Pistorius und die NATO-Verteidigungsminister: „Wir müssen die Gepard-Lücke schließen“ (m. Nachtrag)

Am Rande des Treffens der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel hat sich Verteidigungsminister Boris Pistorius recht ausführlich zu den anstehenden Aufgaben für die Allianz wie für die deutsche Sicherheitspolitik geäußert. Keine vier Wochen im Amt, benannte der neue Verteidigungsminister dabei auch mehrere dringende Probleme, die – nicht nur – aus seiner Sicht angegangen werden müssen, die fehlende Flugabwehr im Nahbereich wie die Debatte über das Zwei-Prozent-Ziel der NATO als eventuell neue Untergrenze.

Da ich selbst nicht in Brüssel bin, wäre eine Berichterstattung über das Treffen hier wenig sinnvoll. Aber zur Dokumentation unten zum Nachhören die Aussagen des Ministers; und  zwei Punkte herausgegriffen:

• Als Ergebnis der Beratungen mit seinen Kolleg*innen in der Allianz am (heutigen) Mittwoch nannte Pistorius das Ziel Back to the future: Die Streitkräfte der NATO-Staaten müssten wieder gut werden in dem, was sie vor rund 30 Jahren schon mal beherrscht hätten – Flugabwehr, Luftraumüberwachung und Frühwarnsysteme, aber auch Pionierfähigkeiten. Die Fähigkeiten von vor drei Jahrzehnten müssten neu erlernt werden.

Als Beispiel nannte der Minister die Gepard-Lücke – und es ist recht offensichtlich, was gemeint ist: Der Einsatz des deutschen Flugabwehrkanonenpanzers in der Ukraine hat gezeigt, wie wirksam ein solches System gegen Bedrohung aus der Luft ist, inzwischen ja auch gegen Drohnen – eine Bedrohung, die bei Auflösung der Heeresflugabwehr vor mehr als einem Jahrzehnt noch kein Thema war. Was es bedeutet, diese Gepard-Lücke zu schließen, ließ Pistorius allerdings noch offen.

• Nachdem der Minister am Morgen in seinen ersten öffentlichen Aussagen (siehe Mitschnitt des Doorstep unten) das in der NATO vereinbarte Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben als Untergrenze bezeichnet hatte, wurde er in seinem Statement am Nachmittag etwas diplomatischer. Diese Aussage, räumte er ein, sei bislang in der Koalition nicht abgesprochen – aber die Verhandlungen über den Haushalt 2024 stünden ja auch noch am Anfang.

Das Statement von Pistorius am Nachmittag zum Nachhören:

Pistorius Brüssel 15feb2023     

 

Die Äußerungen vor Beginn des Treffens, der so genannte Doorstep, ebenfalls zum Nachhören:

Pistorius Doorstep Brüssel 15feb2023     

 

Nachtrag: In seinem Statement äußerte sich Pistorius auch zum Munitionsbestand der Ukraine für den Einsatz der Gepard-Flugabwehrkanonen – der derzeit noch hinreiche. Dazu passend gab es die Mitteilung von Rheinmetall zum am Vortag vom Minister angekündigten Vertrag für die Munitionsproduktion in Deutschland:

Das deutsche Bundesministerium der Verteidigung hat stellvertretend für die Ukraine Rheinmetall mit der Lieferung von 35mm-Munition für den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard beauftragt. Insgesamt sollen 300.000 Patronen geliefert werden. Die Munition ist zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte bestimmt, die den Gepard einsetzen. Der Auftragswert liegt im niedrigen dreistelligen MioEUR-Bereich.
Rheinmetall wird jeweils 150.000 Patronen Treibspiegelmunition (Armour Piercing Discarding Sabot – Tracer, APDS-T) und Sprengbrand-Munition (High Eplosive Incendiary – Tracer, HEI-T) ausliefern. Damit lassen sich eine Vielzahl von Zielen wirkungsvoll bekämpfen. Die ersten Patronen APDS-T werden im Sommer 2023 geliefert. Ein Produktionswechsel von APDS-T auf HEI-T soll Mitte 2024 stattfinden.
Rheinmetall baut gegenwärtig eine zusätzliche Mittelkaliberfertigung am Standort Unterlüß auf, die Ende des ersten Quartals 2023 ihren Betrieb aufnimmt. Mit der zusätzlichen Fertigungslinie reagiert Rheinmetall auf die gestiegene Nachfrage auf dem Weltmarkt.

Finanziert wird diese Munitionsproduktion und -lieferung für die Ukraine aus dem Bundeshaushalt – allerdings nicht aus dem Verteidigungsetat. Das Geld kommt aus dem so genannten Ertüchtigungstitel im Einzelplan 60 (Allgemeine Finanzverwaltung). Da es sich nicht um Ausgaben für die Bundeswehr handelt, so die Einschätzung der Juristen im Verteidigungsministerium, ist dafür auch keine gesonderte Zustimmung des Bundestags-Haushaltsausschusses über eine so genannte 25-Millionen-Vorlage erforderlich.

(Foto: Pistorius, r., mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg – Foto NATO; Audio-Dateien: BMVg)