Bundesgerichtshof: Keine Entschädigung für den Luftschlag von Kundus (Neufassung)
Nach dem Luftangriff bei Kundus in Nordafghanistan am 4. September 2009, bei dem vermutlich mehr als 100 Menschen ums Leben kamen, muss die Bundesrepublik Deutschland keine Entschädigung an die Angehörigen der Opfer zahlen. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte am (heutigen) Donnerstag vorherige Entscheidungen des Landgerichts Bonn und des Oberlandsgerichts Köln. Entscheidend war nach Ansicht des III. Zivilsenats des Karlsruher Gerichts, dass das so genannte Amtshaftungsrecht auf militärische Handlungen der Bundeswehr im Rahmen von Auslandseinsätzen nicht anwendbar ist.
Der Luftangriff in der Nähe des Provincial Reconstruction Teams (PRT) Kundus war vom damaligen PRT-Kommandeur, dem deutschen Oberst Georg Klein befohlen worden. Klein hatte nach seinen Angaben befürchtet, dass zwei von Taliban entführte Tanklastzüge als rollende Bomben gegen das deutsche Feldlager eingesetzt werden könnten; außerdem hätten sich zahlreiche Taliban rund um diese Tanklaster aufgehalten. Wie sich später herausstellte, waren jedoch zahlreiche Zivilisten dort versammelt, die auf kostenlosen Brennstoff hofften.
Strafrechtliche Ermittlungen wegen des Angriffsbefehls gegen den damaligen Oberst, der heute Brigadegeneral ist, waren von der Bundesanwaltschaft eingestellt worden. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte im vergangenen Jahr die Einstellung, da die Handlungen des Offizieres nach dem Humanitären Völkerrecht zu beurteilen seien und damit nicht den Maßstäben des Strafgesetzbuches unterlägen.
Unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung hatten Angehörige von Opfern des Luftangriffes gegen Deutschland geklagt, um Schadensersatz zu erreichen. Das Oberlandesgericht Köln hatte im vergangenen Jahr in zweiter Instanz diese Klagen zurückgewiesen, da Klein mit der Anordnung des Luftschlags seine Amtspflichten nicht verletzt habe.
Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Entscheidung und kam darüber hinaus zu grundsätzlichen Entscheidungen, die für die Auslandseinsätze der Bundeswehr von Bedeutung sind.
Aus der Pressemitteilung des Gerichts:
Der … III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in Bestätigung und Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass den Klägern kein unmittelbarer völkerrechtlicher Schadensersatzanspruch zusteht und sie auch keinen Schadensersatzanspruch nach nationalem (deutschen) Recht haben, da das Amtshaftungsrecht auf militärische Handlungen der Bundeswehr im Rahmen von Auslandseinsätzen nicht anwendbar ist.
Es gibt nach wie vor keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der dem Einzelnen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung zusteht. Schadensersatzansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staatsangehörigen stehen grundsätzlich nur dem Heimatstaat zu, der seinen Staatsangehörigen diplomatischen Schutz gewährt.
Das Amtshaftungsrecht sei zudem für das Verwaltungshandeln im Inland geschaffen worden, nicht für Auslandseinsätze deutscher Soldaten:
Wie der allgemeine Aufopferungsanspruch, der Kriegsschäden nicht erfasst, ist die Vorschrift des § 839 BGB auf den „normalen Amtsbetrieb“ zugeschnitten. Die Entscheidungssituation eines verwaltungsmäßig handelnden Beamten kann nicht mit der Gefechtssituation eines im Kampfeinsatz befindlichen Soldaten gleichgesetzt werden.
Gegen die Anwendbarkeit des allgemeinen Amtshaftungstatbestands bei Kampfhandlungen deutscher Streitkräfte im Ausland sprechen auch systematische Erwägungen in Bezug auf das völkerrechtliche Haftungsregime, das als eine das nationale Recht überlagernde, speziellere Regelung anzusehen ist.
Die Werteordnung des Grundgesetzes zwingt nicht zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der Amtshaftungsnormen. Würde man das anders sehen, könnte es in mehrfacher Hinsicht zu Beeinträchtigungen der von Verfassungs wegen geforderten Bündnisfähigkeit Deutschlands und des außenpolitischen Gestaltungsspielraums kommen (z.B. Zurechnung völkerrechtswidriger Handlungen eines anderen Bündnispartners, kaum eingrenzbare – gesamtschuldnerische – Haftungsrisiken).
Vor allem aber, auch das entschied der BGH, kann dem damaligen Kommandeur oder anderen deutschen Soldaten keine Verletzung ihrer Amtspflichten angelastet werden:
Unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts scheitert ein hierauf gestützter Schadensersatzanspruch der Kläger im Streitfall jedenfalls daran, dass im Zusammenhang mit dem Luftangriff auf die beiden entführten Tanklastwagen keine Amtspflichtverletzungen deutscher Soldaten oder Dienststellen im Sinne konkreter schuldhafter Verstöße gegen Regeln des humanitären (Kriegs-)Völkerrecht zum Schutze der Zivilbevölkerung festgestellt sind. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt, dass für den PRT-Kommandeur nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten die Anwesenheit von Zivilpersonen im Zielbereich des Luftangriffs objektiv nicht erkennbar war. Die getroffene militärische Entscheidung war daher völkerrechtlich zulässig.
Das hat dann nicht nur für Georg Klein und den Fall Kundus Bedeutung – sondern auch für alle laufenden und künftigen Auslandsmissionen der Bundeswehr.
Mit der heutigen Entscheidung des BGH dürfte die juristische Aufarbeitung des Luftschlags von Kundus vor mehr als sieben Jahren abgeschlossen sein. Weitere Klagen, sollte es sie geben, dürften nach den höchstrichterlichen Urteilen von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgerichts wenig Aussicht auf Erfolg haben.
Wie bei diesem Thema nötig, bitte ich um sachliche und möglichst wenig emotionalisierte Debatte.
Nachtrag: Die Stellungnahme des Verteidigungsministeriums zum Urteil ist denkbar knapp:
Wir begrüßen, dass der Bundesgerichtshof unserer Rechtsauffassung so klar gefolgt ist.
Nachtrag Dezember 2016 (zum besseren Wiederfinden hier eingestellt): Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Aktueller Begriff: Das Urteil des BGH vom 6. Oktober 2016 zum Fall Kunduz
(Archivbild: Wrack eines der bombardierten Tanklaster, aufgenommen im November 2011 – Wikimedia commons/user BRFBlake unter CC-BY-SA-Lizenz)
Klingt auf den ersten Blick gut. Was mich allerdings irritiert ist der Passus „dass der Staat nicht für fahrlässige Pflichtverletzungen von Soldaten in Auslandseinsätzen der Bundeswehr haftet“.
Ich wüsste nicht, dass es eine Disziplinarmaßnahme gegen den seinerzeitigen Oberst Klein gegeben hat – eine Entscheidung, die viele gut fanden, hinter die aber auch einige zumindest ein Fragezeichen gesetzt haben. Oder hat man eine (schuldhafte)Dienstpflichtverletzung festgestellt, jedoch von einer Disziplinarmaßnahme abgesehen?
damit dürfte auf diesem leidigen kapitel hoffentlich ednlich der juristische sargnagel niedergebracht sein.
schön auch das der grundsatz tenor zukünftig für rechts-und handlungssicherheit sorgen dürfte. hinter paragraphen kann man sich dann zumindest weniger verstecken als vorher.
Rundherum gelungene Sache!
wacaffe | 06. Oktober 2016 – 14:36:
„damit dürfte auf diesem leidigen kapitel hoffentlich ednlich der juristische sargnagel niedergebracht sein. …“
Nein – der RA hat schon angekündigt, vor den EuGH zu ziehen.
Hans Schommer
Man kann nur hoffen, dass angesichts des Medien-Brimboriums keine deutschen Offiziere in Zukunft in ähnlichen Situationen vor der richtigen Entscheidung zurückschrecken werden.
@ Hans Dampf
Spon hat es etwas deutlicher geschrieben.
Bundesgerichtshof: Deutschland haftet nicht für Kunduz-Bombardement
http://spon.de/aeQlI via @SPIEGELONLINE
Bevor jemand fragt: Ich bezog mich auf die ursprüngliche Fassung des Artikels und hatte daraus zitiert. Angesichts der nunmehr erfolgten Klarstellung ziehe ich auch meine obige Frage zurück.
Da liegt es vor uns, das Schachbrett der Wiedersprüche und Gegensätze. Wohin wird demnach das politische Gleichgewicht verschoben?
Zivilisten, die Opfer der Kriegshandlung wurden wenden sich an ihre eigene Regierung, um etwaige Schadensersatzansprüche gegenüber einer ausländischen Macht durchzusetzen. Hierbei wird es dringend notwendig, dass diese lokale Regierung die Chutzpe aufzeigt, derartige Vorfälle zu beklagen.
Wenn nicht, wird das empfinden des „unter Besatzung sein“ bestärkt und treibt Wasser in die Mühlen des Gegners. Was wiederum, wie unter einem anderen Faden bereits dargelegt, beinahe zwingend zum Totalverlust führt.
Denn das Völkerrecht ist ein Kind der Westphälischen Anschauung. (Tipp: Worldorder von Kissinger lesen) Die dieser Anschauung zugrundeliegende Annahme war, dass geografische Entitäten sich strikt trennen liesen. die Globalisierung aber auch Demokratisierung hingegen ändert dieses Paradigma nun. Öffentliche Meinung und Glaubwürdigkeit wird zum politischen Kapital.
Wogegen die Globalisierung der Information auf der Hand liegt ist es angezeigt, auf die Demokratisierung zu achten. Denn damals konnte eine staatliche Authorität nach Gusto die entstandenen Kosten des politischen Handelns ungefragt-authoritär auf seine Bevölkerung bzw. geschädigte Individuuen abwälzen. Heute macht man es auch, aber es kostet unendlich politisches Kapital und Glaubwürdigkeit. In vorliegendem Falle wären unsere politischen Ziele in Afghanistan konterkarriert.
Die USA schrecken nicht davor zurück, Vehlverhalten der eigenen Militärs anzuzeigen. Nestbeschmutzung? Nein, Menschlichkeit und Glaubwürdigkeit!
Oberst Klein gab keinen „Angriffsbefehl“, sondern traf im Rahmen einer Verteidigungssituation im Zuge eines laufenden Angriffs der Aufständischen (der mit der Entführung der Tanklaster durch die Aufständischen begonnen hatte) eine Entscheidung zur Bekämpfung der Angreifer.
Leider wurde im Rahmen der juristischen Aufarbeitung nicht geklärt, ob die überlebenden Personen, welche direkt oder indirekt an dem Angriff beteiligt waren, Entschädigung an die Hinterblieben der bei dem Angriff getöteten Lastwagenfahrer leisten und für ihre mutmaßliche Beteiligung an einem Kriegsverbrechen (Tötung von Gefangenen) auf sonstige Weise zur Rechenschaft gezogen werden.
@ T.W.
Es gibt ein CC-BY-SA-3.0 Bild von den Tanklastern. Der Soldat war von November 2011 bis März 2012 in Kundus und hat mehrere Bilder gemacht, vielleicht hilft ihnen das beim illustrieren.
http://tinyurl.com/zepy4wt
@ AoR:
Nichts für ungut, aber selbst mir als Rheinländer tut es in den Augen weh, „Westphalen“ zu lesen ;-)
Im Übrigen:
Die disziplinarrechtliche Seite der Medaille wurde sinnfälligerweise vom Gericht nicht beurteilt, wenn ich das richtig verstehe: sprich, ob ein schuldhafter Verstoß gegen Dienstpflichten vorlag oder nicht.
Es wurde „nur“ der Frage nachgegangen, ob ein Verstoß gegen das HVR und somit eine Straftat nach VStGB vorlag. Dies war eindeutig nicht der Fall.
„Militärisch“/disziplinar kann (!!!!!) das hingegen anders aussehen. Dem Vernehmen nach war ja ein nicht unbekannter US-General nicht wirklich glücklich mit der Entscheidung, weil sie nicht im Einklang mit seiner „Policy“ und den ROE stand.
Typisches Berufungsurteil.
Nach der „gängigen“ zivilrechtlichen Legaldefinition von „Fahrlässigkeit“ wäre das ein (nachweisliches) „Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“. Der Gesetzgeber kann unmöglich diese Legaldefinition auf den Fall der Staatshaftung bei bewaffneten Auslandseinsätzen der BW übertragen, daran wird auch eine Verfassungsbeschwerde oder der Gang zum EuGH nichts ändern. Wie soll der Gesetzgeber denn “ Außerachtlassen der im Gefecht erforderlichen Sorgfalt“ definieren? Also kann man das schon als sehr „weise“ ansehen, dass der BGH nun die Fahrlässigkeit aus der „schuldhaften Pflichtverletzung“ im Falle von Auslandseinsätzen de jure entfernt hat und somit künftigen haftungs-/völkerrechtlichen, legalistischen Mitnahmeeffekten einen Riegel vorgeschoben hat.
„Sargnagel“ ist vielleicht im Zusammenhang mit über 90 Toten nicht die allerschönste Metapher. Zur Frage der Nichthaftung für fahrlässige Pflichtverletzungen sollte erst mal die Urteilsbegründung abgewartet werden. Vorsatz stand hier ja nicht im Raum und wenn der BGH eine Haftung bei Fahrlässigkeit ausschließt, muss er nicht prüfen, ob fahrlässiges Handeln vorlag. Das könnte er iÜ als Revisionsgericht sowieso nicht prüfen, sondern müsste ggf. an das OLG zurück verweisen.
Sorry, das verstehe ich nicht. Vom dienstrechtlichen/disziplinaren Aspekt war doch im Urteil nicht die Rede, sondern von der Sorgfaltspflicht gem. HVR bzw. damit zusammenhängend dem WStGB. Insofern ändert sich „binnenmilitärisch“ am Begriff der „Schuldhaftigkeit“ nichts. Oder habe ich da etwas überlesen?
@Axel_F
Danke, die kannte ich noch nicht. (Komischerweise scheinen die noch nirgendwo verwendet? Wirft die Frage der Verifizierung auf…)
@Hans Dampf:
Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Und ja, der Weg der Angehörigen der Opfer geht nun über den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag per eigener Regierung. (Ich denke 9/11 und MH-17 lassen grüßen.)
Der EuGH/evtl. Den Haag wird dennoch wichtig, denn er ist nicht „Deutsch/Westlich“. Bitte nicht falsch verstehen, aber hier geht es auch um PsyOps und Propaganda. Aber ich denke es wird Zeit dass Herr Oberst Klein von Afghanistan berichtet. Z.B über Verrohung durch derart kultur- und weltfremde Zustände und eine Bundeswehr die in Afghanistan hat lernen müssen, zu kämpfen. Was bedeutet es Soldat einer nach Clausewitz „gebildeter Völker“ – Armee zu sein? (@42)
Was meinte Peter Scholl Latour mit: „Wer Kalkutta nach Deutschland holt, rettet nicht Kalkutta, sondern wird Kalkutta“ … Denn da gibt es ein Hintertürchen in den Köpfen der Menschen, so ganz ohne Flüchtlinge usw. Soldatenherzen, ein Bezug zur Überwindung von PTBS lässt Grüßen … Hass und Angst.
(Nicht emotionalisierte Debatte, sondern Emotionen als Teil unserer Entscheidungswelt die Objekt der Debatte ist)
@Hans Dampf
Völlig richtig erkannt, „binnenmilitärisch“ ändert sich nichts an der Definition von „schuldhafter Pflichtverletzung“.
@GuDob
Wie schon in der Urteilsbegründung zu lesen steht hat der BGH ja festgestellt, dass „Das Berufungsgericht – (also das OLG) – hat seiner Entscheidung rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt, dass für den…….“ Damit hat der BGH seinen Job getan (Überprüfung des BerufungsVERFAHRENS). Gleichzeitig hat der BGH eine juristische „Binse“ bestätigt, die da lautet, dass kein Staat die Verpflichtung hat mit nationalem (Zivil-und/oder Straf)Recht (vermeintliche) Lücken im humanitären Völkerrecht zu schließen.
……das ist doch alles alter Schnee;die Vergangenheit hat doch immer wieder gezeigt,wenn ein deutscher Soldat von der Schußwaffe Gebrauch machen muß,oder wie hier im Falle Klein,immer wieder versucht wird,den entsprechenden Soldaten vor den Kadi zu zerren.Dem Soldaten bleibt relativ wenig Zeit,für eine Entscheidung pro oder contra Schußwaffe,er hat situativ zu handeln.Das ist im Falle Klein genauso.Die Strafverfolgungsbehörden hingegen leisten sich den Luxus,jahrelang zu erwägen,ob der Einsatz bzw.Befehl rechtens war.
@Gerd Künze: Was auch richtig so ist. Vor allem wenn unzählige Zivilisten ums Leben kommen. Denn jetzt habe wir eine Beweislastumkehr, denn die Taliban müssen darstellen, ob sie alles getan haben, um Zivilisten zu schützen.
@Gerd Künze
Und dieser Luxus war auch durchaus zum Vorteil von Soldaten.
Ich habe vor kurzem dazu einen älteren Artikel gelesen, wo die BW bei einem Bericht ans Gericht die störenden Umwelteinflüsse auf Wahrnehmung des Soldaten durch Ausrüstung anscheinend einfach völlig vergessen hat.
Das Gericht hat dann einfach ein praktisches Experiment durchgeführt und so einige Fragen und Anklagepunkte waren damit erledigt.
Im Fall Klein waren einige der Kontroversen Punkte aber von der BW der Öffentlichkeit auch nicht richtig und ordentlich erklärt worden.
Je mehr ich von der Sache erfahren habe, desto kritischer habe ich Kleins Entscheidungen betrachtet, bis mir hier auf AG ich mich Stückweise durchfragte(Weil ich ich u.a. erstmal die Ántworten verstehen und damit die richtigen Fragen stellen lernen musste, nochmals Dank an alle die sjch diese Mühe gemacht haben)
Andererseits halte ich es für richtig, das die Handlungen der Staatsgewalt auf Legitmität überprüft werden.
Noch immer haben wir die Formulierung „zwei von Taliban entführte Tanklastzüge“. Ein Lkw wird entweder geraubt (mit Waffengewalt) oder gestohlen/geklaut (heimlich), ggf. noch konfisziert, wenn man den Taliban entsprechende Kompetenzen einräumen will/muss. Entführen kann man nur Leute, oder übertragen etwas mit Leuten drin, ergo „Flugzeugentführung“.
Mir ist kein weiterer Fall eines Eigentumdeliktes bekannt, in dem der Begriff „Entführung“ verwendet wurde.
Sollte hier eine PR-Agentur von Anfang an sprachlich korrigiert haben?
@justanick
Man kann und muss von Entführung sprechen wenn den Fahrern eine Knarre an den Kopf gehalten wird und sie gezwungen werden Folge zu leisten. Hier von Raub oder Diebstahl zu sprechen ist glatte ‚Verarschung‘ der Leserschaft.
@AOR
Wenn man bei einem toten Taliban die Waffe entfernt, wird plötzlich ein toter Zivilist draus!
Das ist von Beginn an eines der großen Probleme dieses Falles.
@Essener
Dann wurden die beiden Fahrer entführt (was aber nie klar kommuniziert wurde, ob überhaupt, denn so ein Ding kann jeder fahren, vermutlich ist das Unrechtsbewußtsein mit einem 7,5 t Fleppen einen 40 Tonner zu bewegen nicht sonderlich ausgeprägt). Im Falle einer Geiselnahme/Entführung gilt die Priorität dem Schutz der Geisel. Und da ist ein Angriff per Flugzeug Ihr Mittel der Wahl um Leben und Gesundheit der Geisel zu schützen? Auch das wurde nie so kommuniziert, auch nicht implizit.
@ justanick | 08. Oktober 2016 – 9:58
Zum Zeitpunkt des Luftangriffes gab es da keine entführten Kraftfahrer oder „Geiseln“. Die sind schon kurz nach dem Überfall auf den Transport durch die Taliban am Straßenrand ermordet worden.
Was man darüber hinaus zu wissen glaubt: Die Mörder haben die gekaperten Fahrzeuge dann selbst mit irgendwelchen Amateuren [meine Meinung] bemannt und sind letztlich in Fluss stecken geblieben. Als es absehbar auch mit „Bergehilfe“ aus dem benachbarten Dorf nicht mehr weiter ging, soll die Bevölkerung aufgefordert worden sein, Sprit abzufassen. (Anm.: Nicht jeder Paschtune ist Taliban, aber jeder Taliban ist Paschtune).
Hans Schommer
@KlausK: JeIn
Das große Problem mit Partisanen/Guerilla/Terrorist ist in der Tat, dass er sich weniger von Militär unterscheiden lässt ( Nichtuniformierter Kombatant )
Aber im vorliegenden Falle sind ja die Familien bekannt geworden als Kläger und es wird schnell klar, dass diesen nicht zu unterstellen wäre primär Taliban zu sein. Die Taliban haben ihre Eigenschaft als „locals“ genutzt, um die festgefahrenen Laster freizuschaufeln. Das hat Herrn Oberst Klein den „Ar***“ gerettet. Übrigens, hat er das im Moment der Angriffsentscheidung gewusst?
Es bleibt ein kritisches Thema. Entscheidungsfindung bei Bedrohungslage, nichts was man wirklich verstehen kann, wenn man nicht selbst Grenzerfahrung gesammelt hat.
AoR | 08. Oktober 2016 – 17:33
„Das große Problem mit Partisanen/Guerilla/Terrorist ist in der Tat, dass er sich weniger von Militär unterscheiden lässt ( Nichtuniformierter Kombatant ). …“
Seit wann haben die Taliban denn nach AFG-, DEU- oder UN- Rechtsauffassung einen Kombattantenstatus? Das wäre mir neu. Und bringen Sie jetzt bitte nicht diese US-Konstruktionen in’s Spiel. Die entbehren jeder völkerrechtlichen Grundlage.
Hans Schommer
@Hans Schommer: So sehr die US Rechtsauffassung abwägig ist, so sehr trifft sie in der individuellen Wahrnehmung zu. Wäre eine interessante Debatte in wie Fern die Rolle der öffentlichen Meinung\Wahrnehmung in den unterschiedlichen westlichen Kulturkreisen Gesetzgebung und Auslegung beeinflusst. Bzw. diese gar implementiert.
AoR
Naja,
Gen Mc Chrystl (?) hatte mit D wegen diverser moralinsaurer Predigten ein Hühnchen zu rupfen – diese Chance hat er genutzt . Der Angepi … te war O Klein. Schon Mal darüber nachgedacht?
Wieviele Hochzeiten haben die USA getroffen?
@AoR | 08. Oktober 2016 – 17:33
„Das große Problem mit Partisanen/Guerilla/Terrorist ist in der Tat, dass er sich weniger von Militär unterscheiden lässt ( Nichtuniformierter Kombatant )“
Nichtuniformierter Kombatant?!
Nur in einer Situation denkbar: levée en masse, ansonsten sind Kombattante immer uniformiert (und sei es auch nur durch einheitliche – aber dem Gegner vorher bekanntgegebene – Kennzeichnung wie Armbinden und einfach Rangabzeichen).
„Die Taliban haben ihre Eigenschaft als „locals“ genutzt, um die festgefahrenen Laster freizuschaufeln. Das hat Herrn Oberst Klein den „Ar***“ gerettet. Übrigens, hat er das im Moment der Angriffsentscheidung gewusst?“
Warum sollte das eine Rolle spielen?
Sie sind nach meiner Meinung in die Falle einer eigenen Verhältnismäßigkeitsprüfung gerutscht. Da der DEU Einsatz in AFG zu diesem Zeitpunkt aber bereits eskaliert war, wurde er gem. den Regeln des HVR für bewaffenete Konflikte geführt.
Und in diesem Fall sind „Kollateralschaden“ grundsätzlich legal, solange sich der militärische Angriff gegen ein legitimes, militärisches Ziel richtete und die (absehbaren) Folgen nicht außerhalb jeglicher Verhältnismäßigkeit stehen. Beides war in der fraglichen Situation gegebnen…
@KlausK: Den Ansatz würden wir vertiefen, gibt es hierzu Material?
@Koffer: So wie ich es verstanden hatte, haben die Taliban als sprachliche wie ethnische locals die Dorfbevölkerung motiviert zu helfen, wohl im Eintausch gegen etwas Sprit, welcher zu gegebener Witterung begehrt war. Damit wurden die Zivilisten zu Helfershelfern einer militärischen Aktion.
Wie viele KM waren es noch bis zur Basis der BW?
@AoR „Wie viele KM waren es noch bis zur Basis der BW?“
Laut der Dokus, die ich gesehen habe, waren es 5 bis 6 km, bis zum Feldlager der Bundeswehr.
@AoR | 11. Oktober 2016 – 10:50
„wohl im Eintausch gegen etwas Sprit, welcher zu gegebener Witterung begehrt war. Damit wurden die Zivilisten zu Helfershelfern einer militärischen Aktion.“
Stimmt, damit wurden sie aber gerade NICHT zu Kombattanten. Kombattanten ist ein terminus technicus, mit dem zwar zum einen festgestellt wird, dass man militärischer Gegner ist (also getötet werden darf), aber zum anderen auch Schutzrechte erlangt. Kombattanten dürfen für ihre Teilnahme an Gefechtshandlungen z.B. grundsätzlich nicht rechtlich bestraft werden.
Zivile „Helfershelfer“ (sofern sie freiwillig handeln, was in diesem Fall aber vermutlich nicht gegeben ist), die an einem Gefecht teilnehmen können strafrechtlich belangt werden (z.B. wegen Totschlags). Ausnahme: levée en masse.
Wenn Ihre Aussage „nichtuniformierter Kombattant“ dahingehend gemeint war, dass die vor Ort anwesende Zivilbevölkerung bekämpft werden durfte WEIL sie durch ihre Anwesenheit „selbst daran schuld“ war, dann stimmt das natürlich bis zu einem gewissen gerade ethisch-moralisch Grade.
Aber rechtlich kommt es gar nicht darauf an, da es im „Krieg“ keiner rechtfertigen Begründung bedarf um Opfer unter der Zivilbevölkerung rechtlich (!) als zulässig zu bewerten (sofern die militärische Aktion einem legitimen, militärischen Ziel dient und die zu erwartenden Opfer unter der Zivilbevölkerung nicht außerhalb jeglicher Relation zum militärischen Ziel liegen).
@Koffer: Wie viele Soldaten waren im Feldlager? 6km ist nicht weit.
@AoR | 14. Oktober 2016 – 15:43
Ich verstehe Ihre Frage nicht. Irgendwie habe ich aber das Gefühl, als würden Sie auch mich nicht verstehen.
Wenn Sie aussagen wollten, dass das Bekämpfen der Tanklaster (und der zivilen „Helfershelfer“) rechtlich zulässig war, dann stimme ich Ihnen zu.
Und zwar aus zwei Gründen: Diejenigen Zivilisten die die Insurgents „aktiv und freiwillig“ unterstützt haben, war aufgrund ihrer eigenen Handlungen ein legitimes militärisches Ziel. Diejenigen, die nicht freiwillig vor Ort waren oder sich ihrer Teilnahme an einer illegalen Angriffsmaßnahme der Insurgents nicht bewusst waren, waren (rechtlich) zulässiger „Kollateralschaden“.
Nur wurden sie dadurch nicht zu „Kombattanten“ weder die der ersten Kategorie noch die der zweiten Kategorie.
@Hans Schommer
Hat sich das Völkerrecht nicht immer den Umständen angepasst?
Uniformen kamen Neuzeit eigentlich erst mit den Söldnerheeren des Absolutismus wieder in Mode(Schweden und die New Model Army mal außen vor)
Die Levee en Masse folgte dem Ruf der französischen Revolution.
Hätte das deutsche Heeres zwischen 1872 und 1914 sie nicht als Freischärler betrachtet?
Zwischen Spanien und Vietnam musste man Regeln für die Integration des Guerilla/Partisanen ins HVR und die Regeln des Krieges finden.
Ist das wieder eine Anpassung des Völkerrechts an die Situation?
@Koffer: Ja wir sind uns einig. Die Lücke zwischen rechtskonformer Handlung und empfundenem Unrecht füllt dann Bereitschaft zu humanitärer Zuneigung der militärisch agierenden Nation und die Bereitschaft die Opfer höchstrichterlich anzuhören. Eine tiefe Feindschaft wurde verhindert. Rundum gelungene Sache.
Was mich immer noch juckt, soweit ich das HVR kenne ist doch eben die Handlung Zivilisten direkt in die Nähe militärischer Eskalation zu bringen und damit den Kampfhandlungen auszusetzen ein Kriegsverbrechen. Solange Taleban keine griffige Definition haben, wie ahnden?
Wenn wir jetzt noch eine Zahl der im Feldlager durch explodierende Tanker und überfallende Taliban zu sterbende Soldaten hätten, würden wir diese Verhältnismäßigkeit sehen.
@ThoDan: Sehr richtig. Und um einen Stauner einzubauen. Vergleichen sie doch mal das HVR mir dem Kriegsrecht der Sharia. Dann recherchiere man wer in Frankreich für das moderne HVR zu würdigen ist.
ThoDan | 15. Oktober 2016 – 17:53
„Hat sich das Völkerrecht nicht immer den Umständen angepasst? …“
Nein. Das Humanitäre Völkerrecht wurde durch Staaten geschaffen und weiterentwickelt. Im hier diskutierten, konkreten Fall gibt es keine neu aufgepoppte Nische, in der noch irgend etwas zu regeln wäre. Es sei denn, Sie wollten bezüglich der Kennzeichnung von Kombattanten einen entschuldigenden Umstand einführen. Wie z.B. „zu blöde“ oder „mit dem Glauben nicht vereinbar“ – m.E. nicht mal einer Betrachtung wert.
Hans Schommer
@Hans Schommer
Bis so ungefähr 1945 hat man AFAIK Partisanen und Soldaten in fremden Uniformen üblicherweise hingerichtet.
Danach wurden die Regeln geändert, mWn wurden in Kenia, Malaysia Vietnam Guerillas nicht mehr so einfach erschossen
Nichtkennzeichnung von Kombatanten, wurde Zachary Boyd schon deswegen angeklagt?
AoR | 15. Oktober 2016 – 18:34
„Eine tiefe Feindschaft wurde verhindert. Rundum gelungene Sache.“
Ehrlich ich verstehe Sie nicht.
„Was mich immer noch juckt, soweit ich das HVR kenne ist doch eben die Handlung Zivilisten direkt in die Nähe militärischer Eskalation zu bringen und damit den Kampfhandlungen auszusetzen ein Kriegsverbrechen.“
NEIN! Es ist kein Kriegsverbrechen im Rahmen bewaffneter Konflikte welche unter die Maßstäbe des HVR fallen (wie zum fraglichen Zeitpunkt die Kampfhandlungen im Raum KDZ) Zivilsten Kampfhandlungen auszusetzen, sofern die militärische Handlung sich nicht originär gegen sie richtete, sonder gegen ein legitimes, militärisches Ziel.
Das sind dann sogenannte „Kollateralschaden“. Tragisch. Wo möglich zu vermeiden. Aber (im Regelfall) legal.
Lesen Sie bitte meine Ausführungen, ich möchte mich in diesem Fall nicht (zum vierten?!) Male wiederholen müssen.
„Wenn wir jetzt noch eine Zahl der im Feldlager durch explodierende Tanker und überfallende Taliban zu sterbende Soldaten hätten, würden wir diese Verhältnismäßigkeit sehen.“
Müssen wir nicht! In einem bewaffneten Konflikt gem. HVR müssen Sie keine „enge“ Verhältsnismäßigkeitsprüfung durchführen. Es kommt im Krieg (rechtlich) NICHT auf solche Abwägungen an.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, der Krieg ist eine Geißel der Menschheit. Und Kollateralschaden sind jedes Mal eine Tragödie.
Aber sie sind (bei anlegen eines weiten Maßstabs) im Regelfall legal.
@Koffer
Danke, das hätte man nicht besser zusammenfassend erläutern können.
Auch wenn vermeintliche „höhere moralische Instanzen“ gern anderes behaupten, ist das HVR im Rahmen bewaffneter militärischer Konflike in seinem Legalitätsrahmen erstaunlich weit gefasst. Und das ist auch gut so.
@Koffer: Die Taleban haben die Zivilisten im Rahmen eines Angriffs an die Stelle geführt. Und das ist verboten nach HVR. Lesen sie doch mal was ich schrieb.
Ich war zur Zeit des Angriffs auf die Tanklaster in einem muslimischen Land. Gleich drei Gespräche, welche mit dem Satz begannen, „don’t tell anybody u’re German“. Hätte unsere Regierung sich kalt auf das HVR berufen und keinen humanitären Ausgleich gesucht wie den Vorfall juristisch aufzuarbeiten, dann hätte sich die Sache ganz übel entwickelt.
Hier aus dem röm. Statut: „xxiii) die Benutzung der Anwesenheit einer Zivilperson oder einer anderen geschützten Person, um Kampfhandlungen von gewissen Punkten, Gebieten oder Streitkräften fernzuhalten;“
Das ist im Endeffekt den Taliban vorzuwerfen. Wer Zivilisten in die Nähe von Kampfhandlungen bring, hat dafür gerade zu stehen. In diesem Fall die Taleban, nicht wir.
@AoR … was wollen sie nun eigentlich???
Auf der einen Seite führen Sie an, dass die Taliban für die getöteten Zivilisten hätten zur Rechenschaft gezogen werden müssen, da sie diese vorsätzlich Kampfhandlung augesetzt haben.
Auf der anderen Seite zeigen sie auf, wie es scheinbar zumindest moralisch richtig und die Gesamtsituation beruhigend war („wuhuuuu .. don’t tell anyone, that you are German“), dass Deutschland für die Angehörigen der Opfer eine Soforthilfe ohne Anerkenntnis irgendeiner Schuld geleistet hat, obwohl – wie von Koffer nun mehrfach klar und deutlich ausgeführt – hierfür weder eine rechtliche Verpflichtung noch völkerrechtliche Schuld bestanden hätte, da das deutsche Handeln völlig völkerrechtskonform war.
Sie können aber gern eine Initiative vor dem Internationalen Gerichtshof einbringen, um die Taliban noch zur Verantwortung zu ziehen. Natürlich sollten sie vorab die afghanische Regierung und deren Justiz dazu ermutigen, die entsprechend verantwortlichen Personen festzustellen, festzusetzen und der dann jeweils zuständigen Gerichtsbarkeit zuzuführen.
@Fux: Leider ist die Debatte um Kunduz dichotom – bipolar verlaufen. Immer in der Erwartung, es gäbe eine schwarz-weiße Antwort irgendwo entweder bei Gut oder Bösartig, entweder Die oder Wir.
Leider hat es noch keiner geschafft, eine Gesamtdarstellung zu erarbeiten. Das Land ist über die Angelegenheit immer noch gespalten. Der zerfahrene Wiki-Artikel zeigt das hinreichend auf.
@Fux | 17. Oktober 2016 – 15:50
+1
AoR | 17. Oktober 2016 – 14:52, 15:50 und 16:08
Ich geb’s auf. Ich bin raus.
Ja, wir reden aneinander vorbei.