Defender Europe 20: US-Verlegeübung als Test auch für Deutschland

Etwas mehr als vier Jahre ist es her, da kam die Bundeswehr in einer internen Analyse zu einem ernüchternden Ergebnis: Für die schnelle Verlegung von NATO-Truppen in Europa sei Deutschland der Flaschenhals, der rasche Bewegungen bremse. Ob sich dieses Lagebild aus dem Jahr 2015 verbessert hat, wird sich in den kommenden Monaten zeigen: Für die Übung Defender Europe 20 verlegen die USA eine ganze Division quer durch Deutschland in NATO-Mitgliedsländer in Osteuropa.

Es ist die größte Truppenverlegung der USA seit rund 25 Jahren, seit dem Ende der so genannten REFORGER (Return of Forces to Germany)-Übungen, in denen während des Kalten Krieges eine schnelle Verstärkung von US-Truppen in die damalige Bundesrepublik und an die Nahtstelle zu den Ländern des Warschauer Vertrags geübt wurde. Also an die innerdeutsche Grenze.

Mit REFORGER habe die aktuelle Übung aber weder von der Zahl (1988 fand die größte dieser Übungen mit rund 125.000 US-Soldaten statt) noch mit der Zielrichtung zu tun, betonten der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, und der stellvertretende Kommandeur der U.S. Army Europe, Generalmajor Andrew Rohling, am (heutigen) Dienstag in Berlin. Damals habe es ein klar definiertes, erwartetes Szenario an eindeutig erwartbaren Orten gegeben. Jetzt gehe es um die Fähigkeit der USA, in einer Krise die NATO-Verbündeten in Europa zu unterstützen – egal in welchem Land der Allianz.

Defender Europe 20 ist aus Sicht der US-Streitkräfte deshalb auch weniger ein Kampftruppenmanöver denn eine Verlegeübung (in die allerdings etliche kleinere Gefechtsübungen integriert sind). Rund 20.000 Soldaten werden aus den USA nach Europa kommen. Ihr Gerät, vom Kampfpanzer über kleinere Fahrzeuge bis hin zu weiterer Ausrüstung, wird zum Teil per Schiff in niederländische, belgische und deutsche Häfen vorausgeschickt, zum anderen Teil aus der Großgerätereserve (Advanced Prepositioned Stocks, APS) in europäischen Depots bestückt.

Es gehe darum, dass die USA ein starkes Zeichen der Bündnissolidarität setzten und zeigten, dass sie willens und in der Lage seien, eine solche Division nach Europa zu verlegen und auch quer durch den Kontinent zu bewegen, sagte Rohling. Und angesichts der rund 17.000 Soldaten aus anderen NATO-Staaten sei es keineswegs nur eine US-Übung, sondern eine gesamteuropäische Übung.

Vom Anlanden der ersten Soldaten und des ersten Geräts in Europa im Februar bis zur Rückverlegung im Juni wird die Bundeswehr wird rund 4.000 dieser 17.000 Soldaten stellen – zum Teil als Übungstruppe in den Gefechtsübungen, die unter anderem auf den Übungsplätzen Bergen und Grafenwöhr in Deutschland stattfinden. Vor allem aber für den Transit der amerikanischen Division durch Deutschland an die NATO-Ostflanke, vom Baltikum bis nach Bulgarien.

Im Unterschied zu den Großmanövern des Kalten Krieges sollen die US-Truppen aber deutlich weniger auf ihren Transporten sichtbar sein. Ein Großteil des schweren Geräts wird mit der Bahn transportiert, Straßenmärsche soll es nur in kleineren Marschpaketen mit rund 20 Fahrzeugen und überwiegend nachts geben, sicherte Rohling zu. Und über Ostern werde es keine Marschbewegungen geben.

Deutschland als Host Nation, als organisierende Nation, wird nicht nur diese Märsche mit Militärpolizei und Landes- und Bundespolizei absichern, sondern vor allem Tank- und Rastplätze oder ein Camp zur Aufnahme von 1.800 eingeflogenen Soldaten betreiben. Die deutsche Unterstützung ist entscheidend für den Erfolg dieser Übung, sagte der US-General.

Für Deutschland, und zwar sowohl für die Bundeswehr als auch für die zivilen Behörden, wird das eine Herausforderung. Denn einen solchen Transport zum Beispiel von Sattelschleppern mit Panzern oder von Munition quer durch die Bundesrepublik zu organisieren, ist zu einem großen Teil ein Verwaltungsproblem: Die zuständigen Landes- und Kommunalbehörden müssen die entsprechenden Genehmigungen schnell genug ausstellen. Deshalb hatte bereits im Oktober vergangenen Jahres Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn die Staatskanzleien der Bundesländer angeschrieben und um Unterstützung gebeten, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer legte in der vergangenen Woche mit Briefen an die Regierungschefs nach. Und vor ihrer Pressekonferenz hatten Schelleis und Rohling Kommunalpolitiker aus den vom Transit betroffenen Bundesländern eingeladen, um ihnen die Planungen im Detail vorzustellen.

Sowohl Schelleis als auch Rohling waren bemüht zu betonen, dass sich Defender Europe 20 nicht gegen Russland richte – es gehe nicht um ein bestimmtes Szenario, nicht um einen bestimmten möglichen Gegner, sondern darum, auf jede Art von Krise vorbereitet zu sein. Allerdings: Dass die USA eine solche große Verlegeübung ansetzen, über die derzeit ohnehin schon in Brigadestärke rotierenden Truppen in Europa hinaus, wäre sicherlich vor der Ukraine-Krise und der russischen Annexion der Krim recht unwahrscheinlich gewesen.

Auf die – bereits angekündigten – Proteste gegen den US-Truppendurchmarsch ist die Bundeswehr nach Angaben von Schelleis eingestellt. Bewusst werde die Übung offen kommuniziert, sagte der Inspekteur der Streitkräftebasis. Mit Protest gegen Defender Europe 20 habe er kein Problem, so lange das im Rahmen des Rechts passiert.

Die komplette Pressekonferenz von Schelleis, Rohling und weiteren Vertretern der U.S. Army Europe und der Bundeswehr zum Nachhören:

DEFENDER2020_Pk_Berlin_14jan2020     

 

(Mehr zu Defender Europe 20 sicherlich in den kommenden Wochen; zum Nachlesen hier noch:
Themen-Webseite der U.S. Army Europe
Themen-Webseite der Streitkräftebasis)

(Foto: US-Generalmajor Andrew Rohling, l., und Generalleutnant Martin Schelleis bei der Pressekonferenz am 14.1.2020 in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin – Till Rimmele; Grafik: U.S. Army Europe)