Merkposten Kaliningrad: Bahnlinie dicht für Güter auf EU-Sanktionsliste (Nachtrag: EU)

Als mittelbare Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wird ein Hotspot an der Nahtstelle zwischen NATO und Russland noch ein bisschen kritischer: Litauen blockiert den Transit von Gütern, die auf der Sanktionsliste der EU stehen, in die russische Exklave Kaliningrad. Moskau spricht von einer illegalen Blockade.

Das Problem hat einen Namen: Der Suwalki-Korridor, griffig (wenn auch nicht ganz korrekt) in Analogie zu einer anderen Problemstelle, damals im Kalten Krieg, als Suwalki Gap bezeichnet. Unweit der polnischen Stadt Suwalki verläuft die Grenze zwischen Polen und Litauen, im Osten begrenzt von Belarus und im Westen von Kaliningrad. Durch diesen noch nicht einmal 100 Kilometer breiten Korridor müsste jeglicher Nachschub zu Lande für die NATO-Staaten Litauen, Lettland und Estland rollen – und diese Engstelle, so die Befürchtung der Allianz, könnte in einer Auseinandersetzung sehr schnell von russischen (und eventuell belarussischen) Truppen geschlossen werden.

Das ist nicht neu, hat aber seit dem Wochenende neue Aktualität gewonnen. Denn nördlich davon, auf litauischem Gebiet, verläuft die Bahnlinie aus Russland via Belarus nach Kaliningrad, eine wesentliche Versorgungsader der russischen Exklave. Was nicht über die Bahnlinie kommt, muss auf dem Seeweg in den russischen Bezirk an der Ostsee transportiert werden.

Am vergangenen Samstag kündigte Litauen nun an, den bisher praktisch ungehinderten Transport von Gütern aus Russland nach Kaliningrad auf der Bahnlinie über sein Territorium zu begrenzen. Grund sind die EU-Sanktionen, die die Lieferung bestimmter Güter in die Russische Föderation untersagen – und diese von der EU beschlossenen Sanktionen wendet die Regierung in Vilnius jetzt auch auf diese Transitstrecke an.

Dass diese Entscheidung jetzt fiel, hat nach litauischer Darstellung einen schlichten rechtlichen Grund: Bis zum vergangenen Freitag lief eine Übergangsfrist – die laufenden Verträge für Lieferungen bestimmter Güter nach Russland konnten noch bis zum 17. Juni abgewickelt werden. Nach dem Auslaufen der Frist gilt nun das Sanktionsregime.

Die Personenzüge nach Kaliningrad sind davon nicht betroffen – aber rund 50 Prozent der Warenlieferungen, die bislang Kaliningrad erreichten, darunter Baustoffe und Chemikalien. Die russische Reaktion fällt deshalb entsprechend empört aus, wie Reuters berichtet:

Russia warned NATO member Lithuania on Monday that unless the transit of goods to Russia’s Kaliningrad exclave on the Baltic Sea was swiftly restored then Moscow would take undisclosed measures to defend its national interests. (…)
„The situation is more than serious,“ Kremlin spokesperson Dmitry Peskov told reporters. „This decision is really unprecedented. It’s a violation of everything.“
Russia’s foreign ministry demanded Vilnius reverse what it cast as an „openly hostile“ move immediately.

Russische Politiker sprechen bereits von einer Blockade (auch wenn natürlich der Seeweg offen bleibt und Personenzüge weiter fahren) und fordern Vergeltung:

Ungeachtet der unterschiedlichen rechtlichen Bewertung: Das heizt die Atmosphäre zwischen Russland und Litauen weiter an – die ohnehin in jüngster Zeit problematisch ist, unter anderem nach der Forderung aus der russischen Duma, die Unabhängigkeit Litauens rückgängig zu machen.

Und es macht den Brennpunkt Suwalki-Korridor militärisch noch schwieriger. Mit mehr oder weniger direkten Auswirkungen auf Deutschland: Die Bundeswehr stellt in Litauen die Führung der NATO-Battlegroup, die dem baltischen Land die Rückversicherung der Allianz demonstrieren soll. Vor allem aber: Zusätzlich zu dieser Battlegroup in Bataillonsstärke ist der Aufbau einer NATO-Brigade geplant, die ebenfalls von der Bundeswehr geführt werden soll.

Und ein Großteil der künftigen Brigade, so die Planung, wird nicht dauerhaft in Litauen stationiert sein. Sondern bei Bedarf dorthin verlegt werden – durch den Suwalki-Korridor.

Nachtrag: Der EU-Außenbeauftragte Joseph Borrell machte deutlich, dass sich Litauen mit dem Vorgehen exakt an die Vorgaben der EU gehalten und keineswegs in einem nationalen Alleingang gehandelt habe. Aus dem Transkript seiner Pressekonferenz:

Certainly I am always worried about the Russian retaliations. By nature prudence is better than being worried, but let me explain you what is going on in this issue. Let’s be factual.
First, the land transit between Kaliningrad and other parts of Russia has not been stopped nor banned. There is no blockade. First, there is no blockade. The land transit between Kaliningrad and other parts of Russia has not been stopped or banned; fact number one.
Fact number two: transit of passengers and goods that are not sanctioned continues. Third, as my Lithuanian colleague [Foreign Minister Gabrielius Landsbergis] has assured and explained, Lithuania has not taken any unilateral national restrictions and only applies the European Union sanctions. So, the accusation against Lithuania “Lithuania is implementing Lithuanian sanctions” is false. Pure propaganda. Lithuania has not taken any unilateral national restrictions. But, in accordance with European Union sanctions there are imports and export restrictions that apply in relation with certain goods, including the prohibition of transit from those goods through European Union territory. Lithuania is doing nothing else than implementing the guidelines provided by the Commission. Lithuania has been asking to the Commission, which has been providing guidelines and Lithuania is implementing these guidelines.
If the transit through European Union territories are prohibited for some goods, then it is prohibited. But once again, we are in a positive mood, in a precautionary mode. We will double-check the legal aspects in order to verify that we are completely aligned with any kind of law. But Lithuania is not guilty, it is not implementing national sanctions, it is not implementing their will. Whatever they are doing has been the consequences of previous consultation with the Commission who has provided guidelines and they are implementing the guidelines. Let’s double check, if these guidelines are the right ones, in accordance with any kind of rule that can be asked for.

(Foto: Zug mit russischen Gütern nahe Jonava/Litauen, Mai 2022; Karte: OpenStreetMap)