Luftwaffe will Kaserne umbenennen: Landshut-Kapitän Schumann statt Marseille
In den Nachrichten der vergangenen Tage ist es etwas untergegangen, deshalb nachgetragen: Eine weitere Bundeswehrkaserne soll künftig nicht mehr nach einem Jagdflieger der Wehrmacht, sondern nach einem früheren Bundeswehr-Piloten benannt werden – nach dem Kapitän der Lufthansa-Maschine Landshut, der 1977 von den Entführern des Flugzeugs erschossen wurde. Außerdem sollen künftig auch die Transportflieger der Luftwaffe einen Geschwader-Traditionsnamen bekommen.
Die Änderungen hatte Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz am vergangenen Freitag in einem Tagesbefehl* angekündigt. Bereits im vergangenen Jahr war die bisherige Lent-Kaserne in Rotenburg an der Wümme umbenannt worden: An Stelle des bisherigen Namensgebers der heutigen Heereskaserne, eines Jagdfliegers des Zweiten Weltkrieges, trat ein deutscher Offizier der Befreiungskriege gegen Napoleon, die Kaserne heißt nun Von-Düring-Kaserne.
Nun soll die Unteroffiziersschule der Luftwaffe (USLw) in Appen in Schleswig-Holstein, bislang benannt nach dem Wehrmachts-Jagdflieger Hans-Joachim Marseille, einen neuen Namensgeber bekommen. Nach einem Vorschlag aus der Luftwaffe entschieden sich die Angehörigen des Standorts für Jürgen Schumann, der vor seiner Pilotentätigkeit für die Lufthansa Luftwaffenoffizier und Starfighter-Pilot war, wie Gerhartz in seinem Tagesbefehl mitteilte:
Die USLw in Appen hat zusammen mit den Angehörigen des Standortes Namensvorschläge für eine Kasernenumbenennung gesammelt und nach einer Befragung aller Standortangehörigen Jürgen Schumann als neuen Namensgeber ausgewählt. Er war Starfighterpilot, Hauptmann der Luftwaffe und begann beim Fluganwärterregiment in Appen seine fliegerische Grundausbildung. Nach seiner Dienstzeit in der Luftwaffe flog er als Pilot bei der Lufthansa. Als Kapitän der „Landshut“ wurde er am 16. Oktober 1977 von deren Entferührern erschossen. Er hat sein Leben vor das Leben seiner Passagiere gestellt, als er versuchte, mit den Geiselnehmern zu verhandeln und den Behörden Informationen über die Anzahl der Geiselnehmer zu geben. Sein Mut und sein Verantwortungsbewusstsein sind beispielgebend. Ich billige diesen Vorschlag ausdrücklich und werde das weitere Verfahren zur Genehmigung durch die Bundesministerin der Verteidigung in die Wege leiten.
Schon vor dem jetzt gültigen Traditionserlass hatte die frühere Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Wehrmachtspiloten Marseille als Namensgeber für eine Bundeswehrkaserne als nicht mehr sinnstiftend bezeichnet. Dass Schumann auch der Wunsch des Kommandos Luftwaffe war, war bereits im vergangenen Jahr absehbar. Die Geschichte des ehemaligen Luftwaffenpiloten und die Ereignisse nach Enführung der Landshut hatte die Luftwaffe schon 2011 als ein Vorbild für heutige Soldaten nachgezeichnet.
Neben weiteren Namensgebern für Einrichtungen der Luftwaffe kündigte der Inspekteur auch eine Neuerung für die Transportflieger der Teilstreitkraft an:
Sie leisten seit vielen Jahrzehnten in weltweiten Missionen ihren wertvollen Beitrag zu humanitärer Hilfe und multinationaler Krisenbewältigung. Die Frauen und Männer der Einheiten und Verbände unserer Lufttransporter sind Garanten für den Erfolg der Luftwaffe im Einsatz. Ich habe das Lufttransportgeschwader 62 angewiesen, den Prozess einer Namensfindung für einen Traditionsnamen zu initiieren. … Neben den Fliegenden Kampfverbänden der Luftwaffe sollen auch unsere Transportflieger einen Traditionsnamen führen und mit Stolz am Ärmelband tragen.
Das wird dann allerdings denen, die in den vergangenen Jahrzehnten einen Großteil der Lufttransporte der Bundeswehr geflogen haben, nicht mehr zugute kommen: Die Transall-Transportmaschinen und die Verbände, zu denen sie gehören, werden zum Ende dieses Jahres Geschichte sein.
*Fürs Archiv die Sicherungskopie des Tagesbefehls:
20210326 Tagesbefehl InspLw Tradition
(Archivbild: Schumann 1965 im Cockpit eines Starfighters bei der Flugausbildung auf der Luke Air Force Base in Arizona – Foto Archiv Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte)
@Max Kleine: Das fand ich nicht wirklich smart, wie Sie einen Angriffskrieg anno 1941 mit einem UN-mandatierten Einsatz der Parlamentsarmee auf eine Stufe stellen. (Vielleicht wollten Sie aber auch gar nicht smart sein.) Sei’s drum, dem Schwiegervater schadet der Schwiegersohn nicht. OMG, Historische Bildung tut not. Frohe Ostern dennoch.
@Küstengang01
Frage: Warum schafft man nicht eine Vorschlagsliste?
Antwort: Diese Liste gibt es bereits. Ganz oben steht OTL Freiherr Andreas von Mirbach (1931-1975).
@Pete:
Im „Schwerpunkt“? Echt? Wie kommen Sie denn nun wieder auf dieses schmale Brett? Es ist ein Punkt in einem Tagesbefehl des GI der Lw gewesen. Ein Tagesbefehl von inzwischen sicher schon wieder einigen mehr. Überdies ist es nach journalistischer Einschätzung des Hausherrn „bislang untergegangen“ und wurde deshalb „nachgetragen“. Hört sich irgendwie nicht danach an, als sei das jetzt das zentrale Projekt unserer Luftwaffe, oder?
@Max Kleine
Was sagt eigentlich das Völkerrecht zu der Art der Kriegsführung der Wehrmacht und des Großdeutschen Reiches?
Wie fühlt ein Soldat dessen Vorfahren Opfer derselben wurden, in einer Kaserne mit einem solchen Namen Dienst tun zu müssen?
@Karl Mohr
Hatte Schumann diesen Charakter mit durch seine Dienstzeit in BW bekommen?
„Geschichte-Tradition-Selbstverständnis“
Ein typisches deutsches Problem der Neuzeit. Anstelle Dinge ordentlich aufzuarbeiten wird nur mit dem Radierer gearbeitet. Zudem auch bald kein Problem mehr. In ein paar Jahren wird sich die neue Generation auch nicht mehr an den Namen an den verbliebenen Liegenschaften erinnern oder ihn gar geschichtlich zuordnen wollen/können.
Zurück zur Natur! Also alle Kasernen, Pardon, Anlagen (klingt nicht so schlimm militant) nach nützlichen Pflanzen benennen…fangen wir doch am besten mit der „Hirtentäschelkraut-Anlage“ an.
+In Gedenken an den 02.April 2010+
@Mathias
Sie geben den Tenor der von Ihnen kritisierten Kommentare verzerrt wider. Gut möglich, dass an der Moderation des gewiss nicht zu beneidenden Herrn Wiegold viel braune Soße abgeflossen ist, aber ansonsten sind die kritischen Stimmen – mit einer Ausnahme – doch nuancierter.
Es geht nicht um irgendwelche Ritterkreuzträger – zumal viele Kritiker erkennen ließen, dass sie Marseille die Vorbildeignung eher absprechen. Es geht um die Frage: „Warum jetzt?“, und um die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen.
Wenn Marseille nicht mehr (sic) als Vorbild gelten kann, obwohl sich die Ausgangslage nicht geändert hat – der Mann ist tot, die Historiker haben nichts Neues über ihn zutage gefördert –, erscheint die Umbenennung als beliebig, als Modeerscheinung.
Wenn es von Anfang an falsch war, die Kaserne nach Marseille zu benennen, dann hätte man diesen Fehler so kommunizieren müssen. Stattdessen lässt man den Eindruck entstehen – zumal vor dem Hintergrund eines neuen Ikonoklasmus in der Zivilgesellschaft –, die Entscheidung sei eine politische, keine ethische.
Es gibt in diesem Zusammenhang aber vielleicht nichts Gefährlicheres, als die Beschäftigung mit der Vergangenheit unseres Landes als bloße Pflichtübung erscheinen zu lassen, als reflexhafte Reaktion auf jemandes Empörung, nur um den Ruf der Bundeswehr zu schützen.
Zweitens wird man der Bundeswehr die Gretchenfrage stellen müssen, wie sie’s denn mit der postheroischen Gesellschaft hält. Taugt jemand, der „nur“ eine kämpferische oder taktische Leistung vorzuweisen hat, als Vorbild? Wenn nein, dann müssen auch Namen wie Richthofen, Boelcke und Rommel fort.
Dabei geht es nicht darum, mit preußischer Schnarrstimme den Verfall der Sitten zu beklagen, sondern innere Widersprüche abzubauen. Denn es hilft unseren Soldaten nicht, wenn wir sie einerseits an Orte wie Isa Khel schicken, aber sie andererseits behandeln, als seien sie bloß Deichläufer in grünen Klamotten.
@Tho Dan et al.
Es ist müßig, in diesem Zusammenhang pauschal das sog. Völkerrecht zu bemühen, ohne die Rechtslage der Zeit bis 1945 in Betracht zu ziehen, wozu die Haager Landkriegsordnung von 1908 und das Genfer Protokoll von 1925 heranzuziehen sind, ebenso wie das jeweils geltende Militärstrafrecht der einzelnen Länder. Das Völkerrecht nach unserem Verständnis geht auf die Genfer Konvention von 1949 zurück und die präzise Definition von Kriegsverbrechen hat ihren Ursprung in den Nürnberger Prozessen. Heute gilt als Rechtsgrundlage das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs.
Insofern fällt die jetzige Beurteilung der Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg eindeutig und sehr streng aus, wobei – das ist keine Entschuldigung der Kriegsverbrechen der Wehrmacht – sämtliche kriegführenden Parteien und Soldaten sich diese Maßstäbe gefallen lassen müssen (z.B. Harris).
Gleichwohl ist es aus heutiger Sicht sehr bequem und auch arrogant, sich im Lehnstuhl sitzend eines demokratischen Staates erfreuend, den einzelnen Soldaten (der in Russland „nichts verloren“ hatte) allein für seine Teilnahme am Krieg zu verurteilen, man muss sich fragen, wenn man sich in die damaligen Verhältnisse in einem menschenverachtenden, totalitären Staat vor Augen führt, welche Alternativen zur Todesstrafe ihm zur Verfügung standen, hätte er den Dienst verweigert.
Im Übrigen trifft der Traditionserlass eine klare Festlegung, wie mit ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht umzugehen ist, indem die Wehrmacht eindeutig als nicht traditionswürdige Institution eingestuft wird. Ehemalige Soldaten der Wehrmacht hingegen können hingegen in die Traditionspflege der BW einbezogen werden, wenn sie an der Widerstandbewegung beteiligt waren oder „sinnstiftende Leistungen“, die in die Gegenwart reichen, erbracht haben oder sich um den Aufbau der Bundeswehr besonders verdient gemacht haben.
In diesem Zusammenhang ist schon klar, dass auch hochdekorierte Offiziere der WM für den Aufbau der BW unerlässlich waren, andererseits gab es auch gewisse Risiken, dass der eine oder andere aus dem Ruder läuft, wie z.B. die Rudel-Affäre gezeigt hat.
Allerdings sollten Einrichtungen der BW nach Soldaten benannt werden. Im Falle Herrn Schumanns wären zwei Dinge angebracht und sinnvoller, und zwar die Benennung einer Einrichtung der Bundespolizei mit seinem Namen (die Polizei als Prügelknabe der Nation verdient längstens eine positive Hervorhebung) und ein würdiger Umgang mit dem Flugzeug „Landshut“.
Es gibt sicherlich immer wieder einzelne Soldaten, die im Einsatz oder in der Heimat herausragende Leistungen erbringen oder Persönlichkeiten darstellen, die traditionsstiftend sind. Dazu muss die Bundeswehr für sich aber endlich eine Linie finden, ein Selbstbewußtsein und ein geschossenes Ganzes, das endlich einmal nicht reformiert wird,
@Metallkopf und @Drohnendiskussion
Nein nein. Schwerpunkt des DEU InspLw ist über Ostern – wie wir alle wissen – die Dringlichkeits-Beschaffung von 2+x Gulfstream G550 in der config „Oron“ (IDF) bzw. „JAMMS“ (IAF) für deutsche C4ISTAR Fähigkeiten inkl. Drohneneinsatz,….. oder sollte diese Fähigkeitslücke schon erkannt und geschlossen sein ? zur ISR ‚Oster‘- Oron siehe: https://t1p.de/vxg5
@Peter Eberl
Ich verurteile den Soldaten nicht, halte es aber auch nicht für richtig ihn deshalb zu ehren.
Meine Frage bezog sich eigentlich auf die Verbrechen des 3ten Reiches und der Wehrmacht in diesem Krieg und wie jene Soldaten deren Vorfahren Opfer ihrer Verbrechen wurden fühlen.
Was sagte das damalige Kriegsvölkerrecht zu diesen Verbrechen?
PS.
Ich sehe keine sinnstiftende Leistung Jochen Marseilles in seinem Dienst für ein verbrecherisches Regime, eher eine Warnung sich nicht so mißbrauchen zu lassen.
Geht doch. Fw Laabs, Luftwaffe/Wehrmacht, rettet jüdische Leben
@Team_Luftwaffe. Das Schulgebäude der Luftwaffe trägt ab sofort seinen Namen.
https://bundeswehr.de/de/organisation/luftwaffe/aktuelles/ein-gerechter-unter-den-voelkern-5050620
Jetzt stört sich jemand an der Wehrmachtszugehörigkeit?
An dieser Umbenennung wird deutlich, es gibt mehr zwischen Wehrmacht und Wehrmacht als pauschale Verurteilung. Würde hier das Mantra „nicht traditionswürdig/nicht sinnstiftend“ konsequente Anwendung finden, könnte Fw Laabs nie Namensgeber werden.
Das Dilemma bleibt, oder, die Guten in Töpfchen?
@KPK
Hat Jochen Marseille ähnliches versucht ?
@ThoDan
Was begreifen Sie nicht? Laabs/Schumann/Marseille fallen unter die Bewertung Traditionserlass von „nicht traditionswürdig/nicht sinnstiftend“.
Kirschenpickerei kann nicht Absicht der Umsetzung sein, weder bei Laabs, noch bei Marseille.
Wird das fortgesetzt vollzogen, d.h. „genehmer/nicht genehmer Wehrmachtsangehöriger“, übergeben Befürworter dieser Praxis den Erlass dem Reißwolf.
@ThoDan: „Hat Jochen Marseille ähnliches versucht ?“
Bei allem Respekt, aber das ist nun eine Bemerkung, die jeder sachlichen Grundlage entbehrt, an der ernsthaften Diskussion völlig vorbeigeht und im Reich der Polemik angesiedelt ist.
Mooment.
Ehe das hier auf merkwürdige Bahnen gerät, verweise ich auf die Passage im Traditionserlass:
Für die Streitkräfte eines demokratischen Rechtsstaates ist die Wehrmacht als Institution nicht traditionswürdig. Gleiches gilt für ihre Truppenverbände sowie Organisationen, die Militärverwaltung und den Rüstungsbereich. Die Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr ist dagegen grundsätzlich möglich. Voraussetzung dafür ist immer eine eingehende Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen.
https://augengeradeaus.net/wp-content/uploads/2018/03/20180328_Traditionserlass_offz.pdf
Das bitte auch berücksichtigen.
„… Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen“.
Damit kann ich gut leben.
@Klaus-Peter Kaikowsky (KPK)
Laabs hat Menschenleben gerettet unter Einsatz seines Lebens, vor einem Unrechtsstaat
„Wer einen Menschen rettet, rettet die Welt.“
& Peter Eberl
während Jochen Marseille demselben Unrechtsstaat exzellent gedient hat.
Ich kann seine militärischen Leistungen nicht von der Sache trennen für die er sie ausführte.
Er wählte nicht Ungehorsam, wo Gehorsam keine Ehre brachte.
Ich verurteile ihn deswegen nicht, aber er ist deswegen auch nicht als Vorbild zu ehren.
@ ThoDan
Wenn Sie jetzt schon fast melodramatisch das von der Marwitz-Zitat bedienen, sollte Sie kurz darüber reflektieren, dass selbst ein Stauffenberg noch „exzellenter Diener desselben Unrechtsstaates“ war, als Marseille bereits gefallen war. Der militärische Widerstand formierte sich in großen Teilen eben erst um 1941 und zudem in Kreisen, zu denen Marseille aufgrund seines Dienstgrades und seiner Verwendung eher keinen Zutritt hatte. Außerdem sollte man beachten, dass man hier einen Mann durch die NS-Propaganda instrumentalisierte, der gerade mal Anfang 20 war und zudem als Jagdflieger (spätestens seit der Propaganda des 1. Weltkrieges gewissermaßen die Popstars unter den Soldaten) sozialisiert wurde.
In erweiterten Kontext zwar, aber hinsichtlich der Umsetzung vom Traditionserlass bei Benennung militärischer Liegenschaften passend:
Was ist das Selbstverständnis der Bundeswehr? Und was bedeutet das für die Traditionspflege und die Bedürfnisse der Soldaten?
In „Gesprächen am Ehrenmal“ sprachen darüber Professor Dr. Sönke Neitzel, Dr. Anja Seiffert und Oberst Dr. Sven Lange, moderiert von Dr. Astrid Irrgang, in Berlin
https://www.bmvg.de/de/aktuelles/staatsbueger-in-uniform-bild-des-krieges-ergaenzen-sich-5051314
Gem Oberst Dr. Sven Lange/BMVg:
„Mehrere Teilstreitkräfte hätten eine Umsetzung des Traditionserlasses bereits fertiggestellt, …“
Darauf darf der Interessierte gespannt warten, trifft es doch sicher Truppe unmittelbar in ihrem Umgang mit – und Leben von Tradition.
Die Beteiligung von Professor Dr. Sönke Neitzel verspricht durchaus selten gehörte Töne zum Deutschen Soldaten und gelebter Tradition. Seine jüngste Veröffentlichung „Deutsche Krieger“ fand denn auch viel kritische neben weniger zustimmender Rezeption.
Seine Fragen geben Anlass genug. „Krieger haben ihre eigene Kultur. Wie passt das zur Bundesrepublik“?
@ThoDan sagt: 09.04.2021 um 10:02 Uhr
„während Jochen Marseille demselben Unrechtsstaat exzellent gedient hat.“
Darüber kann man streiten. Man kann auch argumentieren, dass er DEU exzellent gedient hat, aber DEU durch die Nazis korrumpiert war.
Dadurch wird sein persönliches Handeln (amS berechtigt) vom Verbrecherregime getrennt.
Natürlich kann man das auch anders sehen, aber Absolutismen werden der gebrochenen DEU Geschichte nicht gerecht.
Der neue Traditionserlass (wie übrigens alle anderen vor ihm auch) verlangen deswegen bei Personen eine Einzelfallabwägung.
„Er wählte nicht Ungehorsam, wo Gehorsam keine Ehre brachte.“
Dieses von der Marwitsche Zitat ist hier unangebracht. Klingt zwar gut, passt aber einfach nicht. Denn vdM hat ja einen konkreten Befehl verweigert, weil er DIESEN Befehl als unrechtmäßig (bzw. unehrenhaft) ansah.
Aber gegen den friederichschen Angriffskrieg hat er keinerlei Bedenken erhoben.
Um es hier mal deutlich zu machen: vdM hat genau (!) das getan, was Marseille auch tat, nämlich an einem Angriffskrieg ohne Murren teilzunehmen. Er hat lediglich einen einzelnen (!) Befehl verweigert. Aber das kann man MArseille nicht vorwerfen, denn ihm werden ja keine Kriegsverbrechen oder konkreten Einzeltaten vorgeworfen.
Wenn Sie also den Maßstab eine vdM anwenden wollen (der unstrittig traditionswürdig für die Bw ist), dann muß nach Ihrem eigenen Maßstab Marseille auch traditionswürdig sein.
Nun verlange ich von Ihnen die Bewertung von Marseille als traditionswürdig gar nicht. Das ist eine Frage, die können Sie mit Fug und Recht anders bewerten als ich, aber Sie können Ihre Argumentatio nicht auf vdM abstützen.
@Voodoo
Danke für den Hinweis zu Graf Stauffenberg.
Lange schon, spätestens alljährlich bei den Sonntagsreden (!) zur Vereidigung am 20. Juli, ein richtiges Datum zwar, treibt mich jedoch die Frage um, wie ein Oberst i.G. Stauffenberg gedacht und gehandelt hätte bei einer Kriegslage wie Sommer ’42 an allen Fronten, vor allem im Osten und in Afrika?
Behauptung:
1. Wer in halbwegs verantwortlicher Position Mitte ’44 das Desolate der Kriegslage, verursacht durch ein Verbrecherregime, immer noch nicht erkannt hatte, dem fehlten nicht allein militärische Kenntnisse.
2. In 1944 war es selbst unter Zugrundelegung des Eides, bei nicht ausgewiesenen Nationalsozialisten zwangläufig und einfach im Widerstand zu stehen.
@Voodoo & Koffer
Ich bin da wohl etwas unklar!
Ich verurteile Marseille nicht, schon gar nicht wegen der Teilnahme an einem Angriffskrieg, ich halte ihn nicht für als zu ehrendes Vorbild geeignet weil er sich bestenfalls genau wie einer meiner Großväter vom 3ten Reich und Wehrmacht zur Unterstützung von deren Verbrechen missbrauchen lies.
Damit spreche ich ihm keine persönliche Schuld zu, unterstelle ihm nicht bewusst unethisch gehandelt zu haben!
Ich will mir auch nicht im mindesten die Hybris anmaßen ihn zu verurteilen!
Aber seine brillianten Leistungen als As der Jagdflieger sehe ich nicht im mindesten als positiv sondern als negativ im ethischen Gesamtbild.
@KPK
Deutsche Krieger ist faszinierend zu lesen
Ist das Leben und der Tod von Marseille inklusive der Instrumentalisierung durch das Regime, stellvertretend für eine ganze Generation, denn nicht auch eine Mahnung an zukünftige Generationen, welche man erhalten sollte?
Die Diskussion zeigt doch, wie schwierig es war und ist, weshalb ich ihr Verstummen bedauern würde.
Es fordert doch niemand eine „Heldenverehrung“.
@ThoDan sagt: 10.04.2021 um 1:05 Uhr
„Damit spreche ich ihm keine persönliche Schuld zu, unterstelle ihm nicht bewusst unethisch gehandelt zu haben!
Ich will mir auch nicht im mindesten die Hybris anmaßen ihn zu verurteilen!
Aber seine brillianten Leistungen als As der Jagdflieger sehe ich nicht im mindesten als positiv sondern als negativ im ethischen Gesamtbild.“
Das habe ich verstanden. Ich kann Ihre Abwägung auch akzeptieren.
Ich komme zu einem entgegen gesetzten Ergebnis und halte ihn für vorbildhaft und traditionswürdig. Aber auch das ist meine Abwägung.
Aber all diese Argumente sind ja schon ein halbes Dutzend mal hier in den Kommentarfäden dieses Blogs ausgetauscht worden.
Ich habe mich nur eingeschaltet, weil Sie von der Marwitz als Kronzeugen gegen Marseille angeführt haben und das passt halt nun mal gar nicht.
@ ThoDan
Sie schreiben:
„Aber seine brillianten Leistungen als As der Jagdflieger sehe ich nicht im mindesten als positiv sondern als negativ im ethischen Gesamtbild.“
Dazu ein paar Gedanken, um das ganze einzuordnen:
1. Der Großteil der damaligen Soldaten, sah es – unabhängig von politischer Meinung – als Pflicht gegenüber ihrem Vaterland an, diesem im Krieg zu dienen. Dieses grundsätzliche Pflichtbewusstsein der Nation gegenüber ist eine Tugend, die auch heute noch Gültigkeit hat.
2. Das verbrecherische Ausmaß des Krieges im Osten und der Holocaust waren ein Staatsgeheimnis. Darüber wurde nicht berichtet und darüber konnte auch nicht offen gesprochen werden. Diese für uns selbstverständlichen Informationen lagen einem jungen Soldaten wie Marseille vermutlich gar nicht vor.
Wie man große persönliche Tapferkeit und den Einsatz für die Nation eines Einzelnen als unethisch bezeichnen kann, weil an anderer Stelle Dinge geschehen, von der derjenige weder Kenntnis noch Einfluss darauf hat, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.
Wie kann in unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft, in der man in jeder Situation bemüht ist, die Perspektive des Betroffenen einzunehmen, ein so hartes Urteil entstehen?
Vielleicht ist ein derartig unbarmherziges Urteil über die eigenen Landsleute ja eine spezifische Eigenart unserer deutschen Gesellschaft. Wir wissen, alle dass das Urteil über deutsche Soldaten im Ausland wesentlich milder ausfällt und auch wir würden kein derartiges Urteil über tapfere Soldaten anderer Nationen aussprechen, die selbst zu keiner Zeit Unrecht begangen haben.
In diesem Sinne bitte ich um Mäßigung und einen differenzierteren Blick auf die damalige Soldatengeneration, unabhängig davon, ob man den einzelnen nun als traditionsgebend für die Bundeswehr ansieht, oder nicht.
@Mackiavelli
Spätestens mit der ersten Rückzugswelle 1942/1943 war es mindestens gerüchtehalber bekannt, dass Kriegsverbrechen im großen Umfang verübt wurden; davon zeugen Feldpostbriefe und Tagebücher ebenso wie offizielle Dokumente.
Auch in Deutschland selbst war das Unrecht der Nazi-Herrschaft für jedermann zu sehen. Ob einer nun wusste, dass die in den Viehwaggons steckenden, bei Nacht und Nebel aus ihren Wohnungen vertriebenen Menschen in die Gaskammern fuhren oder bloß „umgesiedelt“ wurden, wie es offiziell hieß, ist irrelevant.
Natürlich muss man aber auch fragen, was der einzelne tun konnte. In diesem Zusammenhang wird oft eingewandt, dass Strafmaßnahmen gegen Soldaten, die an Kriegsverbrechen teilzunehmen sich weigerten, eher selten waren; tatsächlich wurden Soldaten, die sich zu kämpfen weigerten, weit schwerer bestraft.
Je nach Quelle liegt die Zahl bei etwa 20.000 bis 50.000 Uniformträgern, wobei die Strafen von Degradierung über Abkommandierung in gefährlichere Verwendungen bis hin zu „Schutzhaft“ und Erschießung reichten. Aber: Wie konnte man wissen, ob man zu dieser Zahl gehören würde oder zur glücklichen Mehrheit?
Fakt ist, dass die Generation der Kriegsteilnehmer keine Wahl hatte als zu kämpfen, und: effektiv zu kämpfen. Dies war schon dem eigenen Überlebenstrieb geschuldet, Allein darin bereits einen Beitrag zum Nazi-Terror zu sehen, ist zynisch. Eine solche Kausalität wurde in den Nürnberger Prozessen mit gutem Grund verneint.
@Koffer
Danke.
Von Marwitz zu zitieren war wohl schlecht gewählt, vielleicht hätte ich es besser anders formuliert.
@Mackiavelli
2) MWn nicht wahr, die Wehrmacht bzw. ihre Soldaten wurden nicht unwissend unschuldig mißbraucht.
Die Wehrmacht wusste Bescheid, ihre eigenen Verbrechen haben sie wohl auch nicht bedacht.
1)My county to keep it right or set it right.
Das hat die Wehrmacht eben nicht getan, haben die meisten ihrer Soldaten nicht getan und auch eigene Verbrechen begangen.
Das diese Soldaten ihre Pflicht gegenüber ihrem Vaterland getan hätten ist IMHO falsch.
Jene Soldaten der Wehrmacht oder anderer Streitkräfte, die dem Widerstand geleistet haben, haben dies getan.
Selbst wenn die Wehrmacht keine eigenen Verbrechen begangen hätte, so hat sie doch Beihilfe geleistet.
Zwischen Verurteilen und Verdammen bis zu nicht ehren ist es ein weites Feld.
Persönliche Tapferkeit kann auch einen Verbrecher zu eigen sein und wenn die Nation unethisch handelt, ist ihrem Willen zu dienen unethisch.
IMHO haben jene dem deutschen Volk ehrenvoll gedient, die dem 3ten Reich Widerstand versucht haben zu leisten, jene eingeschlossen die ihm militärisch Widerstand geleistet haben, und dabei die Rechte und Freiheit anderer geachtet haben.
@ T.W.
Herrje, ein Lapsus in der Überschrift, der mir auch erst eben auffiel.
…Kaserne umbennen
[Ups, danke. Und vorher ist’s keinem aufgefallen…?! T.W.]
@ ThoDan:
Ich halte Ihre Gedankengänge für zu konstruiert und realitätsfern und insbesondere die daraus erwachsende ethische Sippenhaft, aller deutschen Soldaten, für unangemessen.
Lassen wir es dabei: We agree to disagree.
Mackiavelli sagt:
10.04.2021 um 17:29 Uhr
„Vielleicht ist ein derartig unbarmherziges Urteil über die eigenen Landsleute ja eine spezifische Eigenart unserer deutschen Gesellschaft. Wir wissen, alle dass das Urteil über deutsche Soldaten im Ausland wesentlich milder ausfällt und auch wir würden kein derartiges Urteil über tapfere Soldaten anderer Nationen aussprechen, die selbst zu keiner Zeit Unrecht begangen haben.“
Setzen Sie Ihren vorgenannten Sätzen eine Diskussion über NVA Soldaten vorraus. Welch hartes Urteil wird über diese ehemalige Soldaten gesprochen? Eigene Landsleute? Deutsche Soldaten? Die selbst zu keiner Zeit Unrecht begangen haben?
Ein Oberstleutnant der Reserve sagte auf einer Tagung der RAG Bundestag im Jahre 2014, bei selbstkritischer Vorbemkerung des General a.D. Hans-Peter von Kirchbach, „“Wir wollten uns einbringen in die deutsche Einheit. Wir waren eine deutsche Armee. Wir waren deutsche Soldaten.“
Es wird nur über ehemalige Wehrmachtsangehörige oder über Bundeswehrangehörige diskutiert. Fast als eine Art Gleichklang. Gab es nicht auch Deutsche, die als Soldaten in anderen Armeen gedient haben? Warum wurden deren Namen nie diskutiert? Deutsche, die in der Armee der USA oder Russlands gegen Hitler gekämpft haben? Deutsche Soldaten der NVA, die soldatische Tugend besaßen, zum richtigen Zeitpunkt Mensch zu sein und zu bleiben? Warum wurde das Handeln deutscher Offiziere des Bund Deutscher Offiziere nie als ehrenhaft gesehen? General Walther Kurt von Seydlitz-Kurzbach?
Solange in der „Bundeswehrblase“ keine Öffnung erfolgt, wird das Gedenken an deutsches Soldatentum innerhalb der gesamten deutschen Gesellschaft nicht verankert werden können.
@Mathias sagt: 11.04.2021 um 12:37 Uhr
„Gab es nicht auch Deutsche, die als Soldaten in anderen Armeen gedient haben?“
Ja, und einige davon sind vorbildhaft und traditionswürdig. Moltke d.Ä. z.B. (dänische Armee) oder Steuben (USA).
„Deutsche, die in der Armee der USA oder Russlands gegen Hitler gekämpft haben?“
Hoffentlich niemals! Soldaten deutscher Nationalität, die aktiv in Diensten anderer Staaten gegen Deutschland gekämpft haben und dabei deutsche Soldaten, die ihre Pflicht in deutschen Diensten erfüllten getötet haben können nicht traditionswürdig für deutsche Streitkräfte sein.
Ihre Beweggründe mögen persönlich zu rechtfertigen sein und keinesfalls darf man sie verurteilen, aber sie können nicht traditionsbegründend sein.
„Deutsche Soldaten der NVA, die soldatische Tugend besaßen, zum richtigen Zeitpunkt Mensch zu sein und zu bleiben?“
Solange sie nicht Widerstand gegen die SED und die DDR leisteten oder im Nachgang zur Wiedervereinigung sich anders um Deutschland verdient gemacht haben gilt für sie das selbe.
„Warum wurde das Handeln deutscher Offiziere des Bund Deutscher Offiziere nie als ehrenhaft gesehen? General Walther Kurt von Seydlitz-Kurzbach?“
Hochverräter, die im Dienste des Menschenschlechters Stalins tätig war??? Das kann doch wohl nicht Ihr ernst sein?!
„Solange in der „Bundeswehrblase“ keine Öffnung erfolgt, wird das Gedenken an deutsches Soldatentum innerhalb der gesamten deutschen Gesellschaft nicht verankert werden können.“
Ich denke nicht, dass das die „deutsche Gesellschaft“ besonders interessiert. Es ist für uns Soldaten wichtig, aber die breite Öffentlichkeit hat weder ein Interesse an soldatischen Traditionen noch ein Verständnis für die hohe Bedeutung von Traditionspflege.
[Ok, das ist Ihre Meinung:
Hochverräter, die im Dienste des Menschenschlechters Stalins tätig war??? Das kann doch wohl nicht Ihr ernst sein?!
Dann gilt aber erst recht, dass diejenigen, die im Dienst des Menschenschlächters Hitler tätig waren, nicht traditionswürdig sein können. Und damit hätten wir die Debatte ja grundlegend abgeschlossen. T.W.]
@Mackiavelli
Ich verwehre mich gegen die ethische Sippenhaft
@Koffer
Reden wir hier von jenen deutschen Soldaten, die vor dem Menschenschlechter Hitler geflohen sind, ihm Widerstand geleistet haben, deren Familienmitglieder von diesem Staat ausgeplündert, verfolgt und ermordet wurden?
Ich sehe jetzt nicht wo die Wehrmacht dem deutschen Volk gedient hat, ganz besonders nicht jenen Mitgliedern die vom 3ten Reich vertrieben, verfolgt und ermordet wurden.
Genau das sehe ich aber bei jenen deutschen Soldaten in westalliiertent Streitkräften!
Ähnliches sehe ich bei den Ratten von Tobruk….
Wo ist die Ritterlichkeit, die es gebietet einem ehrenvollen Feind ehrenvoll zu achten?
Selbst, Scharnhorst, Gneisenau und Blücher haben gegen deutsche Soldaten während der Befreiungskriege gekämpft genau wie Moltke d.Ä. während der Einigungskriege.
Von Otto dem Großen – zum letzten Stauferkaiser, welcher von ihnen hat nicht deutsche Soldaten getötet?
@T.W.
Sehe Sie ernsthaft keine Unterschiede zwischen deutschen Soldaten in deutschen Diensten und deutschen Soldaten in Stalins Diensten???
[Wird jetzt ein bisschen pervers, wenn Sie so argumentieren, dass Hitler ja nicht so schlimm war wie Stalin, oder? Wir stellen das an dieser Stelle auch in Ihrem Interesse ein. T.W.]
@Koffer sagt: 11.04.2021 um 16:53 Uhr
„[Wird jetzt ein bisschen pervers, wenn Sie so argumentieren, dass Hitler ja nicht so schlimm war wie Stalin, oder? Wir stellen das an dieser Stelle auch in Ihrem Interesse ein. T.W.]“
Sorry, aber weder denke ich das, noch habe ich das gesagt! Beides Verbrecher und Menschenschlächter.
Aber hier geht es nicht um den Vergleich dieser beiden Verbrecher, sondern um das soldatische Dienen DEU Soldaten.
Es geht also um den Unterschied zwischen DEU, die
a) persönlich vorbildhaft und soldatisch tapfer dem eigenen Land dienten (z.B. in Reichwehr, Kaiserreich, Befreiungskriegen etc.),
b) persönlich vorbildhaft und soldatisch tapfer dem eigenen Land dienten auch wenn es korrumpiert wurde, wie DEU in den 12 dunklen Jahren,
c) einem anderen, aber dem Guten dienenden Staat dienten (wie z.B. diejenigen DEU, die aus Überzeugung in die USA immigrierten und versuchten als US-Soldaten Europa zu befreien)
d) der DDR dienten und damit zwar einem Teil des eigenen Landes dienten, aber mit ihrem Dienst den anderen, freien Teil des eigenen Landes bekämpften oder sich darauf vorbereiteten es zu bekämpfen
e) einem fremden Staat, der zahllose Staaten unterdrückte, die eigenen Bevölkerung unterjochte und unter verbrecherischer Führung stand (und diese Sdt wie der BDO im NKFD überwiegend noch nicht einmal aus Überzeugung übergelaufen sind, sondern erst nach bereit erfolgter Gefangennahme)
Alle fünf Gradationen soldatischen Dienens außerhalb der Bundeswehr sind hinsichtlich ihres Vorbildcharakters problematisch. Aber doch offensichtlich sowohl soldatisch, als auch ethisch in unterschiedlicher Ausprägung und ich kam bisher noch nicht einmal ansatzweise auf die Idee, das jemand die Kategorie e) als traditionsstitfend für die Bundeswehr betrachten könnte.
Aber @Mathias tat das. Und dem habe ich widersprochen.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Das LTG 62 wird wohl den Namen „Hermann Köhl“ bekommen.
@ThoDan sagt: 11.04.2021 um 16:52 Uhr
Schwierige Frage. Deswegen ja Abwägung in jedem Einzelfall. Aber eben nur im Rahmen derjenigen, die überhaupt in Frage kommen und der BDO im NKFD ist halt außerhalb der Diskussion und Abwägung.
Die Debatte hier wird immer merkwürdiger.
1. Dass ein gebürtiger Deutscher, der am Weltkrieg auf Seiten der Alliierten teilnahm (gerade in den USA gab es deren einige), damit Deutschland grundsätzlich einen Dienst erwies, ist genauso trugschlüssig argumentiert wie die Behauptung, jeder Wehrmachtsangehörige habe grundsätzlich den Nazis einen Dienst erwiesen.
Nicht einmal jene Wehrmachtssoldaten, die doch allseits für traditionsstiftend erachtet werden – von den Widerstandskämpfern über „Gerechte unter den Völkern“ bis hin zu tragischen Helden wie Friedrich Lengfeld – kämen noch als Vorbilder infrage, würde der von manchen vorgeschlagene Maßstab ernsthaft angelegt.
Wollte man derart zynisch argumentieren, könnte man nämlich behaupten, dass jeder noch so kleine Soldat die Nazi-Kriegsmaschinerie vorangetrieben habe, und sei es in noch so geringem Maße. Freilich wurde diese Ansicht in den Nürnberger Prozessen mit gutem Grund verworfen.
Wie übrigens will man in diesem Zusammenhang moralisch ambivalente Personen wie Erwin Rommel bewerten?
Obwohl dem Nazismus nicht abgeneigt, stand Rommel (wahrscheinlich) dem Widerstand nahe und bewies Menschlichkeit, indem er zum Beispiel völkerrechtswidrige Befehle in Afrika nicht umsetzte. Zugleich war er der Architekt vieler Siege unter der Flagge der Nazis und politisch bestenfalls naiv.
2. Wahrscheinlich tue ich den Vertretern dieser Auffassung Unrecht, doch erscheint mir die Forderung, im Geschichtsbild der Bundeswehr dürften nur solche Wehrmachtssoldaten auftauchen, die der Diktatur widerstanden oder Verfolgten das Leben retteten, mehr und mehr als Echo der Nachkriegsmentalität, als plötzlich jedermann im Widerstand gewesen sein wollte.
Selbstredend fordere ich nicht, auch Militärpersonen fragwürdiger Moral zu ehren. Dennoch kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass hier die Taten einzelner vereinnahmt werden, weil man es nicht geschafft hat, der Bundeswehr ohne logische Brüche einen Platz in der Militärgeschichte zuzuweisen.
3. Selbstverständlich müssen die Streitkräfte prinzipiell dazu in der Lage sein, Soldaten allein wegen kriegerischer Leistungen als sinnstiftende Vorbilder zu erachten, insofern keine Untaten und Verfehlungen der Betreffenden dem entgegenstehen.
Und hier liegt, denke ich, der Hund begraben. Die Bundeswehr wagt es nicht, diesen Zusammenhang herzustellen. Wurde denn die Benennung einer Kaserne nach einem Träger des Ehrenkreuzes für Tapferkeit überhaupt schon einmal in Erwägung gezogen?
Wohlgemerkt, ich gehöre nicht zu denen, die hier den Verfall von Zucht und Ordnung bejammern wollen, Flachbildschirme, Umstandsmode für weibliche Soldaten – keineswegs! Gleichwohl erscheint mir diese Namenspickerei als etwas unaufrichtig, weil ich sie für eine Verlegenheitslösung halte.
Sicherlich hatte die Luftwaffe die ehrliche Absicht, Jürgen Schumann als Namenspatron zu ehren und als Vorbild zu empfehlen, aber war dies ihre hauptsächliche Absicht? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Aus ihrer Sicht müsste es naheliegendere Kandidaten gegeben haben, und seien es die SEAD-Piloten von 1999.
@M.H. sagt: 11.04.2021 um 20:45 Uhr
„Das LTG 62 wird wohl den Namen „Hermann Köhl“ bekommen.“
Ich bin zwar persönlich skeptisch hinsichtlich der Idee der Traditionsnamen von Einheiten (irgendwie fühlt sich das für mich anders an als bei Gebäuden und Kasernen und Straßen), aber wenn man es machen möchte, dann ist Hermann Köhl glaube ich eine ausgezeichnete Wahl.
Ich bin nicht ganz sicher, ob ich es richtig verstanden habe. Das dritte Reich war also korrumpiert – um Ihre deutlichen Worte zu gebrauchen – wogegen ein „fremder Staat, der zahllose Länder unterdrückte, die eigene Bevölkerung unterjochte und unter verbrecherischer Führung stand“ ja nur abgrundtief böse sein kann.
Wahrscheinlich war es sogar so, dass dieser Staat in Wahrheit unsere Heimat einfach so überfallen hat, um sie seinem Machtbereich einzuverleiben. Dann griff hier ja praktisch die Landesverteidigung. Das können wir heutigen auf gar keinen Fall schlechtheißen.
Wieder einmal merke ich, dass ich viel zu kompliziert denke. Es sind die einfachen Weltbilder, die uns wirklich glücklich machen. Darum will ich mir dieses von nun an auch zu Eigen machen.
Es scheint sich der Konsens herauszubilden, dass am Ursprungsthema kein weiteres Interesse besteht und jetzt etwas merkwürdige Debatten geführt werden?
Man muss gewisse Entscheidungen auch stets im Kontext der jeweiligen Zeit betrachten.
In den Gründungsjahren der BW war es i.o. Kasernen nach Soldaten der Wehrmacht zu benennen, weil ja auch ein Großteil des Personals in eben jener Wehrmacht gedient hatte. Über die Jahrzehnte hat man dann nicht weiter über das Thema nachgedacht…. dass hat man nun vor wenigen Jahren getan. Auch oder besonders im Kontext NSU, Rechtsterror, Fälle in der BW von Parallelstrukturen. Darauf hat man reagiert in dem halt klar geregelt wurde, was Tradition sein kann/darf.
Und vor ähnlichen Problemen stehen jetzt auch die US Streitkräfte die jetzt im Zuge einer Gesellschaftlichen Debatte #blacklifesmatter auch Mal darüber nachdenken müssen ob sie noch Standorte nach Soldaten der Konföderierten Armee benennen können die halt auch in Streitkräften gedient haben die einem verbrecherischen System gedient haben.
Also kein allein deutsches Problem.
@Muck:
In der Tat gab es schon vor dem Beginn der Auslandseinsätze in der Luftwaffe Piloten, die sich besonders ausgezeichnet haben, und zwar jene der F 104 (und auch anderer Flugzeuge, soweit mir erinnerlich), die ihr im Absturz begriffenes Flugzeug in Richtung unbewohnten Gebietes gelenkt haben, weswegen die eigene Rettung nicht mehr rechtzeitig gelang. Immerhin sind 108 Luftwaffenpiloten mit der F 104 tödlich verunglückt, darunter nicht wenige Helden.
Mit Schumann faehrt die Luftwaffe aus meiner Sicht richtig, aber Koehl? Und daran sieht man wieder, es ist ein Eiertanz mit diesen Benamsungen, warum tut man sich das an? Am Ende waren es alles normale Menschen, die bei naeherer Betrachtung bestimmt nicht sauberer aussehen oder besser riechen als andere. Diese Aufrechnungen, welches blutruenstige Regime weniger bultruenstig war als das andere, welchen Deutsche gedient haben: Abseitig. Eidesformel & Traditionserlass als Massstaebe heranziehen, bewerten, folgern, Aus! Nochmal: Alle, die DAMALS(!) Augen und Ohren hatten, wussten Bescheid.
Ich finde daher dieses ganze Personengebimmel auch im Falle Tresckow / Stauffenberg schon merkwuerdig, deren Biografien und Wertvorstellungen fragwuerdig bleiben, aber deren eine Tat nobel war; noch merkwurdiger wird es, wenn de-facto-Anschlagsopfer im Stabilisuerungsseinsatz Namensgeber fuer Liegenschaften, und Suizidopfer wie alle anderen, die in Ausuebung ihres Dienstes verstorben sind, als „Tote der Bw“ am Bendlerblock gelistet werden. Vor ein paar Jahren ist mal ein deutscher Oberst im Einsatz in einem Shelter auf seiner PC-Tastatur zusammengesackt, tot; der damals fuer dessen Heimatort zustaendige MdB ist dann mit Frau Oberst ein paar Wochen spaeter angereist und hat eine Erinnerungstafel ueber dem Schreibtisch aufgehaengt, an dem der DEU StOffz verschieden war. Es ist vieles oft gut gemeint, aber nicht immer zum Guten.
Ergo: Weg von Menschen, hin zu Taten und Orten. Dann werden die jeweiligen Akteure mitgeehrt, ohne dass deren Lebensballast gleich mit in die Waagschale gelegt wird.
Wenn man einzelne Menschen ehren moechte, dann zu deren Lebzeiten, wie es die Amis mit der „Medal of Honor“ oder auch die Briten mit dem „Victoria Cross“ machen: Fuer eine herausragende Einzeltat inklusive Privilegien vergeben, kann eine solche Auszeichnung niemals aberkannt werden, egal was fuer ein Schmutzfuss man danach wird. Aber bei Denkmaelern oder Kasernennamen ist das anders, wenn meine Kinder die Namen googlen, sollte da lieber im Summenzug kein „schlechtes“ Vorbild rauskommen.
@J10 sagt: 12.04.2021 um 16:02 Uhr
Ihre Position ist nicht neu und wurde ja auch schon von Beginn der Bw an von mancher Seite gefordert.
Durchgesetzt hat sie sich aber (bisher) nicht. Auch und gerade weil erhebliche Teile der Truppe sich weiterhin eine andere Traditionspflege wünschen.
Und der neue Traditionserlass bietet da zwar weniger Spielraum als ich mir das wünsche, aber sicherlich mehr als Sie favorisieren würden. Wie halt bei jedem Kompromiss…