Die Bundeswehr und der Stolperdraht in Litauen: Keine dauerhafte Präsenz
Die verstärkte Präsenz der Bundeswehr in Litauen, die Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch vergangene Woche angekündigt hatte, wird im wesentlichen aus einem Brigadestab bestehen – und aus Truppen, die in Deutschland bereitstehen, aber nicht in dem baltischen Land selbst. Das berichtet die Financial Times.
Nach dem Bericht des Blattes (nachgetragen: der Link, danke an eine Leserin) am (heutigen) Dienstag ist nicht daran gedacht, dauerhaft die zusätzlichen deutschen Soldaten ins Land zu bringen:
According to western officials, Berlin’s latest proposal is for a brigade to be stationed in Germany and deployed to Lithuania — where it has led the existing 1,000-strong multinational battle group since 2017 — only if needed. The force would also have a permanent headquarters in Lithuania, manned by 50-60 staff and the rest of the personnel would regularly come to the country for training, the officials said.
Das steht durchaus im Einklang mit der gemeinsamen Erklärung des Bundeskanzlers und des litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda am 7. Juni:
In diesem Sinne und im Lichte der auf dem NATO-Gipfel Ende Juni in Madrid zu treffenden Entscheidungen waren sich beide Staatsmänner einig, dass zusätzlich zu dem bereits bestehenden und aufgestockten Gefechtsverband der verstärkten Vornepräsenz
• Deutschland bereit ist, eine robuste und gefechtsbereite Brigade in Litauen anzuführen, zur Abschreckung und Verteidigung gegen russische Aggression. Diese Brigade, angeführt durch ein permanent disloziertes vorgeschobenes Element eines Brigadestabes in Litauen, wird aus deutschen Kampftruppen bestehen, die eigens diesem Zweck dienen und möglicherweise um multinationale Beiträge ergänzt werden; dadurch entsteht ein starker, zweckgebundener Kampfverband, der schnell disloziert und eingesetzt werden kann. Diese Truppen werden in ein intensives und umfassendes Übungsprogramm mit regionalem Schwerpunkt eingebunden, an dem auch die rotierenden Truppen und die litauischen Streitkräfte teilnehmen, um Interoperabilität, Geschlossenheit, Wirksamkeit im Einsatz und die Fähigkeit zur schnellen Verstärkung zu verbessern und zu gewährleisten.
Allerdings war es zumindest in den baltischen Staaten wohl ein wenig anders verstanden worden: Sie hatten auf mehr dauerhaft im Land stationierte Soldaten gehofft. There is still a lot of space for more significant steps as the current security situation in the region remains dangerous, sagte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis der Financial Times.
Die Zeitung bat nach eigenen Angaben auch das deutsche Verteidigungsministerium um eine Stellungnahme. Die Antwort: We do not comment on statements made by foreign politicians and media reports.
(Foto: Bundeskanzler Olaf Scholz und der litauische Präsident Gitanas Nausėda beim Besuch der eFP NATO Battlegroup in Parade/Litauen am 7. Juni 2022 – Chris Loose/NATO eFP Battlegroup LTU)
Nur Abteilung – Halt oder gar Abteilung – Kehrt?
Deutschland rudert zurück vom Plan, Truppen in Litauen zu stationieren.
Eingangs wird oben zwar gesagt „Inwieweit das neue Brigadelement auch eine dauerhafte Stationierung weiterer, dann vermutlich mehrerer tausend deutscher Soldatinnen und Soldaten in Litauen bedeutet, ist noch offen“, nunmehr wird davon aber offenbar deutlich Abstand genommen.
Berlin schlägt vor, eine 3.500 Mann starke Brigade auf eigenem (!) Boden bereit zu halten, um die NATO-Präsenz im Baltikum zu stärken, in Litauen selbst soll die Truppe (nur) ein vorgeschobenes HQ mit ca 60 Personen permanent betreiben.
[Der Link zur FT führt leider nur auf die Login-Seite, deshalb entfernt.
/edit: einen gesonderten Thread dazu aufgemacht und den Kommentar hierhin verschoben. T.W.]
Befreundete Nationen interpretieren Aussagen unserer Führung entsprechend der (berechtigten) Erwartungen, die sie an das, nach Aussage des Kanzlers zukünftig mit der stärksten konventionellen Armee ausgestattete, wirtschaftlich stärkste Land Europas haben…
Es bleibt zu hoffen, dass sie endlich lernen, diese Aussagen nur anhand der bisherigen Erfahrungen zu interpretieren und sich infolgedessen an US und UK anzulehnen.
Unsere Aussagen dienen lediglich der Anscheinswahrung.
Hier der Zugang zum Text in der FT als „gift link“: https://on.ft.com/3xvGh17
[Vielen Dank! T.W.]
Meine kleine Weltsicht: Null Punkte aus Litauen für Deutschland beim ESC führen zu wievielen Punkten für Litauen im richtigen Leben?
Dass sich die Bundesregierung nach wie vor an die NATO-Russland-Grundakte gebunden fühlt, zeigt, dass sie weder strategische Weitsicht besitzt, noch auch nur zu Realpolitik imstande ist.
Das wäre auch zu viel Zeitenwende für den militärisch- bürokratischen Komplex geworden.
Schafft halt noch mehr Fragezeichen über unsere Zuverlässigkeit in Osteuropa.
Also halten wir einfach eine Brigde mit Stärke ca. 3.500 in Deutschland bereit und diese kann dann je nach Bedarf NRF, EUBG, eVA oder andere Verpflichtungen bedienen. Für mehr als Stabselemente gehen uns sowieso die Soldaten aus.
@muck
Bei Einhaltung der Nato-Russland Grundakte dürfen aber bis zu 5.000 Soldaten stationiert werden. Und soweit ich es im Kopf habe auch dauerhaft.
[Ehe sich gefährliches Halb- oder Nichtwissen festsetzt: Die Zahl ist nicht spezifiert. T.W.]
Blitzwette von vor (2?) Wochen zu diesem Thema gewonnen.
Und da soll man mir mal vorwerfen, dass ich Zyniker geworden bin!
Am Arsch Zeitenwende.
Wir machen wieder das mit den „Fähnchen“. Ich frage mich, ob bei den Verbündeten nicht langsam Zweifel aufkommen, dass Deutschland sich im Fall der Fälle nicht auch aus der Art.5 Verpflichtung irgendwie verdrücken wird.
Diese Zusage an Litauen ist nutz- und sinnlos.
Die Soldaten für diese Brigade gibt es nicht oder sie sind x-fach verplant. Im Ernstfall kann Russland weiterhin schnell Fakten schaffen und diese Gespensterbrigade würde es niemals rechtzeitig bis Litauen schaffen. Wenn sie denn überhaupt in Marsch gesetzt würde.
Unverlässliche Augenwischerei. Aus Sicht der Balten nutzlos und mit viel zu vielen Unsicherheiten verbunden. Einfach nur beschämend,
Ich weiß gar nicht, warum alle so überrascht tun. Ich finde, das war schon bei der Ankündigung von BK Scholz in LIT zwischen den Zeilen deutlich zu lesen.
Etwas anderes wäre bei der derzeitigen Personal- und Materiallage auch unrealistisch. Und das wird sich nicht von heute auf morgen ändern.
Wenn man das Material und die Munition im Baltikum lassen würde und dann nur die Soldaten zuzuführen im Rahmen einer „Reforger Light“ könnte man der Idee ja auch vielleicht noch was abgewinnen (abgesehen davon, dass man Material/Munition, wenn man es denn hätte, nicht nur regelmäßig gewartet sondern auch geschützt (Bedrohung Land/Luft) werden müsste). Aber wer glaubt das ein Einsatzverband LIT mit 3500 Mann in DEU, in einer Dauer NTM von 7-14 Tagen, aufgestellt wird und darauf wartet sich Richtung Baltikum zu bewegen und zwar so schnell das er nicht schon an der POL-DEU Grenze durch RUS Grenzposten aufgehalten wird, der glaubt auch das Zitronenfalter Zitronen falten.
Bestenfalls werden wir einen konstanten nationalen VJTF Anteil bekommen, unabhängig davon ob wir VJTF stellen oder nicht. Und der wird dann für alles herangezogen und gefleddert wenn es notwendig wird.
Im Kriegs und V-Fall drücken sie #2…..
-Wir sind Mo bis Do 08.00 bis 16.00 für sie erreichbar.
Wenn sie Truppen verlegen möchten drücken sie #5……
-Truppen verlegen wir nur nach Beschluss des Bundestages…. aktuell ist Sitzungsfreie Zeit. Anträge können sie jederzeit über ihre NATO VERTRETUNG in Brüssel stellen. Der nächte freie Termin ist in 17 Wochen.
Danke für ihren Anruf. Ihr BMV’g…..
Tuuut. Tuuut.
Ich kann @Pio-Fritz da nur beipflichten. Die Dienstposten werden werden so besetzt, dass man als Soldat wieder ein Plural an Mützen aufhat. Also wie bei VJTF.
Warum: Personalmangel! Ein Mangel der sich wo exakt manifestiert? Bei den UmP, UoP und den Mannschaften.
Wie bei der jetzt erfolgten Neugründung des FüKo. Wieder mal ein Ort wo sich Häuptlinge gegenseitig in einer Armee verwalten dürfen. In einer Armee mit keinen 180.000 Soldaten mit gefühlt 50.000 Offizieren wird man bitter erkennen müssen: Im Ernstfall gewinnt man mit ner P8 kein Gefecht.
Und die Verteidigung der Ostflanke bedarf vor allem an UmP, UoP und Mannschaften.
P.S: Wer arbeitet denn da gegen den Kanzler, wenn er denkt so etwas zu verkünden zu können? (/SCNR)
@ Brainstormer
Sie differmieren Deutschland , die USA und GB wird aber lobend hervorgehoben .
Die Länder die der Ukraine eine sicherheitsgarantie gegeben haben .
Genau wegen solchem Geschwätz geht hier auch gar nichts voran in diesem unserem Land
[Erneut – zum wie vielten Male eigentlich? – die dringende Bitte: persönliche Anwürfe sind hier nicht Stil der Debatte. T.W.]
@IamGroot
Daß im Baltikum keine DEU „Army Prepositioned Stocks“ (APS) sind ist beabsichtigt, denn:
1. kann man die Fiktion aufrechterhalten man wäre dort nicht dauerhaft stationiert
2. ist das Verlegen Teil der Ausbildung (Vorbereitung, Durchführung)
3. sind die Kontingente heterogen (z.B. SPz MARDER, PUMA oder GTK BOXER)
4. hätten die TrT dann zu Hause das Material nicht mehr verfügbar (außer: Sonderausstattung Baltikum)
@Brainstormer
Machen wir uns doch nichts vor….unsere Verbündeten in der NATO wissen recht genau wie sie DEU einzuschätzen haben. Wir haben nur wenige Fähigkeiten aber dafür umso mehr „Caveats“. Ich hoffe ich werde zu meinen Dienst-/Lebzeiten nicht mehr erleben, wie sich DEU aus möglichen Bündnisverpflichtungen raus-schwadroniert.
@Thomas Melber
„2. ist das Verlegen Teil der Ausbildung (Vorbereitung, Durchführung)“
Aber nicht wenn man das als CAX durchzieht. Und ich habe so meine Zweifel das diese Brig regelmässig mit Mann und Maus Richtung Baltikum marschiert.
Aber lassen wir uns doch einfach überraschen….die Zeitenwende wird es schon richten!!
NATO-Russland Grundakte ist am 24.02.22 den Lokus hinab gegangen. Jetzt kann man genauso gut auch Dauerhaft Truppen Stationieren und dort NATO Basen bauen wie sie die USA und GB in Deutschland hatten und haben.
Dann bekommen die Soldaten da 24 oder 36 Monate Langzeit Versetzung, Familie kann mit kommen und für Urlaub gibt’s Freiflüge in die Heimat.
Für andere Nationen ist das ja fast normal das man während seiner Dienstzeit etliche Jahre im Ausland lebt. Und Litauen ist EU da kann die/der Partner auch arbeiten und muss sich nicht mit shoppen bei Laune halten wie in New Mexico.
Statt dessen stellt sich der BK hin und gibt die nächste Worthülse ab, die ihm niemand mehr glaubt.
Wie sollen denn die Truppen im E-Fall da hin kommen?
Per Schiff? Da muss aber erstmal die Baltische Flotte neutralisiert werden… super im Konfliktfall bei 100% Eskalation starten.
Per Zug? Da gehen wir also davon aus das die Russen also nicht in Stunde NULL als erstes von Belarus die Sulvalki Lücke dicht machen oder zumindest alle Infrastruktur mit ihrer Ari plätten.
Per Flugzeug? Also müsste man dann auch am ersten Tag die S-300 und S-400 Batterien in Kaliningrad neutralisieren die bis nach Deutschland hinein wirken können.
Per Staße? Siehe Punkt per Schiene…. die Einheiten könnten dann zumindest über die linke Flanke schwenken und versuchen Kaliningrad zu nehmen.
Nein die Truppen müssen vor Ort sein mit vollen Magazinen und ein bis zwei Monate die Stellung halten können bis sich Entsatzkräfte durch gekämpft haben.
Schön doof wenn das einzige Kabinettsmitglied welches eine AGA durchlaufen im Finanzministerium sitzt und eigentlich mit Landesverteidigung nix am Hut hat.
@Küstengang01, volle Zustimmung. Entweder habe ich zumindest das komplette Material vor Ort oder ich verpenne den Zeitpunkt mit der Verlegung zu beginnen. Personal dürfte noch einfacher und schneller gehen als Personal+Material.
Wobei ich bezüglich Suvalki inzwischen zu der Variante mit der Artillerie tendiere. Dürfte für die Russen deutlich risikoärmer sein per Raketen/Artillerie die wenigen großen Straßen / Schienen zu zerstören / verminen und genauso effektiv sein wie sich von zwei Seiten am Boden durchzukämpfen.
@Küstengang01
„Ein bis zwei Monate bis sich die Entsatzkräfte durchgekämpft haben“ ist auch eher optimistisch…
Davon ab: war das Projekt ‚DEU Kaserne in LTU‘ bereits über erste Überlegungen hinaus gekommen?
WELT Online schreibt allerdings, daß neben dem Stab auch Teile der Truppe (Brigadestärke bzw. Brigadeäquivalent) in LIT stationiert werden sollen.
Und: „Die in Deutschland stationierten Soldaten werden allerdings speziell für die Bedürfnisse Litauens und mögliche Bedrohungsszenarien in dem Land ausgebildet werden, …“. D.h. für mich, daß da auch rotiert werden wird, schließlich muß man das Gelände und Land und Leute kennen.
Aus meiner Sicht muß diese Brigade auch zum Führen des Gefechts der verbundenen Waffen (Operationen der verbundenen Kräfte) vollumfänglich befähigt sein und dauerhaft dieser Aufgabe in LIT zur Verfügung stehen. DEU wird auch alle wesentlichen Teile stellen müssen, ein zeitintensives Heranführen aus anderen TCN und Kohäsionsbedarf wird dem Einsatzkonzept widersprechen. Zudem: Interoperabilität oblige, zumindest mit der IRON WOLF Bde.
Alle mit Kritik am möglichen Verlegemodus haben sowas von Recht. Unglaublich, was tatsächlich entschieden wird, wenn die politisch-strategische Ebene, also die oberste Führung die Operationsführung derart dominiert.
Neugierig darf man sein, hat irgendjemand aus dem BMVg die Umöglichkeit der Truppenverlegung bei akuter Gefahr, d.h. bei sich abzeichnendem Übergang von Krise zu Krieg, verdeutlicht?
Soll dies vermieden werden, muss die Entscheidung zur Stationierung hochgradig niedrigschwellig angesetzt sein. Wobei die „Hasen“ mit unverbrüchlichem Glauben an Putins Nomenklatura ganz sicher ihr Mantra von „nicht provozieren, keine Eskalation“ verkünden werden.
Resümee: eine üble Festlegung, die in der Umsetzung einen hohen Blutzoll der multinationalen 3.500 Brig fordern wird. Dazu, alliierte Partner innerhalb dieses Verbandes orientieren sich an uns, sind ggf abhängig, z.B. im Lufttransport.
@myself – ich präzisiere:
„… daß neben dem Stab auch Teile der Truppe (Brigadestärke bzw. Brigadeäquivalent) in LIT stationiert werden sollen.“
Die Gesamtstärke entspricht einer Brigade, vorausstationiert werden davon nur Tle und der Stab bzw. Tle desselben.