Dokumentation: Deutschland bleibt beim Nein zum Atomwaffenverbotsvertrag (mit Ergänzung)

Die Vereinten Nationen hatten 2017 einen Vertrag zum Verbot der Entwicklung und Nutzung von Atomwaffen beschlossen – und der ist seiner Umsetzung in internationales Recht am Wochenende einen Schritt näher gekommen: Honduras ratifizierte als 50. Land den Atomwaffenverbotsvertrag, der so im Januar 2021 in Kraft tritt. Die meisten Atomwaffenstaaten, aber auch alle NATO-Mitglieder und damit auch Deutschland lehnen einen Beitritt zum Vertrag ab. Warum, hat Regierungssprecher Steffen Seibert am (heutigen) Montag vor der Bundespressekonferenz noch einmal erläutert:

Frage: Zum Thema Atomwaffen: Letzte Woche gab es dazu etwas Neues. Honduras hat als 50. Staat der UN den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen ratifiziert. Damit wird das UN-Atomwaffenverbot binnen 90 Tagen in Kraft treten, und Deutschland wird nicht Teil dieses Vertrages sein.
Zunächst eine Lernfrage: Ist das der erste internationale UN-Völkerrechtsvertrag, an dem Deutschland nicht teilnimmt?
Wann planen Sie, diesem Vertrag beizutreten und ihn zu ratifizieren?

Seibert: Ich denke, man muss einmal etwas Grundsätzliches dazu sagen, damit es auch bei denen, die uns jetzt zuhören, nicht zu Verwechslungen kommt.
Wir müssen zwischen dem Atomwaffensperrvertrag und dem Atomwaffenverbotsvertrag unterscheiden. Der Atomwaffensperrvertrag oder der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag, wie er auch genannt wird, ist von den fünf Atommächten – USA, Frankreich, China, Großbritannien und Sowjetunion – initiiert worden und hat mittlerweile über 190 Vertragsstaaten. Der Kern dieses Atomwaffensperrvertrages ist es, dass die Nationen, die nicht im Besitz von Kernwaffen sind, auf deren Erwerb auch verzichten. Deutschland hat diesen Vertrag schon 1970 ratifiziert.
Der Atomwaffenverbotsvertrag, über den Sie und wir hier nun reden, hat zum Ziel, die Entwicklung, die Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und den Einsatz von Kernwaffen zu verbieten.
Wir haben hier häufig unsere Haltung zur Situation nuklearer Bewaffnung dargestellt. Die Situation in der Welt zeichnet eben ein anderes Bild als der Atomwaffenverbotsvertrag. Wir dürfen nach unserer festen Überzeugung nicht die Augen davor verschließen, dass nukleare Waffen von einigen Staaten weiterhin als Mittel der militärischen Auseinandersetzung betrachtet werden. Solange das so ist und Deutschland und Europa davon auch bedroht sind, besteht aus unserer Sicht die Notwendigkeit zum Erhalt einer nuklearen Abschreckung vor. Diese leistet die Nato für uns. Die Bundesregierung steht unverändert und in vollem Umfang zur defensiv ausgerichteten Nuklearstrategie der Nato. Vor diesem Hintergrund ist Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beigetreten.

Frage: Setzt sich die Regierung immer noch für eine atomwaffenfreie Welt ein? Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Seibert, dass auch Deutschland immer noch Atomwaffen als Mittel militärischer Auseinandersetzung sieht? Sie sind ja Teil der Nato, und die Nato sieht das ja auch so.

Seibert: Sie möchten jetzt, dass wir etwas wiederholen, was wir hier wirklich viele Male dargelegt haben, nämlich unsere Überzeugung, dass wir uns natürlich eine atomwaffenfreie Welt wünschen, wir aber auch die Realitäten sehen. Wir sehen, dass einige Staaten nukleare Waffen nach wie vor als ein Mittel der militärischen Auseinandersetzung betrachten und dass deswegen eine nukleare Abschreckung, wie die Nato sie gewährleistet, derzeit noch notwendig ist. Solange das so ist, hat Deutschland auch ein Interesse daran, an allen strategischen Diskussionen und Planungsprozessen innerhalb der Nato teilzunehmen. Das ist der Grund, warum wir dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beitreten, während wir dem Atomwaffensperrvertrag seit 50 Jahren angehören.

Zu diesem Thema auch nachlesenswert:

Oliver Meier
Vereinte Nationen beschließen Atomwaffenverbot
Ein neuer Vertrag spaltet die Staatenwelt, bietet aber auch Chancen zur Abrüstung
SWP Aktuell, Juli 2017
https://www.swp-berlin.org/publikation/vereinte-nationen-beschliessen-atomwaffenverbot/

Nukleare Rüstungskontrolle in der Krise
Metis Studie Nr. 18, August 2020
https://metis.unibw.de/img/publications/18_08-2020_nukleare_ruestungskontrolle.pdf

International Campaign to Abolish Nuclear weapons (ICAN) Deutschland
Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen tritt in Kraft – Auswirkungen und Hintergrund, Oktober 2020
https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2020/10/20-10-23_AVV_Inkrafttreten.pdf

Ergänzung: Da es in den Kommentaren angesprochen wird, ein weiterer Punkt aus der Bundespressekonferenz zum Thema Atomwaffen mit Aussagen von Andrea Sasse vom Auswärtigen Amt:

Frage: Eine Frage an Frau Sasse und Herrn Seibert: Russlands Präsident Vladimir Putin hat die Nato-Staaten zu einem Verzicht auf die Stationierung landgestützter atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen aufgerufen. Im Gegenzug wolle Moskau seine Mittelstreckenwaffen des Typs 9M729 nicht im europäischen Raum aufstellen, sagt Putin.
Wie bewertet die Bundesregierung diese Äußerung?

Sasse: Uns sind diese Meldungen hinsichtlich des russischen Präsidenten bekannt. Das ist auch nicht neu. Russland hat bereits in der Vergangenheit mehrfach ein solches Moratorium oder den Verzicht angekündigt. Nato-Generalsekretär Stoltenberg hat sich unter anderem vergangenes Jahr dazu geäußert. Vor dem Hintergrund, dass es ja Russland selbst war, das aus dem INF-Vertrag ausgestiegen ist, hat Nato-Generalsekretär Stoltenberg diesen möglichen Verzicht für unglaubwürdig gehalten. Wir schließen uns dieser Einschätzung an.

(Archivbild September 2017: Signing Ceremony for the „Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons“ in New York – UN Photo/Kim Haughton)