Afghanistan-Sammler: Evakuierung läuft weiter, Unklarheit über Deutsche, Vorwürfe wg. Ortskräfte-Verfahren
Zur andauernden Evakuierungsmission auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul zunächst (wie in den Vortagen) ein Sammler mit den aufgelaufenen und auflaufenden Meldungen:
• Die Bundeswehr hat bis zum (heutigen) Dienstagmorgen mehr als 3.650 Menschen aus Kabul ausgeflogen. Weitere 206 wurden mit dem ersten A400M dieses Tages nach Taschkent gebracht.
• Die britische Regierung nannte am Morgen die Zahl von gut 7.100 Evakuierten, darunter 4.200 Afghanen. Derzeit seien rund 1.000 britische Soldaten in der Operation Pitting eingesetzt.
• Nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht) waren am Dienstagmorgen nach dem Wissensstand des Verteidigungsministeriums nahezu alle deutschen Staatsbürger ausgeflogen worden. Allerdings gab es dazu vom Verteidigungsministerium keine Bestätigung. Im Auswärtigen Amt wird die Zahl auf 100 deutsche Staatsbürger plus ihren Familienangehörigen geschätzt.
• Unklar bleibt weiterhin, ob die Evakuierungsmission vom militärischen Teil des Flughafens Kabul unter dem Schutz von US-Truppen wie derzeit angekündigt zum 31. August endet – allein schon deshalb, weil die USA zu diesem Datum ihre Soldaten abziehen. Frankreich kündigte nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP an, in diesem Fall müsse sein Militär die Evakuierungsoperation bereits am kommenden Donnerstag beenden.
Das weitere Vorgehen wird unter anderem von einem virtuellen Treffen der G7-Staaten am heutigen Tag abhängen. Nach den vorliegenden Berichten wollen Großbritannien, Frankreich und Deutschland die USA überzeugen, die Mission über Ende August hinaus fortzusetzen. Allerdings wird das auch davon abhängen, ob die Taliban damit einverstanden sind.
Update: Nach einem Bericht der Washington Post gab es am (gestrigen) Montag in Kabul ein Gespräch zwischen CIA-Direktor William Burns und dem Taliban-Führer Abdul Ghani Baradar. Zu Inhalten meldet das Blatt nichts, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es zumindest auch um eine Verlängerung der Nutzung des Flughafens über den August hinaus ging, dürfte schon recht hoch sein.
• Angesichts einer hohen Zahl afghanischer früherer Mitarbeiter deutscher Regierungsinstitutione, die weiterhin ohne Chance auf Ausreise im Land sind, hat das Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung und das bürokratische Vorgehen deutscher Ministerien erhoben. Ich habe den Eindruck, wir haben die Menschen bewusst und wissentlich zurückgelassen, sagte der Vorsitzende des Netzwerks, Marcus Grotian, vor der Bundespressekonferenz.
Dazu passte auch die Meldung vom gestrigen Montag, die ein wenig untergegangen ist: Erst am vergangenen Wochenende hatte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit den Kreis der Ortskräfte, die Anspruch auf Aufnahme in Deutschland haben, von der bislang geltenden Frist der vergangenen zwei Jahre auf die Beschäftigungszeit davor ausgedehnt – allerdings dürften diese Menschen keine Chance mehr haben, das Verfahren für die Aufnahme zu regeln und in ein Evakuierungsflugzeug zu kommen.
Die gesamte Pressekonferenz Grotians zum Anschauen:
(Foto: Wartende Menschen auf dem Kabuler Flughafen vor einer C-17 der US-Streitkräfte – Foto CENTCOM)
Natürlich können AA und VtgMin die Zahl der deutschen Staatsbürger nur schätzen, es gibt keine Verpflichtung als deutscher, sich bei seiner Botschaft zu melden. Obwohl das in solchen Krisengebieten sinnvoll wäre und vom AA auch empfohlen wird.
Für mich eine der lessons learned, in Zukunft sind alle deutschen Beamten und Mitarbeiter von NGO´s etc in solchen Krisengebieten der Botschaft vor Ort zu melden. Und zwar bei Ankunft und Abflug. das sollte verbindlich geregelt werden.
Danke für den Link zur BPK. Schön zu sehen und zu hören, das es Offiziere mit „Rückrad“ gibt.
Das Wort „zurückgelassen“ impliziert die gleichen Pflichten, wie man sie gegenüber Soldaten hätte. Dies ist aber zumindest rechtlich betrachtet unzutreffend. Die Verpflichtungen des deutschen Staates gegenüber afghanischen Ortskräften, etwa die gebotene Fürsorgepflicht, endeten mit dem Ablauf des Arbeitsvertrags. Wo würde man die Grenze ziehen, wenn man solche rechtstaatlichen Kriterien aufweichen würde? Müsste man dann nicht auch die von der Bundeswehr ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräfte als „zurückgelassen“ betrachten?
Eine Verlängerung des Flugbetriebes in der afghanischen Hauptstadt dürfte ohne ( stillschweigende) Zustimmung der Taliban kaum möglich sein.
Die Taliban könnten die Wege zum Flughafen völlig sperren oder im äußerten Fall den Flughafen aus dem Stadtgebiet heraus beschießen und so den Flugbetrieb mit großen Maschinen lahmlegen.
Danke Herr Hauptmann!
Und es geht eben weiter wie gewohnt. Sämtliche NATO Staaten blicken durch Welpenaugen gen Washington, ob Herr Biden doch bitte die Frist verlängere?!
Was ist das für eine zynische und grottenschlechte Show? Der CIA Direktor Burns war in Kabul in direktem Austausch mit den Taliban. Die werden einen Preis genannt haben.
Wie wäre es, wenn gerade auch die ach so potenten Mittelmächte der NATO, und gerade die Atommächte darunter, die weltweit ja oft genug auftreten wie der Allmächtige (wenn sie Rückendeckung der USA haben oder einkalkulieren) den Preis zu nennen und mit zu tragen.
Denn wenn man da nicht am selben Strang zieht, dann kann man gleich eingestehen, dass man doch garnicht will! Aber das kennen wir ja, wenn’s nicht läuft sind die Amis schuld, und wenn die Amis es wieder gerichtet haben hält man Lobeshymnen auf sich selbst.
P.S: @EU… In Nordostsyrien und Tunesien ersticken z.Zt. die beiden wenigen durch die Öffentlichkeit getragenen Gegenmodelle zu dem, was in AfPak entstehen und daraus exportiert werden wird. Aber dann heult man sicher wieder den Potomac zum Rekordpegel… aber wehe da sitzt dann ein Trump.
Denn an dem Seil, an dem wir jetzt nicht gemeinsam ziehen, wird uns morgen ein Strick gedreht werden.
Zur Kenntnisnahme:
„Die USA, Großbritannien, Australien und andere Länder müssen für Menschenrechtsverletzungen durch ihre Militärs in Afghanistan zur Rechenschaft gezogen werden. Unter dem Banner von Demokratie und Menschenrechten intervenieren die USA und andere Länder militärisch in souveränen Staaten, die eine ganz andere Geschichte und Kultur haben, und stülpen ihnen ihr eigenes Modell über.“
Wer hat es gesagt? Der Botschafter der Volksrepublik China, Chen Xu vor dem Menschenrechtsrat der VN (vgl. Tagesthemen)
Nicht etwa der djihadistische Urvater ähnlicher Weltanschauung Qutub, welcher gut und gerne als „Papst des Terrors“ tituliert wird. Und das als Playbook aus China…
Das Ausmaß des Scheiterns sieht man exemplarisch daran, dass der CIA-Direktor in Kabul vorsprechen muss, bei jemandem, an dessen Festsetzung die CIA mal maßgeblich beteiligt war.
Was für eine Steilvorlage für China, Russland, Iran, …
@ AOR
„Der Botschafter der Volksrepublik China, Chen Xu vor dem Menschenrechtsrat der VN…….“
Für Freunde der Ironie ein schöner Satz
@Pio-Fritz
Jeder deutsche Staatsangehörige kann sich in die Krisenvorsorgeliste des AA eintragen:
https://www.auswaertiges-amt.de/de/-krisenvorsorgeliste/387662
Wer zivil in Staaten mit Reisewarnung wie Afghanistan reist und dies nicht tut, handelt m.E. fahrlässig und sollte sich nicht beklagen, wenn deutschen Behörden im Krisenfall nicht bekannt ist, dass er sich dort aufhält.
Danke. Wow. Da zeigt jemand den Unterschied zwischen Worten und Taten auf. Dem Außenminister sollten die Ohren geklingelt haben.
Ich bin immer noch auf der Suche nach genaueren Zahlenangaben. Wie viele Staatsbürger, Ortskräfte, Familienangehörige von Ortskräften wurden bisher ausgeflogen? Welches Lagebild hat die BuReg zu den Zahlenangaben? Für mich bleibt es ein reines Durcheinander, das m.E. mit der unsäglichen und nicht abgestimmten Kommunikation der BurReg in Zusammenhang steht. Alles nur noch erschütternd!
@RB; 24.08.2021 um 15:36 Uhr
Punktgenau! +1
Die Worte die mir dazu zusätzlich gerade durch den Kopf gehen, behalte ich mal besser für mich!
Es ist ja alles im Fluß und geht hoffentlich noch irgendwie glimpflich aus.
Aber danach wird es ernste Fragen geben:
– kann die USA überhaupt noch glaubhaft eine Allianz gegen China zustande bringen
– die arabische Welt ist für die USA verloren, was folgt daraus
– was bleibt für die europäischen Transatlantiker an Optionen übrig
– was wird aus der NATO
Kann beliebig fortgesetzt werden. Ein weiter so wird es wohl nicht geben können.
@
12PzDiv sagt:
24.08.2021 um 18:15 Uhr
Nunja, man ist ja nicht ganz ohne Optionen. Die USA mögen zwar keine direkte Diskrepanz mehr in AFG haben, aber das ist ja auch nicht gerade der Nabel der Welt. Durch Zersetzung im Inneren (CIA-Operationen, Unterstützung von Talibangegnern usw) und durch den Krieg gegen Drogen (in den USA das Ding schlechtin) kann AFG ganz schön breiig gehalten werden, wenn man denn will.
Was sollte sich an der NATO deswegen ändern? Ist ja nicht, dass sie ein zahnloser Tiger wäre. AFG wollte man halt nur nicht oder das war es uns nicht wert. Klar kann die Ukraine sich nun fragen wie viel sie uns Wert wären und zu erschütternden Erkenntnissen kommen, aber spätestens wenn ein NATO-Mitglied angegriffen würde, wird man All-In sein.