Warnung vom Heeresinspekteur: Litauen-Brigade verschärft Materialprobleme des Heeres

Heeres-Inspekteur Alfons Mais hat in einer internen Auflistung des Bedarfs für die Aufstellung der geplanten Bundeswehr-Brigade in Litauen vor einer Verschärfung der Materialprobleme des Heeres gewarnt. Das Heer sei ohnehin unterfinanziert und werde mit der zusätzlichen Brigade weiter geschwächt, heißt es in dem internen Schreiben, über das der Spiegel berichtete.

Das Schreiben des Inspekteurs an das Verteidigungsministerium stammt bereits aus dem November. Dass sich Mais mit einer Auflistung der Herausforderungen, die die geplante dauerhafte Stationierung einer schweren Kampfbrigade des Heeres in Litauen mit sich bringt, an das Ressort wendet, ist nicht besonders auffällig: Es war als Teil der Vorbereitungen für den Aufbau dieser Brigade zu erwarten, dass der Generalleutnant recht exakt beziffern würde, was an Gerät dafür benötigt wird.

Besonders ist aber an dem Schreiben und der Auflistung, über die der Spiegel am (heutigen) Dienstag berichtete, die damit verbundene Bewertung des Inspekteurs. So habe das Heer derzeit nur 60 Prozent des benötigten Materials und Geräts, zitiert das Magazin. Mit der Aufstellung der Litauen-Brigade werde diese Mangelverwaltung mit nur noch 55 Prozent des Solls umgehen müssen. Dabei dürfte Mais vor allem darauf anspielen, dass die im Baltikum stationierten Einheiten eine vollständige Ausstattung mit Waffensystemen und Material brauchen, was in Deutschland weitere Lücken reißen dürfte.

Der Spiegel-Bericht steht hinter Paywall; die Redaktion hat aber eine Vorabmeldung als Pressemitteilung verbreitet:

In der Bundeswehr gibt es massive Zweifel an der Umsetzung der Pläne von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), bis 2027 eine Kampfbrigade dauerhaft in Litauen zu stationieren. In einer internen Mail warnt der Heeresinspekteur General Alfons Mais, dass die neue Brigade ohne milliardenschwere Investitionen nicht zu stemmen sei, wenn die Bundeswehr an der Heimatfront nicht massiv geschwächt werden solle. Das Schreiben liegt dem SPIEGEL vor.
Darin wendet sich Mais an Generalinspekteur Carsten Breuer und fordert, das Ministerium müsse trotz der gerade erst angelaufenen Planungen für die Brigade dringend über Investitionen für das Projekt nachdenken. Als Grund nennt er die prekäre Lage des Heers. »Ich komme leider nicht umhin erneut zu betonen, dass die materielle Ausstattung des Heeres gemessen an seinen Aufträgen ab 2025 aktuell mehr als grenzwertig und trotz aller positiver Anstrengungen auch zukünftig unterfinanziert ist«, schreibt Mais.
Die Analyse des Inspekteurs ist schonungslos. »Die Decke ist einfach zu dünn«, stellt er fest. Konkret sei das Heer über alle Materialkategorien – »von A wie Artilleriegeschütz bis Z wie Zeltbahn« – nur zu 60 Prozent ausgestattet. Wenn die neue Brigade für Litauen nun aus dem laufenden Betrieb gestemmt würde, prophezeit Mais drastische Folgen. »Die Aufstellung eines neuen Großverbandes ohne zusätzliche Investitionen«, warnt er, »wird diese Quote auf 55 Prozent absinken lassen«.
Mais spielt in seinem Brandbrief darauf an, dass die materielle Ausstattung der neuen Brigade für Litauen bisher nicht in den Kostenaufstellungen des Ministeriums für die kommenden Jahre auftaucht. »Hier bedarf es aus meiner Sicht einer klaren Leitungsentscheidung und Ressourcenpriorisierung, um den gesamten ›Apparat‹ mitzunehmen und das Ziel der Vollausstattung zu bestätigen«, fordert er. Konkret sei es an der Zeit, die Kosten für die Brigade »in Gänze haushaltsseitig abzubilden«.
Hintergrund der Skepsis beim Heer sind die absehbaren Details der Aufstellung des Verbands. Zwar soll sich die Brigade aus bereits bestehenden Verbänden zusammensetzen. So sollen das Panzerbataillon 203 aus Augustdorf und das Panzergrenadierbataillon122 aus Oberviechtach bis 2027 nach Litauen verlegt werden. Als drittes Kampfgruppenbataillon soll der multinationale Nato-Gefechtsverband in Litauen hinzukommen; er ist dort bereits unter deutscher Führung mit rotierendem Personal im Einsatz.
Mit den drei Bataillonen aber ist das Projekt noch nicht gestemmt. Beim Heer wird schon länger betont, dass die neue Brigade weitere Unterstützungseinheiten wie Panzerpionierkompanien benötige, für deren Material bisher keine Haushaltsmittel vorgesehen sind. Folglich habe das Ministerium »ersten Eindrücken entgegenzutreten, das Heer müsse die zusätzlichen Bedarfe aus seinem Bestand bzw. den bisherigen Planungsständen ohne die Brigade Litauen« generieren, fordert Mais.

Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein litauischer Kollege Arvydas Anušauskas hatten in der Woche vor Weihnachten einen Fahrplan für die Stationierung der Brigade unterzeichnet. Nach dem Zeitplan in der Roadmap soll ein Vorauskommando der Litauen-Brigade im zweiten Quartal 2024 seine Arbeit in Vilnius aufnehmen und zum Brigadestab aufwachsen. Bereits Anfang 2024 sollen in einer gesonderten technischen Vereinbarungen die Voraussetzungen für die Infrastruktur festgelegt werden. Die offizielle Aufstellung der Brigade ist für das Jahr 2025 geplant, gefolgt von der eigentlichen Stationieriung bis spätestens Ende 2027.

(wird ggf. ergänzt)

(Archivbild: Bundeswehrsoldaten der NATO-Battlegroup Litauen bei der Parade zum Jahrestag der litauischen Streitkräfte in Vilnius am 25. November 2023 – Jana Neumann/Bundeswehr)