und China) bereits in einem hybriden „Vor-Krieg“ befinden. Daher: Si vis pacem para bellum.
M2
Es ist alles Panikmache, RUS wird sich mit der UKR zufrieden geben und ist auf Jahrzehnte hinaus nicht mehr zu entsprechenden Aktionen fähig oder sogar willig. Abwehr von Cyberbedrohungen und Desinformation ist daher völlig ausreichend, sowie die Rekonstitution der DEU Verteidigungsfähigkeit erst einmal nicht zeitkritisch (Zeithorizont 2035+).
Nun: welches Szenario bringt man der Bevölkerung nahe? Nota: auch Unterlassen kann einen schuldig machen.
Hier noch ein interessanter Artikel (leider mit kleinen stilistischen und fachlichen Fehlern):
https://verfassungsblog.de/ein-grundrecht-auf-verteidigung/
Vielen Dank für den sehr informativen Beitrag aus erster Hand!
@ Thomas Melber: Der Bundestag hält hierzu fest:
Das Bonussystem für Rekruten und Rekrutinnen ist in der Verordnung über die Leistungen an die
Wehrpflichtigen geregelt (vgl. „förordningen, 1995: 239, om förmåner bis totalförsvarspliktiga“).
Die Hauptvorteile für Rekruten und Rekrutinnen, die länger als 60 Tage dienen, sind die
folgenden:
Die Rekruten und Rekrutinnen haben Anspruch auf eine tägliche Vergütung von 146 SEK (ca.
14 EUR).22 Nach Abschluss der Dienstzeit haben die Rekruten und Rekrutinnen Anspruch auf ei-
nen sogenannten Bildungsbonus (utbildningspremie), die dem Gesamtbetrag der während der
Dienstzeit gezahlten Tagessätze oder mindestens 6.100 SEK (ca. 600 EUR) entspricht. Wenn die
Dauer des Wehrdienstes mehr als 400 Tage betragen hat, wird ein zusätzlicher Bonus von 12.200
SEK (ca. 1.200 EUR) gezahlt.
Die Rekruten und Rekrutinnen haben ebenfalls Anspruch auf bspw.
•zwei kostenlose Studierfähigkeitstests (scholastic aptitude tests),
•kostenlose Heimreisen an jedem Wochenende,
•kostenlose Verpflegung und Unterkunft während des Wehrdienstes,
•kostenlose Gesundheits- und Zahnpflege,
•besondere Vergünstigungen im Zusammenhang mit der jeweiligen Familiensituation,
•finanzielle Unterstützung in bestimmten Fällen und
•bestimmte Versicherungen.
Abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/564266/fad30779df491947ff3f18c44d316f59/wd-2-076-18-pdf-data.pdf
Sehr schöner Gastbeitrag!
Auch gut zu wissen, daß Schweden richtige Schlußfolgerungen aus der sich verändernden Sicherheitslage gezogen hat, nachdem man mit dem Ende des Kalten Krieges und den damals politisch gewollten Reduktionen nur noch 3 von 5 Layern der gestaffelten Landesverteidigung zur Verfügung hat: Luftwaffe – Marine – Heer. Die formidablen Küstenforts und die (ferngezündeten) Seeminensperren sind nicht mehr (Staffelung vormals: Luftwaffe – Marine – Küstenforts – Seeminensperren – Heer).
Mich würde interessieren, ob das schwedische Modell mit den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Wehrgerechtigkeit vereinbar ist. Man könnte ja argumentieren, das dieses System keine willkürliche Auswahl darstellt, da ja nach festgelegten Kriterien entschieden wird. Allerdings wäre es erforderlich, das die Gezogenen ein deutlich höheren Nachteilsausgleich bekommen, als es das schwedische Modell vorsieht.
Guter Beitrag, wichtig gerade in diesen bewegten Zeiten.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Gesellschaften und Armeen, zeigt doch dieses Beispiel, was mit echten und wahrhaftigen politischem Willen möglich ist.
Die russische Bedrohung wurde in Schweden ernst genommen und mit Weitsicht geplant. Dann aber auch mit Hartnäckigkeit umgesetzt. Das bedeutet politischer Rückhalt aber auch fähige Militärs.
In Deutschland, auch in der Bundeswehr wird die russische Bedrohung von einigen Experten, dabei auch Militärs nur noch in Worten ernst genommen.
Allein die Aussagen, dass die russischen Streitkräfte in 10 Jahren erst wieder zu Aggression und Verbrechen fähig sind, ist ungeheuerlich und gefährlich.
Ungefähr so als wenn die Feuerwehr sagt, es wird wahrscheinlich in nächster Zeit nicht brennen.
Beginnend im BMVg bis hin zur Bundeswehr wird nicht konsequent umgesetzt, was zur Landes- und Bündnisverteidigung notwendig ist. Im Reden und Ankündigen gefallen sich sowohl Minister und auch GI. Vieles ist richtig gewesen, doch die Aussagen blieben und bleiben Worte. Die Zeitenwende ist bereits verpufft. Einsatzbereitschaft nur bei sehr wenigen Anteilen. Verfassungsauftrag VERTEIDIGUNG noch immer nicht gewährleistet. Das Heer 2022 „blank“, jetzt wohl noch blanker. Die anderen milOrgBer wagen sich nicht mal aus der Deckung.
Wer mit baltischen und skandinavischen Militärs und Politikern spricht, spürt den Ernst der Lage. In Deutschland scheint man wieder in alte (zum Teil behäbige) Muster zu verfallen. Dazu gehört auch die Einstellung, wird schon nicht so schlimm kommen. 2014, 2022 – nichts gelernt. Jetzt redet man sich ein, der Russe ist so fertig und wird schon ein Jahrzehnt brauchen, bis er wieder Unsinn anstellt. Das unterscheidet uns von den engagierten Schweden. Die unterschätzen den Gegner nicht. Den Russland ist schon jetzt kreuzgefährlich.
Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Gastbeitrag!
Auch den letzten Absatz sollten alle Diskussionsteilnehmer beherzigen: Wehrpflicht per se ist kein Allheilmittel. Man muss Vor- und Nachteile abwägen und definieren, was dadurch besser werden soll (Kriegstüchtigkeit).
Eine Detailfrage an den KzS: bleibt in Schweden (bei den Aktiven) das Unteroffizierkorps abgeschafft?
Ich war 1997 bis 2001 in Dänemark in der Schule – mein Vater war als deutscher Offizier in Dänemark am HQ Baltap der NATO stationiert.
In DK gab es ein Losverfahren. Jeder wurde dort gemustert, und wer tauglich war musste eine Nummer ziehen. Je niedriger die Nummer, je größer die Wahrscheinlichkeit. Wer eine hohe Nummer gezogen hat (han traek frinummer) der wurde nicht gezogen, weil nur die Nummern 1 – 10.000 oder so gezogen wurden.
Die Frage der Wehrgerechtigkeit wurde in Dänemark nie gestellt, jedenfalls nicht unter meinen Klassenkameraden. Wer eine hohe Nummer hatte, hatte Glück, wer eine niedrige Nummer hatte, der hatte Pech. Zivildienst war ziemlich unüblich. Es war wie immer in Skandinavien – nicht dogmatisch sondern pragmatisch, aber auch ohne ein Problembewusstsein für Einzelfallgerechtigkeit. Wir neigen in Deutschland ja immer dazu, alles zu verästeln und zu komplizieren.
Man muss natürlich auch sagen dass die Dänen ein anderes Verständnis von Patriotismus haben.
Trotzdem – ich halte das System dort für durchaus diskussionswürdig. Man sollte es kombinieren mit Anreizen (z.B. wer dient bekommt leichter einen Medizinstudienplatz) – dann bekommt man nämlich gebildete Leute.
Da lese ich in einigen Beiträgen die „Frage nach Vorteilen“ oder die Frage nach einem „Nachteilsausgleich“ und zur Krönung natürlich das Wiederkäuen von Wehrgerechtigkeit.
Das sind leider typisch deutsche Fragen und solange egoistisches Handeln und Denken mehr Raum einnimmt als gesamtgesellschaftliches Handeln und die Frage nach Geld, Ansehen, persönlichen Vorteilen die Frage überlagert was jeder einzelne für den Staat tun kann oder was er „schuldet“ ändert sich nichts.
Dabei ist es jede erdenkliche Mühe wert, die Bundeswehr wieder in der Gesellschaft zu verankern und sichtbar zu machen.
Das ist nur eine Frage der Führung, Erziehung, des Willens und natürlich des Vorbilds.
@HFZerwas sagt: 05.01.2024 um 9:43 Uhr
„Ich bin tatsächlich etwas über die Größenordnung verwundert, ich hatte mit größeren schwedischen Streitkräften gerechnet.“
Nun, ganz so toll wie Finnland ist Schweden nicht, auch nicht gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl. von rd. 10 Millionen. Nehmen Sie einfach alles mal acht, dann hätten Sie die vergleichbare Größenordnung der Bundeswehr zur Gesamtbevölkerungszahl. Da sprechen wir dann über die Größe der Bundeswehr vor Ende des kalten Krieges inkl. Reservisten.
Und wenn ich den rat des Verfassers folge und für mich die Frage beantworte, welche Probleme die Reaktivierung der Wehrpflicht lösen soll, dann bin ich ganz schnell bei „Schutz von KRITIS“ und „Schutz der Tiefe des Raumes“. Ich sehe da keine hochmechanisierten weiteren Kampfbrigaden für den Fronteinsatz.
Erst einmal Dank an den Autor und den Hausherren für den Artikel. Er beschreibt das schwedische Modell vor dem NATO- Beitritt. Dabei war auch im Kalten Krieg klar, Schweden wird letztendlich auf der Seite der NATO stehen. Bei ca. 1/8 der deutschen Bevölkerung und einer größeren Landesfläche ist die Kriegsstärke von 116.000 doch sehr gering. Das kann nur bedeuten, man wollte sich auf die Verteidigung einiger Zentren beschränken, bzw. rechnete nur mit einem Neben- oder Ablenkungsstoß. Wird sich mit dem Beitritt zur NATO daran grundsätzlich etwas ändern?
Wenn ich den Artikel richtig interpretiere, ist die schwedische Form der Wehrpflicht die Freiwilligkeit durch die Hintertür. Offensichtlich findet man damit ausreichend Personal. Das funktioniert aber garantiert nicht mehr, wenn man 50 oder mehr Prozent eines Jahrganges einziehen will.
@Thomas Melber und A-Bullet
Was Russland bzw. seine Führung wirklich will, ist Kremlastrologie, die noch nie wirklich treffsicher war. Wir sollten eher Fragen, was können sie? Und was wollen sie nicht.
Um mit dem Letzteren anzufangen, sie wollen garantiert nicht, das Russland und ihre eigene Herrschaft im nuklearen Inferno untergeht. Deshalb, solange US- Truppen in Mittelosteuropa stationiert sind und die Bündnisverteidigung der NATO durch die USA garantiert wird und damit jeder Angriff auf diese Truppen unvermeidbar im Nuklearkrieg endet, wird kein NATO- Land direkt militärisch angegriffen werden. Genau diese Überlegung führten ja zum NATO- Beitritt von Finnland und Schweden.
Die große Frage ist, was passiert, wenn die USA diese Aufgabe nicht mehr erfüllen können oder wollen?
Vielen Dank an Herrn Hård af Segerstad für den informativen und tollen Text, und an Herrn Wiegold für die Idee (?) und den Platz dafür bei Augen geradeaus!
(Das Bild hat mich zum Lachen gebracht – schönes Symbol für die Verankerung von Streitkräften in der Gesellschaft: ein paar schwerbepackte, schwitzende Soldaten auf Übung, und vom Balkon gibt der alte Svensson kluge Ratschläge, während er seinen Sonnenbrand pflegt.)
@ Segestes 05.01.2024 um 15:20 Uhr
Sie haben richtig die nukleare Abschreckung, gewährleistet durch die USA, beschrieben. Es gibt allerdings eine Ebene darunter. Gerade die neuen NATO Mitglieder schaffen Fähigkeiten um auch in einem konventionellen oder auch hybriden Krieg tatsächlich verteidigungsbereit zu sein. In weiten Teilen sind sie es schon, sind wertvolle Bündnispartner.
Partner und Freunde betrachten allerdings auch den sich fast nicht verändernden desolaten Zustand der Bundeswehr. Der Ukrainekrieg zeigt die Bedeutung der Kriegsführung zu Lande. Da schneidet die Bundeswehr besonders schlecht ab.
Wenn man sich nur auf die nukleare Abschreckung verlassen würde, bräuchte es auch keine Brigade Litauen.
In Schweden ist sicher auch nicht alles perfekt, doch Anspruch und Wirklichkeit liegen dort wohl nicht so weit wie in Deutschland auseinander.
Der politische Wille wurde schon mehrfach genannt. Ich erkenne aber, das auch in rein handwerklichen Dingen, dazu gehört auch Planung und Organisation, andere NATO Armeen weit mehr Substanz aufwiesen. Militärisches Handwerk, da schaut man schon mal zu anderen Staaten. Lernwillig, innovativ, flexibel, engagiert. Da gibt es in der Bundeswehr viel aufzuholen.
@Nicolo15
Die Frage der Wehrgerechtigkeit i.V.m. einem möglichen Nachteilsausgleich ist durchaus zentral, da sie mit wesentlich begründend für die Aussetzung der Wehrpflicht war.
Das würde gemessen an der heute möglichen Einberufungspraxis das BVerfG ggf. auch so sehen.
Vielen Dank, Herr Wiegold und an Herrn Hård af Segerstad, für diesen sehr infomativen Artikel. Der Punkt, den Thomas Melber anspricht, war mir auch aufgefallen. Aber das Argument lautet, wenn ich das richtig verstanden, dass man sich mit Gerechtigkeits-Fragen gar nicht erst befasst, weil sich die Mannschaftsstärke für die Armee aus der militärischen Notwendigkeit ergibt. Wir brauchen 8000, also ziehen wir 8000.
Um im V-fall auf den Anteil 46000 Wehrpflichtige zu kommen braucht man dann nur etwa sieben bis acht Jahrgänge einzuberufen und hat dann immer noch eine fette Reserve.
Die Ausagen der Befragten werden hier wohl tatsächlich maßgeblich sein. Wenn man sich den „Luxus“ gönnen kann, die völlig demotivierten gar nicht erst zu nehmen, dann nimmt man sie eben nicht. Bei einer Auswahl von nur 8% aus einem Jahrgang stehen die Chancen, auf das Ziehen völig unmotivierter Luschen verzichten zu können, gar nicht schlecht. Angesichts der Größe der schwedischen Streitkräfte im Vergleich mit der Bundeswehr und dem Unterschied in der Bevölkerung zwischen beiden Ländern würde man bei einem Versuch die Zielgrößen anpassen müssen, aber diesen Versuch wäre es wert.
Interessant fand ich die Tabelle mit den Personalkategorien. Hier würde mich mal sehr interessieren was man in Schweden unter „Zivilisten (Kombatanten)“ versteht? Nach meinem Verständnis gibt es entweder Zivilisten oder Kombatanten. Kämpfende Zivilisten gibt es doch eigentlich nur in irregulären Organisationen wie einer Guerilla, oder sehe ich das falsch?
Das Bild spricht durchaus ja auch eine Sprache, oder kann sich hier jemand vorstellen, dass eine (Reserve-)Übung mitten in der Stadt abgehalten werden könnte? Das zeigt schon eine ganz andere Wahrnehmung und Stellung der Streitkräfte in der Gesellschaft (ohne die jetzt werten zu wollen). Insofern auch eine interessante Bildwahl, ob jetzt bewusst oder unbewusst.
Danke für die engagierten Kommentare! Ich werde morgen ein paar Antworte und Bemerkungen dazu schreiben.
J
@Nicolo15, bezüglich der Wehrgerechtigkeit könnte sicher auch zu dem anderen Blick in Schweden beitragen das, so wie ich es verstehe, es im Verteidigungsfall keine Möglichkeit gibt sich einer dann greifenden allgemeinen Dienstpflicht zu entziehen.
@sakrileg
Soweit ich weiß hat dies JgBtl 292 zur Vorbereitung auf MLI gemacht:
https://www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/aktuelles/soldaten-mitten-in-donaueschingen-5451988
Tlw. machen dies auch Res,
@ Michael S. Ich bin in der DDR groß geworden. Da haben eine Menge junger Männer drei Jahre, oft als Unteroffizier auf Zeit, gedient bzw. dienen müssen, um einen Studienplatz zu bekommen. Sonst war es damit nämlich Essig. Allerdings ging es aus wirtschaftlichen Gründen auch in die andere Richtung. Da brauchten Leute, die irgend ein für die Volkswirtschaft wichtiges Fach, wie z.B. Elektronik, studieren wollten, nur 9 Monate statt 18 oder gar drei Jahre dienen. Man kann es ja mal mit entsprechenden gut durchdachten Anreizen probieren.
@ Helge Suchen Sie mal im Netz. Wenn ich mich richtig erinnere, führt die schwedische Armee jedes Jahr eine Übung in einer Stadt zwischen den Zivilisten bei laufendem Verkehr durch. In Belgien habe ich das auch schon gesehen. So etwas gab es bei uns aber auch. Inklusive Schusswechsel zwischen blauen und roten Kräften in einer Wohnung.
Für mich zwei Kernpunkte des Beitrags:
– Es muss klar sein, was die Streitkräfte können sollen.
– Der Befehlshaber legt die Stärke fest.
Das ist doch Auftragstaktik par excellence und im tiefsten Sinne Kennedys! Der Bedarfsträger definiert die Wirkforderung. Der Bedarfsdecker definiert die Mittel dazu. Der Staatsbürger in Uniform steht für die Erfüllung gerade.
An sich ganz einfach. Wenn die Politik von Pragmatikern gemacht würde, die sich aus innerer Überzeugung den Worten am Reichstagsportal verpflichtet fühlen – und nicht dem parteipolitischen Standesdünkel und Proporz.
Wie es schon viele hier geschrieben haben: Der Mindset quer durch die Gesellschaft muss stimmen. Wenn der Wille da ist, gibt es auch EINE STARKE TRUPPE.
Ein sehr guter Artikel, Fakten helfen in der Diskussion deutlich weiter.
Vor allem, der Gerechtigkeitsaspekt der Wehrpflicht (Es gibt keine !) gefällt dann doch sehr!
Der letzte Satz Ihres sehr guten Gastartikels sollte quasi Hausaufgabe für jeden Verteidigungspolitiker in DEU werden. Kernfrage: Wofür brauche ich eine Wehrpflicht?
– Helfende Hände in KatSchutz?
– Rekrutierungspool für die Zeit- und Berufssoldaten?
– Reduzierung der Aufwuchsdauer im Spannungs- oder Kriegsfall?
– „Abschreckungszahl für den Stammtischnostaligker?“
Aus diesem „Auftrag“ ergibt sich dann eine Frage der Gestaltung.
– Ist das Modell in Schweden für den o.a. Auftrag geeignet?
– Brauche ich die Wehrpflichtarmee von 1988?
– In welche Struktur binde ich Wehrpflichtige ein (Ordonanz)?
Und erst wenn dieser level of Ambition definiert ist, ergibt sich die Dauer und das „Wie…“
@Flo
Das ist auch in Deutschland so, es besteht grundsätzlich eine Dienstpflicht, auch für KDVler, und auch Frauen können dienstverpflichtet werden, allerdings von vornherein nur für Tätigkeiten ohne Waffe.
Das wird nur nicht kommuniziert („Das könnte Sie verunsichern“). Davon ab: auch unbewaffnete Dienste hätten im Kalten Krieg frontnah sein können:
https://de.wikipedia.org/wiki/Artikel_12a_des_Grundgesetzes_f%C3%BCr_die_Bundesrepublik_Deutschland
In wie weit hier auch unbewaffnet durchgeführte Hand- und Spanndienste (also direkte Ustg) für die Bw und Alliierte (z.B. Logistik) möglich wären und ob es hierfür eine Uniform gäbe (mit Kennzeichnung als Nicht-Kombattant, z.B. angelehnt an das THW) ist mir nicht bekannt. Wichtig ist aber, dies vorzuhalten und auszuplanen, wie auch die Erfassung und Einberufung – wenn man dies erst macht wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist ist es sicher zu spät.
Ob heute ein Einsatz von Dienstverpflichteten außerhalb des deutschen Staatsgebietes möglich wäre, weiß ich nicht, ich sehe hier aber im GG keine Beschränkung.
Man liest hier viel von „Wehrgerechtigkeit“. Was genau wäre an einem Los-System ungerecht? Jeder tauglich gemusterte kommt in einen Topf und daraus wird die Anzahl gezogen, die zur Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit der Streitkräfte jährlich benötigt wird. Was soll genau daran ungerecht sein? Nicht verstanden.
Es wäre dann ungerecht, wenn der Anspruch wäre (!), dass jeder tauglich gemusterte auch gezogen werden muss, aber das wäre hier ja gar nicht der Fall – und im Übrigen auch gar nicht notwendig.
Was also gegen dieses Modell spricht, bleibt das Geheimnis der Bedenkenträger und derer, die sich ohnehin gern in der Rolle als Moralweltmeister sehen.
@Thomas Melber
Bei dem schwedischen Modell einer Wehrpflicht, Zivilpflicht und Dienstpflicht stellt sich logischerweise eine Gerechtigkeitsfrage nicht, da eben offensichtlich niemand durch das Raster fällt mit der Folge, das sich auch niemand beklagt oder gar vor Gericht klagt. Es ist eben ganz einfach eine Selbstverständlichkeit, diese staatsbürgerliche Pflicht zu erfüllen, allerdings auch das Ergebnis von staatsbürgerlicher Bildung, Erziehung und Vorbild.
Ich gebe gern zu, das in den letzten 30 Jahren dazu erbärmliches geleistet wurde mit dem bekannten Ergebnis, das nur noch ein sehr geringer Teil bereit ist, sein Land mi der Waffe zu verteidigen.
Nun aber bitte nicht in den hier zum Teil sattsam bekannten Reflex nach dem Geld für Personal oder Material oder ein „wünsch Dir was“ verfallen. Weihnachten und Ostern fallen eben nicht auf einen Tag.
Mit Geld können sehr wohl Probleme aller Art zugeschüttet bzw, „unter den Teppich“ gekehrt werden, aber niemals nachhaltig gelöst werden!
Wahre und nachhaltige Veränderung braucht zunächst kein Geld; sondern findet in den Köpfen statt.
Egal für welches Modell der Personalgewinnung man sich auch entscheidet oder besser entscheiden muß: Die Bundeswehr muß dringend zurück in die Fläche, Soldaten in den Kommunen wieder sichtbar am gesellschaftlichen Leben in Vereinen und auf Festen dabei sein und somit im Gespräch bleiben. Für die jüngeren Foristen hier, die das gar nicht kennen: Es gab zu meiner aktiven Zeit die übliche und sehr sinnvolle Praxis, das jede Kompanie eine Patenschaft mit einem der umliegenden Dörfer pflegte. Davon profitierten beide Seiten.
Selbstverständlich konnten auch in diesen Gemeindegebieten mal eben völlig unproblematisch kleinere Übungen abgehalten werden, ohne das irgendjemand protestierte. Das wurde alles zwischen dem Bürgermeister und dem Spieß geregelt, der in vielen Fällen auch noch aus dem Dorf bzw. der Gemeinde kam bzw. dort wohnte.
Zu so einem fruchtbaren Miteinander sollte man dringend zurückkehren. Ich bin davon überzeugt, dass damit so manche Personalgewinnung erreicht werden kann.
Die Bundeswehr gehört dauerhaft in die Fläche und nicht nur zum Sandsack schleppen.
Der Gastbeitrag ist gut und schön geschrieben, aber nur bedingt auf Deutschland umsetzbar. Weil mittlerweile alles abgeschafft wurde. Die Kreiswehrersatzämter und alles andere für die Wiedereinführung der Wehrpflicht fehlt. Das wieder aufzubauen wird eine Menge kosten und das Geld hat unser Staat nicht.
Also wir es keine Wiedereinführung der W – Pflicht geben.
@Thomas Melber sagt: 05.01.2024 um 21:53 Uhr
„Ob heute ein Einsatz von Dienstverpflichteten außerhalb des deutschen Staatsgebietes möglich wäre, weiß ich nicht, ich sehe hier aber im GG keine Beschränkung.“
Das ist in dieser Diskussion ein absoluter Nebenkriegsschauplatz, dazu wird in dem Aufsatz auch nichts gesagt.
Mal abgesehen davon, mit einer Logistikdrehscheibe Deutschland sind wir hier voll ausgelastet. Zumal unsere Verbündeten im Osten auch Bevölkerung haben, die Dienste leisten kann und wohl auch wird.
Vielen Dank für alle Kommentare und die Möglichkeit zum Dialog. Kurze Bemerkungen meinserseits, in der obigen Reihenfolge!
@IstEgal : gerne!
@Thomas Melber: es gibt nur wenige formale Vorteile für die Wehrpflichtigen. Sie bekommen einen Rentenzuschuss für das (möglicherweise) verlorene jahr im Arbeitsleben. Wer eine Uniausbildung anträgt, kann in einigen Fällen Arbeitserfahrung als Vorzug verwenden. Dann zählt die Grundausbildung. Es gibt sonst keine Steuererleichterungen wie in der Schweiz o.Ä.
Die meisten sehen die indirekten Vorteile. Bei Befragungen reden viele von der persönlichen Entwicklung und der Herausforderung, sowie vom Wert im Lebenslauf bei Bewerbungen. Es ist auch unter Arbeitsgebern als ein klarer Vorteil gesehen.
Und ja, man kann Wehrunwillen angeben. Eingezogen kann man sowieso werden. Aber mit 8.000 aus 100k können wir uns den Luxus gönnen, erst die fähigen UND die willigen einzuziehen. Der wichtige Unterschied von den Jahren mit nur Freiwilligen ist, dass wir jetzt die 30.000 für die Musterung auswählen können. Damals haben wir viele fähige und willige verpasst.
@ACE Nur das Verfahren mit dem Fragebogen ist neu. Die zweitägige Musterung ist im Wesentlichen gleichgeblieben wie sie seit Jahrzehnten aussieht. Die Befragung ist zwar schon bei der Deaktivierung 2010 eingeführt, um die mögliche Wehrunterlagen in der jungen Bevölkerung nicht zu verlieren. Die Befragung wird digital gemacht und die erste Auswertung wird natürlich auch automatisch bearbeitet. Man fängt mit der Grobauswahl erst an.
@HFZerwas Grösser sind die schwedischen Streitkräfte nicht mehr. Mitte 80er hatten wir 30 Heeresbrigaden, 20 Uboote und mehr als 400 Kampfflugzeuge. Aber im Vergleich zur Bevölkerung auch nicht sehr klein. DE hat acht mal so viele Einwohner, wie Schweden.
Zur Frage Verteidigungswillen. Bei einer Befragung 2022 meinen 90 % dass Schweden bei einem Angriff sich bewaffnet verteidigen soll. 76 % geben an, sie würden mitmachen auch wenn es ihnen das Leben kosten könnte. Der Willen ist nicht anhand der Reaktivierung gestiegen, aber zwar gleichzeitig. Die Kausalität liegt eher in der veränderten Sicherheitslage, und in der Rückkehr der Landesverteidigung.
@Dominik: ja, klar kann man sich unterbewerten. Und dann ist man wahrscheinlich unwillig. Noch haben wir den Luxus, auf sie verzichten zu können. Das Problem liegt mittlerweile in den vielen jungen Männern, die sich überbewerten um es zur Musterung zu machen!
@sandino. @leser: gerne!
@max: die Summen sind 2023 ein bisschen erhöht worden, aber hauptsächlich so!
@mitleser. Danke. Und ja, es wurde massiv abgerüstet…
@ungedienter @ Nicolo15: es ist mir klar, dass eine der größten Unterschiede wirklich die Wehrgerechtigkeit ist.
@ A-Bullet. Man könnte sagen, dass die neue Sicherheitslage für Schweden eher eine „Wiederherstellung“ der klassischen Bedrohungslage ist, als sie für Deutschland eine Neuausrichtung ist. Dies macht es für uns einfacher umzustellen, auch wenn wir auch naiv abgerüstet haben.
@MrDiversity: Schweden hat Offiziere (OF1-9) und Unteroffiziere (OR6-9). Sie sind zwei unterschiedliche Korps, und nur bei ihnen geben es Berufsoffiziere. OR1-5 sind ein Korps. Sie können maximal 12 Jahre dienen.
@ Michael S. Das dänische Losverfahren wurde auch in Schweden angeschaut, aber wir haben die obigen Lösung gewählt!
@ Pio-Fritz. Wirklich eine der guten Fragen. Wir sehen jedoch vor, dass auch die Fronteinheiten mit Wehrpflichtigen bemannt werden können. Es geht „nur“ um das genügende Material zu haben und die Übungen. Vielleicht ist die Grundausbildung zu kurz? Jetzt 11-15 Monate. Reicht das?
@ Segestes. Da bin anderer Meinung. Wir haben früher, mit fast demselben Modell, 90 % eingezogen. Zwar hätten wir bei einer Einschreibungsquote von 50 % wahrscheinlich alle 18-jährige mustern müssen. Es ist erstens eine Ressourcenfrage (größere Musterungskapazität), keine Methodikfrage. Pflicht ist Pflicht. Bei irgendeiner Anzahl werden auch die ohne Motivation eingezogen.
@ Helge Danke!
@ Schlammstapfer Richtig. Solange wir nur 8.000 brauchen, warum sollen wir die ungeeigneten auswählen?
Und ja, Zivilisten als Kombattanten. Die linke Seite zeigt, wo sie im Normalfall sind. Diese Zivilisten sind angestellte oder Beamter, die aber eine Beorderung in der V-Fallorganisation haben. Sie werden dann völkerrechtlig zu Kombattanten, nicht begleitende Zivilisten.
@ sakrileg Die Ehre der Bildwahl geht an Herrn Wiegold!
@ FNU SNU. Auch in Schweden gibt es viel „Wehrpflicht-Nostalgie“. 60-jährige Politiker, die sich an ihre Grundausbildung erinnern und allzu viel davon erzählt. „Kälter, härter, besser“. Und einige verstehen nicht, dass die Grundausbildung Ressourcen verbraucht. Sie ist kein Zweck an sich, nur ein Mittel um Kampfeinheiten aufzubauen. Kasernen gewinnen keine Kriege.
@Thomas Melber, stimmt. Aber da sieht man wie das Thema bei uns vernachlässigt wird. Kaum einer kennt die Möglichkeit.
@Hans Dampf, ein Lossystem könnte ich mir auch als gerecht vorstellen. Das Problem wäre nur wie wollen Sie dann mit Art 12a(2) GG umgehen? Den müsste man entweder abschaffen oder ich bräuchte einen zweiten Lostopf wer Zivildienst leisten muss. Nur da dürften vermutlich dann die Einstzstellen auf die Barrikaden gehen.
Denn damit das System insgesamt gerecht bleibt, müsste ich jährlich neu rechnen. Was braucht die Bundeswehr an Wehrpflichtigen, wie groß ist der Pool der möglichen Wehrpflichtigen (nehme ich da dann eigentlich den gesamten Jahrgang oder nur die die nicht verweigern?) und damit die Chance gezogen zu werden. Und daraus kann ich dann anhand derer die Zivildienst machen wollen ausrechnen was ich an Plätzen für Zivildienst zur Verfügugn habe damit am Ende die Wahrscheinlichkeit gezogen zu werden für beide Gruppen gleich ist. Damit nehme ich aber den Einsatzstellen für den Zivildienst jegliche Planungsgrundlage wieviele Zivis die jährlich bekommen können. Sollte zwar eigentlich egal sein, weil Zivis ja immer offiziel arbeitsmarktneutral waren. Aber Theorie und Wirklichkeit….
@Pio-Fritz hier hat mich die persönlich Erfahrung mit der Weite des Landes und den gesehenen militärischen Flugzeugen einfach fehlgeleitet.
Bei Ihrer Einschätzung „Schutz von KRITIS“ und „Schutz der Tiefe des Raumes“ gehe ich auch mit, würde evtl. noch die Idee vom Einsatz in großen Katastrophenfällen hinzu nehmen wollen (Pandemie, Hochwasser, usw…). Ggf. müssten dazu die Gesetze angepasst werden, aber ich fürchte dass bei der derzeitigen Altersstruktur Deutschlands in ein paar Jahren sonst einfach nicht genug Leute für Notlagen zur Verfügung stehen werden.
„Ich gebe gern zu, das in den letzten 30 Jahren dazu erbärmliches geleistet wurde mit dem bekannten Ergebnis, das nur noch ein sehr geringer Teil bereit ist, sein Land mit der Waffe zu verteidigen.“
Genau, mit diesem einen Satz ist eigentlich alles gesagt. Die Generation Z hat alles andere im Sinn, als eine Waffe in die Hand zu nehmen. Und da es im Krieg kein Respawn gibt, kommt der Tod auf dem Schlachtfeld schon zweimal nicht in Frage. Als Digital Natives würden sie in der WLAN-Öde einer deutschen Kaserne eingehen wie die Primeln. Vielleicht sollten wir uns vorerst mal damit beschäftigen, die Soldaten, die wir haben, so auszustatten, dass man wieder von einer schlagkräftigen Armee reden kann.
Nachdem sich der Rauch der Doppelwumms-Blendgranaten verzogen hat, sieht es nämlich aus wie vorher, alle haben wieder die Köpfe im Sand. Dabei ziehen in den USA und damit auch in der Ukraine dunkle Wolken auf.
@Thomas Melber sagt: 05.01.2024 um 21:53 Uhr
„Ob heute ein Einsatz von Dienstverpflichteten außerhalb des deutschen Staatsgebietes möglich wäre, weiß ich nicht, ich sehe hier aber im GG keine Beschränkung.“
Das war und ist bei NATO – Verpflichtungen keine Frage. Schon in Friedenszeiten hatte die Bundeswehr früher Standorte mit Wehrpflichtigen in Frankreich, den Niederlanden und Dänemark und handverlesene Wehrpflichtige kamen sogar in die Geschäftszimmer von dt. Anteilen bei NATO-Stäben oder dt. Verbindungskommandos /-stäben. Meines Wissens nach war die Einberufung / Versetzung ins NATO-Ausland auf verschiedenen Wegen möglich. Manche wurden einfach zur Lw – AGA nach Budel (NL) einberufen und staunten, manche wegen der Sprachkenntnisse und/oder Heimatnähe gezielt angesprochen und entsprechend verplant, andere bekamen auf Eigeninitiative hin und in Verbindung mit privaten Netzwerken den W12 im Ausland, manchmal auf FWDL 18 verlängert. Insofern wären Wehr-/Dienstpflichtige in LIT kein Problem, erst recht nicht bei Freiwilligkeit als FWDLer.
Ein wesentlicher Unterschied der Bedingungen, unter denen die Diskussion über die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Schweden bzw. Deutschland stattfindet, wird im vorletzten Absatz des Artikels angesprochen: In Schweden war der Kontext die bündnisfreie Landesverteidigung. Ein militärischer Angriff auf Schweden hätte weitreichende Auswirkungen bis in die unmittelbare Lebenswelt jedes einzelnen und folglich eine existenzielle Bedeutung für jeden Bürger, während das wahrscheinlichste Szenario, in denen die BW einen Verteidigungskrieg (Pistorius) führen müsste, ein NATO-Bündnisfall im Osten Europas, möglicherweise im Baltikum, ist, mit deutschen Verbänden als Teil multinationaler Großverbände unter dem Kommando des SACEUR. Solange es keine nukleare Eskalation gäbe, dürften die Auswirkungen auf das Alltagsleben in Deutschland beschränkt sein.
Angesichts von Umfragen aus 2023, in denen sich zwar eine Mehrheit dafür ausspricht, die NATO-Vorgabe von 2% des BIP für die Verteidigung zu erfüllen, sich aber gegen eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa wendet (Körber-Stiftung), und sich nur 40% der Befragten (dagegen 39%) dafür erwärmen können, den Bündnisverpflichtungen bei einem Angriff Russlands auf die baltischen Staaten nachzukommen (Allensbach), werden Diskussionen über einen Mentalitätswandel („Kriegstüchtigkeit“) und eine Wiedereinführung der Wehrpflicht – in welcher Form auch immer – wenig aussichtsreich sein.
@all
Bitte um Verständnis – war heute unterwegs und bin erst jetzt dazu gekommen, die aufgelaufenen Kommentare freizuschalten.
In der Replik des Attachés hier in den Kommentaren ist mir noch eine Aussage als bemerkenswert aufgefallen:
Und einige verstehen nicht, dass die Grundausbildung Ressourcen verbraucht. Sie ist kein Zweck an sich, nur ein Mittel um Kampfeinheiten aufzubauen. Kasernen gewinnen keine Kriege.
Finde ich auch für die deutsche Debatte einen wichtigen Punkt.
Und noch etwas: Wer diesen Thread missbrauchen möchte, um im „Die Verräter da oben!“-Stil gegen Politiker, Bundesregierung etc zu hetzen, sollte nicht darauf rechnen, dass ich so was freischalte.
@Windlicht
Ich möchte das nicht ausdehnen, aber mit „Dienstverpflichtete“ meinte ich nicht dann Wehrdienstleistende sondern die, die KDV oder tatsächlich Zivilisten sind, die ja auch verpflichtet werden können.
Übrigens, der Herr Kapitän ist als Attaché auch für Österreich und für die Schweiz zuständig.
@Thomas Melber: Soweit mir bekannt, war im Kalten Krieg auf Basis Artikel 12a Abs 3 und besonders Abs. 4 Grundgesetz auch solches ziviles Personal in den „zivilen Heimatlazaretten“ vorgesehen. Diese zivilen Lazarette waren als Geräteeinheiten der Blaulicht-Org. zum Teil schon vorhanden und innerhalb Deutschlands sogar öffentlichen Bauten zugewiesen, nartürlich alles westlich des Rheins. Ob diese genauso wie die mil. ResLazOrg auch bis tief nach Frankreich hinein vorgeplant waren, kann ich nicht sagen. Die planerische Absicht, dies zu tun, habe ich wiederholt von Zeitzeugen berichtet bekommen: „Eine Lazarett-Organisation, auch mit Zivis, die bis zum Atlantik reicht.“ Sorry, vielleicht off topic, aber bezeichnend für das Fernlichtdenken der 1980er: Beim Neubau von Schulgebäuden gab es Zuschüsse des Bundes, wenn u.a. die Türen der Klassenzimmer deutlich breiter gebaut und damit tauglich für das hineinrollen von Krankenbetten waren, wenn die Schule im V-Fall als Lazarett beschlagnahmt worden wäre. tja… die materiellen Mobilmachungsvorbereitungen.
H.-P. Bartels heute früh im DLF:
Ein dem SWE Modell vergleichbares Verfahren hatte die SPD zu Guttenberg vorgeschlagen, als in einer „Nacht-und-Nebel“ Aktion die Wehrpflicht am Kabinettstisch ausgesetzt wurde!
Aus der Opposition heraus fand das bei Kanzlerin/IBuK aber kein Gehör.
Die Absicht ist mir seinerzeit entgangen. Der Streitkräfteumfang betrug noch 250.000 und sank quasi „über Nacht“ (Bartels) auf 180.000. 203.000 müsse weiter angestrebt werden,
Ich würde mir das Lästern über die Generation Z oder Millennials sparen, denn wer hat diese Generation(en) erzogen? Da haben dann die vorherigen Generationen wohl grandios versagt!
Zielgruppenbeschimpfung ist auch seit jeher eher kontraproduktiv.
Schon mal daran gedacht, auch Untauglichen ein _Angebot_ zu machen? Kein Schulabschluss? Kriegen wir hin. Übergewichtig, unsportlich? Kriegen wir hin.
Stattdessen vergrault diese Bundeswehr dringende benötigte EloKa-Elektroniker, weil für Borddienst 5 kg zu viel drauf sind. Dann kann’s ja nicht so schlimm sein. (Spoiler: derzeit laugt die Marine ihre 40er aus, das geht auch nicht ewig gut).
Bei der aktuellen Personalverwaltung (-management ist was anderes) führt die Reaktivierung der Wehrpflicht auch nur zu Geldverbrennung.
@ Jonas Hård af Segerstad
Danke für die Erklärung.
Der ehemalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Dr. Hans-Peter Bartels, hatte seinerseits als Abgenordneter diese Idee, die er heute früh im DLF noch einmal vorgetragen hat, sehr starkr gepowert. Ich weiss jetzt nicht mehr, wie der diesbezügliche Antrag beim SPD Parteitag ausging. Richtig ist der Kern des Wehrpflichtgesetzes, erfassen-mustern-ziehen; das garantiert Personal, welches auszubilden ist. Alles andere regelt das Soldatengesetz. By the way,am 01.Januar 1995 wurde der Tauglichkeitsgrad T7 eingeführt, zu dem unter Freistellung der Gundausbildung (also quasi nur Innendienst) gezogen worden ist. Aber hier der link zum Beitrag vom damaligen MdB Bartels http://www.hans-peter-bartels.de/eine-freiwillige-wehrpflicht-als-zukunft-der-streitkrafte/
@ Jonas Hård af Segerstad
Sehr interessanter Beitrag Herr Kapitän, vielen Dank, auch für die Antworten auf die Nachfragen. Und meinen Respekt für Ihre Arbeit bei der Wiederaktivierung der Wehrpflicht in SWE. Ich wünsche viel Freude und Erfolg bei Ihrer aktuellen Tätigkeit in Berlin.
@ Nur 2 Cent sagt:
07.01.2024 um 12:21 Uhr
+++1.
Allergrößte Zustimmung.
@Landmatrose3000:
Konkretisierung: Da hat eine bei der Bw an EloKa-Anlagen ausgebildete und durch mehrjährige Instandsetzertätigkeit erfahrene Fachkraft die Bw verlassen! Weil die Bw aus bürokratischen Gründen unfähig war, der Person eine Verwendungsperspektive anzubieten — obwohl Bedarf herrscht. Einfach irre!
Solange wir mit unserer kostbarsten Ressource derart umgehen, könnt ihr euch die Wehrpflicht stecken. Da braucht es keine Front, um Personal zu verheizen.
Interessanter Beitrag und vor allem gewohnte skandinavische Nüchternheit und Pragmatismus. Interessant vor allem auch, dass im schwedischen Nationalverständnis offenbar die „levée en masse“ ein eher linkes Phänomen aufgrund der Kopplung mit dem Stimmrecht war. Auch das Konzept der für ein (ehemals) neutrales Land ohne feste Bündniseinbindung offensichtlich notwendigen „Totalverteidigung“ mit dreischichtigem Dienstpflichtmodell ist historisch aus schwedischer Sicht verständlich.
Das bringt uns aber zu den (Haupt-)Stolpersteinen. Die Schweden haben ihr ganz eigenes Verfassungsgefüge und eben nicht das deutsche Grundgesetz mit nunmehr über siebzig Jahren Rechtsprechung (etwas weniger für die Wehrpflicht, die kam ja auch erst später…).
Eine allgemeine Dienstpflicht oder auch eine Wehrpflicht für Männer und Frauen gleichermaßen gibt es ohne Grundgesetzänderungen schlichtweg nicht. Die Ausbildung in den zivilen Ersatzdiensten (in dem wohl die schwedischen Dienste, die zur Totalverteidigung in Anspruch genommen werden, ihren hauptsächlichen Widerklang finden dürfte, müsste gleichermaßen wie die Wehrausbildung parallel neu aufgebaut und konzipiert werden.
Woran man sich aber eine gute Scheibe abschneiden kann, ist die klare Stringenz auch des politischen Prozesses; Ansprechen, Beurteilen, Folgern, Handeln.
So würde ich mir das auch hierzulande wieder mehr wünschen. Meist läuft die Abfolge ja eher anders: Ansprechen, Shitstorm, Abwarten, Nabelschau, Strukturumwandlung.
Aber das könnte man alles hinbekommen, wenn man denn wollte und auch bereit wäre, sich dafür politisch zu exponieren. Natürlich ist das kein Garant für kurzfristig große Wählerzuwächse, zumal nicht unter den betroffenen Jahrgängen, die schon wählen dürfen. Aber die Alternative ist ultimativ ja vielleicht, dass man bald wieder Zettel falten geht, um ein nach Gnaden der russischen Nomenklatura zusammengesetztes Parlament mit dem Pseudoanstrich einer demokratischen Legitimation zu versehen.