Wehrbeauftragter legt erneuten Mangelbericht vor – und fordert „Trendwende Mentalität“

Der Wehrbeauftragte des Bundestages hat erneut einen Mängelbericht vorgelegt: Wie in den Vorjahren beklagte Hans-Peter Bartels bei der Vorstellung seines Jahresberichts für 2019 viele Defizite, die er bereits in den Vorjahren moniert hatte. Bei Truppenbesuchen, egal ob er, Vertreter des Ministeriums oder die Inspekteure kämen, tragen Soldatinnen und Soldaten immer wieder die gleichen Sorgen vor: zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie. Das wirke sich auch auf die Einsatzbereitschaft aus: Die Bundeswehr als Ganzes wäre heute nicht ausgerüstet und aufgestellt für kollektive Verteidigung.

 

Die Probleme, vor denen die Bundeswehr stehe, seien lange bekannt, beschrieben, analysiert und konzeptionell irgendwie eingepreist, klagte Bartels bei der Erläuterung des Berichts vor der Bundespressekonferenz am (heutigen) Dienstag. Nach den ausgerufenen Trendwenden für Personal, Material und Finanzen sei aber eine Trendwende Mentalität nötig, damit die Truppe vorankomme. Ohne eine innere Reform, die ebenso nötig sei wie zusätzliches Geld im Haushalt, drohten die Trendwenden zu scheitern.

In der Pressekonferenz wie auch in seinem 118 Seiten umfassenden Bericht listete der Wehrbeauftragte zahlreiche Beispiele für strukturelle Probleme der überorganisierten, aber wenig praktisch ausgerichteten Streitkräfte auf. Ein grundsätzliches Problem sei das teilweise dysfunktional gewordene Beschaffungswesen: Für das meiste, was an Ausrüstung benötigt werde, gebe es den umständlichen Prozes von funktionalen Fähigkeits-Forderungen, europaweiten Ausschreibungen, Vergabe, Tests, Zertifizierung – obwohl man vieles wie Rucksäcke oder Kampfstiefel einfach kaufen könnte. Eine Design-Lösung sei nur bei komplexen Systemen wie einen neuen Kampfpanzer oder ein Raketenabwehrsystem nötig: Ein entsprechender dualer Beschaffungsweg könnte Zeit, Geld und Personal sparen, die Vollausstattung beschleunigen und die Nerven der Soldatinnen und Soldaten schonen. Derzeit gebe es die gleiche Organisation für alles, und das ist falsch.

Als Beispiel für den zähen Veränderungsprozess in den Streitkräften verwies Bartels auf das Programm Innere Führung – heute, dass die frühere Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bereits im Mai 2017 begonnen hatte. Dabei seien in vielen Workshops quer durch alle Dienstgradgruppen Hinweise auf nötige und mögliche Veränderungen erarbeitet worden – das Ergebnis bleibe aber bis jetzt unter Verschluss. In seinem Jahresbericht zitierte der Wehrbeauftragte umfangreich aus dem Entwurf des Ergebnisberichts und kommt zu der Einschätzung, dass  Schluss sein müsse mit dem ministeriellen Klein-Klein: Erforderlich ist Mut zur Entscheidung.

Ausführlich setzt sich der Wehrbeauftragte mit der Trendwende Personal auseinander und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Mit der verbliebenen Stärke kann die Bundeswehr jedoch die fortdauernden Verpflichtungen in den Auslandseinsätzen und den wieder auflebenden Auftrag zur Teilhabe an der kollektiven Verteidigung in Europa personell nicht bewältigen. Bedenklich sei vor allem, dass die zunehmende Personalstärke der vergangenen Jahre vor allem auf eine Verlängerung der Dienstzeit von Zeit- und Berufssoldaten zurückzuführen sei. Die Zahl der Bewerber sei dagegen auf dem zweitschlechtesten Stand seit Aussetzung der Wehrpflicht. Und dabei seien Seiteneinsteiger schon mitgerechnet.

Auch hier gilt: Ohne eine „Trendwende Mentalität“ wird der Aufwuchs nicht gelingen, mahnte Bartels. Das Ministerium bezeichne dagegen das Ergebnis der  Personalgewinnung 2019 als sehr gut  – angesichts der immer noch schwierigen Bewerberlage, auch wenn 2019 ein minimales Plus bei der Personalgewinnung zu verzeichnen war, überrascht diese Bewertung, kommentierte der Wehrbeauftragte lakonisch.

Im vergangenen Jahr entließ die Bundeswehr 45 Soldaten wegen extremistischer Verfehlungen vorzeitig aus dem Dienst – nach Angaben von Bartels ausschließlich Fälle von Rechtsextremismus. Nach seinem Eindruck sei die Bundeswehr sensibel für das Thema, sagte der Wehrbeauftragte. Extremisten könnten sich nicht darauf verlassen, dass ihre Kameraden wegschauten: In Fälle von Nazi-Propaganda, Antisemitismus, Rassismus und diskriminierendem Verhalten ist es eine Frage der Ehre, das zu thematisieren und gegebenenfalls zu melden. 

Die Gefahr, dass damit Gesinnungsschnüffelei oder Denunziantentum in die Truppe einzögen, sehe er nicht, betonte Bartels. Schließlich werde jeder gemeldete Fall untersucht. Zudem führe nicht gleich jede rechtsextreme Äußerung zur Entfernung aus der Truppe. In dem Zusammenhang wandte sich der Wehrbeauftragte gegen Pläne aus dem Ministerium, die Dienstzeit, in der Soldaten einfacher aus der Bundeswehr entlassen werden können, von derzeit vier auf acht Jahre anzuheben. Wie die Verbände warne er davor, mit einer solchen Regelung die ohnehin nur befristet eingestellten Zeitsoldaten zu benachteiligen – zumal eine einfache Entfernung aus der Truppe ja nicht nur für Extremismus-Fälle, sondern ebenso für andere disziplinare Angelegenheiten gelte.

Die komplette Pressekonferenz mit dem Wehrbeauftragten, sein Statement ebenso wie Fragen und Antworten, zum Nachhören:

Wehrbeauftragter_Bartels_BPK_28jan2020     

 

 

Das Eingangsstatement zum Nachlesen hier. Ich kann nicht alle Beispiel aus dem Bericht hier aufgreifen; den gesamten Jahresbericht gibt es  als Bundestagsdrucksache hier.

(Foto: Übergabe des Jahresberichts des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble – Christian Thiel)