Niedersächsischer Innenminister wird neuer Chef im Verteidigungsministerium (m. Aussagen Scholz, Pistorius)
Der bisherige niedersächsische Innenminister Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister. Die Ernennung des SPD-Politikers gab die Bundesregierung am (heutigen) Dienstag bekannt. Am Vortag hatte die bisherige Amtsinhaberin Christine Lambrecht offiziell ihren Rücktritt erklärt.
Die Mitteilung der Bundesregierung:
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, teilt mit:
Bundeskanzler Olaf Scholz wird Boris Pistorius (62 Jahre) als neuen Verteidigungsminister ins Bundeskabinett berufen. Am Donnerstag wird der langjährige niedersächsische Innenminister seine Ernennungsurkunde vom Bundespräsidenten erhalten und im Deutschen Bundestag seinen Amtseid leisten.
„Ich freue mich sehr, mit Boris Pistorius einen herausragenden Politiker unseres Landes für das Amt des Verteidigungsministers gewonnen zu haben. Pistorius ist ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltungserprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik beschäftigt und mit seiner Kompetenz, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem großen Herz genau die richtige Person ist, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag in Berlin.
Nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht hatte sich der Bundeskanzler mit der Partei- und Fraktionsführung der SPD eng beraten und sich für Pistorius als neuen Verteidigungsminister entschieden. Pistorius war vor seiner Berufung zum Landesinnenminister 2013 fast sieben Jahre lang Oberbürgermeister von Osnabrück.
Ein längeres Zitat von Pistorius, das seinen Blick auf die auch äußere Sicherheitslage erläutert:
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Wladimir Putin entfesselt hat, führt uns vor Augen, dass sich die Sicherheitslage in Deutschland, Europa und der Welt grundlegend verändert hat. Klassische Landesverteidigung, wie wir sie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr im Vordergrund sahen, wird wieder zu einer zentralen Aufgabe. Diese müssen wir im Verbund mit den europäischen Partnern und den Verbündeten in der NATO entschlossen wahrnehmen. Allerdings zeichnet sich die Bedrohungslage in dieser neuen Zeit nicht allein durch die militärische Konfrontation in Osteuropa aus. Vielmehr ist von einer mehrdimensionalen und multiplen Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit auszugehen. Sie resultiert aus dem Nebeneinander von Klimawandel, verschiedenen internationalen Konfliktlagen, der Bedrohung im Cyberraum und einer höheren Anfälligkeit moderner Industrie- und Wissensgesellschaften.
Das ist sozusagen die Vorrede zu einem von ihm als Landes-Innenminister im März 2022 geforderten Bund-Länder-Pakt für den Zivil- und Katastrophenschutz, der ganze Text hier.
Nachtrag: Das Statement des Bundeskanzlers dazu, beim Besuch des Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten in Brandenburg an der Havel:
Eine weitere Bemerkung würde ich gerne noch machen. Ich habe Boris Pistorius gebeten, Bundesminister der Verteidigung zu werden. Er ist nicht nur ein Freund und auch ein guter Politiker, sondern auch jemand, der über sehr, sehr viel Erfahrung in der Sicherheitspolitik verfügt, der auch in seiner bisherigen Funktion sehr offen und eng mit der Bundeswehr zusammengearbeitet hat und der auch die Kraft und Ruhe besitzt, die man für eine so große Aufgabe angesichts der jetzigen Zeitenwende braucht. Ich bin überzeugt, dass das jemand ist, der mit der Truppe kann und den die Soldatinnen und Soldaten sehr mögen werden, und ich bin sehr dankbar, dass er Ja gesagt hat. Wir freuen uns auf die gute Zusammenarbeit mit dem Minister Boris Pistorius.
Ich will nicht versäumen, mich auch noch einmal bei der Bundesministerin der Verteidigung für ihre Arbeit, die sie geleistet hat, zu bedanken, und noch einmal klar sagen: Großer Respekt für die Entscheidung, die sie gestern getroffen hat!
… und das Pressestatement von Pistorius selbst in Hannover – mit der Aussage, er wisse erst seit dem gestrigen Montag von seiner neuen Aufgabe:
(Archivbild Februar 2018: Pistorius im niedersächsischen Landtag – © Olaf Kosinsky Olaf Kosinsky creator QS:P170,Q30108329 , 2018-02-28 Boris Pistorius-6241, CC BY-SA 3.0 DE)
@ Schlammstapfer
Semi-Touché. Tatsächlich ist in dem zitierten Satz von Konflikt die Rede. Möglicherweise liege ich auch sehr daneben mit meiner Annahme oder meinem Vorwurf an Herrn Pistorius, es würde mich freuen.
Jedoch/Denn: „Russian army expansion stems from West’s proxy war against Moscow, Kremlin says“. Ohne Smiley wegen dem Rest des Inhalts, der zumindest keine Entspannung absehbar macht und umso mehr Entschlossenheit erfordert.
@ All und kurz Vorab: Ich habe maximal gefährliches Halbwissen zu militärischen Dingen, bin jedoch seit dem unsäglichen Überfall auf die Ukraine mittlerweile zum wissbegierigen Stammleser geworden und insofern ist mein Hintergrundwissen signifikant gestiegen.
Auch wenn ich teilweise die Diskussionen im Detail etwas episch finde, ist es doch grundsätzlich eine wohltuende Erweiterung des persönlichen Horizonts.
Dafür danke an alle und speziell danke an T.W.!
@ AoR:
Ich finde ihren Einwurf an dieser Stelle Goldrichtig! Ohne T.W. wäre der Informationsgehalt grundsätzlich und im militärisch speziellen doch signifikant dürftiger.
Kurzum: Weiter so!
P.S.: Nicht das ich als Novize Gefahr laufe, dass das hier alles OT ist .. Boris Pistorius scheint mir nicht die schlechteste Wahl zu sein. Final wissen wir wahrscheinlich am Freitagabend alle mehr und ich freue mich schon jetzt auf die vielen Kommentierungen.
@TomCat
„Ich würde mich nicht wundern, wenn Olaf Scholz Pistorious in Ramstein einen (wummsigen) Auftritt verschafft und ihn verkünden lässt, dass Deutschland die Lieferung von Leopard-2 freigibt und um nicht selbst im abseits zu stehen selbst ein Dutzend dazu gibt.“
Ist das tatsächlich sinnvoll? Ich fände es zielführender, wenn Deutschland der Abgabe von Leo2 zustimmte und dann selbst Leo1 lieferte.
1) Das könnten dann immerhin 90 Stück sein, natürlich verteilt über einen längeren Zeitraum, weil nicht von jetzt auf gleich betriebsfähig.
2) Vernünftig ausgelastete Wartungsinfrastruktur zusammen mit Bibern und -Geparden.
3) Die USA beschaffen genau jetzt für sich selbst 500 Feuerunterstützungsfahrzeuge für die Infanterie, „Mobile Protected Firepower“, den Griffin.
https://www.defensenews.com/industry/2022/10/10/general-dynamics-to-begin-building-us-armys-new-light-tank-next-month/
Wenn ich den Leo1 nicht neben einen Kampfpanzer stelle, sondern neben einen Griffin, sieht er plötzlich viel schöner aus, Für „austere and unpredictable locations“ eignet er sich mit Sicherheit, seine Kinderkrankheiten hat er auch hinter sich …
4) … und ein Verteidigungsminister könnte ihn als Nicht-Kampfpanzer und Infanterieunterstützungsfahrzeug verkaufen (hätte man schon längst tun sollen), ganz ohne rot zu werden, denn: Das ist nicht gelogen. 2023 gehört der Leo1 in die Kategorie Griffin. Da sollte die Lieferung von 90 doch kein Problem sein. Natürlich gestreckt über die Zeitachse, weil das gar nicht anders geht, aber der Krieg ist nicht morgen vorbei.
https://pbs.twimg.com/media/FmEDDyGX0Agi8Mz?format=jpg
@Hans-Joachim Zierke
es geht inzwischen auch um die deutsche Glaubwürdigkeit Deutschlands innerhalb der NATO. Wenn ich richtig zähle haben 13 Nationen den Leo-2. Wenn ein Teil davon liefert und wir nicht, sitzt Pistorius von vorne herein am Katzentisch. Wenn wir gar nicht liefern, dann muss er da gar nicht mehr hin.
Zu ihrem Punkt 4, in Afgahnistan sollten wir gelernt haben, dass es nichts bringt, wenn man einen Krieg als Stabilisierungsmission verkauft. Infanterieunterstützungsfahrzeug , seit der verunglückten Erklärung von Frau Lambrecht warum der Gepard kein Panzer ist sollten wir aufhören die Bevölkerung für dumm zu halten.
„Wir sind im Krieg“, O-Ton Pistorius und das sollte man der Bevölkerung auch so sagen.
Wenn die Ukraine verliert, kommt der Krieg auch zu uns.
Das erste Debakel scheint schon auf den neuen Minister zu zusteuern. Laut FAZ verdoppelt sich der Preis der ch47 jetzt schon . Und auch wenn die ersten Hubschrauber ab 2026 geliefert werden sollen , werden diese nicht in der gewünschten Ausführung sein . Man kann ihm nur Glück wünschen .
@Der Oberst: „Nach vielen Jahren im Bereich Rüstung und Nutzung habe ich nicht den Eindruck, dass das Beschaffungswesen – und das ist die dringendste und grösste Baustelle – unter einem Mangel an Juristen leidet.“
Nein, das sicher nicht. Aber ein Jurist kann beurteilen, wie man Gesetze und Verordnungen erlässt, die die Beschaffung vereinfachen.
Wenn die Möglichkeit der Klageflut eingedämmt wird, spart man Zeit und Geld, siehe G 36 Nachfolge.
Weiterhin hoffe ich, dass zukünftig bessere Verträge geschlossen werden.
Der CH-47 soll ja auch wieder das doppelte kosten…
@Nurso:
Dann halt sagen “ gut dann kaufen wir halt nicht.“ (ich halte Boeing eh für Ramsch)
Jetzt mal ernsthaft, aber was bringt einem in einem Landkrieg noch ein schwerer Transporthubschrauber?
kA sehe die nicht wirklich im Einsatz in der Ukraine.oder reicht nicht wenigstens einige H225m? (auch wenn grad erst einer abgestürzt)
Für das Geld gäbe es wieviele kleine und (große) Drohnen? wieviele Kampfpanzer? Skyranger?
Die 100 Mrd Liste war doch eh vielen hier zu Luftwaffen lastig…
[Ich wäre dankbar, wenn das jetzt nicht zum STH-Thread durch die Hintertür umfunktioniert wird. Ich habe das Thema im Auge – aber in diesem Thread ist es eben nicht das Thema. T.W.]
Hans Schommer sagt:
18.01.2023 um 14:47 Uhr:
„Was diese Armee braucht, ist ein Generalstab nach preußischem Vorbild. Welcher – paritätisch besetzt aus den Org-Bereichen – unter Führung des GI eine Kontinuität bei Führung, Ausrüstung und Weiterentwicklung der Streitkräfte sicherstellt. Und zwar unabhängig von irgendwelchen Parteibüchern. Unter Kontrolle des IBUK, aber eben dominiert von militärischer Fachkompetenz.“
„Sowas“ wäre in vielerlei Hinsicht sicher „nicht schlecht“, urteilt- und handelte dieser rein „sachorientiert“ hinsichtlich einer REALISTISCH beurteilten „Weltlage“ (abweichend vom schön- oder herbeigeredet-/träumten, nie existiert habenden „ewigen Frieden“ und dem „von-Freunden-umzingelt-Sein“)!
Nur, ist das noch „Primat der Politik“?
Würde – wie lange – irgendein „IBuK“ so ein (ver-)selbstständig(tes) Gremium in seinem „Machtbereich“ dulden?
Ich vermute „eher nicht“. Und damit ist das mit dem Generalstab schon wieder „schwierig“, ist dessen Besetzung doch nicht dem reinen „OrgBer-Proporz“, sondern, geht es doch um mil. „Spitzendienstposten“, zuvorderst dem Wohlwollen „der Leitung“ unterlegen…
Da würde niemand „sitzen“, der auch nur ansatzweise eigene Ideen abseits davon verfolgt.
Und solange „die Politik“ sich, aus welchen Gründen auch immer, die „Weltlage schönträumt“, können „Streitkräfte“ ganz prima marginalisiert werden, zumal da noch die Mär von immensen Einspareffekten – die mitnichten eintraten – verbreitet werden kann…
Aber wie schon gesagt, „schau’n ‚mer ‚mal“, wie der Neue sich so macht!
@Arty1986 sagt: 19.01.2023 um 13:57 Uhr
„Nur, ist das noch „Primat der Politik“?“
USA?, GBR?, FRA?
Der_Picard schrieb 17.01.2023 um 12:57 Uhr
„Mal wieder einer ohne jegliche militärische Fachkenntnis !
Nur ein erfahrener Militär mit eigener Fronterfahrung oder ein der Milittärtechnik -oder Wirtschaft nahestehender Mensch ist ein geeigneter Verteidigungsminister und versteht, was Soldaten/-innen denken und benötigen.
Nur so eine(r) kann vernünftig Beschaffungsvorhaben beurteilen und genehmigen oder verwehren.“
@all, die einem Ex-General als Verteidigungsminister sehen wollen.
In der zweiten Reihe gibt es ja einen „Prototypen“, mit dem die These „wir brauchen an der Spitze einen von innen“ unterlegt oder widerlegt werden kann:
Staatsekretär Benedikt Zimmer, seit 2018 Staatssekretär für Ausrüstung etc.
Vita:
– aktiver Offizier der Panzertruppe seit 1986, Kompanieführer, Bataillonskommandeur
– 2009 Kdr. Panzergrenadierbrigade 41
– Kdr. Task Force KFOR
– 2013 Kdr. Division Luftbewegliche Operationen
– ab 2014 als Generalleutnant Abteilungsleiter Ausrüstung im BMVg.
Eine beeindruckende militärische Vita..
Wie schlägt der sich den auf der anderen Seite, hat der den Laden im Griff?
Blick_in_den_Nebel
bringt es auf den Punkt. Ich kann es auch nicht mehr lesen. Minister ist immer ein politischer Posten. BP scheint da eine vernünftige Lösung!
Blick_in_den_Nebel schrieb: 19.01.2023 um 17:06 Uhr
„Wie schlägt der sich den auf der anderen Seite, hat der den Laden im Griff?“
Ich hatte das oben als Frage formuliert.
Aber soweit ich das aus der Distanz von aussen beurteilen kann, ist die Performance von Staatssekretär Zimmer nicht unbedingt ein Beleg für die These, dass man die (ex-)Profis, die mal ein schwarzes, grünes oder bordeauxrotes Barett auf dem Kopf und Gold auf den Schultern getragen haben, ans Ruder lassen müsste, um die Probleme der BW zu heilen.