Vergabeverfahren fürs neue Sturmgewehr: Mitten im Patentstreit
Mit der geplanten Auftragsvergabe für das neue Sturmgewehr der Bundeswehr sind das Beschaffungsamt der Streitkräfte und das Verteidigungsministerium mitten in einen Patentstreit der beiden Waffenfirmen Heckler&Koch und C.G.Haenel geraten. Dabei geht es um ein Patent, das Heckler&Koch angemeldet hatte und durch Waffen seines Konkurrenten verletzt sieht. Der Streit wird bereits vor Gericht ausgefochten.
Am vergangenen Freitag hatte das Ministerium mitgeteilt, das Vergabeverfahren für 120.000 Sturmgewehre mit dem Zuschlag für die Waffe MK556 der Thüringer Firma C.G.Haenel werde vorerst gestoppt. Als Grund wurde eine mögliche Patentrechtsverletzung durch die Firma C.G. Haenel genannt. Zuvor war Mitte September nach einer dreijährigen Ausschreibung dieses Sturmgewehr ausgewählt worden; Heckler&Koch kam mit seinen Angeboten der Sturmgewehre HK416 und HK433 nicht zum Zuge.
Die vom Ministerium genannte mögliche Patenrechtsverletzung war schon vor dem Zuschlag für die Thüringer Firma Gegenstand einer Klage von Heckler&Koch gegen Haenel. Beim Landgericht Düsseldorf ging bereits im August, noch vor der Entscheidung über das neue Sturmgewehr der Bundeswehr, eine entsprechende Klage von Heckler&Koch ein (Aktenzeichen 4a O 68/20). Dabei beruft sich die Oberndorfer Waffenschmiede auf das bereits 2007 angemeldete Patent für ein Waffenverschlusssystem (EP 2 018 508 B1), das den Gebrauch des Gewehrs auch nach Untertauchen im Wasser sicherstellen soll:
Allgemein haben Feuerwaffen, Gasdrucklader, Rückstoßlader und auch manuelle Repetiersysteme den Nachteil, daß sie bei einem Einsatz aus einer Flüssigkeit heraus, beispielsweise bei einem Auftauchen aus dem Meer, bzw. nach einem Eintauchen oder nach einem Aufenthalt in einer Flüssigkeit, nicht funktionssicher, zumeist überhaupt nicht funktionsfähig sind. Die Flüssigkeit, insbesondere Wasser, dringt nämlich in das Waffeninnere, insbesondere das Waffenverschlußsystem, ein. (…)
Dringt Flüssigkeit in das Waffeninnere, etwa das Verschlußsystem, ein, kann die Zündung einer Patrone verhindert werden. Die zur Zündung erforderlichen beweglichen Elemente, beispielsweise der Schlagbolzen, können von der Flüssigkeit so stark abgebremst werden, daß beispielsweise der Schlagbolzen nur noch mit einer für eine Schußauslösung unzureichenden Energie auf das Zündplättchen auftrifft. (…)
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Waffenverschlußsystem bzw eine damit ausgestattete Waffe gegen etwaige Funktionsstörungen robuster zumachen, insbesondre Störungen aufgrund eines etwaigen Aufenthaltes im Wasser oder einer anderen Flüssigkeit.
Diese Aufgabe lösen jeweils die Gegenstände der Ansprüche 1 und 21. Danach sind beim erfindungsgemäßen Waffenverschlußsystem der Verschlußträger und der Schließfederkolben derart zusammenwirkend ausgelegt, das der Schließfederkolben bei zurücklaufendem Verschlussträger Flüssigkeit aus der wenigstens einen Fluid-Durchtritts-Öffnung verdrängt.
Ferner umfasst das Waffenverschlusssystem wenigstens einen Funktionsraum, insbesondere Funktionshohlraum, mit der Umgebung verbindende Fluid-Durchtritts-Öffnung, so daß etwa in den Funktionsraum eingetretenes, die Funktion des Verschlußsystems beeinträchtigendes Fluid durch die Fluid-Durchtritts-Öffnung(en) einfach und schnell nach außen ableitbar ist. So bleiben die Funktionsfähigkeit der beweglichen mechanischen Elemente sowie die Funktionssicherheit des Verschlußsystems bzw. einer damit ausgestatten. Waffe gewährleistet, sollte Flüssigkeit in das Innere des Verschlußsystems bzw. der Waffe eingedrungen sein.
Die Klage zu dem so genannten Over the beach-Patent richtet sich – formal – noch nicht gegen das MK556, das Haenel für die Bundeswehr angeboten hat, sondern gegen dessen halbautomatische Version CR223, die von mehreren Bundesländern für die Polizei beschafft wurde. Auch bei diesem Gewehr soll das Patent von Heckler&Koch verletzt worden sein.
Nach Angaben des Düsseldorfer Gerichts wurde beiden Parteien bis zum 23. Dezember Frist für Stellungnahmen eingeräumt; damit ist recht sicher, dass das – bislang nicht terminierte – Verfahren in diesem Jahr nicht zu einer Entscheidung kommen wird.
Interessant ist in Zusammenhang mit diesem Rechtsstreit, dass das Patent unter anderem von dem Waffenkonstrukteur Robert Hirt angemeldet wurde, der damals für Heckler&Koch tätig war und das HK416 mit entwickelte. Hirt war später für Caracal tätig, die Waffenfirma in den Vereinigten Arabischen Emiraten, deren Mutterkonzern auch die Thüringer Waffenschmiede C.G. Haenel gehört. Das MK556 soll wiederum dem von Caracal produzierten CAR816 sehr ähnlich sein, an dessen Entwicklung Hirt beteiligt war.
Unklar bleibt, zu welchem Zeitpunkt das Bundesamt für die Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) als Vergabestelle von dem Patentstreit erfahren hat. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums war das am 30. September mit dem Nachprüfungsantrag von Heckler&Koch bei der 1. Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt der Fall. Allerdings war dieser Nachprüfungsantrag bereits der zweite Schritt in dem Verfahren – zuvor hatte Heckler&Koch beim BAAINBw selbst die Vergabe an Haenel formal gerügt. Dem zweiten Schritt, dem Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer, muss also die Ablehnung dieser Rüge durch die Vergabestelle vorausgegangen sein.
(Danke für den Leserhinweis auf die Patentschrift!)
(Grafik: Zeichnung aus der Patentschrift, ebenso wie die Zitate dem vom Deutschen Patent- und Markenamt wortgleich zur Europäischen Patentschrift unter der Nummer DE202006007925U1 veröffentlichten Dokument entnommen. Als amtliche Veröffentlichung ist die Nutzung der Zeichnung urheberrechtlich zulässig. )
Die. FAS erhebt schwere Vorwürfe der Begünstigungen:
„Aus der Koblenzer Kolossalbehörde sollen, so sehen es jedenfalls Grüne und FDP, noch nach der Abgabe des abschließenden Angebots durch die konkurrierenden Waffenproduzenten, des sogenannten „Bafo“ (Best and Final Offer), geheime Tipps an Haenel gegangen sein, wie die eingereichten Papiere noch zu verbessern wären. Tatsächlich gab es dann noch ein zweites „Best and Final Offer“, was eher ein ungewöhnlicher Weg ist.“
Im Prinzip wird gemutmaßt, es läge am Clinch mit H&K …
Wenn nur etwas an den Vorwürfen richtig ist, werden wir noch einen wirklichen Skandal erleben, den AKK wohl kaum unbeschadet übersteht. Von dem Institut BAAINBw mal ganz abgesehen. Die erwartet eine heftige Prozesswelle.
Eine Schande insgesamt.
[Das Zitat in ganzer Länge ging schon extrem an die Grenze des Zitatrechts. Ich hab’s mal gekürzt; das sind immer so die kleinen rechtlichen Probleme, die dann bei mir landen… T.W.]
@BJK2107 sagt: 18.10.2020 um 10:54 Uhr
„Im Prinzip wird gemutmaßt, es läge am Clinch mit H&K …“
Unstrittig ist glaube ich, dass in den letzten Jahren viel Porzellan zerschlagen wurde. Von beiden Seiten.
Ob das allerdings soweit geht, dass wirklich nicht nur einzelne Bearbeiter, sondern das BAAINBw offiziell an Verfahren rumpfuscht vage ich doch zu bezweifeln.
Vielleicht ist die Rechtslage ja auch nicht so eindeutig wie die FAS es skizziert und das BAAINBw hat lediglich ihm zustehenden (oder vermeintlich zustehenden) Spielraum genutzt und das beste für die Bw rauszuholen.
Mal sehen.
„Wenn nur etwas an den Vorwürfen richtig ist, werden wir noch einen wirklichen Skandal erleben, den AKK wohl kaum unbeschadet übersteht.“
Das wieder bezweifle ich. AKK hat sich, im Gegensatz zu vdL, von den Querelen mit H&K fern gehalten. Wenn wir mal ehrlich sind, ist das auch nicht Aufgabe eines Ministers. Dafür gibt es beamtete Staatssekretäre. Und von daher denke ich nicht, dass AKK davon viel abbekommen würde. Eher Sts Zimmer.
„Die erwartet eine heftige Prozesswelle.“
Naja, ein Prozess ist ja jetzt nicht unübliches im Vergaberecht. Ich glaube daran ist man in Koblenz gewöhnt ;)
„Eine Schande insgesamt.“
Das bleibt abzuwarten.
Was die Bw braucht, sind schnelle Entscheidungen und keine Prozesse, die dich über Jahre hinziehen, stets auf der Suche nach der Goldrandlösung.
Daran hat das völlig aufgeblähte Beschaffungsamt einen gewaltigen Anteil.
Lösungen sollten im Sinne der handelnden Akteure, der Soldaten, getroffen werden.
Die über Jahrzehnte aufgebauten, verkrusteten Strukturen müssen analysiert, neu geordnet und modernisiert werden.
Die Truppe kämpft im 21 Jahrhundert und es wird mir der Bürokratie der siebziger Jahre agiert.
Die Liste der gescheiterten Projekte ist lang, zu lang.
Ich erwarte ein flexibles und schnelles Verfahren, abgestimmt auf die Bedürfnisse der Truppe.
„Schnauze voll von dem Theater“, es reicht!
@ Ingo Laufenberg
Zitat: „Was die Bw braucht, sind schnelle Entscheidungen und keine Prozesse, die dich über Jahre hinziehen, stets auf der Suche nach der Goldrandlösung.“
Ich stimme Ihnen da voll und ganz zu, nur die gelebte Praxis sieht aus ebenso nachvollziebaren Gründen für jede bei der Beschaffung beteiligte Partei eben anders aus:
siehe: https://augengeradeaus.net/2020/10/vergabeverfahren-fuer-neues-bundeswehr-sturmgewehr-vorerst-gestoppt/comment-page-2/#comment-352110
„Die Truppe kämpft im 21 Jahrhundert und es wird mir der Bürokratie der siebziger Jahre agiert.“
Jein – man kann (und sollte?) den Vergleich ziehen zur großen Welle an kleineren Beschaffungen Ende der 90er und Anfang der 2000er.
Mehre Modelle (4) von AI-Gewehren, MP7, MG4, P12, G82…das lief alles relativ problemlos, so weit ich mich erinnere.
Was hat sich „strukturell“ geändert oder was sind anderweitige Gründe, warum das vergleichsweise reibungslos geklappt hat und man es jetzt anscheinend nicht mehr kann?
Ist das Zauberwort „einsatzbedinger Sofortbedarf“ und sollte man vielleicht von diesem Vorgehen ein bisschen mehr in die reguläre, „große“ Beschaffung übernehmen?
@Koffer:
„Dann hätten wir am G36 also nur zu ändern:
– die Bauform,
– die Optik,
– die Individualisierbarkeit/Adaptierbarkeit,
– das Magazin,
– das Rohr (Stärke und ggf. Länge, möglicherweise auch Legierung),
– den Kunststoffmix.“
Man vergleiche mit M16A1/A2 und modernen M4 (oder gar M4-Klonen, die nur bei Teilen von SOCOM landen) oder mit L85A1 und A3…da sprechen wir von ähnlichem Änderungsumfängen. Nominell sind das noch die gleichen Gewehre, aber bei Licht betrachtet sind die Unterschiede gewaltig.
Und tatsächlich sind die ersten eingeführten G36 kaum noch mit der neuesten Version vergleichbar. Moderne G36 SIND ja bereits in der Truppe, nur eben in homöopathischen Dosen.
Ob man nun mehr dieser G36 beschafft hätte oder ein neues Gewehr, hätte an der Leistungsfähigkeit der damit ausgestatteten Truppenteile wenig geändert.
Das G36 hat da keine grundsätzliche Modernisierungsgrenze, die man nicht überschreiten könnte (erst recht nicht im Vergleich mit AR15-Ablegern (!)); dass es geht, ist mit G36KA4 u.Ä. ja bereits gezeigt.
@SvD:
„Die Individualisierbarkeit interessiert einfach nicht. Es handelt sich um eine Ordonnanzwaffe, nicht um das persönliche Gewehr im Schützenverein.“
Sprechen wir deswegen (nicht?) über frei platzierbare (!) Anbauteile am M-LOK-Handschutz? Warum haben moderne Gewehre längenverstellbare Schulterstützen und warum schielt man auf beidseitige Bedienbarkeit, wenn nicht, um dem Einzelschützen trotz individueller Befindlichkeiten die Bedienung zu erleichtern und ihn damit effektiver zu machen?
Nein, der Knackpunkt ist ein anderer:
Die BW hat keine querschnittliche Meinung dazu, welche Anbauteile sinnvoll oder notwendig sind und welche nicht und wie sie jeweils genutzt werden sollten.
Da sind die Ansichten und die Kenntnistiefe in Sachen Schießlehre im Vergleich verschiedener Truppenteile sehr unterschiedlich.
Die Antwort kann aber nicht sein, möglichst wenig zu beschaffen und auszugeben, damit ja keiner Unfug damit macht.
Vielmehr muss man die Jungs und Mädels in die Lage versetzen, sich selbst eine fundierte Meinung bilden zu können und den Kram sinnvoll zu nutzen.
Und dazu gehört auch jenseits von (gar privat beschafften) Anbauteilen die Vermittlung des fundamentalen Unterschiedes zwischen „So fühlt es sich besser an“ und „So treffe ich tatsächlich und MESSBAR schneller/besser“.
Von „sieht cool(er) aus“ reden wir mal nicht :D
@Ingo Laufenbergs sagt: 18.10.2020 um 12:33 Uhr
Ja und nein.
Ja, Prozesse müssen schneller werden.
Nein, weder die Prozesse noch die Strukturen stammen aus den 1970er Jahren.
Ja, wir benötigen nicht immer die Goldrandlösung, wenn sie zu lange dauert.
Nein, eine überhastete Entscheidung für ein Sturmgewehr, welches uns 30 Jahre (!) begleiten wird, halte ich für ebenso falsch.