Nach Covid-Infektion im Auslandseinsatz: Kein Anspruch auf Unfallfürsorge, weil „keine erhöhte Ansteckungsgefahr“

Soldatinnen und Soldaten, die sich im Auslandseinsatz mit dem Coronavirus infizieren, werden zwar von der Truppe so schnell wie möglich ausgeflogen. Und zur Vorbereitung auf Einsätze wurde sogar die Impfprioriät für Soldaten deutlich hochgesetzt. Doch die Wehr-Bürokratie in der Heimat lässt einen Erkrankten dann abblitzen: Selbst bei einem Einsatz im afrikanischen Sahel gebe es keine erhöhte Ansteckungsgefahr im Vergleich zu Deutschland und damit auch keinen Anspruch auf Unfallfürsorge.

Mehr als 260 Soldatinnen und Soldaten, so zeigt die interne Statistik der Bundeswehr, haben sich bislang in den Auslandseinsätzen mit dem Coronavirus infiziert. Gemessen an der Einsatzzahl von derzeit knapp 3.000 Soldaten in allen Auslandseinsätzen zusammengerechnet ein vergleichsweise hoher Wert. Die höchsten Infektionszahlen verzeichneten dabei die Missionen in Mali: Sowohl bei der EU-Trainingsmission in dem westafrikanischen Land als auch in der UN-Mission MINUSMA wurden immer wieder Soldaten positiv auf das Virus getestet. Wie in anderen Einsätzen auch wurden die Infizierten möglichst schnell von der Luftwaffe nach Deutschland zurückgeflogen.

Allerdings scheiterten nach Informationen von Augen geradeaus! mehrere dieser Soldaten nach einer Erkrankung – und nicht nur Infektion – mit Covid-19 sogar nach stationärer Krankenhausbehandlung mit ihrem Antrag, diese Infektion als Einsatzunfall anerkennen zu lassen. Diese Anerkennung und der Anspruch auf entsprechende Fürsorge betrifft nicht nur die aktuelle Erkrankung – sondern vor allem auch mögliche Spätfolgen, wie sie derzeit unter dem Begriff Long Covid zunehmend bekannt werden.

Das Bundesamt für das Personalwesen der Bundeswehr (BAPersBw) begründete die Ablehnung damit, dass weder ein Einsatzunfall vorliege noch eine als Berufskrankheit anzuerkennende Infektionskrankheit. Dabei gehen die Sachbearbeiter sehr exakt nach den Buchstaben des Gesetzes vor – es geht dabei um den §31a des Beamten-Versorgungsgesetzes (BeamtenVG):

Unfallfürsorge wie bei einem Dienstunfall wird auch dann gewährt, wenn ein Beamter auf Grund eines in Ausübung des Dienstes eingetretenen Unfalls oder einer derart eingetretenen Erkrankung im Sinne des § 31 bei einer besonderen Verwendung im Ausland eine gesundheitliche Schädigung erleidet (Einsatzunfall)

Das allerdings reicht offensichtlich nicht, eine Coronavirus-Infektion im Einsatz als einen solchen Einsatzunfall anzuerkennen. Aus dem entsprechenden Bescheid für einen in Mali eingesetzten Soldaten, der Augen geradeaus! vorliegt:

Die Infektion mit SARS-CoV-2 kann grundsätzlich ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches Ereignis sein, das einen Körperschaden verursacht. Allerdings fehlt es vorliegend an der örtlichen und zeitlichen Bestimmbarkeit.
Die Situation, in welcher es zur Viruserkrankung kam, muss genau feststehen, es muss nachgewiesen sein, wann und wo sich die Anstekcung mit dem Virus zugetragen hat. Eventelle alternative Möglichkeiten der Virusübertragung müssen ausgeschlossen sein.

Das sind schon hohe Anforderungen, gerade unter dem Aspekt, dass die meisten Soldaten das Feldlager nicht verlassen können – und sie sind kaum erfüllbar. Aber auch der andere in dem Paragraphen genannte Punkt, nämlich die Erkrankung, ist nach Einschätzung des Bundeswehr-Amtes kein Grund für eine Anerkennung. Denn eine Covid-19-Erkrankung steht schließlich nicht auf der Liste der Berufskrankheiten:

Die von Ihnen erlittene Infektion mit SARS-CoV-2 erfüllt auch nicht die Voraussetzungen einer Erkrankung im Sinne des §31a Absatz 1 BeamtVG. Zu den Erkrankungen im Sinne dieser Vorschrift zählen nur solche, die gemäß §31 Absatz 3 BeamtVG in Verbindung mit Anlage 1 der Berufskrankeheiten-Verordnung anerkannt werden.
Bei der Anerkennung einer Infektionskrankheit nach der Berufskrankheiten-Verordnung kommt es auf die Art der dienstlichen Verrichtung an.
Nach Nr. 3101 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung sind Infektionskrankheiten nur dann als Berufskrankheiten zu qualifizieren, wenn der Betroffene im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder einem Laboratorium tätig war oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße ausgesetzt war. Dies trifft auf Ihre Tätigkeit als …. in Mali nicht zu.

Nun trifft das für die überwiegende Zahl der Soldatinnen und Soldaten in den Auslandseinsätzen nicht zu: Im Gesundheitsdienst oder in der Wohlfahrtspflege sind dort die wenigsten tätig. Aber unabhängig von der Frage, ob Einsatzunfall oder Berufskrankheit: Der Antrag wird schon deshalb abgelehnt, weil die Verhältnisse im Sahel gar nicht so viel anders sind als in der Heimat.

Die Erkrankung ist jedoch nicht auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse zurückzuführen. Zu den gesundheitsschädigen Verhältnisse zählen neben den klimatischen Einflüssen z.B. Epidemien oder Ansteckungsgefahr. Die epidemischen Verhältnisse in … (Mali) unterschieden sich in Bezug auf die Neuinfektionszahlen zu COVID-19 zu dem Zeitpunkt Ihrer Infektion im … 2020 nicht negativ von den Verhältnissen in Deutschland. Verglichen mit den Verhältnissen in Deutschland kann weder in noch außerhalb des Lagers in … von einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgegangen werden. (…)
Da das angezeigte Unfallereignis nicht als Einsatzunfall anerkannt wird, haben Sie keinen Anspruch auf Unfallfürsorge nach den Bestimmungen der §§32 ff BeamtVg.

Das Interessante ist, dass die Ansicht, in diesen Einsatzgebieten gebe es keine höhere Ansteckungsgefahr als in Deutschland, vom Verteidigungsministerium bei der Neufassung der Corona-Impfverordnung ganz anders eingeschätzt wurde. Da setzte sich das Wehrressort erfolgreich damit durch, dass Soldaten vor einem Auslandseinsatz sogar in die zweithöchste Kategorie der Impfberechtigten eingeordnet wurden:

Folgende Personen haben mit hoher Priorität Anspruch auf Schutzimpfung:
(…)
6. Polizei- und Ordnungskräfte, die in Ausübung ihrer Tätigkeit zur Sicherstellung der öffentlichen Ordnung, insbesondere bei Demonstrationen, einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind, sowie Soldatinnen und Soldaten, die bei Einsätzen im Ausland einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind,

Damit stellt sich natürlich die Frage, ob viele Soldaten unberechtigt vorzeitig eine Impfung erhalten haben – da sie, wie amtlich festgestellt wurde, im Auslandseinsatz keinem höheren Infektionsrisiko als in Deutschland ausgesetzt sind.

Nach dieser Diskrepanz zwischen Impf-Lobbyismus und Unfallfürsorge, aber auch nach der bisher bekannten Zahl von Fällen, in denen die Unfallfürsorge abgelehnt wurde, habe ich das Verteidigungsministerium befragt. Nach vier Tagen erhielt ich am (heutigen) Donnerstagabend eine Antwort, die ich hier im Wortlaut dokumentiere (in kursiv meine Fragen):

Die Bundeswehr als Arbeitgeberin ist sich ihrer Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen vollumfänglich bewusst und nimmt sie jederzeit wahr. Wir stellen sowohl im Inland als auch im Ausland Unterstützung, Fürsorge und Hilfe in allen Lebenslagen in dem uns gesetzten rechtlichen Rahmen sicher. Das Wohl aller Angehörigen der Bundeswehr hat für uns höchste Priorität – auch und insbesondere in der aktuellen Corona-Pandemie.

1. In wie vielen Fällen wurde mit Covid-19 Infizierten bislang die Anerkennung der Infektion als Einsatzunfall verweigert?
2. Sind bereits Fälle bekannt, in denen entgegen dem ersten Bescheid des BAPersBw nach Widerspruch oder ggf. Gerichtsverfahren eine entsprechende Anerkennung erfolgte?

Die Fragen zu 1. und 2. werden zusammen beantwortet.
Wir prüfen jeden Anspruch unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles und betrachten alle Möglichkeiten im Rahmen des uns gesetzten rechtlichen Rahmens. Fälle, in denen wir ggf. auf einen möglichen Widerspruch in der Bewertung aufmerksam werden, werden wir erneut sorgfältig prüfen.

3. Wird bei Covid-19 anders verfahren als bei anderen für Einsatzgebiete typischen Krankheiten wie z.B. Malaria? Wenn ja, aus welchem Grund?

Auch bei einer Covid-19-Infektion ist eine Anerkennung nach den versorgungsrechtlichen Regelungen grundsätzlich möglich. Nach den für Einsatzunfälle maßgeblichen Vorschriften (§ 63c des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) bzw. § 31a des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) kommt die Anerkennung eines Einsatzunfalles für im Ausland eingesetzte Soldatinnen und Soldaten bzw. Beamtinnen und Beamte in verschiedenen Fallkonstellationen in Betracht. Hierbei kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei ist auch die besondere Ansteckungsgefahr bei Covid-19-Infektionen zu berücksichtigen.

4. Ist die Einschätzung, dass Covid-19-Infektionen in den Einsatzgebieten „nicht auf gesundheitsschädigende vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse“ zurückzuführen seien, eine im GB BMVg insbesondere mit den für Infektionskrankheiten Zuständigen abgestimmte Position?

Eine pauschale Einschätzung in dem von Ihnen skizzierten Sinne lässt sich nicht bestätigen. Es ist vielmehr jeder Einzelfall eingehend zu prüfen.

5. Da aus Sicht der Bundeswehr in Einsatzgebieten wie dem Sahel „verglichen mit den Verhältnissen in Deutschland … weder in noch außerhalb des Lagers in … von einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgegangen werden“ kann: Wie begründen BMVg/Bundeswehr die höhere Priorisierung in der Corona-Impfverordnung für Soldat:innen aufgrund der dort angeführten höheren Infektionsgefahr in einem Auslandseinsatz, wenn aus Sicht der Bundeswehr diese höhere Infektionsgefahr nicht besteht bzw. unter welchem Vorwand wurde entgegen der Haltung des BMVg diese höhere Priorisierung bei der Änderung der Corona-Impfverordnung im März durchgesetzt?

Wie in der Antwort zu Frage 4 ausgeführt, geht die Bundeswehr nicht per se davon aus, dass in Einsatzgebieten, wie zum Beispiel dem Sahel, keine erhöhte Ansteckungsgefahr im versorgungsrechtlichen Sinne besteht.
Soweit Sie hingegen nach der Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 fragen, darf ich auf die Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV) hinweisen, nach der sich die Bundeswehr richtet. Hiernach kann eine Impfung gemäß § 3 (Schutzimpfungen mit hoher Priorität) u.a. erfolgen für „Soldatinnen und Soldaten, die bei Einsätzen im Ausland einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind“ sowie für „Personen, die in Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland (…) an Dienstorten mit unzureichender gesundheitlicher Versorgung tätig und infolgedessen einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind“.

Ich gestehe, dass mich diese Antwort etwas ratlos lässt.

(Archivbild Februar 2021: Die Soldaten der Objektschutzkompanie bei einer Stadtpatrouille durch Gao im Rahmen der UN-Mission MINUSMA – Frank Wiedemann/Bundeswehr)