Untersuchungsausschuss Berater: Einig bei den Fehlern, uneins bei der Verantwortung (Nachtrag: AfD)

Mehr als ein Jahr nach Arbeitsbeginn des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu umstrittenen Beraterverträgen im Verteidigungsministerium liegen die Bewertungen von Regierungskoalition und Opposition vor. Die getrennten Voten benennen recht einhellig Verstöße gegen Vergaberichtlinien – unterscheiden sich aber in der Frage, wer dafür verantwortlich war.

Das Untersuchungsgremium hatte im Februar vergangenen Jahres seine Arbeit aufgenommen und im März 2019 mit Zeugenanhörungen begonnen. Auslöser für die Einsetzung des Ausschusses waren Berichte des Bundesrechnungshofes über fehlerhafte Vergabe von Aufträgen an externe Berater – und eine der wesentlichen Fragen im Untersuchungsauftrag: Ist es beim Umgang mit und insbesondere bei der Vergabe von externen Beratungs- und Unterstützungsleistungen zu Rechts- oder Regelverstößen gekommen? Falls ja, was waren die Ursachen hierfür und wer trägt die Verantwortung?

Diese Frage (und die weiteren) beantworteten die Fraktionen in ihrem Bewertungsteil für den Abschlussbericht – die Koalition aus Union und SPD vor zwei Wochen, die Oppositionsparteien FDP, Linke und Grüne am heutigen Dienstag – in einem Punkt übereinstimmend: Rechts- und Regelverstöße sehen alle. Doch die Verantwortung dafür sehen Regierungsfraktionen und Opposition recht unterschiedlich.

Die umfassenden Bewertungen (Update: Nachtrag zur AfD s.u.) werden Teil des Abschlussberichts, der in absehbarer Zeit vom Bundestag veröffentlicht werden wird. Auf die Details der untersuchten Beraterverträge einzugehen, sprengt hier schlicht den Rahmen; deshalb nur ein paar grundlegende Beobachtungen.

Da ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Wesentlichen ein Instrument der parlamentarischen Minderheit ist, zuerst eine wesentliche Aussage aus dem Oppositionsvotum:

Die Ausschussmehrheit hat in ihrer Bewertung festgestellt, dass die Hauptverantwortlichen der „Berateraffäre“ im BMVg in den einzelnen Projekten auf Abteilungsleiter- und Staatssekretärsebene zu finden seien. Diese Feststellung greift aus Sicht der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutlich zu kurz. Die Spitze des Hauses kann nicht aus der Verantwortung genommen werden mit der Begründung, nichts von den Vorgängen gewusst zu haben. Vielmehr ist dann die Frage zu stellen, ob die ehemalige Ministerin Dr. Ursula von der Leyen und ihre ehemalige Staatssekretärin Dr. Katrin Suder Kenntnis von den Vorgängen hätten haben können, wenn nicht sogar aufgrund sowohl ihrer Dienststellung als auch ihrer Rolle als Impulsgeberinnen für den vermehrten Einsatz von Externen hätten haben müssen.

… im direkten Gegensatz zum Votum der Koalitionsmehrheit:

Die Spitze des Ministeriums war über diese Vorgänge nicht informiert. Obschon im Rahmen der hier untersuchten Sachverhalte insbesondere der Name der ehemaligen Frau StS‘in Dr. Suder oft in Zusammenhängen genannt wurde, in denen Druck auf die untergeordneten Ebenen mit dem Ziel einer möglichst schnellen Umsetzung ausgeübt werden sollte, wurde in keinem Fall der Nachweis erbracht, dass die als ihre „Wünsche“ kommunizierten Anliegen auch tatsächlich so von ihr angewiesen worden waren. (…)
Eine direkte Verantwortlichkeit von Frau StS’in Dr. Suder für die rechtswidrigen Abrufe sieht der Ausschuss hingegen nicht.

Das ist natürlich die Frage, die im Zusammenhang mit dem Ausschuss und den Beraterverträgen immer gleich als erstes gestellt wird: Und wer ist nun Schuld? Das ist allerdings in dieser Abstraktion eine Frage, die – wenig überraschend – nach politischer Ausrichtung beantwortet wird. Während die Opposition da vor allem der ehemaligen Staatssekretärin Suder – und damit mittelbar ihrer damaligen Chefin von der Leyen – die Schuld zuweist, nimmt die Koalition vor allem die Ebene der Abteilungsleiter ins Visier.

Bei beiden Sichtweisen gibt es eine Gemeinsamkeit: Viele derjenigen, denen die Verantwortung zugewiesen wird, sind nicht mehr im Amt. Das gilt für die ehemalige Ministerin und ihre Staatssekretärin ebenso wie für die Abteilungsleiter General Erhard Bühler (Planung) und Hardy Mühleck (Cyber/Informationstechnik).

Allerdings: Verantwortlichkeiten für rechtswidrig vergebene Berateraufträge sehen sowohl Koalition als auch Opposition bei zwei Personen, die im Amt sind: dem früheren Abteilungsleiter Ausrüstung und heutigen Rüstungsstaatssekretär Benedikt Zimmer und dem Abteilungsleiter Recht, Andreas Conradi.

Dass das Verhalten von Verantwortlichen im Ministerium sich direkt auf nachgeordnete Behörden ausgewirkt hat, sieht auch die Koalitionsmehrheit:

Weisungen aus dem BMVg wurden als Wünsche gesehen, denen das BAAINBw [Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr] nur widersprechen hätte müssen. Unabhängig davon, dass diese Sicht nicht der Sachlage entspricht, sollte es aus Sicht des Ausschusses Teil der Verantwortungskultur im Ministerium sein, keine rechtswidrigen Beauftragungen anzuweisen. Auch sollte die Leitungsebene des BMVg selbstverständlich die Verantwortung für eigene Weisungen („Wünsche“) und deren Rechtmäßigkeit vollumfänglich übernehmen.

Das wird dann, sowohl im Koalitions- als auch im Oppositionsvotum, für etliche Beauftragungen heruntergebrochen: In etlichen Fällen wurden Hinweise von Staatssekretärin oder Abteilungsleiter, welche Firma man gerne als Vertragspartner hätte, auf den unteren Ebenen als verbindliche Weisung verstanden – was vermutlich der Lebenswirklichkeit in einem Ministerium entspricht.

An dieser Stelle kommen auch die so genannten Kennverhältnisse ins Spiel, persönliche Beziehungen zwischen Amtsträgern und Firmenmitarbeitern, die sich entweder über ihre berufliche Tätigkeit außerhalb des Ministeriums oder gemeinsame militärische Berührungspunkte gut kannten. Die werden, auch das keine Überraschung, von Koalition und Opposition unterschiedlich bewertet. Aber für künftige Vergaben im Bereich des Verteidigungsministeriums dürften die Erkenntnisse dieses Ausschusses auch langfristig Auswirkungen haben.

Und noch etwas ist bemerkenswert – eine Aussage aus dem Votum von FDP, Linken und Grünen:

Die Befürchtungen, die für die Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anlass waren, die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses durchzusetzen, haben sich überwiegend bestätigt. Während die hier stellungnehmenden Fraktionen in den allermeisten verteidigungspolitischen Fragen nicht einer Meinung sind und teilweise sogar diametral unterschiedliche Positionen vertreten, sind sie sich in der Bewertung der Untersuchungsergebnisse einig, was auch über die Offenkundigkeit der Missstände im BMVg und dessen Geschäftsbereich etwas auszusagen vermag.

Und das ist etwas, was noch keine Regierung geschafft hat: So unterschiedliche Fraktionen wie die FDP und die Linke gemeinsam gegen das Verhalten in einem Ministerium aufzubringen.

(Ich belasse es mal dabei; die Detailanalyse können andere, die den Ausschuss wesentlich intensiver verfolgt haben als ich, weitaus besser leisten.)

Nachtrag: Die AfD hat einen eigenen Bewertungsteil vorgelegt, der mir später zuging als die anderen Bewertungen:

Die AfD wies in einer eigenen Bewertung, die mit sieben Seiten deutlich knapper ausfiel als der Bewertungsteil der anderen Koalitionsparteien, der früheren Ministerin von der Leyen eine grundlegende Verantwortung für die rechtswidrige Vergabepraxis zu, stellte das aber zugleich in den Zusammenhang eines aus Sicht der Fraktion vorliegenden generellen Versagens im Amt:

Mit Ursula von der Leyen wurde Ende 2013 eine fachfremde Politikerin Ressortchefin im Verteidigungsministerium, die nach eigenem Bekunden zuvor keine persönlichen Verbindungen zur Bundeswehr hatte („Zivilistin, die niemals im Leben Kontakt zum Militär hatte“). Zu Beginn
ihrer Amtszeit ersetzte sie sämtliche Staatssekretäre durch ebenfalls weitgehend fachfremdes Personal. Mit der Familienpolitikerin von der Leyen und den Staatssekretären Hoofe, Brauksiepe, Grübel und später auch Suder hatte das BMVg erstmals in seiner Geschichte eine zivile Spitze ohne ausgewiesene Verteidigungsfachleute.
Die damalige Ministerin war von Beginn an der Ansicht, die Bundeswehr könne wie ein großes Unternehmen geführt werden und gehorche den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie ein ziviler Großbetrieb. Die des Militärischen völlig unkundige Ministerin war der Ansicht, die Bundeswehr sei wie ein DAX-Konzern zu leiten. Diese kapitale Fehleinschätzung, die die Besonderheiten des Verteidigungsressorts ignorierte, war der Kardinalfehler Ursula von der Leyens. Er begründete die weit und tief in das Ressort hineingreifende Fehlentwicklung, die letztlich unter anderem zur sogenannten „Berateraffäre“ führte. (…)
Die ehemalige Verteidigungsministerin von der Leyen und ihre Rüstungsstaatssekretärin Suder haben persönlich zu verantworten, dass es durch ihr Wirken und Umgestalten zu den zahlreichen Fehlentwicklungen im Geschäftsbereich des BMVg gekommen ist. Zwar hat die ehemalige Ministerin dies auf politischer Ebene eingeräumt, aber gleichwohl keine persönlichen Konsequenzen gezogen. Stattdessen hat sie abgewiegelt, relativiert und Fehlverhalten nur im nachgeordneten Bereich gesehen. (…)
Die ehemalige Ministerin von der Leyen hat aber nicht nur politisch, sondern auch rechtlich in der von ihr im Rahmen der Organisationsgewalt zu leistenden Kontrollfunktion versagt. Durch ihr Nichtanstoßen disziplinarer Maßnahmen hat sie zugelassen, dass es im Ministerium und
im nachgeordneten Bereich zur neuen Verantwortungskultur gehörte, rechtswidrige Beauftragungen anzuweisen. Ihr Unterlassen einer zeitnahen Aufklärung hat die lückenlose Sicherung von Beweismitteln verhindert.

Hinweis: die Bewertungsteile gibt es bislang in einer so genannten Vorabfassung; ich weiß nicht, ob es ggf. noch redaktionelle Änderungen bei den zitierten Stellen in der endgültigen Fassung geben wird.

(Archivbild: Erste öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses am 21.03.2019 – Felix Zahn/photothek.net)