Rüstungsexporte: Frankreichs Botschafterin beklagt „Willkür innenpolitischer Debatten“

In ungewöhnlicher scharfer Form hat sich Frankreichs Botschafterin in Deutschland in die Debatte über deutsche Exportbeschränkungen bei gemeinsamen Rüstungsprojekten eingeschaltet. Wenn bei Vorhaben wie dem geplanten französisch-deutschen Future Combat Air System (FCAS) Exporte außerhalb der EU aus Prinzip blockiert oder der Willkür aktueller innerpolitischer Debatten in einem der Partnerländer unterstellt werden, dann stellt dies die langfristige Realisierbarkeit dieses Programms in Frage, schrieb Botschafterin Anne-Marie Descôtes in einem Gastkommentar für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), der am (heutigen) Dienstag veröffentlicht wurde.

Die Diplomatin reagierte damit auf die jüngsten Entscheidungen der Bundesregierung, vor allem Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien auszusetzen und damit auch Exporte anderer EU-Länder zu stoppen, wenn die Waffensysteme deutsche Zulieferteile enthalten. Es gebe eine Unvorhersehbarkeit der deutschen Politik zu Ausfuhrkontrollen, insbesondere die Ungewissheit über die Umsetzung der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Leitlinien selbst bei nur geringen deutschen Anteilen wie Dichtungen oder Kugellager, klagte Descôtes.

Dieses Problem geht weit über die Länder hinaus, die am Jemen-Krieg beteiligt sind, und betrifft auch Exporte nach Senegal, Indien, Indonesien oder den Niger. Das verstärkt den Eindruck, dass das deutsche Exportkontrollsystem nicht restriktiv, sondern unberechenbar ist, und dass es sich vor allem an der aktuellen deutschen Innenpolitik und nicht allein an der strikten Anwendung europäischer Kriterien und internationaler Verpflichtungen ausrichtet.

Die Botschafterin wies die in der deutschen Debatte angeführte Ansicht zurück, die Regeln für den Rüstungsexport würden in Frankreich und anderen EU-Ländern großzügiger gehandhabt als in Deutschland. Entgegen einiger Stimmen aus Berlin ist das französische Kontrollsystem für Waffenexporte genauso streng wie das deutsche System. Es beruht auf klaren und vorhersehbaren Genehmigungsverfahren, betonte Descôtes. Zugleich verwies sie auf einen Schwachpunkt der deutschen Exportbeschränkungen, der in Frankreich nicht gelte: Ferner achtet Frankreich ganz besonders darauf, dass seine Waffenausfuhrkontrollinstrumente durch ausländische Niederlassungen französischer Unternehmen nicht umgangen werden. Deutsche Unternehmen wie der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall waren unter anderem deswegen in die Kritik geraten, weil  über Tochterfirmen oder Beteiligungen zum Beispiel in Italien und Südafrika Waffen an arabische Länder exportiert wurden.

Die Botschafterin mahnte Deutschland, bei den Entscheidungen über Rüstungsexporte gemeinsam produzierter System zum Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zurückzukehren, wie es jahrzehntelang der Fall war. Das sei vor allem für die geplante Vereinbarung für die Exportregeln bei den künftigen gemeinsamen Projekten wie FCAS und das Main Ground Combat System (GMCS) bedeutsam: Es geht vielmehr um gemeinsame Bewertungsgrundsätze, die auf dem Vertrauen beider in die Sorgfalt des anderen ruhen. 

Die Wortmeldung Descôtes‘ ist vor allem für die laufenden deutsch-französischen Gespräche über eine Zusatzvereinbarung zum Aachener Vertrag von Bedeutung, mit der der Umgang mit Rüstungsexporten geregelt werden soll. Der im Februar bekannt gewordene Entwurf  sieht vor,  dass keines der beiden Länder den Exportplänen des anderen widerspricht, so lange nicht dessen direkte Interessen oder die nationale Sicherheit beeinträchtigt sind. Diese Vereinbarung komme auch unter Beteiligung der SPD zustande, betonte die Botschafterin: Entgegen dem, was wiederholt berichtet wurde, wird dieses Abkommen mit der gesamten Bundesregierung ausgehandelt, also mit allen Partnern der Großen Koalition (CDU, CSU und SPD).

Schließlich habe auch SPD-Vizekanzler Olaf Scholz im August vergangenen Jahres vor französischen Unternehmern erklärt, Europa brauche eine gemeinsame Herangehensweise für militärische Ausrüstung: Daraus müssen wir die notwendigen Konsequenzen ziehen und uns auf gegenseitiges Vertrauen und auf klare, effiziente und vorhersehbare Genehmigungsverfahren für Waffenexporte stützen können. 

Der Wortlaut des Gastkommentars ist hier verfügbar.

(Archivbild: Jahresempfang des Wehrbeauftragten in der französischen Botschaft in Berlin am 12.6.2018, v.l. Wehrbeauftragter Hans-Peter Bartels, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Französischen Parlament, Sabine Thillaye, und Botschafterin Anne-Marie Descôtes – Marco Urban/Deutscher Bundestag)