Genug helfende Hände, aber kein Material mehr zum Abgeben: Gespräch mit dem Inspekteur der Streitkräftebasis

Die Bundeswehr hält zur Unterstützung in der Coronavirus-Pandemie weiterhin Tausende Soldaten in Bereitschaft, kann aber nicht wie von zivilen  Behörden gewünscht großzügig Material abgeben. Überbestände wie noch 2015 stünden schlicht nicht mehr zur Verfügung, sagt der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis. Außerhalb des Sanitätsdienstes sind derzeit rund 300 der möglichen 15.000 Soldaten als Hilfskräfte im Einsatz.

Im Gespräch mit Augen geradeaus! verwies Schelleis, der als Nationaler Territorialer Befehlshaber die Unterstützungsleistungen der Streitkräfte in der Pandemie befehligt, auf die anfangs großzügige Abgabe von so genanntem Liegenschaftsmaterial wie Matratzen oder Kopfkissen. Das könne die Bundeswehr so nicht mehr leisten: In der Flüchtlingshilfe 2015 hatten wir Überbestände, da war das kein Problem. Die haben wir jetzt nicht mehr. Was noch an Material vorhanden sei, brauchten die Streitkräfte für ihre eigenen Einrichtungen.

Allerdings werde weiterhin jeder Einzelfall geprüft, und in Notfällen stehe die Bundeswehr trotz des als Sperrbestand vorgesehenen Materials mit Hilfe zur Verfügung,  sagte Schelleis. So sei medizinische Schutzausrüstung an den besonders betroffenen Kreis Heinsberg geliefert worden, obwohl wir selbst im roten Bereich waren. Das gleiche gelte für Kampfrationen, die so genannten Einmannpackungen (EPA): Der vorhandene Bestand sei für die Truppe komplett gebunden. Auch bei Spezialgerät, das anfangs stark angefordert wurde, könne die Bundeswehr nur noch unter bestimmten Umständen helfen: Da ist schlicht nichts mehr übrig, aber Sonderfälle werden bedient.

Beim Personal kann die Bundeswehr dagegen – außerhalb des Sanitätsdienstes – weiterhin eine starke Reserve vorweisen. Von den rund 15.000 Männern und Frauen, die als Einsatzkontingent Unterstützung Corona in zeitlich gestaffelter Bereitschaft stehen, sind nach den Worten des Generals aktuell lediglich 300 im Einsatz. Die übrigen stünden bereit als Reserve für den Fall einer Lageverschärfung, die sich vielleicht gar nicht ergibt. Niemand könne ja derzeit abschätzen, wie sich die Situation entwickeln werde.

Dabei werde die Bundeswehr allerdings nur dann helfen können und dürfen, wenn nicht zivile Möglichkeiten zum Beispiel für den Transport von Material zur Verfügung stünden, betonte Schelleis. Die zivilen Behörden müssten immer erst prüfen, ob es nicht kommerzielle Möglichkeiten gebe – die Bundeswehr solle nicht in Konkurrenz zu Unternehmen treten.

Wenn es aber Zeitdruck gebe oder es keine zivile Alternative gebe, stehen nach den Worten des Generals Soldaten bereit. Wie zum Beispiel in Altersheimen im bayerischen Kreis Bamberg, die von Angehörigen des Panzerbataillons 104 aus Pfreimd unterstützt werden. Allerdings seien diese Soldaten keine Hilfspfleger, sondern leisteten zupackende Tätigkeiten. Eine schnelle Pflegeausbildung sei für sie nicht vorgesehen.

Anders sieht die Auslastung dagegen beim Sanitätsdienst aus. Der sei schon in seinem Grundbetrieb zum Beispiel mit den Bundeswehrkrankenhäusern in die öffentliche Gesundheitsversorgung eingebunden. Alle Fähigkeiten, die wir haben, setzen wir auch ein – allerdings habe die Bundeswehr zum Beispiel nur ein Prozent aller Ärzte in Deutschland in ihren Reihen. Und der Anteil der zivilen Patienten in den Kliniken der Streitkräfte liege inzwischen bei 80 Prozent.

Aus Ländern und Kommunen gingen nach den Angaben von Schelleis bislang rund 370 Anträge auf Hilfeleistungen der Bundeswehr ein, davon seien 115 bewilligt worden und würden derzeit erfüllt oder seien bereits abgeschlossen. Manche Anträge hätten abgelehnt werden müssen, weil die Anträge verschiedene Bitten um Hilfeleistung umfasst hätten und nicht aufgeteilt worden seien – wenn ein Teil nicht erfüllt werden könne, müsse dann der ganze Antrag abgelehnt werden. Der General appellierte an die zivilen Behörden, vor einer Bitte um Bundeswehrhilfe die Beratung aus den Verbindungskommandos der Streitkräfte in Anspruch zu nehmen, damit der Antrag auch so formuliert wird, dass er Aussicht auf Erfolg hat.

Bislang verzeichnete die Bundeswehr nur wenig Anfragen nach einem Einsatz von Soldaten für hoheitliche Aufgaben zur Unterstützung der Polizei, zum Beispiel zur Bewachung von Materiallagern oder Flüchtlingsunterkünften. Dafür gebe es auch bisher keine Grundlage, betonte Schelleis. Die Bundeswehr könne in solchen Fällen nur tätig werden, wenn es einen Zustand katastrophischen Ausmaßes gebe und die Kapazitäten sowohl der jeweiligen Landespolizei, der Polizei anderer Bundesländer und der Bundespolizei erschöpft wären: Das haben wir bislang in keinem Fall und sehen das auch nicht.

Wie zuvor schon Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer schloss auch der General nicht aus, dass bei einer Zuspitzung der Situation die Bundeswehr gefordert sein könnte, die Bewachung von kritischer Infrastruktur wie Wasser- oder Elektrizitätsversorgung zu übernehmen. Denkbar sei eine solche Situation, wenn die zivile Sicherung solcher Einrichtungen durch Infektionen großflächig ausfiele – das ist zum Glück derzeit nicht der Fall.

Über die bevorstehenden Ostertage wird die Bundeswehr die Zahl der Soldaten, die innerhalb von zwölf Stunden für Hilfeleistungen in Bereitschaft stehen, vorübergehend verringern. Da derzeit kein Abruf einer großen Zahl absehbar sei, werde der Umfang reduziert, um die Durchhaltefähigkeit der Truppe zu sichern, sagte Schelleis. In allen Bundesländern stünden aber ausreichend Soldaten bereit, wenn die Unterstützung benötigt würde; außerdem seien die übrigen Teile des Unterstützungskontingents ohnehin in einer 72-Stunden-Bereitschaft.

(Foto: Soldaten des Panzergrenadierbataillons 122 unterstützen bei einer Corona-Teststation in Schwandorf – Sascha Klenk/Bundeswehr)