Neue Vorwürfe gegen das KSK: Amnestieaktion für gehortete Munition?

Nachdem das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr im vergangenen Jahr vor allem wegen rechtsextremistischer Vorfälle in der Kritik stand, gibt es jetzt neue Vorwürfe gegen die Eliteeinheit: Straflos – und ohne Kenntnis des Ministeriums – sollen KSK-Soldaten die Möglichkeit bekommen haben, Munition abzuliefern, die sie zuvor rechtswidrig gehortet haben sollen.

Nach einem Bericht von NDR und WDR vom (heutigen) Freitag konnten KSK-Angehörige im Frühjahr vergangenen Jahres über Wochen gehortete Munition in so genannten Amnestieboxen abliefern, ohne dass sie Konsequenzen zu befürchten hatten. Nun ist das, wie Bundeswehrsoldaten berichten, nicht unbedingt ungewöhnlich und wird gelegentlich, wenn auch informell, in Einheiten praktiziert – allerdings mit Übungsmunition und nicht mit scharfer Munition und Sprengstoff.

Beim KSK hatte das jedoch, so der Bericht, eine andere Dimension. Mehrere zehntausend Schuss Munition und selbst Handgranaten sollen bei der Aktion bis April vergangenen Jahres zusammengekommen sein; beim straffreien Einsammeln der Munition kam offenbar wesentlich mehr zusammen als überhaupt formal vermisst worden war. Und im Gegensatz zu den Rechtsextremismus-Vorwürfen gegen den Eliteverband geht es diesmal nicht um einzelne Kommandosoldaten oder eine Kompanie, sondern die KSK-Spitze und ihren Kommandeur, Brigadegeneral Markus Kreitmayr:

Recherchen von NDR und WDR zeigen, dass die Kommandoführung des KSK in Calw selbst die Entscheidung traf. Das belegen interne Protokolle der Kommandoführung, die die Reporter einsehen konnten. Im Protokoll einer Sitzung von Führungskräften beim KSK ist von einer Frist zum 24. April 2020 die Rede: „Bis zum diesem Tag kann Fundmunition ohne negative Konsequenzen für die entsprechenden Soldaten […] abgegeben werden.“
In einem weiteren vertraulichen Dokument wird explizit das Stichwort „Amnestie“ aufgeführt. Darin vermerkt die Kommmandoführung, dass die Abgabe der Munition bis April vonstatten gehen sollte. Für weiteres „sicherheitsempfindliches“ Material wollte die Führungsriege in Calw ihren Untergebenen gar bis Oktober 2020 Zeit geben.

Falls es tatsächlich um Munition und Sprengstoff ging, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, stehen dann möglicherweise auch strafrechtliche Vorwürfe gegen die KSK-Spitze im Raum. Das Verteidigungsministerium und das Heer wollten sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern. Die Untersuchungen dazu liefen noch, sagte ein Sprecher des Heereskommandos.

Für die Spitze des Ministeriums ist dieser Vorfall nicht zuletzt deswegen peinlich, weil Generalinspekteur Eberhard Zorn im vergangenen Jahr in Abstimmung mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Vorschläge zur Reform des Spezialkräfte-Verbandes gemacht hatte – und Zorn im November einen weitgehend positiven Zwischenbericht vorgelegt hatte. In diesem Bericht war der oberste Soldat auch auf zuvor bekanntgewordene Fehlbestände von Sprengstoff und Munition beim KSK eingegangen:

Eine durch den Inspekteur des Heeres veranlasste Generalinventur durch Prüfpersonal der vorgesetzten Dienststellen und logistisches Fachpersonal der SKB hat die Aufklärung möglicher Ursachen der festgestellten Bestandsdifferenzen zum Ziel. Es wurden Inventurberichte, Bestandsberichtigungen, Meldungen, Berichterstattungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr sowie die Ergebnisse der durch die DSK veranlassten, unangekündigten Bestandsprüfung im Juni 2020 ausgewertet und mit dem urkundlichen Bestandnachweis im elektronischen Buchungssystem SASPF abgeglichen.
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass ein hoher Anteil der Abweichungen nachvollzogen werden konnte. Diese lassen sich vornehmlich auf eine unsachgemäße Buchführung zurückführen. Von den genannten 48.000 Munitionsartikeln im Unterbestand konnte bisher der Verbleib vonca. 29.000 Munitionsartikeln aufgeklärt werden. Diese waren auf Kontingente im Einsatz gebucht. Zu weiteren ca. 6.000 Munitionsartikeln (ebenfalls aus einem Einsatz) laufen derzeit noch Untersuchungen. Die 37.000 Munitionsartikel, die als Überbestand festgestellt wurden, sind nach weiteren Munitionsfunden auf etwa 50.000 Munitionsartikel angewachsen. Diese Munition ist sichergestellt und wurde mittlerweile sukzessive ordnungsgemäß in das logistische System vereinnahmt.
Es verbleiben allerdings absehbar Unterbestände in Höhe von 13.000 Munitionsartikeln und 62 Kilogramm Sprengmitteln, deren Verbleib sich nicht mehr mit absoluter Sicherheit bestimmen lassen wird. Anhaltspunkte für Diebstahl oder Unterschlagung dieser Artikel konnten bisher nicht identifiziert werden.

Eine recht detaillierte Aussage. Die allerdings nicht darauf hindeutet, dass Zorn oder die Führung des Heeres von der vorherigen Ablieferungs- und Amnestieaktion wussten. Deshalb wird spannend, ob und wie das Ministerium auf die neuen Vorwürfe reagiert – voraussichtlich spätestens am Mittwoch kommender Woche vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages, wo die Opposition auf mehr Informationen dringen dürfte.

Nachtrag, der Vollständigkeit halber: Hinweise auf diese Munitions-Amnestie hatte es bereits im Januar gegeben, als im Gerichtsverfahren gegen einen KSK-Oberstabsfeldwebel die Staatsanwaltschaft entsprechende Angaben machte. Die taz, die damals zuerst berichtet hatte, hatte dazu auch das Ministerium und das Kommando Heer gefragt – seit einem Monat ist das also auch dort bekannt, so dass die heutige Meldung vermutlich nicht ganz überraschend kam.

(Archivbild November 2020: Ein Kommandosoldat beim Training im Gelände – KSK/Bundeswehr)