Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft – ohne Deutschland, ohne Atomwaffenstaaten

Ein sehr grundlegender Abrüstungsvertrag ist in Kraft getreten – allerdings ist noch nicht abzusehen, ob er wirklich Folgen haben wird: Der so genannte Atomwaffenverbotsvertrag (Treaty to Prohibit Nuclear Weapons, TPNW) ächtet zwar Nuklearwaffen, aber ob diese Ächtung sich im Völkerrecht niederschlagen wird, ist noch offen. Die Atomwaffenstaaten und die ganze NATO, also auch Deutschland, sind diesem Vertrag nicht beigetreten.

Die deutsche Argumentation ist weiterhin (s. unten), dass mit dem Atomwaffenverbotsvertrag das Ziel einer atomwaffenfreien Welt nicht realistisch umgesetzt werden kann – und dass er Probleme schaffen werde, den bereits seit Jahrzehnten geltenden Atomwaffensperrvertrag (Nuclear Arms Proliferation Treaty, NPT, auch: Nichtverbreitungsvertrag) durchzusetzen. Oder ihn jedenfalls nicht noch weiter zu schwächen.

Die Debatte kulminiert natürlich am (heutigen) Freitag, weil da der neue Vertrag formal in Kraft getreten ist – nachdem er im vergangenen Jahr von 50 Staaten ratifiziert worden war. Warum damit zwar ein Atomwaffenverbot international vereinbart wurde, aber diese Waffen jetzt nicht mit Inkrafttreten des Vertrages einklagbar illegal sind, haben wir im vergangenen Dezember im Podcast Sicherheitshalber erläutert.

Das Inkrafttreten markiert aber mehr oder weniger den Startpunkt für eine Diskussion, die in Deutschland unter besonderen Vorzeichen geführt wird: Das Land ist zwar kein Atomwaffenstaat und hat sich im Atomsperrvertrag (und übrigens auch im Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Einheit) zum Verzicht auf diese Waffen verpflichtet. Zugleich ist die Bundesrepublik aber Teil der NATO mit ihrer nuklearen Abschreckung  und zudem in der so genannten nuklearen Teilhabe ein Bündnismitglied, auf dessen Territorium US-Atomwaffen lagern, die im Kriegsfall von deutschen Piloten ins Ziel gebracht werden sollen.

Zusätzliche Brisanz für die deutsche Debatte bekommt das Thema durch die anstehende Entscheidung, die für die nukleare Teilhabe genutzten und veralteten Tornado-Jagdbomber der Luftwaffe durch neue, ebenfalls zum Atombombeneinsatz geeignete Flugzeuge zu ersten. Und die Aussage der Regierungsfraktion CDU/CSU, an der nuklearen Teilhabe festzuhalten – während die Meinung beim derzeitigen Koalitionspartner SPD recht uneinheitlich ist. Und nicht zuletzt ist in diesem Jahr Bundestagswahl.

Vor diesem Hintergrund zum Nachlesen ein bisschen Material zum neuen Vertrag und dessen Inkrafttreten:

• das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) hat den neuen Vertrag, wenig überraschend, als wichtigen Meilenstein begrüßt. Die Stellungnahme in der deutschen Fassung:

Genf/New York (IKRK/IFRC) – Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung begrüsst das heutige Inkrafttreten des wichtigsten Instruments des humanitären Völkerrechts, mit dem Richtlinien gegen die katastrophalen humanitären Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen bzw. entsprechender Atomwaffentests geschaffen werden.
Der Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen verbietet ausdrücklich und unmissverständlich den Einsatz, die Androhung eines Einsatzes, die Entwicklung, die Herstellung, den Test und die Lagerung von Atomwaffen. Er verpflichtet alle Unterzeichnerstaaten dazu, niemanden auf keinerlei Art dabei zu unterstützen, zu ermutigen bzw. zu veranlassen, sich an durch diesen Vertrag verbotenen Aktivitäten zu beteiligen.
„Der heutige Tag ist ein Sieg für die Menschheit. Dieser Vertrag ist das Ergebnis von 75 Jahren Arbeit. Er sendet ein eindeutiges Signal, dass Atomwaffen aus moralischer, humanitärer und jetzt auch aus rechtlicher Sicht unakzeptabel sind. Mit diesem Vertrag werden noch höhere rechtliche Hürden und eine noch grössere Stigmatisierung nuklearer Sprengköpfe als bisher auf den Weg gebracht. So kann die Vorstellung einer Welt frei von diesen unmenschlichen Waffen zu einem erreichbaren Ziel werden“, erklärte Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).
Führende Personen des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds feiern das Inkrafttreten des Vertrags und würdigen alle 51 Staaten, deren Unterstützung für den Vertrag ihre Weigerung zeigt, Atomwaffen als unweigerlichen Bestandteil der internationalen Sicherheitsarchitektur zu akzeptieren. Gleichzeitig fordern sie andere Regierungschefs, darunter auch diejenigen der Atommächte, auf, dem Beispiel anderer Staaten zu folgen und ebenfalls den Weg in eine Welt frei von Waffen mit einer solch enormen Zerstörungskraft einzuschlagen.
Francesco Rocca, Präsident der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC), sagte: „Das Inkrafttreten dieses Instruments des humanitären Völkerrechts ist eine begrüssenswerte und kraftvolle Erinnerung daran, dass wir trotz der aktuellen globalen Spannungen selbst die grössten und schwierigsten Herausforderungen in einem echten Geist des Multilateralismus überwinden können. Wir sollten uns auf unsere Fähigkeit besinnen, unsere Einsätze wirksam zusammenführen und koordinieren zu können, während wir uns mit anderen globalen, tödlich endenden Herausforderungen auseinandersetzen müssen.“
Mit dem Vertrag werden die Staaten verpflichtet, Unterstützung bereitzustellen, darunter medizinische Versorgung, Rehabilitation und psychologische Hilfe für alle Betroffenen in ihrem Einzugsbereich gleichermassen, sowie sozioökonomische Inklusion zu gewährleisten. Ausserdem werden die Staaten aufgefordert, infolge des Einsatzes bzw. der Tests von Atomwaffen verseuchte Gebiete zu räumen.
„Es handelt sich um einen beispiellosen Fortschritt, sich der Folgen der Zerstörung durch diese Waffen anzunehmen. Die Debatte hat sich von den Gründen, Atomwaffen zu entwickeln und zu besitzen, hin zu den Waffen selbst und ihren katastrophalen humanen Kosten verschoben. Die Bemühungen zur Rechtfertigung des Einsatzes bzw. der blossen Existenz dieser Waffen werden zunehmend hinfällig, da es extrem zweifelhaft ist, dass Atomwaffen jemals im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht eingesetzt werden können“, so Peter Maurer weiter.
Der Vertrag tritt zu einer Zeit in Kraft, in der die Welt Zeuge wird, was passiert, wenn die öffentlichen Gesundheitssysteme Mühe bekunden, einen enormen Ansturm an Patienten zu bewältigen. Die Bedürfnisse infolge einer nuklearen Explosion würden jegliche sinnvolle medizinische Versorgung unmöglich machen. Kein Gesundheitssystem, keine Regierung und keine Hilfsorganisation ist in der Lage, angemessen auf die medizinischen und anderen Hilfsbedürfnisse infolge eines potenziellen Nuklearangriffs zu reagieren.
Die Annahme aggressiverer Richtlinien zu Atomwaffen durch die Atommächte sowie die anhaltende Modernisierung des Nuklearwaffenarsenals weisen mit Sorge auf ein wachsendes Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen hin. Deshalb ist dringend geboten, dass wir jetzt handeln, um in erster Linie eine nukleare Explosion zu verhindern, indem jeglicher Einsatz bzw. jegliche Tests von Atomwaffen erst gar nicht in den Bereich des Möglichen gelangen.
Die Vertragsparteien, deren erstes Treffen im Laufe des Jahres 2021 geplant ist, müssen nun die getreue Umsetzung der Vertragsbestimmungen sicherstellen sowie die Einhaltung und umfassende Umsetzung des Atomwaffenverbotsvertrags und anderer Verträge mit ähnlichen Zielen fördern.
„Der Vertrag stellt uns alle vor eine wirklich einfache Frage: Wollen wir Atomwaffen verbieten oder nicht? Zusammen mit unseren nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften stehen wir bereit, unsere Bemühungen zu verstärken, eine möglichst umfassende Einhaltung des Vertrags zu erreichen und auf seiner Vision einer kollektiven Sicherheit zu bestehen. Das Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags bildet den Anfang und nicht das Ende unserer Bemühungen“, sagte Francesco Rocca.
(Hier in voller Länge zitiert, weil auf der Webseite nur die englische, französische und spanische Fassung vorhanden sind)

Der Enthusiasmus wird in Deutschland nicht durchgängig geteilt – insbesondere nicht von der Bundesregierung. Einige Stimmen dazu:

• Jonas Schneider von der Stiftung Wissenschaft und Politik:
Warum Deutschland den Kernwaffenverbotsvertrag nicht unterstützen sollte
Kernsatz: Doch an diesem Vertrag ist leider Vieles falsch. Berlin sollte daher weder den Vertrag unterschreiben noch vermitteln, denn es ergibt strategisch keinen Sinn und wäre für Deutschland und seine Verbündeten sogar riskant. Drei nüchterne Realitäten sprechen gegen einen Kurswechsel.

• Oliver Meier vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg
Weder Beitritt, noch Ablehnung: Deutschland und der Atomwaffenverbotsvertrag
Kernsatz: Der AVV ist der erste moderne multilaterale Abrüstungsvertrag, den die Bundesrepublik Deutschland rundherum ablehnt und dessen Aushandlung sie ferngeblieben ist. Mit dieser Verweigerungshaltung vergibt die Bundesregierung Gelegenheiten, die vom AVV ausgehenden positiven Abrüstungsimpulse für eine atomwaffenfreie Welt zu nutzen. Auch wenn ein Beitritt gegenwärtig nicht sinnvoll ist, sollte Deutschland auf eine proaktive Politik des konstruktiven Engagements mit dem AVV umschwenken und so abrüstungspolitische Handlungsspielräume gewinnen.

• Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages kommen interessanterweise in einer aktuellen Ausarbeitung vom 19. Januar zu dem Ergebnis, dass der nicht zuletzt von der Bundesregierung genannte Gegensatz zwischen Atomwaffenverbots- und Atomwaffensperrvertrag so nicht besteht:
Zum rechtlichen Verhältnis zwischen Atomwaffenverbotsvertrag und Nichtverbreitungsvertrag
Kernsatz: Der Atomwaffenverbotsvertrag unterminiert den Nichtverbreitungsvertrag (NVV) nicht, sondern ist Bestandteil einer gemeinsamen nuklearen Abrüstungsarchitektur. Der Atomwaffenverbotsvertrag ist daher auch kein Hemmnis für die nukleare Abrüstung, hätten die NVV-Staaten nur den politischen Willen dazu.

• Die Bundesregierung sieht das weiterhin anders, wie Andrea Sasse am Tag des Inkrafttretens für das Auswärtige Amt vor der Bundespressekonferenz deutlich machte:

Frage: Heute tritt der Atomwaffenverbotsvertrag global in Kraft. Mich würde interessieren, ob es stimmt, dass das der erste Abrüstungsvertrag in der Geschichte ist, der ohne die Bundesrepublik in Kraft tritt.
Ihr Argument dafür, sich nicht daran zu beteiligen, ist ja, an der nuklearen Abschreckung festzuhalten, während es ja auch andere Staaten gebe, die zum Beispiel Deutschland mit Atomwaffen bedrohen. Können Sie einen Staat nennen, von dessen Atomwaffen sich die Bundesrepublik bedroht fühlt?
Sasse: Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege. – Es ist richtig: Der Atomwaffenverbotsvertrag tritt heute in Kraft. Soweit ich weiß, hat sich Herr Seibert Ende Oktober letzten Jahres ausführlich zu dem Thema geäußert. Das war der Beginn der Frist, die heute eben abgelaufen ist, hinsichtlich des Inkrafttretens des Vertrags.
Noch einmal grundsätzlich zur Einordnung: Wir müssen zwischen dem Atomwaffenverbotsvertrag und dem Atomwaffensperrvertrag oder auch Nichtverbreitungsvertrag unterscheiden, der bereits seit 1970 in Kraft ist. Auch diesen Unterschied hat Herr Seibert in der Vergangenheit bereits mehrfach erläutert.
Es geht darum, dass wir uns alle im Ziel einig sind. Ziel ist und bleibt für uns eine atomwaffenfreie Welt. Das ist ein Kernanliegen der Bundesregierung. Daran hat sich nichts geändert. Wir sind uns allerdings nicht mit allen Staaten der Welt einig, was den Weg angeht, auf dem man dieses Ziel erreichen kann. Aus Sicht der Bundesregierung muss nämlich eben auch die sicherheitspolitische Realität berücksichtigt werden. Zum einen geht es beim Atomwaffenverbotsvertrag eben nicht um die Nuklearstaaten, also die Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen. Die sind bisher nicht beim Atomwaffenverbotsvertrag dabei. Außerdem sind wir als Nato-Mitglied bestimmten Bündnisverpflichtungen unterworfen, die sich unter anderem auf die nukleare Teilhabe beziehen. Auch diese Realität müssen wir bei unserer Abwägung der Positionen berücksichtigen.
Wir sind deswegen der Meinung, dass, solange keiner der Nuklearwaffenstaaten überhaupt beim Atomwaffenverbotsvertrag dabei ist, dies für uns nicht der erfolgversprechendste Weg ist. Wir haben andere Möglichkeiten. Noch einmal: Unser Ziel einer atomwaffenfreien Welt ist klar. Wir setzen uns auf allen möglichen Wegen für eine Stärkung der internationalen und globalen Sicherheits- und Abrüstungsarchitektur ein, aber wir suchen eben andere Wege als den Atomwaffenverbotsvertrag, der aus den Gründen, die ich gerade geschildert habe, aus unserer Sicht nicht der richtige Weg ist.
Was Ihre Frage danach angeht, ob das der erste Vertrag ist, dem die Bundesregierung nicht folgt, muss ich Ihnen die Antwort nachreichen.
Zusatzfrage: Von wessen Atomwaffen fühlt sich Deutschland bedroht?
Sasse: Es geht nicht darum, von wessen Atomwaffen wir uns bedroht fühlen. Es geht darum – das Ziel habe ich erläutert -, wie wir grundsätzlich für eine atomwaffenfreie Welt eintreten. Das betrifft Bedrohungen aus allen möglichen Richtungen. Es geht uns darum – das ist ein Kernanliegen der Bundesregierung und auch im Koalitionsvertrag so festgehalten worden -, dass wir grundsätzlich für eine atomwaffenfreie Welt sowie für eine Stärkung der Sicherheitsarchitektur und der Abrüstung eintreten, und das versuchen wir auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen. Außenminister Maas war erst vor Kurzem in Jordanien und hat sich dort mit den Mitgliedern der sogenannten Stockholm-Initiative ausgetauscht. Auch dabei ging es um Abrüstung. Wir setzen uns wie gesagt auf unterschiedlichen Wegen dafür ein.
Frage: Frau Sasse, wenn Sie sagen, die Bundesregierung sage, der bestehende Atomwaffensperrvertrag sei sozusagen das beste Sicherheitsinstrument, wäre es dann nicht sinnvoll, dass die Bundesregierung zum Beispiel Israel auffordert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten – das ist ja bislang noch nicht erfolgt -, oder der IAEO die Möglichkeit zu eröffnen, vor Ort zu kontrollieren, was auch noch nicht erfolgt ist? Wenn Sie also auf den Atomwaffensperrvertrag setzen, müssen Sie dann nicht aktiver dafür sorgen, dass er überall dort zum Einsatz kommen, wo Atomwaffen vorhanden sind?
Sasse: Zum einen, noch einmal gesagt: Es gibt unterschiedlichste Instrumente. Der Atomwaffensperrvertrag ist eines dieser Instrumente, mit denen wir uns für das Ziel der Abrüstung einsetzen. Unsere Position zum Nichtverbreitungsvertrag hat Herr Seibert an dieser Stelle zuletzt im Oktober sehr deutlich klargemacht. Es geht bei dem Atomwaffensperrvertrag darum, Verhandlungen über eine vollständige Abrüstung in der Welt zu beginnen. Wir möchten diesen Vertrag weiter stützen. Auch das werden wir im Rahmen der nächsten Konferenz über den Nichtverbreitungsvertrag im Herbst dieses Jahres tun. Das ist unsere Position.
Zusatzfrage: Beinhaltet diese Position auch eine Aufforderung an Israel, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen?
Sasse: Der Atomwaffensperrvertrag – nicht der Nichtverbreitungsvertrag – zählt für uns wie gesagt zu einem der wichtigsten Instrumente der globalen Sicherheitsarchitektur. Wir fordern alle Staaten der Welt auf, diesem Vertrag beizutreten.

Die von Sasse erwähnten Aussagen von Regierungssprecher Steffen Seibert im Oktober sind hier dokumentiert.

(Foto: Helfer des Deutschen Roten Kreuzes bei einer Atomkriegsübung in der Bundesrepublik Deutschland des Kalten Krieges – Undatiertes Archivfoto des ICRC)