Bewerber für die Truppe: Idealistisch, gebildet – und vom Bewerbungsverfahren enttäuscht

Die Bundeswehr bemüht sich seit Jahren, mehr Soldatinnen und Soldaten zu gewinnen – scheitert dabei aber nicht in erster Linie an der Zahl der Bewerbungen, sondern daran, dieses Potenzial auch auszuschöpfen. Zu diesem Ergebnis kommt die Bewerberstudie 2022 des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Zugleich ist nach Ansicht der Autoren die Ansicht wiederlegt, dass vor allem Ostdeutsche und schlechter gebildete Schichten den Hauptteil der Interessenten am Dienst in den Streitkräften stellen.

Die Zahl der aktiven Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr dümpelt seit längerem bei rund 183.000. Weiterhin ist erklärtes Ziel, diese Zahl langfristig auf 203.000 einschließlich der Reservistenstellen zu erhöhen – ein Ziel, dass die Streitkräfte ebenso seit Jahren verfehlen. Die am (heutigen) Mittwoch veröffentlichte Studie des ZMSBw kommt zu dem Ergebnis, dass das eben nicht allein ein Problem der Zahl der Bewerber*innen ist – sondern nicht zuletzt auch am Umgang der Bundeswehr mit denen liegt, die sich für den Dienst in der Truppe interessieren.

Die trotz aller wissenschaftlich zurückhaltenden Formulierung deutlichste Aussage findet sich in der Studie in der Bewertung:

Solange 70 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber bei der Bundeswehr keinen positiven Einstellungsbescheid bekommen, scheint trotz mancher anderslautender Aussagen von Verantwortlichen und Karriereberatern ein Teil des Problems weniger im Umfang des Bewerberaufkommens als vielmehr in dessen Ausschöpfung zu liegen.

Für die Untersuchung hatten die Autoren nach Bewerbung für die Bundeswehr die Interessenten elektronisch angeschrieben und gebeten, online einen Fragebogen auszufüllen; das  wurde kurz vor Beendigung des Bewerbungsverfahrens wiederholt. Die Ergebnisse sind damit abhängig von der Bereitschaft der Interessenten, an dieser Befragung teilzunehmen. Das hatte unter anderem zur Folge, dass sich bei der Schlussbefragung überwiegend diejenigen meldeten, die auch für den Dienst in der Truppe angenommen wurden.

Vor diesem Hintergrund ist um so bemerkenswerter, dass fast ein Viertel (23 Prozent) der Befragten Kritik an Dauer und Transparenz des Bewerbungsverfahrens äußerten. Da 83 Prozent der Antwortenden mit ihrer Bewerbung erfolgreich waren, ist es nicht verwunderlich, dass die Kommentare tendenziell positiv sind, es werden aber durchaus auch kritische Aspekte angemerkt, heißt es dazu in der Studie. Unter den negativen Punkten wurden vor allem die Dauer und die  Bürokratielastigkeit des Bewerbungsverfahrens genannt.

Auch aus Sicht der Autoren der Studie zum Teil überraschend ist die Zusammensetzung der Bewerber*innen, die manchen gängigen Vorurteilen, aber auch früheren Einschätzungen widerspricht:

Die Bewerberinnen und Bewerber bei der Bundeswehr
– haben mit 14 Prozent Frauen einen geringeren Anteil als der Bevölkerungsdurchschnitt;
– rekrutieren sich aus verschiedenen Altersgruppen (mit einem großen Anteil junger Menschen, die in der Schlussbefragung einen noch höheren Anteil einnehmen, was darauf hinweist, dass Jüngere im Bewerbungsverfahren überdurchschnittlich erfolgreich sind);
– kommen aus ganz Deutschland (der Anteil aus Süddeutschland liegt unter dem Bevölkerungsanteil, aus Ostdeutschland ist das Bewerberaufkommen anteilsgemäß);
– liegen hinsichtlich des Bildungsniveaus deutlich über den Vergleichszahlen der deutschen Gesamtbevölkerung aus dem Jahr 2019;
– rekrutieren sich insbesondere aus einem idealistischen Milieu der oberen Mittelschicht und der Mittelschicht.

Insbesondere die Thesen von einer Ossifizierung der Bundeswehr oder eine Einordnung als Unterschichtenarmee ließen sich damit nicht halten, heißt es in der Untersuchung.

Angesichts der demografischen Entwicklung und der zunehmenden Konkurrenz zum zivilen Arbeitsmarkt werde sich die Bundeswehr aber künftig nicht alleine auf die Anwerbung neuer Soldat*innen beschränken können. Nötig werde zunehmend, vorhandenes Personal auch zu halten, schreiben die Autoren:

Für die Personalbeschaffung bei der Bundeswehr gibt es zahlreiche Ansatzpunkte. Neben der Bedarfsdeckung durch externe Personalbeschaffung (Recruiting) ist eine Deckung durch Mittel der Personalbindung (Retention) zu erreichen. Hier sind zum einen partielle Effekte möglich – dies würde entweder zu einer Verschiebung der Bedarfsdeckung (z.B. bei einem Laufbahnwechsel) oder zu einer zeitlich befristeten Bindung (z.B. Verlängerung der Verpflichtungszeit ohne erweiterte Laufbahnperspektiven) führen. Zum anderen können aber auch umfassende Effekte erzielt werden, wenn innerhalb einer Laufbahn eine Verstetigung des Beschäftigungsverhältnisses vereinbart wird und die Betroffenen zu Berufssoldatinnen oder -soldaten ernannt werden. Speziell eine stärkere Personalbindung könnte in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Personalbedarfsdeckung leisten.

Die komplette Bewerberstudie 2022 zum Nachlesen hier.

Randbemerkung: Aus vielen Kommentaren hier, aber auch aus den Reaktionen auf das Thema Freiwilligkeit (und Reserve) im Podcast Sicherheitshalber ist herauszulesen, dass die Dauer und mangelnde Transparenz des Bewerbungsprozesses viele Bewerber*innen abschrecken und dieses Problem nicht überraschend ist.

(Archivbild März 2023: Spezialgrundausbildung beim Panzergrenadierbataillon 371 – Jana Neumann/Bundeswehr)