Gegen Rechtsextremismus: Kommando Spezialkräfte bekommt Umstrukturierung auf Bewährung (Nachtrag: Bericht)
Nach bekanntgewordenen rechtsextremistischen Vorfällen beim Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer weitgehende Umstrukturierungen bei dem Eliteverband angeordnet. Bis Ende Oktober soll das Ergebnis bewertet und entschieden werden, ob das KSK in seiner jetzigen Form am bisherigen Standort erhalten bleiben kann.
Das Kommando mit Sitz in Calw im Schwarzwald steht seit einigen Jahren unter besonderer Beobachtung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), im vergangenen Jahr wurden etliche seiner Soldaten wegen Verbindungen zum Rechtsextremismus aus dem KSK oder ganz aus der Bundeswehr entfernt. Nach dem Fund von Waffen, Munition und Sprengstoff auf dem Privatgelände eines Oberstabsfeldwebels des Kommandos Mitte Mai hatte die Ministerin eine hochrangige Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Bericht die Grundlage für die jetzt getroffenen Entscheidungen war.
Nach den Angaben, die das Ministerium am (heutigen) Dienstag den Obleuten der Fraktionen des Verteidigungsausschusses übersandte, sind vor allem folgende Maßnahmen geplant:
• Nach einer Entscheidung der Ministerin und des Generalinspekteurs Eberhard Zorn werden Übungstätigkeit und internationale Kooperationen des KSK bis auf Weiteres eingestellt. Laufende Einsatzverpflichtungen sollen von anderen Einheiten übernommen werden, so weit das möglich ist.
• Die 2. Kompanie Kommandokräfte des KSK wird aufgelöst. Als Begründung nannte das Ministerium eine Abschiedsfeier im April 2017, bei der es unter anderem zur Verwendung rechtsextremistischer Symbole gekommen sein soll – allerdings werde dieses Verhalten zum Teil bis heute aus falsch verstandenem Korpsgeist durch einzelne gedeckt.
• Der Ausbildungsbereich des KSK wird ins Heer eingegliedert und truppendienstlich der Infanterieschule des Heeres in Hammelburg, fachlich dem Ausbildungskommando des Heeres unterstellt. Der Austausch des Kommandos mit Spezialkräften anderer Teilstreitkräfte, also faktisch vor allem den Kampfschwimmern der Marine, soll gezielt gefördert werden.
• Sowohl bei Kommando- als auch bei Unterstützungskräften des KSK – das im Heeressystem einer Brigade entspricht – werden neue Funktion für stellvertretende Bataillonskommandeure und Führungsfeldwebel geschaffen.
• Vorverwendungen außerhalb des KSK werden künftig für Kommandosoldaten zwingend Voraussetzung; Führungskräfte sollen verbindlich außerhalb des Kommandos in Ausbildung und Führung eingesetzt gewesen sein.
• Schlüsselpositionen wie Kommandooffiziere und -feldwebel sowie querschnittlich eingesetztes Personal sollen künftig nur zeitlich begrenzt im KSK Dienst tun. Innerhalb der eigentlichen Kommandokräfte soll eine Rotation in den Kompanien eingeführt werden.
• Die Umstrukturierungen im KSK sollen von einem Advisory Board unter Leitung des Generalinspekteurs begleitet werden.
• In Abstimmung mit dem zuständigen Bundesinnenministerium will das Verteidigungsministerium eine neue Sicherheitsüberprüfung der Stufe 4 (bisher gibt es drei) in das Sicherheitsüberprüfungsgesetz einführen. Damit sollen die intensivere Überprüfung eines breiteren Umfelds und häufigere Wiederholungsüberprüfungen für besonders sensible Dienstposten unter anderem im KSK möglich werden. Das Verteidigungsministerium selbst will eine Beorderungssicherheitsüberprüfung für Reservisten einführen und mit Verfassungsschutz und Reservistenverband weitere Wege zum gemeinsamen Vorgehen gegen mögliche rechtsextreme Tendenzen unter anderem auch bei Reservisten suchen.
• Inzwischen habe sich herausgestellt, dass es im KSK zum Teil gravierende Disziplinmängel und Verfahrensprobleme mit Munition und Sprengstoff gegeben habe. Nach aktuellem Stand der Ermittlungen konnten Verschuss, Nutzung oder Verbleib von 37.000 Schuss Munition im Überbestand sowie 48.000 Schuss und 62 Kilogramm Sprengstoff im Unterbestand noch nicht geklärt werden, heißt es in der Unterrichtung des Ministeriums. Der Kommandeur der Division Schnelle Kräfte, Generalmajor Andreas Hannemann, solle deshalb in einer Generalinventur die Vollzähligkeit von Munition, Sprengstoff, Gerät und Ausrüstung beim KSK erfassen. Künftig werde zur Erfassung von Munition und Sprengstoff ein digitales System eingeführt: Das KSK darf keine falsch verstandene Ausnahmestellung haben.
Für alle neuen Maßnahmen bekommt der Eliteverband quasi Bewährung bis zum Herbst: Zum Stichtag 31. Oktober 2020 wird die Bundesministerin eine Bewertung der Umsetzung und der eingetretenen Veränderungen vornehmen und wenn nötig über weitergehende Maßnahmen und Anpassungen entscheiden, erklärte das Ministerium. Sollten insbesondere die Selbstreinigungskräfte des KSK nicht hinreichend Wirkung zeigen, wird sich unausweichlich die Frage stellen, ob das KSK in seiner jetzigen Form am bisherigen Standort erhalten bleiben kann.
Nachtrag: Da etliche der in den Kommentaren angesprochenen Fragen in dem Bericht des Generalinspekteurs geklärt werden, da er nicht eingestuft ist(!), und da ich nicht wie in der Branche nur schreiben will liegt xxx vor… hier zur ausführlichen Lektüre:
20200630_Untersuchungsbericht_KSK
Übrigens: die Zahl 70 für die aufzulösende 2. Kommandokompanie taucht in dem Bericht nicht auf – die gibt’s bislang nur in einem Medienbericht. Insofern würde ich das erstmal mit Fragezeichen versehen, ob hier wirklich eine wesentliche Information rausgeblasen wurde…
Nachtrag 2: Hätte ich auch gleich machen können, sorry – der dazu gehörende Brief des Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Tauber an den Verteidigungsausschuss, ebenfalls nicht eingestuft:
20200630_KSK_Brief_Tauber_VertdgAusschuss
(Archivbild Juni 2019: Soldaten des Kommandos Spezialkräfte seilen sich aus dem Hubschrauber H145M LUH SOF ab beim Vorüben für den Tag der Bundeswehr in Pfullendorf – Jana Neumann/Bundeswehr)
Ich bitte mal um Betrachtung der folgenden, nicht ganz frei erfundenen Einsatzbeschreibungen:
Ein Kommandotrupp des KSK hat den Auftrag, eine oder mehrere militärische Geiseln zu befreien, zudem die Geiselnehmer nach Möglichkeit festzusetzen. Dieser luftabgesetzte Trupp verfügt dabei auch über eine Menge X Explosivstoff verschiedenster Art (also nicht nur den klassischen Sprengkörper formbar, 500g, sondern auch spezielle und gewerblich erhältliche Sonderformen).
Der beschriebene Einsatz, auch für bestens ausgebildete Profis, ist nicht ganz „stressfrei“, aber erfolgreich verlaufen. Also Ziel erreicht, auch mit Anwendung einer Menge Y Explosivstoff, die aber in der Einsatzhektik nicht erfasst wurde. [sic!]
Die Zielerreichung bringt es mit sich, dass einige Ausrüstungsgegenstände am Einsatzort verbleiben, also aufgegeben werden mussten. Darunter auch die Restmenge (X – Y) Explosivstoff.
Im Camp zurück findet Kommandosoldat A jedoch noch eine Restmenge Explosivstoff in einer seiner vielen Taschen.
Frage nun: Wer rechnet hier wie die tatsächlichen Verbrauchmengen vorschrifts- und urkundlich ab?
Ein ähnliches Beispiel lässt sich auch für den Kampfmittelabwehrfeldwebel konstruieren, der soeben einige Improvised Explosive Devices (IED) beseitigt hat, in diesem nicht ganz unspannenden Szenario aber nicht mitgeschrieben hat, wieviel Explosivstoffmasse er eingesetzt hat. (Im Grundsatz gilt immer, dass der Fachkundige ausdrücklich vor Ort lageabhängig entscheidet)
Was ich damit sagen will ist, dass die reine Lehre, Vorschriftenanwendung und Dokumentation in einem riskanten Einsatzszenario ihre (natürlichen) Grenzen findet. Und ja, hier liegt dann „nur“ noch die Vertrauensbasis zu Grunde.
Dies scheint einigen Kommentatoren so nicht bekannt zu sein. Auf dem heimischen Sprengplatz bei der regulären Ausbildung kann man dies natürlich vorbildlich durchspielen …
@ BJK2017
Bei ihrem Beispiel hat doch der Kdo-Soldat z.b. 2 kg Sprengstoff vor seinem Einsatz vom Lager, Feuerwerker o.ö. nachweislich empfangen.
Mit dem Empfang des Sprengstoffes noch vor Beginn des Einsatzes ist dieser Sprengstoff „nachschubtechnisch“ für den S4 ausgegeben, er ist verbraucht.
Ob der Soldat ihn im Einsatz vollständig körperlich verbraucht hat oder eine Restmenge mit nach Hause nimmt interessiert in dieser Betrachtung gar nicht.
Wie kann es dann sein, dass der o.a. Bericht sagt, es fehlen 62 kg Sprengstoff gemäß Buchführung im Bestand (sind im „Unterbestand“) ?
BJK2107 sagt: 03.07.2020 um 14:28 Uhr
Sie beschreiben das sowas von vortrefflich. Ich weiss auch nicht was @Georg da zu mosern hat.
Genauso wie Sie es beschreiben ist es mir mehrfach passiert. Plötzlich ein nicht ganz unspannender Einsatz. Ich raus dem Camp, in der Hektik schnell die Taschen voll mit Explosivstoff gestopft. Keine Zeit für Papierkram. Haben ist besser als brauchen. Darf halt gern auch etwas mehr sein.. :-) Und ja, was soll ich sagen dann merkste plötzlich, soviel war beim Auftrag gar nicht wegzusprengen und dann haste abends das Zeug noch in der Tasche, keiner mehr da zum zurückrechnen oder man vergisst es einfach.
Thats real life! Hat man aber in den heizungsnahen Verwendungen aber soo selten Verständnis für.
@BJK2107 @hape:
Erzählt mir jetzt bitte nicht, dass 62 kg Explisivmittel im Ü-Mat gelandet sind? Also in dem Ü-Mat, das gar nicht existiert! Mann!
Und da tauchen keine Mengen aus den Einsätzen auf. Wenn es als verbraucht gilt, dann ist es ja schon „verschossen“ und in der Kladde so vermerkt, wird also nicht vermisst.
(Sarc on)
Außer die haben ihr Ü-Mat privat im Garten vergraben bevor der Paragraph kam 🤔
(Sarc off)
@ hape
Zitat:
“ …in der Hektik schnell die Taschen voll mit Explosivstoff gestopft.“
Hatten Sie den Explosivstoff unter ihrem Bett oder im Spind auf der Stube, dass Sie keinen Munitionsverwalter für die Ausgabe brauchten ?
Hier tun sich Abgründe auf. Zunächst darf KSK mit der Einsatzbrille betrachtet, auch mal schlampig mit Munition und Sprengstoff umgehen. Dann die Nachbarn der Kampfschwimmer. Dann EGB und weitere Unterstützungskräfte, dann halt alle im Einsatz. Wer das bemängelt ist heizungsnah?? Na klar, Einsatz, da sind nur Helden, die dürfen alles. (sarc Ende)
@Georg
Der Sprengstoff (in verschiedensten Varianten) liegt fertig aufgerüstet im TPz aufgrund Notice to Move 15min
Nachts um 0300 kommt kein Munitionsausgeber des S4 vorbei ;-)
@ insider
Wenn das so ist, dann ist der Sprengstoff für den S4 bereits ausgegeben (an irgend einen Verantwortlichen auf dem Transportpanzer oder Kdo-Soldaten) und er ist für die Buchhaltung abgebucht und „verbraucht“.
Ein ähnliches Verfahren gibt es auch bei der Lw für die Ersatzteilversorgung im Geschwader während der Spätschicht. Die häufigsten benötigten Ersatzteile für eine bestimmte Werkstatt lagern in einem Aussenlager auf dem Flugplatz, direkt neben der Werkstatt in der Flugzeughalle und nicht im Hauptlager der Nachschubstaffel in der Kaserne. Während der Nachtschicht hat der Schichtleiter den Schlüssel für das Aussenlager und kann sich holen was er ggf. braucht. Natürlich wird da am nächsten Tag noch ein Ausgabebeleg geschrieben und unterschrieben wenn das Lagerpersonal wieder im Dienst ist.
Für die Buchhaltung sind die Bestände in den Aussenlagern aber bereits „ausgegebene Bestände“ und werden im Gesamtbestand Bw als verbraucht angesehen und geführt.
Folgedessen kann natürlich auch kein Unterbestand der Ersatzteile bei der Buchführung auftreten, denn die gelten mit der Abgabe an das Aussenlager als „verbraucht“.
Analog zu diesem Beispiel in der Lw kann beim KSK auch kein Unterbestand von 62 kg Sprengstoff auftreten, weil der mit der Abgabe an die Bereitschafts TPz Besatzung und der munitionstechnischen Aufrüstung dieser Fahrzeuge als verbraucht gilt.
Mit anderen Worten dieser Vorgang erklärt nicht die 62 kg Unterbestand Sprengstoff und die fehlenden 85000 Schuss Munition beim KSK !
@all
Darf ich die Bitte erneuern, die Detaildiskussion über die Ausgabe und Verbuchung von Sprengstoff zurückzustellen, bis es dazu etwas mehr belastbare Fakten gibt? Diese Debatte aufgrund von eigenen Erfahrungen und Annahmen ist derzeit recht… spekulativ. Danke.
@Georg
Sie haben Recht und ich gebe es auf.
Alles was ich bisher zum Thema geschrieben habe, entsprang vermutlich meiner kindlichen Fantasie, die ich trotz 21 Dienstjahren als Feuerwerker und Kampfmittelbeseitiger in der Bundeswehr immer noch habe.
Nur ein S4 wie Sie einer waren, durchblickt den Sachverhalt zu 100%. Darf ich Sie für den Posten des Leiters der Untersuchungskommision vorschlagen?