Gebremste NATO-Eingreiftruppe: Flaschenhals Deutschland

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Orange markiert, liegt Deutschland auf einer Übersichtskarte der Abteilung Strategie und Einsatz des Berliner Verteidigungsministeriums mitten in Europa. Orange markiert bedeutet: 20 Tage Genehmigungsdauer, Genehmigungen erforderlich. So wie Deutschland verfahren bei der Genehmigung für die Ein- und Durchreise von Streitkräften unter den europäischen NATO-Ländern noch Italien, die Türkei und Lettland, noch restriktiver sind lediglich Bulgarien, Griechenland und Litauen. Aber diese Länder sind nicht wie die Bundesrepublik das wichtigste Transitland in Europa. Die Karte zeigt: Die deutschen Bestimmungen sind ein nicht zu unterschätzender Flaschenhals für die Beweglichkeit der neuen superschnellen Eingreiftruppe der NATO, der so genannten Speerspitze.

Dass diese Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), die im September vergangenen Jahres auf dem NATO-Gipfel in Wales unter dem Eindruck der Ukraine-Krise beschlossen wurde, mit den bürokratischen Problemen des hoch regulierten Europa fertig werden muss, ist keine ganz neue Erkenntnis – auch ich hatte im Zusammenhang mit dem VJTF-Manöver Noble Jump im Juni einen Teil des Problems schon mal beschrieben: Der erste Gegner der NATO ist die eigene Bürokratie. Kleine Kostprobe: Die 14 Marder-Schützenpanzer der Bundeswehr wurden bei der Ausfuhr zum Manöver auf den nahegelegenen polnischen Übungsplatz Zagan ordnungsgemäß beim Zoll angemeldet – und bei der Rückkehr nach Deutschland ebenso.

Doch die Auflistung der Ministeriums-Abteilung Strategie und Einsatz belegt, ebenso wie ein Bericht des Ministeriums an den Verteidigungsausschuss vom Mai, über den zuerst tagesschau.de berichtete: Ein Großteil der Probleme ist in Deutschland hausgemacht. Zwar kämpfen die Streitkräfte in allen europäischen Staaten mit den besonderen Regelungen für den grenzüberschreitenden Transport von Waffen, Munition und Ausrüstung. Aber innerhalb der Bundesrepublik kommen ausgefeilte Transportregelungen für Gefahrgut und Schwertransporte hinzu, die die schnelle Verlegefähigkeit der VJTF ausbremsen.

Das Ministerium machte das schematisch in einer Grafik deutlich. Was passiert, wenn verbündete Streitkräfte sich melden, um mit ihren Soldaten, deren Waffen und Munition nach Deutschland einzureisen oder auch nur deutsches Gebiet zu durchqueren? Um das Gefahrgut kümmert sich das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr. Die Waffen welten, von der Bundeswehr, beim Zoll, der Bundespolizei und des Landespolizeien angemeldet. Um die Bestimmungen des Zwei-plus-Vier-Vertrages über die deutsche Einheit zu erfüllen, wird auch die zuständige Abteilung des Auswärtigen Amtes informiert.

Das alles sind noch bundeswehrinternet Vorgänge – und eine Beschleunigung liegt oder läge in der Hand der Streitkräfte. Doch dann kommen die Schwertransporte hinzu, möglicherweise mit Fahrzeugen mit Übermaß oder -Gewicht, für die ein bestimmter Fahrweg festgelegt werden muss. Da sind dann die Bundesländer zuständig, deren Behörden die Transporte prüfen und genehmigen müssen. Und das, klagt das Ministerium, kann je nach Bundesland acht bis zehn Arbeitstage dauern – also zwei Wochen oder mehr. Eine beschleunigte Bearbeitung der militärischen Anträge, gegenüber den zeitgleich eingehenden Anträgen ziviler Speditionen, ist im Friedensbetrieb nicht vorgesehen.

Denn fürs Militär gibt es in Deutschland nur zwei rechtliche Zustände – den Verteidigungs- und Spannungsfall oder eben den Friedens- und Routinebetrieb. Den Unterschied erläuterte das Ministerium in seinem Bericht an die Abgeordneten:

Bei Feststellung des Spannungs-/Verteidigungsfalls würden Verordnungen auf Grundlage des §1 Verkehrssicherstellungsgesetz in kraft treten, die bei Eintritt der Voraussetzungen des Art. 80a Grundgesetz sehr weitgehende Eingriffe in die Verkehrsorganisation erlauben. Im Kern beinhaltet dies den Vorrang militärischer Transporte (Straße/Bahn) vor dem zivilen Verkehr, was auch Reduzierungen in den Vorlaufzeiten impliziert.
One Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsalles sind Verlegungen von Fahrzeugen und Material in Deutschland bzw. aus Deutschland in mögliche Einsatzgebiete und zurücl unter den Bedingungen des Betriebs Inland zu planen und durchzuführen.
Die sich daraus ergebenden Vorlaufzeiten für Genehmigungsverfahren aufgrund gesetzlicher Vorgaben in Deutschland stellen eine deutliche Herausforderung dar.
Zudem müssen für die erforderlichen Transitgenehmigungen bei grenzüberschreitenden Verlegungen derzeit bis zu 30 Tage veranschlagt werden.

Das verträgt sich nun gar nicht mit den ehrgeizigen Zeitplänen für die NATO-Speerspitze, deren erste Teile innerhalb von zwei Tagen abmarschbereit sein sollen, weitere Teile nach fünf Tagen, bis innerhalb von zwei Wochen alles vom Kasernenhof rollt und in einem Einsatzgebiet ankommen soll.

Die Bundeswehr hofft deshalb darauf, mit den Bundesländern zu Vereinbarungen über Dauergenehmigungen zu kommen und Ausnahmemöglichkeiten nach dem Verkehrssicherstellungsgesetz zu bekommen. Da ist eine Menge Papier zu bewegen: Es geht unter anderem um die Bestimmungen der Gefahrgutverordnung Straße, der Lenk- und Ruhezeiten, des grundsätzlichen Sonntagsfahrverbots, der Genehmigungspflicht von Märschen mit mehr als 30 Fahrzeugen oder mit Fahrzeugen, deren Abmessungen, Achslasten oder Gesamtgewichte die gesetzlich allgemein zugelassenen Grenzen überschreiten.

Gesetzlich vorgesehen sind solche Ausnahmeregelungen schon. Denn §35 der Straßenverkehrsordnung sieht vor, dass die Bundeswehr von den StVO-Vorschriften befreit ist, wenn das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Doch selbst dann gelten die Einschränkungen für Märsche mit mehr als 30 Fahrzeugen oder Schwertransporte. Es sei denn, dafür wurden besondere Vereinbarungen getroffen. Und darauf hoffen die Bundeswehr-Planer: Die Bundesländer müssen mit ins Boot geholt werden.

Während das eine Aufgabe für Juristen und möglicherweise für Politiker wird, müssen sich über andere Probleme die Logistiker selbst den Kopf zerbrechen. Zum Beispiel über Eisenbahnflachwagen für den Transport von schwerem Gerät und Fahrzeugen auf der Schiene. Da hat die Truppe selber einiges im Bestand, kommt damit aber noch nicht mal durch alle Länder der Europäischen Union:

In Europa gibt es keine einheitlichen Gleisspurbreiten. Im Großteil der europäischen Staaten wird die Regelspur von 1.435 mm verwendet. In Staaten wie Finnland, Estland, Lettland und Litauen wird die 1.520-mm-Breitspur verwendet. Je nach Zielort und Fahrtstrecke ist bei Verlegung auf der Schiene mindestens das Umspuren der Eisenbahnwagen erforderlich. Bei Nutzung der eigenen Eisenbahnflachwagen der Bundeswehr ist sorgar ein Umladen erforderlich, da diese nicht umgespurt werden können.

Immerhin, von den Flachwagen der Deutschen Bahn stehen viele in der Landschaft rum. Zum Beispiel in Brandenburg. Da lassen sich bestimmt wieder welche fit machen.

(Foto oben: Archivbild Juni 2015: Marder-Schützenpanzer des Panzergrenadierbataillons 371 beim Abladen in Karliki/Polen für die Übung ‚Noble Jump‘ – Foto Deutsch-Niederländisches Korps)