Kampf gegen Piraten vor Somalia: Die NATO zieht sich zurück

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Es war mal eine wesentliche Aufgabe fast aller Industrienationen: Gleich drei maritime Einsatzgruppen waren in den vergangenen Jahren vor Somalia im Einsatz, um die Angriffe von Piraten aus dem ostafrikanischen Land auf Handelsschiffe zu verhindern – läuft doch vom Suezkanal bis weit in den Indischen Ozean die wichtigste Schiffahrtsroute zwischen Nordamerika, Europa und Fernost. Angesichts des fast vollständigen Rückgangs der Piratenaktivitäten hat die Europäische Union ihre Antipirateriemission Atalanta schon seit Monaten auf ein Minimum reduziert und wird noch weiter verringern, und jetzt hat die NATO ihren Einsatz gegen die Seeräuber vor der Küste Somalias komplett eingestellt.

Bereits am 19. November absolvierte ein dänisches Überwachungsflugzeug von den Seychellen aus den letzten Aufklärungsflug im Rahmen der NATO-Mission Ocean Shield:

A detachment of 20 Royal Danish Air Force officers and enlisted service members took flight in their aircraft from the Seychelles one last time on Nov. 19. The flight and a visit by Commander Maritime Air NATO Commodore Andreas Vettos marked the end of the 6th Royal Danish Air Force Challenger CL-604 deployment as a part of NATO standing Operation Ocean Shield.
The Danish detachment was the last of NATO forces assigned to the counter piracy mission in the Indian Ocean.

The detachment completed 17 sorties, or missions, and logged nearly 90 flight hours during their month-long tour. (…)
The detachment shut down the outpost operations as Operation Ocean Shield prepares to conclude at the end of this year. Overall, the Danish Challenger aircraft detachments completed more than 200 flights totalling more than 1,100 hours of patrolling along the Somali coastline and in the Indian Ocean since 2011.
As part of a bigger cooperation with the EU, United States and independent deployers, NATO has seen piracy activities in this area decrease from multiple incidences each month to zero within the last two years. At its peak, there were 33 ships held in captivity.

Zu diesem letzten Flug gibt es auch ein Video:


(Direktlink: https://youtu.be/_ruPajAZv84)

Wie die Europäische Union und die Seestreitkräfte anderer Nationen war die NATO, zumindest auf dem Papier, mit einem machtvollen Ansatz gegen die Piraten gestartet: Bis zu zehn Überwassereinheiten, so der Operationsplan aus dem Jahr 2009, sollten im Rahmen der Allianz gleichzeitig gegen die Seeräuber vorgehen, parallel zu den Schiffen von Atalanta und der Combined Task Force 151 (CTF151*), der vor allem Nationen außerhalb von NATO und EU angehören. Allerdings, auch das gehört dazu, erreichte Ocean Shield nie die vorgesehene Stärke.

Den massivsten Einsatz von Kriegsschiffen gab es in den Jahren 2008 bis 2012 – und im September 2012 konnten die Kommandeure der so genannten Großen Drei (Ocean Shield, Atalanta und CTF151) verkünden, dass es ganz nach dem Ende der Piraterie aus dem gesetzlosen Somalia aussehe: Der Einsatz der Seestreitkräfte, vor allem aber auch die ausgeweiteten Schutzmaßnahmen der Reeder schienen die Seeräuber dauerhaft abgeschreckt zu haben. Dazu trugen offensichtlich in erster Linie die bewaffneten Begleitmannschaften bei, die seitdem fast jedes größere Handelsschiff an Bord hat.

Seitdem wurde der Einsatz der Marinen kontinuierlich reduziert. Die Deutsche Marine zog im August die Fregatte Bayern aus dem Atalanta-Einsatz ab, schickte seitdem kein weiteres Schiff mehr dorthin – und wird das wohl auch auf absehbare Zeit nicht mehr tun. Lediglich ein deutscher Seefernaufklärer vom Typ P-3C Orion soll auch künftig für einige Monate im Jahr zu Überwachungsflügen in Djibouti stationiert werden. Das Force Headquarters der Atalanta-Mission, seit Beginn 2008 immer auf einem Kriegsschiff in der Region, wird demnächst in das Operations Headquarters in Northwood bei London integriert. Mal abwarten, wie viele Schiffe dann die EU-Nationen noch dauerhaft vor die Küste Somalias schicken – derzeit sind es nur noch zwei, eines aus den Niederlanden und eines aus Spanien.

Die CTF151 als zielgerichtete Anti-Piraterie-Mission bleibt bestehen, derzeit unter pakistanischem Kommando – allerdings gibt’s zu der Größe und den beteiligten Nationen kaum aktuelle Angaben.

Der reduzierte Einsatz vor Somalia hat sicherlich auch damit zu tun, dass EU wie NATO für ihre knappen Kriegsschiffe inzwischen vorrangig andere Aufgaben sehen. Vor allem im Mittelmeer. Deshalb schauen die Planer in den maritimen Hauptquartieren auch ein bisschen sorgenvoll auf aktuelle Nachrichten aus der Region: Sollte der Angriff auf einen deutschen Chemikalientanker im Oktober die Rückkehr der somalischen Piraten ankündigen, würde es vermutlich ziemlich schwierig, die Anti-Piraterie-Missionen zu alter Größe wieder aufzustocken.

(*nicht zu verwechseln mit der CTF150, die nach 9/11 zur Bekämpfung des Terrorismus eingerichtet wurde und an der sich auch die Bundeswehr bis 2010 beteiligte. Zeitweise war die Deutsche Marine mit unterschiedlichen Aufgaben parallel an der CTF150 und an Atalanta beteiligt.)

(Foto: NATO)