Auch Turbo-Beschaffung für die Bundeswehr dauert (und: selbst mit Sondervermögen bleibt’s im Haushalt eng)

Die Beschaffung – vergleichsweise – simpler Ausstattung wie Schutzwesten, Bekleidung und Rucksäcken für die Bundeswehr zeigt exemplarisch die Probleme beim Kauf von militärischer Ausrüstung: Selbst bereits entwickeltes und in die Truppe eingeführtes Material ist nicht aus dem Regal zu bekommen. Und auch mit dem 100-Milliarden-Euro-Paket bleiben finanzielle Probleme. Ein Überblick:

Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) meldete am (heutigen) Mittwoch einen umfangreichen Vertragsabschluss: persönliche Schutzausstattung, Kampfuniformen und Rucksäcke wurden für mehr als zwei Milliarden Euro bestellt. Aus der Mitteilung des Amtes:

Die Bundeswehr soll bis Ende 2025 mit Schutzwesten, Gefechtshelmen, Kampfbekleidung und Rucksäcken voll ausgestattet werden. Der dazu erforderliche Änderungsvertrag wurde heute zwischen dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) und der Inhouse-Gesellschaft Bw Bekleidungsmanagement (BwBM) GmbH geschlossen.
Auf Basis bereits in der Vergangenheit durch das BAAINBw initiierter Beauftragungen und dem heute vertraglich besiegelten Anschub sollen alle aktiven Soldatinnen und Soldaten bis zum Ende des Jahres 2025 mit bis zu 351.000 Sätzen der Modularen ballistischen Schutz- und Trageausstattung (MOBAST), 313.000 Sätzen des Kampfbekleidungssatzes Streitkräfte (KBS SK), 338.000 Rucksäcken mit einem Volumen von 110l und 313.000 neuen Gefechtshelmen ausgestattet werden. Hierbei inbegriffen sind entsprechende Mengen zur Bevorratung verschiedener Größen und einer anteiligen Reserve zur Regeneration.
Oberstleutnant Marko Dietzmann hebt als zuständiger Referatsleiter im BAAINBw hervor: „Diese Investition ist ein enormer Meilenstein für die Truppe. Sah der ursprüngliche Zeitplan aufgrund nicht ausreichender Haushaltsmittel noch das Jahr 2031 vor, so werden wir nun die Vollausstattung der Truppe bereits 2025 erreichen können.“
Dieser zügig erfolgte Vertragsschluss sichert der Bundeswehr ausreichend Produktionskapazitäten der Industrie in Zeiten eingeschränkter Rohstoffverfügbarkeit sowie steigender Nachfrage am Weltmarkt.

Allerdings: Das sieht zunächst so aus, als ob die Bundeswehr unter einem zügig erfolgten Vertragsabschluss etwas anderes versteht als der (vergaberechtliche) Laie. Denn die Mittel für diese Bestellungen hatte, noch ehe der Vertrag vorlag, der Haushaltsausschuss des Bundestages am 7. April freigegeben, also vor zwei Monaten. Das Verteidigungsministerium hatte damals erklärt:

Der Haushaltsausschuss hat heute den Weg für eine kurzfristige Beschaffung weiterer Ausrüstung für die Soldatinnen und Soldaten geebnet.

Dabei ging – und geht – es nicht um neue Beschaffungen, sondern um bereits in die Truppe eingeführte Ausrüstung und um die Ausweitung bereits bestehender Rahmenverträge. Sind da zwei Monate kurzfristig und zügig?

Auf die entsprechende Nachfrage erklärte allerdings das BAAINBw am Mittwochabend: Ja, sind sie. Denn der Vertrag zwischen dem Amt und der – 100-prozentigen Bundeswehr-Eigenfirma – Bw Bekleidungsmanagement (BwBM) GmbH habe deswegen erst nach zwei Monaten geschlossen werden können, weil das BwBM erst prüfen musste, ob sie dieses Material in der vorgesehenen Zeit auch beschaffen kann: Die Prüfung der Lieferketten für diese Ausrüstung habe so lange gedauert.

Angesichts der auch auf sozialen Medien aufkommenden Debatte über die Fristen für diese Ausrüstung, diesmal für die anvisierte Vollausstattung bis 2025, schaltete sich am Mittwochabend sogar Generalinspekteur Eberhard Zorn selbst in die Debatte ein – auf Twitter:

Allerdings: auch mit der beschleunigten Beschaffung der persönlichen Ausstattung und dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro (aus dem auch diese Bestellung finanziert wird), blickt das Verteidigungsministerium nicht in eine finanziell problemlose Zukunft. Denn aus dem Sondervermögen werden große, langjährig laufende Projekte gestemmt. Aber die Kosten für andere Einkäufe wie zum Beispiel Munition oder, das wird weit schwieriger, die steigenden Betriebskosten und absehbare Gehalts- und Soldsteigerungen müssen aus dem laufenden Verteidigungshaushalt bezahlt werden.

Einen Hinweis darauf gibt eine Übersicht der Haushaltsabteilung des Ministeriums. Darin wird unter anderem der Finanzbedarf für Munition thematisiert, den die Ministeriumsspitze auch öffentlich mit rund 20 Milliarden Euro angegeben hatte. Aber vor allem die laufenden Kosten in den nächsten Jahren werden ein Problem:

Es besteht ein grundsätzlich hoher Bedarf an Munitionsbeschaffungen jeglicher Art. Im 2. Regierungsentwurf zum Haushalt 2022 ist im Munitionstitel ein Ansatz in Höhe von 823 Mio. Euro veranschlagt. Die Finanzplanlinie fällt in den Folgejahren ab auf einen Finanzplanansatz von 550 Mio. Euro im Jahr 2023 bis auf 206 Mio. Euro im Jahr 2025. Es besteht ein Finanzbedarf von ca. 1,5 Mrd. Euro jährlich, Tendenz steigend. (…)
Die Betriebsausgaben für den Bundeswehrbestand wachsen in den nächsten Jahren weiter auf. Dies resultiert unter anderem aus den steigenden Ausgaben für die Materialerhaltung. Weiterhin ist absehbar, dass aufgrund der steigenden Inflation erhöhte Belastungen durch zukünftige Lohnrunden zu finanzieren sind. Darüber hinaus steigen die Ausgaben beispielsweise für Betriebsstoffe (Diesel, Benzin, Öle), weiterhin rapide an. Auch dies ist in den Folgejahren nicht innerhalb der fallenden Finanzplanlinie abgedeckt. Die bisherigen Erfahrungen aus den letzten Jahren zeigen, dass ein jährlicher Anstieg von rund 1,5 Mrd. Euro notwendig ist, um den Status Quo zumindest zu halten.

(Foto: Soldat mit dem Schutzwestensystem modulare ballistische Schutz- und Trageausstattung (MOBAST) und  dem Rucksacksystem 110Liter – Dirk Bannert/Bundeswehr)