Fürs Archiv: Abzug aus Kunduz komplett
Die Soldaten der internationalen Resolute Support Mission (RSM) – und damit auch die der Bundeswehr – sind vollständig aus der nordafghanischen Stadt Kunduz abgezogen. Die Verlegung nach Masar-e-Scharif sei abgeschlossen, teilte das Einsatzführungskommando der Bundeswehr am (heutigen) Donnerstag mit. Damit ist ein weiterer Schritt des – planmäßigen – Abzuges aus Afghanistan komplett.
Aus der Mitteilung der Bundeswehr auf der Webseite des Einsatzführungskommandos:
Das durch die Bundeswehr geführte Train, Advise and Assist Command-North (TAAC-N) hat am 15. November 2020 begonnen, sein Beratungsteam und mit ihm sämtliche unterstützende Elemente vom Camp Pamir in Kundus in das Camp Marmal nach Masar-i Scharif zurückzuverlegen. Die bisher genutzte Infrastruktur bleibt im Camp aber weiter nutzbar.
Grundlage dafür ist eine bereits im Sommer getroffene operative Entscheidung des Kommandeurs der Resolute Support Mission zur stärkeren Straffung des Einsatzes.
Um den größtmöglichen Schutz der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten gewährleisten zu können, werden derartige militärische Operationen unter Geheimhaltung durchgeführt.
Grundsätzlich bleibt der Beratungsauftrag (Train, Advise Assist) für das 217. Korps der Afghan National Army unverändert bestehen. Es ändert sich nur die Art der Durchführung, neben einer Beratung per Video-Telefonie oder Telefonkonferenzen hin zu einem sogenannten „Fly to Advise“. Dazu wird das Camp Pamir in Kundus dann von den Beratungskräften tageweise genutzt.
Der Kommandeur der Resolute Support Mission, der US-General Scott Miller, hatte den entsprechenden Befehl zur Schließung des Außenpostens Kunduz bereits Anfang Oktober gegeben. Zuletzt waren im Camp Pamir nahe der Stadt rund 120 deutsche Soldaten stationiert, die zur Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte eingesetzt wurden.
Was die Bundeswehr als Straffung des Einsatzes bezeichnet, ist faktisch das schrittweise Zurückfahren der internationalen Mission. Mit einem absehbaren Zeitrahmen: Ende Februar hatten die USA und die Taliban vereinbart, dass sowohl die US-Truppen als auch die Soldaten anderer Länder bis Ende April 2021 vom Hindukusch abgezogen sein sollen.
Zwar ist ein Teil dieser Vereinbarung, dass die Taliban ihre Angriffe auf die ausländischen Soldaten einstellen – aber daran haben sich, so weit bekannt, die Aufständischen sorgfältig gehalten. Dagegen gingen ihre Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte, die dann auch Zivilisten trafen, unvermindert weiter oder wurden sogar noch gesteigert.
Die internationalen Truppen bereiten sich längst auf dieses Ende vor – so hat zum Beispiel die Bundeswehr schon im Sommer Spezialisten nach Masar-e-Scharif geschickt, die mit so genanntem aggressive housekeeping feststellen sollen, welches Material nach Deutschland zurückgebracht werden muss und was im Lande bleiben soll, an die Afghanen abgegeben oder letztendlich vernichtet wird.
Allerdings gibt es durch das Vorgehen des noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump gewisse Unwägbarkeiten. So hatte der von Trump geschäftsführend eingesetzte Verteidigungsminister Christopher Miller vergangene Woche einen Abzug von 2.500 US-Soldaten bis Mitte Januar angekündigt. Noch ist unklar, welche Truppenteile abgezogen werden und wie sich das auf die Verbündeten auswirkt, die auf Fähigkeiten der USA angewiesen sind.
> sind vollständig aus der nordafghanischen Stadt Kunduz abgezogen.
> Die Verlegung nach Masar-e-Scharif sei abgeschlossen
> Damit ist ein weiterer Schritt des – planmäßigen – Abzuges aus Afghanistan komplett.
Ähm… das könnte jetzt überraschend kommen aber Kundus (deutsche Transkription, Kunduz ist die englische Transkription, die englische Transkription würde man auf deutsch Kundutz aussprechen und so heißt die Stadt nicht) liegt in Afghanistan und Masar-e-Sharif auch. Das ist kein Abzug aus Afghanistan, ein kompletter gleich gar nicht, das ist eine Verlegung in Afghanistan. Sieht man genau hin, nichtmal das, denn das Ministerium legte Wert darauf, zu verlautbaren, dass der Standort in Kundus beibehalten wird. Abzug ist, wenn man geht.
Muss sich das widerlich anfühlen für die Veteranen. Zwischen 2009 und 2011 konnte die Bundeswehr echte militärische Erfolge erzielen. All ihre Mühen, all die Toten – weggeworfen, weil die Politik nicht den langen Atem, den nötigen Mut besaß, das Angefangene zu Ende zu bringen.
@Abzug ist weggehen, bleiben ist nicht Abzug & all
Jetzt droht natürlich die gleiche Debatte wie schon 2013/2014 und der Streit um Begriffe; das nächste wird das Redeployment, um ja nicht von Abzug zu reden…
Natürlich kann man jetzt um die Begriffe kämpfen, um es schönzureden, und den jetzt vollzogenen Abzug aus Kunduz als noch nicht mal eine Verlegung ansehen, weil das Camp Pamir ja bleibt. Ich würde dennoch dringend den Blick auf die Realität anraten und die Formulierung in der Vereinbarung zwischen den USA und den Taliban nicht übersehen:
1) The United States, its allies, and the Coalition will complete withdrawal of all remaining forces from Afghanistan within the remaining nine and a half (9.5)months.
2) The United States, its allies, and the Coalition will withdraw all their forces from remaining bases.
Vor dem Hintergrund wirkt diese Debatte um die Begrifflichkeiten, die ja niemanden verletzen dürfen, etwas surreal.
„… denn das Ministerium legte Wert darauf, zu verlautbaren, dass der Standort in Kundus beibehalten wird.“
Wie sähe denn eine Wieder-Inbetriebnahme aus? Durchgang EOR/EOD und das ganze MilSichh-Paket?
„Muss sich das widerlich anfühlen für die Veteranen. Zwischen 2009 und 2011 konnte die Bundeswehr echte militärische Erfolge erzielen. All ihre Mühen, all die Toten – weggeworfen, weil die Politik nicht den langen Atem, den nötigen Mut besaß, das Angefangene zu Ende zu bringen.“
Immer schön zurück blicken, dann geht’s allerdings auch nicht vorwärts. Wie lange ist denn langer Atem? 100 Jahre? Und wieviel Tote will ich noch, damit sich die schon Toten rechnen? Hoffentlich geht dieses Drama Anfang 2021 zu Ende. Die Russen haben nicht so lange gebraucht, um zu dem Entschluss zu kommen.
„Muss sich das widerlich anfühlen für die Veteranen. Zwischen 2009 und 2011 konnte die Bundeswehr echte militärische Erfolge erzielen. All ihre Mühen, all die Toten – weggeworfen, weil die Politik nicht den langen Atem, den nötigen Mut besaß, das Angefangene zu Ende zu bringen.“
Sicherlich, jeder gefallene Soldat ist einer zu viel. Hieran gibt es nichts zu diskutieren.
Aber ich denke, dass man auch Realist sein muss: Eine zielführende Strategie, um in AFG ein für alle mal eine funktionierende Ordnung herzustellen, vielleicht auch noch nach unserem Verständnis einer Staatsordnung, wird es nicht geben. Hier sind schon viele gescheitert, die von extern kamen.
Ich persönlich habe da auch nie dran geglaubt.
@T.Wiegold
Zitat: „The United States, its allies, and the Coalition will complete withdrawal […]“
– Mal nebenbei gefragt, wissen Sie zufällig, ob die USA überhaupt ein Mandat erhielten, für ihre „allies“ mit den Taliban zu verhandeln? Mir ist natürlich klar, dass ISAF bzw. RS ohne Uncle Sam keinen Sinn ergeben, aber klar ist auch: Derartige Verhandlungen kommen einer Anerkennung der Taliban gleich, und mich wundert die geringe Medienresonanz in dieser Hinsicht.
Withdrawal wird in den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen als Rückzug übersetzt. Das ist aber strategisch gemeint. Aber Wortklauberei ändert an der Gesamtsituation nichts. Wie es aussieht, war alles umsonst. Der Wille zur Veränderung muss aus dem Land selbst kommen. Aber da werden die oberen 10000, die Nachbarschaft und alle, die ein Interesse daran haben, dass sich da nicht allzu viel ändert, wohl einen Riegel vorschieben. Wie der eine oder andere bei anderen Themen schon angemerkt hat, war dieses Land schon mal viel weiter. Mal sehen, was in 12 Monaten da los ist.
Aktuell dazu von der Washington Post:
The United States has closed at least 10 bases around Afghanistan. But drawdown details remain murky.
Die Nimitz-Carriergroup verlegt zurück in den Golf.
Auftrag, Deckung des Truppenabzugs aus dem IRAK und aus AFGHANISTAN. Sicherlich eine der letzten strategischen Entscheidungen von Trump.
Angesichts des tödlichen Attentats gegen den „Vater der iranischen Nuklearindustrie“ Mohsen Fakhrizadeh von heute, sicherlich auch eine Maßnahme der Abschreckung gegen die Mullahs.
@TheLeadCNN
U.S. Aircraft carrier moving back into Persian Gulf for cover to troops
https://twitter.com/i/status/1332447963101192194
> Aber ich denke, dass man auch Realist sein muss: Eine zielführende Strategie, um in AFG ein für alle
> mal eine funktionierende Ordnung herzustellen, vielleicht auch noch nach unserem Verständnis
> einer Staatsordnung wird es nicht geben.
Eine solche Strategie wurde oft angewendet und hat oft funktioniert. Ich erinnere an Studien aus dem Jahr 2002 daß eine Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung in Afghanistan 40.000 ausländische Soldaten benötigt die Fähigkeiten zur Verfügung stellen die den afghanischen Streitkräften fehlen. Diese Zahl kann über einen Zeitraum von 40 Jahren langsam rückgebaut werden. Nominell ist Resolute Support halbwegs im Zeitrahmen, eigentlich hat nur das Phänomen Trump den Plan ins Schlingern gebracht der übereilt Truppen abzieht und die Unterstützung für die afghanische Regierung seit Jahren schleifen läßt für hoffnungslose Friedensgespräche mit Fanatikern.
Dabei geht es nicht um riskante klassische infanteristische Fähigkeiten, die haben die Afghanen selbst im Griff, Es geht um Ausbildung, Lufthoheit, Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge, Planung, Aufklärung, Korruptionsprävention,, also durchwegs Aufgaben mit niedrigem bis keinem Risiko. Erst wenn jemand in der Planung gepennt hat braucht man wirklich westliche Infanterie an der Front.
Das das funktioniert hat man im Nachkriegsdeutschland gesehen, im Kosovo, oder ganz frech gesagt auch Uigurien, Tibet.
@Wait&C: Zustimmung zur Nachkriegszeit BRD.
Uiguren? 1000000 Menschen in Konzentrationslagern, Hinweise auf Zwangsarbeit.
Tibet? Ein Tal der Tränen.
Ja, man hat im Rahmen der Strategie zur Bekämpfung des Islamistischen AfPak Konglomerat die Entscheidung getroffen, nicht auf ein halbes bis ein Jahrhundert mit 50.000 Soldaten in rotation dort zu bleiben.
Kosovo ist da schon viel näher und ähnliches wäre im Bereich Levante (Syrien) evtl noch vermittelbar gewesen.
Und ja, der Feind hat das auch wahrgenommen analog zu Insurrogaten im Irak und die Lage ausgesessen.
Aber eins wissen die nach 20 Jahren in Afghanistan: Angriffe auf Nato Allierte gibt Episch eine in die Fresse.