Fall Franco A: Gefundene Munition kam von der Bundeswehr – und weitere Konsequenzen

Der Fall des unter Terrorverdacht festgenommenen Oberleutnants Franco A. wird für die Bundeswehr immer unangenehmer – und führt zu weiteren Konsequenzen. Das Verteidigungsministerium informierte am (heutigen) Donnerstagabend die zuständigen Abgeordneten, dass die bei einem ebenfalls festgenommenen Studenten gefundene Munition zum überwiegenden Teil aus Bundeswehrbeständen stammt. Bereits am Vortag hatte Ministerin Ursula von der Leyen so genannte Verwaltungsermittlungen angeordnet, die klären sollen, ob es im Zusammenhang mit dem Extremismusverdacht gegen den Oberleutnant den Verdacht eines Dienstvergehens bei seinen früheren Vorgesetzten gibt. Darüber hinaus soll möglichst schnell die Wehrdisziplinarordnung der Truppe geändert werden – nicht nur wegen dieses Falles, sondern auch wegen früher bekanntgewordener Vorfälle wie in Pfullendorf.

Bereits am vergangenen Wochende hatten Ermittlungsteams der Bundeswehr an mindestens vier Standorten, darunter beim Jägerbataillon 291 in Illkirch bei Straßburg (Foto oben), die so genannten Schießkladden verschiedener Einheiten untersucht. Hintergrund ist der Verdacht, dass Franco A. und möglicherweise auch andere Soldaten bei Schießübungen Munition abgezweigt und gehortet haben. Unter anderem sollen in Illkirch bei einem Sonderschießen nach einer regulären Übung zusätzlich 90 Schuss Pistolenmunition ausgegeben worden sein – exakt der Inhalt von sechs Magazinen der Pistole P8.

Bei dem 24-jährigen Studenten (und Zivilisten), den die Staatsanwaltschaft zusammen mit dem Oberleutnant festgenommen hatte, wurden mehr als 1.000 Schuss Munition gefunden. Sie soll praktisch komplett aus Bundeswehrbeständen stammen – in den Kalibern 9mm (Pistole P8), 5,56mm (Gewehr G36) und 7,62mm (Gewehr G3). Darüber hinaus wurden Leucht- und Nebelmunition sowie Teile von Handgranaten sichergestellt. Aufgrund der Losnummern ist die Munition eindeutig zuzuordnen, allerdings muss dafür in den Depots erst ermittelt werden, wann sie an wen ausgegeben wurde. Waffen wurden allerdings nicht entdeckt.

Mit der am Donnerstag aus dem Ministerium bekannt gewordenen Entscheidung der Ministerin, die Akten zum militärischen Werdegang von Franco A. zentral überprüfen zu lassen und dabei auch zu klären, ob es Anzeichen für ein Dienstvergehen früherer Vorgesetzter gibt, ist zunächst keine förmliche Vorermittlung nach dem Disziplinarrecht verbunden. Das hat Gründe – denn die Regularien sehen solche Ermittlungen auf der Ebene des Ministeriums nicht vor. Mit einer Verwaltungsermittlung* unter Federführung der Rechtsabteilung im Ministerium soll dies dennoch ermöglicht werden.

Die Führungsspitze des Bendlerblocks will dabei vor allem der Frage nachgehen, warum sowohl die Deutsche Stabsgruppe Frankreich als auch die Spitze des Streitkräfteamtes nicht entsprechend den Vorschriften vorging, als ein möglicher rechtsextremistischer Hintergrund des Offiziers erkennbar war: Ein Gutachter des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) hatte den Entwurf der Masterarbeit von Franco A. an der französischen Militäruniversität Saint-Cyr als radikalnationalistischen, rassistischen Appell eingestuft, der keinen wissenschaftlichen Wert habe.

Sowohl die deutschen Vorgesetzten in Frankreich als auch als letzte Instanz der Chef des Streitkräfteamtes, Generalmajor Werner Weisenburger, hatten jedoch von einem Disziplinarverfahren abgesehen – erklärtermaßen, um die Übernahme als Berufssoldat nicht zu gefährden. Allerdings, so hieß es aus dem Ministerium, sei dabei auch gegen den geltenden Erlass verstoßen worden, der bei Extremismusverdacht zwingend vorsehe, den Militärischen Abschirmdienst einzuschalten. An dieser Stelle habe es auch keinen Ermessensspielraum gegeben.

Als weitere Konsequenz aus diesem Fall, aber auch aus Beschwerden über Schikanen in der Ausbildung, Herabwürdigung oder sexuelle Demütigung wie in Pfullendorf oder Bad Reichenhall ordnete von der Leyen zudem, wie bereits am Vortag angekündigt, eine Überarbeitung der Wehrdisziplinarordnung an. Unter anderem sollen Prüfschleifen eingezogen werden, die bei wesentlichen Vorfällen ein Mehr-Augen-Prinzip garantieren: Ein Kommandeur soll nicht eigenständig eine Entscheidung treffen können, die einer Überprüfung entzogen und außerhalb des eigenen Bereichs unbekannt bleibt – wie im Fall des Streitkräfteamtes bei Franco A.

Das Ziel, die seit 1957 geltende – und 2001 redaktionell überarbeitete – Regelung schneller, sicherer und transparenter zu machen, will das Ministerium zunächst vor allem durch Neufassungen unterhalb der Schwelle von Gesetzesänderungen erreichen. Auch in dem Bewusstsein, das bis zur Sommerpause und damit vor der Bundestagswahl eine Gesetzesänderung kaum machbar wäre. Für eine Neufassung auch auf gesetzlicher Basis sollen aber bis dahin Eckpunkte erarbeitet werden.

*Was eine Verwaltungsermittlung bedeutet und umfasst, scheint so einfach nicht zu klären – einen Hinweis gibt es hier.

(Aus gegebenem Anlass bleiben die Kommentare auf moderiert – und gerne der Hinweis: Die Ministerin ist nicht von Kritik ausgenommen hier; aber Pöbeleien lasse ich nicht zu.)

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