Nach UN-Bericht über Militär-Massaker in Mali: Ermittlungen gegen UN-Mission wegen „Spionage“

Nach einem Bericht der Vereinten Nationen über ein Massaker von malischen Militärs und vermutlich russischen Söldnern an Zivilisten in Mali verschärft die Regierung in Bamako ihren offenen Konfrontationskurs gegen die Weltorganisation. Die von Militärs geführte Übergangsregierung wies nicht nur die detaillierten Vorwürfe der UN zurück, sondern leitete auch ein Ermittlungsverfahren gegen die Weltorganisation ein: Die Nutzung von Satellitenaufnahmen werde als Spionage strafrechtlich verfolgt.

Im März vergangenen Jahres hatten malische Soldaten und ausländische Kämpfer, vermutlich Angehörige der russischen Söldnerfirma Wagner, in Moura (Mourah) in Zentralmali zunächst jihadistische Aufständische angegriffen und anschließend über mehrere Tage systematisch Zivilisten getötet. Die malische Armee hatte die Operation als Erfolg bezeichnet, schon damals wiesen Informationen aus der Bevölkerung darauf hin, dass sowohl die Soldaten des Landes als auch Ausländer dabei wahllos gegen Jihadisten wie Einwohner vorgegangen seien.

Am vergangenen Freitag hatte das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte Volker Türk seinen Bericht zu dem Massaker in Moura vorgelegt. Bei der systematischen Aktion, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden könnten, seien vermutlich mehr als 500 Menschen getötet worden:

A fact-finding report from the UN Human Rights Office has concluded there are strong indications that more than 500 people were killed – the vast majority summarily executed – by Malian troops and foreign military personnel during a five-day military operation in the village of Moura in the Mopti region of central Mali in March 2022. (…)
The report is the result of an extensive human rights fact-finding mission conducted over several months by UN staff in Mali. Malian authorities denied requests by the team to access the village of Moura itself. The report is based on interviews with victims and witnesses, as well as forensic and other information sources, such as satellite imagery. (…)
Then, over the next four days, at least 500 people are believed to have been summarily executed, the report says. The fact-finding team has obtained extensive personal identification details, including the names of at least 238 of these victims.
Witnesses reported seeing “armed white men” who spoke an unknown language operating alongside the Malian forces and at times appearing to supervise operations. According to witnesses, Malian troops were rotated in and out of Moura daily, but the foreign personnel remained for the duration of the operation.

Der UN-Bericht verzichtet darauf, die Nationalität der ausländischen Kämpfer anzugeben. Bereits im vergangenen Jahr hatten allerdings französische Medien unter Berufung auf Augenzeugen darauf verwiesen, dass es sich vermutlich um Russen handelte. Nach Einschätzung westlicher Regierungen ist die Söldnergruppe Wagner mit starken Kräften in Mali präsent. Im Zuge der Konfrontation mit westlichen Ländern hat sich die Regierung in Bamako zudem immer mehr nach Russland orientiert und wiederholt auch russische Waffenlieferungen erhalten.

Die malische Übergangsregierung reagierte am (gestrigen) Samstagabend mit scharfen Worten auf den UN-Bericht:

Die Übergangsregierung verurteilt vehement diesen voreingenommenen Bericht, der auf einer fiktiven Erzählung beruht und nicht den international anerkannten Standards entspricht. Aus diesem Grund hat sich die Regierung nie dazu herabgelassen, während der Erstellung des Berichts einen Kommentar abzugeben. (…)
Während der Militäroperation kamen keine zivilen Staatsangehörigen aus Moura ums Leben. Unter den Toten befanden sich ausschließlich terroristische Kämpfer und alle festgenommenen Personen wurden der Gendarmerie von Sévaré zur Verfügung gestellt. Nach der Untersuchung wurden die festgenommenen Personen an die Abteilung für gerichtliche Ermittlungen der Gendarmerie Nationale in Bamako überstellt und der Justiz zur Verfügung gestellt.

Besonderes Augenmerk richtete die malische Regierung zudem auf die Ermittlungsmethodik der Vereinten Nationen. Die UN-Kommission hatte darauf verwiesen, dass die malischen Behörden den Mitarbeitern der internationalen Organisation den Zugang zum Ort des Massakers verwehrt hätten, und deshalb andere Quellen herangezogen worden seien. Insbesondere die Nutzung von Satellitenaufnahmen ist aus Sicht der Regierung in Bamako ein krimineller Akt:

Die Übergangsregierung prüfte die Methodik, nach der der Bericht des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte verfasst worden war, und erfuhr mit Erstaunen, dass die Erkundungsmission Satelliten über Moura eingesetzt hatte, um Bilder zu erhalten.
Die Übergangsregierung teilt der nationalen und internationalen Öffentlichkeit mit, dass sie zu keinem Zeitpunkt von der MINUSMA oder dem Hochkommissariat für Menschenrechte um eine Genehmigung zur Aufnahme von Satellitenbildern aus Moura gebeten wurde.
Indem die Fact-Finding-Mission ohne Genehmigung und ohne Wissen der malischen Behörden Satelliten nutzte, um Bilder zu erhalten, führte sie ein heimliches Manöver gegen die nationale Sicherheit Malis durch.
Daher beschließt die Übergangsregierung, unverzüglich eine gerichtliche Untersuchung gegen die Ermittlungsmission und ihre Komplizen wegen Spionage, Gefährdung der äußeren Sicherheit des Staates, Verbrechen, die nach dem Strafgesetzbuch (Art. 33 und 35) unter Strafe gestellt sind, sowie wegen militärischer Verschwörung, einem Verbrechen, das nach dem Militärjustizgesetz (Art. 130) unter Strafe gestellt ist, einzuleiten, ohne der Einstufung durch die Justizbehörden vorzugreifen.

Die komplette Mitteilung:
20230514_Mali_Regierung_Moura

Die Regierung nutzt nicht das erste Mal strafrechtliche Schritte, um gegen die internationale Gemeinschaft vorzugehen. Im Sommer vergangenen Jahres wurden 49 Soldaten der Elfenbeinküste bei der Einreise als angebliche Söldner verhaftet – sie hatten als Unterstützungstruppen der UN-Mission MINUSMA ein Camp nahe des Flughafens von Bamako sichern sollen, in dem unter anderem Bundeswehrsoldaten untergebracht waren. Das Camp wurde wenig später aufgelöst. Die ivorischen Soldaten wurden zwar angeklagt, dann aber begnadigt.

Die weitere Eskalation der Regierung wirft die Frage auf, wie es um die Zukunft der UN-Mission in dem westafrikanischen Land bestellt ist – das gilt auch für die Bundeswehr. Bis Ende Mai will der Bundestag ein neues Mandat für den deutschen Einsatz in Mali beschließen, das ausdrücklich den Abzug innerhalb eines Jahres vorsieht. Das Mandat (Bundestagsdrucksache 20/6655) sieht allerdings auch vor, dass wenn nötig ein schnellerer Abzug infrage kommt: Sofern während des Mandatszeitraums ein ausreichendes Versorgungs- und Schutzniveau für deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht mehr gewährleistet sein sollte, werden weitere Maßnahmen zur Anpassung des deutschen Beitrags eingeleitet, bis hin zur beschleunigten Beendigung des Einsatzes.

(übersetzungen des französischen Texts mit deepl.com)

(Archivbild Juni 2022: Britische Soldaten der Long Range Reconnaissance Group (LRRG) Mali bei einer gemeinsamen Übung mit deutschen Soldaten und einem NH90-Hubschrauber der Bundeswehr in Gao – Sgt Luke Johnston/UK MOD/Crown copyright 2022 under Open Government License)