Bundeswehr warnt vor IS-Selbstmordattentätern in Kabul – Evakuierungsflüge fortgesetzt – Taliban beharren auf deadline (Update)

Die Bundeswehr stellt sich bei ihrer Evakuierungsmission in Kabul auf zunehmende Bedrohung durch Selbstmordattentäter ein. Die Luftbrücke wurde fortgesetzt; bis zum (heutigen) Dienstagmorgen hatte die Bundeswehr rund 3.670 Personen aus der afghanischen Hauptstadt ausgeflogen. Die Taliban beharrten unterdessen darauf, dass die Operation mit einem Abzug der US-Truppen zum 31. August enden muss.

Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn warnte bei einem Briefing für Journalisten in Berlin, die Bedrohungslage rund um den gesicherten militärischen Teil des Flughafens von Kabul habe sich weiter verschärft. Nach Informationen der USA, aber auch aus eigenen deutschen Erkenntnissen sei zu befürchten, dass Selbstmordattentäter des Islamischen Staats (IS) in die afghanische Hauptstadt einsickern könnten. Das sei in der ohnehin unsicheren Situation eine der größten Gefährdungen.

Die Bedrohung durch den IS ist nicht nur für die internationalen Truppen und damit auch die Bundeswehr, die derzeit die Evakuierungsoperation betreiben, eine offensichtlich reale Gefahr – sondern auch für die Taliban, denen der IS die Kontrolle Afghanistans streitig macht. Damit wäre ein solcher Anschlag auch unabhängig von Absprachen der westlichen Truppen mit den Taliban kaum zu verhindern.

Nach Angaben des Generalinspekteurs konnten seit Beginn der deutschen Mission bis zum Dienstagmorgen rund 355 Deutsche, 2.819 Afghanen sowie Staatsbürger weiterer Nationen ausgeflogen werden. Das sei unter anderem deshalb möglich geworden, weil am (gestrigen) Montag allein 945 Menschen in deutscher Verantwortung aus der Stadt in den gesicherten Bereich des Flughafens gebracht werden konnten, darunter 200 Italiener und 20 Ortskräfte der NATO. Das sei ein erfolgreicher Tag gewesen, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Insgesamt sind inzwischen 26 Nationen mit Flugzeugen, zum Teil auch mit eigenen Truppen an der Operation beteiligt. Am Montag waren unter der Luftraumkontrolle des US-Militärs, das den militärischen Flughafen nach der weitgehenden Zerstörung des zivilen Teils betreibt, 152 Starts und Landungen verzeichnet worden.

Am Dienstagmorgen habe der deutsche Kommandeur in Kabul, Brigadegeneral Jens Arlt, bereits rund 600 weitere Menschen abflugbereit am Flughafen gemeldet, sagte Zorn. Laut Bundeswehr wurden am Vormittag in zwei Flügen der A400M der Luftwaffe rund weitere 410 Personen ausgeflogen.

Das Weiße Haus teilte mit, von (umgerechnet) Montag 09.00 Uhr MESZ bis Dienstag 09.00 Uhr MESZ seien insgesamt 21.600 Personen aus Kabul ausgeflogen worden. Allein die USA hätten mit 32 Flügen ihrer C-17-Transportmaschinen und fünf Flügen der kleineren Hercules C-130 rund 12.700 Menschen befördert. Mit den 57 Flügen anderer Nationen seien 8.900 Personen aus Kabul herausgekommen.

Unklar bleibt weiterhin, ob die Evakuierungsmission vom militärischen Teil des Flughafens Kabul unter dem Schutz von US-Truppen wie derzeit geplant zum 31. August endet – allein schon deshalb, weil die USA zu diesem Datum ihre Soldaten abziehen. Frankreich kündigte nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP an, in diesem Fall müsse sein Militär die Evakuierungsoperation bereits am kommenden Donnerstag beenden.

Das weitere Vorgehen wird unter anderem von einem virtuellen Treffen der G7-Staaten am heutigen Tag abhängen. Nach den vorliegenden Berichten wollen Großbritannien, Frankreich und Deutschland die USA überzeugen, die Mission über Ende August hinaus fortzusetzen. Allerdings wird das auch davon abhängen, ob die Taliban damit einverstanden sind.

Nach einem Bericht der Washington Post gab es am (gestrigen) Montag in Kabul ein Gespräch zwischen CIA-Direktor William Burns und dem Taliban-Führer Abdul Ghani Baradar. Zu Inhalten meldet das Blatt nichts, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es zumindest auch um eine Verlängerung der Nutzung des Flughafens über den August hinaus ging, dürfte schon recht hoch sein.

Update: Der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, lehnte bei einer Pressekonferenz eine Verlängerung des Aufenthalts der ausländischen Truppen ab. Aus einer Zusammenfassung der BBC:

Responding to a question from the BBC, he says the Taliban want all foreign nationals evacuated by the 31 August deadline, adding they are „not in favour“ of allowing Afghans to leave
He urges Afghan nationals to go home and asks the US not to encourage them to leave the country
He suggests women will not be permanently prevented from going to work, saying the authorities are trying to come up with a procedure so they can return

Angesichts einer hohen Zahl afghanischer früherer Mitarbeiter deutscher Regierungsinstitutione, die weiterhin ohne Chance auf Ausreise im Land sind, hat das Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung und das bürokratische Vorgehen deutscher Ministerien erhoben. Ich habe den Eindruck, wir haben die Menschen bewusst und wissentlich zurückgelassen, sagte der Vorsitzende des Netzwerks, Marcus Grotian, vor der Bundespressekonferenz.

Dazu passte auch die Meldung vom gestrigen Montag, die ein wenig untergegangen ist: Erst am vergangenen Wochenende hatte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit den Kreis der Ortskräfte, die Anspruch auf Aufnahme in Deutschland haben, von der bislang geltenden Frist der vergangenen zwei Jahre auf die Beschäftigungszeit davor ausgedehnt – allerdings dürften diese Menschen keine Chance mehr haben, das Verfahren für die Aufnahme zu regeln und in ein Evakuierungsflugzeug zu kommen.

Die gesamte Pressekonferenz Grotians zum Anschauen:

 

(Ggf. weiter nach Entwicklung)

(Foto: Bundeswehr-Fallschirmjäger am North Gate des Kabuler Flughafens am 18. August 2021 – Einsatzkameratrupp der Bundeswehr via Einsatzführungskommando)