Protokoll einer Seefahrt: Schleichfahrt mit Hindernissen

Eigentlich ist es ein schöner Septembermorgen, an dem die Besatzung die Fregatte Brandenburg für zwei Tage in See klarmacht. Beim Frühstück noch vor Sonnenaufgang fällt nicht auf, dass die Kombüse des Kriegsschiffs nach einem Wasserschaden gesperrt ist, Brötchen gibt es auch so. Auch dass die Fregatte in den zwei Tagen nicht alzu weit in die Nordsee hinausfahren wird, weil wegen eines technischen Problems die Höchstgeschwindigkeit auf elf Knoten (rund 20 km/h) begrenzt ist, wissen die Männer und Frauen an Bord. Immerhin kommt die Brandenburg mal wieder aus dem Stützpunkt  heraus.

Die Fregatte der Klasse F123 hatte in den vergangen Monaten so ziemlich alle Probleme durchlitten, die die Schiffe der Deutschen Marine derzeit plagen. Eine – planmäßige – Instandsetzung in der Werft, bei der einiges schiefging und die deshalb vier Monate länger dauerte als geplant. Schlimmer noch: selbst nach dem Werftaufenthalt wurde die Brandenburg nur mit eingeschränkter Erklärung der Funktions- und Betriebssicherheit freigegeben. Und das nächste Eindocken ist dringend nötig – wird aber wegen fehlender Dock-Kapazität voraussichtlich erst im Januar kommenden Jahres stattfinden können.

Von den aktuellen technischen Schwierigkeiten, die die Fregatte und ihre Besatzung plagen, scheint die Sperrung der Kombüse zwar nicht das größte. Für ein Schiff, dessen rund 200 Männer und Frauen auf See regelmäßig mit Mahlzeiten versorgt werden müssen, ist das allerdings schon ein Problem. Die Küchenmannschaft behilft sich mit einer winzigen Not-Kombüse, in der gerade mal zwei Personen auf wenigen Quadratmetern kochen können, gegessen wird in der Messe der Portepee-Unteroffiziere. In Schichten.

Für die Funktionalität eines Kriegsschiffes bedeutsamer ist die Geschwindigkeit, die die Fregatte erreichen kann. Die kombinierte Antriebseinheit aus Diesel und Gasturbinen könnte die Brandenburg auf eine Dauerhöchstfahrt von knapp 30 Knoten (etwa 55 km/h) bringen. Diese Leistung wird jetzt nicht benötigt: mehr als elf Knoten sind nicht erlaubt, weil das Fenster des Sonardoms einen Riss hat – um den auszutauschen, ist ja der erneute Dockaufenthalt vorgesehen.

Zunächst hat das Schiff auch gar keinen Bedarf für Geschwindigkeit. Von der Pier im Marinestütztpunkt Wilhelmshaven geht es zunächst nur wenige Minuten hinaus in den Jadebusen: Dort soll überprüft werden, ob nach den umfangreichen Nachrüstungen in der Werft das SMART-S-Radar einwandfrei funktioniert und für den Einsatz der Waffen genutzt werden kann.

Dummerweise funktioniert das SMART-S nicht nur nicht einwandfrei, sondern gar nicht. Die nötige Kühlung der Anlage ist nicht gewährleistet, und Schiffstechniker wie auch die eingeschifften Spezialisten von Marinearsenal und Herstellerfirma suchen über Stunden erfolglos nach Ursache und Schadensbehebung. Am Nachmittag gehen die Spezialisten von Bord; die Brandenburg wird nun ohne dieses wesentliche Radar ihre Fahrt in die Nordsee fortsetzen.

Damit ist allerdings ein wichtiges Ziel des Kommandanten nicht mehr erreichbar: Fregattenkapitän Jan Hackstein (45) wollte die zweitägige Seefahrt nicht zuletzt nutzen, um das Zusammenspiel von Radar, neuem Führungs- und Waffeneinsatzsystem und dem 76mm-Bordgeschütz zu erproben. Mit dem Ausfall des SMART-S kann dieses Schießen nicht mehr stattfinden. So sei das eben, wenn man mit historischen Schiffen mit antiker Elektronik zur See fahre, kommentiert der Kommandant lakonisch die Probleme des 25 Jahre alten Kriegsschiffs.

Aber eine Fregatte hat ja noch etliche andere Waffen an Bord, an denen auch trainiert werden muss. Zum Beispiel das Auslaufen aus dem Jadebusen unter so genannter asymmetrischer Bedrohung – mit der (angenommenen) Gefahr, das Terrorangriffe mit kleinen, schnellen Booten gegen das Kriegsschiff gefahren werden. Dafür ist die Brandenburg, nicht selbstverständlich in der Marine, bereits mit den neuen Maschinengewehren des Typs MG5 ausgerüstet.

Allerdings wurden zwar die Maschinengewehre bereitgestellt, aber noch nicht die weitere Ausstattung für die Männer und Frauen, die mit dieser Waffe die Umgebung des Schiffes überwachen. Die vorgesehenen neuen Helme, unter die auch die Kopfhörer der bordinternen Sprechanlage passen, sind ebenso wenig an Bord wie die Schutzwesten. Beides soll noch nachgeliefert werden.

Das MG5 ist nicht die einzige Waffe, die die Fregatte für den Nahbereich zur Verfügung hat. Schwere Maschinengewehre vom Kaliber 12,7mm stehen ebenso zur Verfügung wie zwei Marineleichtgeschütze (MLG) mit dem Kaliber 27mm. Die werden aus der Operationszentrale unter Deck fernbedient, das Einlegen der Munition ist aber traditionelle Handarbeit an Deck.

Auf der rechten Seite, an Steuerbord, war das Kabel für die Bedienung des MLG beschädigt worden – deshalb gibt’s den ersten Schießversuch, als die Fregatte die offene See erreicht hat. Mit unbefriedigendem Ergebnis. Störung kommt die lapidare Meldung über die Lautsprecheranlage an Bord, als der erste Versuch schiefgeht. Was darauf folgt, kennen die meisten Computernutzer: Die Konsole für die Steuerung des Geschützes muss neu gestartet werden, erst danach geht der erste Feuerstoß in die Nordsee. Im Ernstfall ein wenig zu spät.

Auch wenn das Schiff langsam fährt, auch wenn die Technik Probleme macht: Eine Seefahrt ist immer auch eine Gelegenheit, die Besatzung zu trainieren. Erst recht, wenn die Brandenburg nach der Werftliegezeit etliche neue Besatzungsmitglieder an Bord hat und von einer zusammengeschweißten Mannschaft noch ein gutes Stück entfernt ist. Also geht in diesen beiden Tagen auch um die Klassiker: Mann über Bord und Feuer im Schiff. Nicht immer zur Begeisterung der Besatzung, wenn ein Mann über Bord-Manöver kurz vor Mitternacht gefahren wird.

Am Ende dauert die Seefahrt dann noch ein bisschen kürzer als vorgesehen – denn am zweiten Tag in See fällt dann auch noch das LW08-Luftüberwachungsradar aus. Die Brandenburg ist damit als Kriegsschiff praktisch blind (auch wenn sie natürlich, wie jeder Frachter, noch ein Navigationsradar an Bord hat). Kommandant Hackstein entscheidet sich für eine frühere Rückkehr nach Wilhelmshaven, aus ganz praktischen Gründen: Je eher das Schiff wieder im Stützpunkt liegt, um so eher können auch die Techniker des Marinearsenals wieder an Bord kommen, um die (neuen) technischen Defekte in Angriff zu nehmen.

Vermutlich habe ich bei dieser kurzen Seefahrt mit ihren zahlreichen Pannen eine nicht wirklich typische Häufung von Problemen miterleben können. Andererseits: Die Steigerung von Chaos heißt Marineinstandsetzung, schimpfte Mitte September der Gewerkschaftsfunktionär Frank Oltmanns in einem Gastbeitrag für die Wilhelmshavener Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht). Der ist im Hauptberuf Personalratsvorsitzender im Marinearsenal in Wilhelshaven – und sieht klare Ursachen für die Misere: Wehe, wehe, wenn die Leistungen des Marinearsenals weiter privatisiert und aus dem Rüstungskomplex herausgelöst werden, wie es einige Politiker fordern, dann werden wir beängstigende Zustände bekommen! Die Marineinstandsetzung ist ein Verbundsystem, wo ein Rädchen in das andere greift, sehr arbeitsteilig, das funktioniert nur reibungslos, wenn alles zusammenbleibt.

Vielleicht bekommt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bei ihrem Besuch bei der Marine am (heutigen) Donnerstag in Rostock ähnliches zu hören. Denn wie es mit der Arbeit des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), zu dem das Marinearsenal gehört, weitergehen soll – das steht ziemlich weit oben auf ihrem Aufgabenzettel.