Deutsche Soldaten in Incirlik: Die Türkei fordert Abkehr von Armenien-Resolution
Der seit Monaten schwelende Streit um den möglichen Besuch deutscher Politiker bei Bundeswehrsoldaten auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik wird ständig ein bisschen absurder. Zum Mitplotten: Die Türkei verlangt jetzt ganz offiziell, dass sich die deutsche Politik von der im Juni vom Bundestag verabschiedeten Resolution zum türkischen Völkermord an den Armeniern distanziert, wie unter anderem Reuters berichtet:
Im Streit über Besuche von Abgeordneten bei deutschen Soldaten auf dem Stützpunkt Incirlik fordert die Türkei von der Bundesregierung, dass sie sich offiziell von der Armenien-Resolution des Bundestages distanziert.
„Wenn sie die notwendigen Schritte einleiten, werden wir den Besuch erlauben“, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Montag in Ankara. Wer sich allerdings in die türkische Geschichte einmische und sie verfälsche, werde keine Erlaubnis bekommen. Vertreter des Außenministeriums sagten, die deutsche Regierung müsse klarstellen, dass sie die Bundestagsresolution nicht unterstütze.
Begonnen hatte der Streit mit dem Verbot der Türkei für den Parlamentarischen Staatssekretär im Verteidigungsministerium Ralf Brauksiepe. Sowohl Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schalteten sich in die Debatte ein, erfolglos. Von Seiten deutscher Parlamentarier wurde dann ins Spiel gebracht, das Mandat für die deutschen Aufklärungs-Tornados und ein Tankflugzeug im Kampf gegen die ISIS-Terrormilizen in Syrien und Irak nicht zu verlängern, wenn es beim Stationierungsort Incirlik bleibt.
Mit der heutigen Aussage des türkischen Verteidigungsministers gibt es halt die nächste Stufe der Eskalation (und weiterhin die Frage nach der Zuverlässigkeit der Türkei als Verbündeter, wenn aus politischen Dingen solche Vorgänge verknüpft werden). Stay tuned.
Nachtrag: Der deutsche Außenminister hat, vergleichsweise undiplomatisch, die Aussage seines türkischen Kollegen zurückgewiesen:
Außenminister Frank-Walter Steinmeier wies am Montag eine Forderung seines türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu zurück, wonach das Besuchsrecht an die Armenier-Resolution des Bundestages geknüpft werden sollte. „Ich sehe nicht diesen unmittelbaren Zusammenhang und das habe ich dem türkischen Kollegen auch gesagt“, sagte Steinmeier in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“.
(evtl. Transkript dieses Interviews wird nachgetragen)
(Foto: Techniker bereiten am 8. Januar 2016 im Rahmen des Einsatzes Counter DAESH den ersten Einsatzflug zweier Recce Tornados auf der Air Base in Incirlik vor, am 08.01.2016 – Bundeswehr/Falk Bärwald)
Das Drama mit Zügen einer Tragikomödie nimmt weiter seinen Lauf.
Konfliktforscher und Historiker werden in Zukunft die Armenien-Resolution des Bundestages als Anfang vom Ende der deutsch-türkischen Freundschaft benennen. Auch wenn der Inhalt der Resolution untadelig sein mag, so zeigen die weiteren Vorgänge, dass sie politisch dumm war. Wenn Herr Steinmeier die Zusammenhänge nicht erkennt, hat er offenbar keine Ahnung von türkischer Mentalität. Seit Kinkel hat Deutschland wohl eher Pech mit der Leitung des Auswärtigen Amtes.
Die Schuld ist hier nicht nur bei der deutschen Regierung und dem Bundestag zu suchen, man wird sie aber wohl Deutschland zuordnen. Denn wie die Türkei und das Türkentum ticken, weiß man in der Bundesregierung oder hätte es wissen müssen. Dass Erdogan seit Jahren jeden Aufhänger für eine Provokation sucht, ist auch bekannt. Trotzdem ist es dumm, die Vertretung deutscher Interessen als moralgeschwängerten Oberlehrer-Zeigefinger zu inszenieren und sich deswegen in eine diplomatische Straßenrauferei zu begeben.
Da die hochbezahlten Fachleute in den deutschen Ministerien Diplomatie und Strategie offenbar nicht mehr können, sollte sich Deutschland zukünftig darauf beschränken, sich um seine Angelegenheiten zu kümmern und Einmischungen in innere Angelegenheiten anderer Staaten unterlassen.
Wenn man Außenpolitik nicht kann, sollte man das Nationen überlassen, die das können und in deren Windschatten mitsegeln. Genscher war da klüger als viele seiner Nachfolger.
@Wolfgang-2: Mit gutem Grund entscheiden bei uns eben nicht die Generäle, genau wie überall sonst eigentlich auch.
@Wolfgang-2
…. Entscheiden sollten die Generäle und nur die.
Das ist der Wunschtraum für alle Missionen.
Gibt es leider in DEU nicht.
Denn es zählt immer noch das „Primat der Politik“ und das wird wegen der TUR sicher nicht geändert.
@ Aufklärer19
> Das ist der Wunschtraum für alle Missionen.
> Gibt es leider in DEU nicht.
Naja rein äußerlich vielleicht nicht. Allerdings denke ich schon, dass seit Jahren die Natogeneräle „vorschlagen“ und die Politik dann entsprechende Beschlüsse fasst.
Und wenn das so rum ist, dann ist es den Politikern vielleicht völlig egal, wer ihnen ans Bein pisst. Wichtig ist nur, dass die geplanten Maßnahmen umgesetzt werden?
@ 42
> Konfliktforscher und Historiker werden in Zukunft die Armenien-Resolution des Bundestages als Anfang vom Ende der deutsch-türkischen Freundschaft benennen.
Das ist unwichtig. In Deutschland – oder auch Europa – leben nicht nur Türken, sondern auch Kurden Syrier, Armenier, Iraker, Iraner usw. und keiner hat das Recht dem anderen seine eigene Geschichte zu verbieten.
Vielleicht ist es einfach nur der Tag an dem die Türken angefangen haben zu begreifen, dass sie nur der Schwanz sind, der mit dem Hund wedelt?
@42: Und wo ist dann a) unsere Selbstwahrnehmung b) der Respekt vor den Armeniern c) unsere Glaubwürdigkeit im Hinblick auf Menschenrechte und objektive Wahrnehmung der Geschichte und der eigenen Rolle darin?
Völkermordende Staatsgebilde haben sich in der Geschichte nie lange gehalten, bzw. waren derart graußame Vorgänge IMMER der Anfang vom Ende.
Hunnen, Mongolen, Zaren, Kreuzzügler, Reich der Mitte, Osmanisches Reich, Kaiserreich Japan, British Empire, Frankreich als Kolonialmacht, Drittes Reich, Sovietunion … to be continued
@AoR
Also biite mal die Moschee im Dorf lassen. Ihr letzter Kommentar bringt in diesem Faden die deutschen Soldaten in Incirlik in einen völlig abstrusen Kontext mit dem Thema Völkermord ? Das wäre eine mehr als nur gewagte Unterstellung, dass die Türkei ein völkermordendes Staatsgebilde wäre ? Also bei allem Verständnis für ihre Kurden-Affinität…….das ist ziemlich starker Tobak.
@ AoR, klabautermann
Deutschland macht mal wieder den Fehler, dass es seine aktuelle Sichtweise absolut setzt und dann noch hingeht und von anderen verlangt, dieses Welt- und Geschichtsbild zu übernehmen.
Völkermord bzw. die gezielt bestimmte Bevölkerungsgruppen diskriminierende Vernichtung ist im Nahen Osten eher der Normalfall denn die Ausnahme. Sie können bei der biblischen Geschichte von Moses anfangen, bei der der Pharao die Tötung aller männlichen Israeliten anordnete. Ein Blick in die Bibel zeigt hier auf, wie weit weg unsere heutige Sicht vom weltweit dominierenden Normen- und Wertesystemen ist.
Beispiel 2. Buch Mose 1, 13 ff.:
Daher gingen sie hart gegen die Israeliten vor und machten sie zu Sklaven.
14 Sie machten ihnen das Leben schwer durch harte Arbeit mit Lehm und Ziegeln und durch alle möglichen Arbeiten auf den Feldern. So wurden die Israeliten zu harter Sklavenarbeit gezwungen.
15 Zu den hebräischen Hebammen – die eine hieß Schifra, die andere Pua – sagte der König von Ägypten:
16 Wenn ihr den Hebräerinnen Geburtshilfe leistet, dann achtet auf das Geschlecht! Ist es ein Knabe, so lasst ihn sterben! Ist es ein Mädchen, dann kann es am Leben bleiben.
17 Die Hebammen aber fürchteten Gott und taten nicht, was ihnen der König von Ägypten gesagt hatte, sondern ließen die Kinder am Leben.
18 Da rief der König von Ägypten die Hebammen zu sich und sagte zu ihnen: Warum tut ihr das und lasst die Kinder am Leben?
19 Die Hebammen antworteten dem Pharao: Bei den hebräischen Frauen ist es nicht wie bei den Ägypterinnen, sondern wie bei den Tieren: Wenn die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie schon geboren.
In diesem kurzen Zitat aus dem Alten Testament ist schon eine Menge bei, was heutzutage in Deutschland ganz böse ist. Menschen werden in Volksstämme aufgeteilt. Allein die Zugehörigkeit zum Volksstamm legitimierte Versklavung und Ermordung. Männer sind was anderes als Frauen, Mädchen können geraubt und im anderen Volksstamm assimiliert werden. Der unterlegene Volksstamm wird mit Tieren gleichgesetzt, im konkreten Beispiel ironischerweise zu seinem Schutz usw. Die moralische Instanz eines Gottes als Verbrechen einhegendes Element schwingt auch schon mit.
Mit dieser historischen Betrachtung von Wertesystemen könnte man nun bei Jesu Geburt weitermachen oder diverse Metzeleien aus dem Koran zitieren.
Im Ergebnis ist unser westliches heutiges Werte-Koordinatensystem geschichtlich betrachtet eher die Ausnahme, denn der Normalfall.
In Erdogans Interpretation des Völkermords an den Armeniern war das zynisch als Verlaufen in der Wüste bezeichnete Massaker ein regionaltypisches osmanisches Behaupten gegenüber einem anderen Volksstamm, der einem Siedlungsraum streitig machte. In türkischer Mentalität werden dann Vergleiche mit russischen/amerikanischen/arabischen/#wer immer auch gerade mitmacht Bomben auf IS-Kämpfer gezogen, bei der man sich ja auch das Recht herausnimmt, Menschen zu töten, weil sie Gedankenwelten im Kopf haben, die man für sich als Gefahr ausmacht.
Wir haben uns darauf geeinigt, sowas Relativierung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu nennen. Die Herrscher des Nahen Ostens betrachten uns deswegen als dekadente Weicheier, die ja mangels eigener Kinder bald ausgestorben sind. Herr De Maizière nennt das aktuell „Wissen nicht, wer wir sind“. Von so einer Menschenansammlung, das Wort Volk meidet Erdogan interessanterweise, wenn er sich auf die Deutschen bezieht, lässt sich ein stolzer Osmane doch nicht die Welt erklären, schon gar nicht seine Geschichte.
Mit unseren heutigen Wertvorstellungen befinden wir uns weltweit in der Minderheit und ehrlicherweise müssen wir einräumen, dass unsere Wertvorstellungen in den letzten Jahrzehnten eher an Boden verloren haben. Die Erdogans und Putins sind auf dem Vormarsch und haben wegen ihrer an jahrhundertealten Strukturen angelehnten Wertesysteme auch Zulauf in Deutschland.
Leider scheinen deutsche Behörden bei ihrer Entscheidungsfindung nicht mehr in der Lage zu sein, derart tradierte Meme und Identitäten zu berücksichtigen, sonst wäre dem Bundestag sowas wie die Armenien-Resolution nicht passiert.
Hui, jetzt wird’s aber lustig hier. Natürlich kann man Völkermord und ähnliches als regionale Folklore betrachten. Ich wäre nur dankbar, wenn AG nicht als Plattform für diese Sichtweise genutzt würde.
@ T.Wiegold
Wo habe ich getan, was Sie mir unterstellen? Ich würde mich ggf. gern korrigieren.
Ich habe versucht, Erdogans Sichtweise zu analysieren. Ich dachte, das sei hier das Thema.
@42
Die geistesgeschichtliche Herleitung Ihrer Aussage ist gelinde gesagt doch etwas unpräzise, denn das westliche Werte-Koordinatensystem, auf das Sie sich berufen, beruht auch auf jener alttestamentarischen Tradition, von der Sie sich scheinbar distanzieren.
@42: Die USA auch nicht als sie Hitler entfernt haben. /SCNR
@ Rumorist
Das biblisch codierte christliche Weltbild, auf dem unsere Werteordnung wesentlich aufbaut, kennt das Alte Testament im Wesentlichen als deskriptiven Teil über die Abgründe der menschlichen Natur. Im Neuen Testament ist dann niedergeschrieben, was Handlungsmaxime eines humanen Individuums sein sollte.
Ich distanziere mich nicht vom Alten Testament, sein Studium ist für das Verständnis der Funktion der Menschheit hoch aufschlussreich. In den Werten, die es zu leben gilt, finde ich mich aber eher im Neuen Testament wieder.
@42: Und gerade aufgrund der Vorkommnisse in Ägyten LOBT der Koran das Volk der Juden als „stramm“ (i.S.v durchhaltefähig).
Oft versuchen Menschen Krieg mit den kanonischen Texten entweder aus dem TaNaCH, dem alttestamentarisch wie auch dem neutestamenarischen Kanon (BIBEL) bzw. dem islamischen also dem KORAN herzuleiten. Vergessen sie es, spätestens in dem Moment eignet sich ein Prediger für Zielscheibe des Buchs (physisch), Exkommunikation bzw. öffentliche Steinigung aufgrund der Verunglimpfung der Worte der jeweiligen spirituellen Anführer.
Das können wir dann aber gerne woanders Diskutieren. Es geht um Land, Macht und Geld und damit ist Herr Erdogan analysiert.
P.S: Selbst der Koran ist ohne TaNaCH kaum zu verstehen …
@ AoR
Es ist nicht falsch, was Sie schreiben, wenn auch sehr simplifiziert. So ganz richtig ist es aber auch nicht.
Wer als Kriegsherr warum auch immer in die Schlacht zeihen will, der muss Menschen motivierten, für ihn die Schlachten zu schlagen und ggf. zu sterben.
Erdogan zieht dabei gerade recht erfolgreich sowohl die nationalistische, als auch die religiöse Karte.
In Deutschland müsste man wahrscheinlich die Rettung des Klimas oder Menschenrechte anführen, um ausreichend Legitimation zu erhalten, in den Krieg ziehen zu können. Oder der Geschichtskomplex muss es richten. Schließlich haben deutsche Minister den Balkan-Krieg mit Hufeisenplan und einem neuen Ausschwitz legitimiert, was sich später als sehr dünn herausstellte. Fischer und Scharping hießen die Herren meine ich, die mit solchen Geschichten in den Krieg zogen.
@42: Sie finden im Archiv Diskussionen ab von vor einem Jahr zwischen @KPK/@Klabautermann/ @BotG /@f28/ @Thomas Melber / @Samir Awwad so ziehmlich das selbe in Verbindung mit politischer Ökonomie / Ethnologie / Geografie / Wirtschaft / Demografie.
Die Religion als PsyOps und hybride Waffe / Propaganda des Krieges missbraucht.
Nein Erdogan ist machiavellisch Brutal, ein Counterpuncher par excellence, entweder ein begnadeter Manipulator oder latent narzistisch/histerionisch mit ausgeprägter ich-disynchroner Tendenz. (Satire keine Beleidigung / SCNR)
@Klabautermann… ups den Eindruck wollte ich in keinster Weise erwecken. Obwohl es ethnische Säuberungen an Kurden gab, sollte man nicht vergessen.
Und der nächste Akt im Drama wird aufgeführt.
Spiegel Online vermeldet, dass sich die Bundesregierung von der Armenien-Resolution des Bundestages distanzieren will. Somit würde Erdogans Forderung erfüllt und zukünftig können wieder Monkeyshows mit Bundestagsabgeordneten in Incirlik stattfinden.
Weil kein Politiker mit dieser Peinlichkeit vor die Bundespressekonferenz treten will, muss wohl Regierungssprecher Seibert herhalten.
Da hat sich Deutschland ja mal so richtig selbst demontiert und zu Erdogans Schoßhündchen gemacht.
Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. Zuerst beschließt der Bundestag hochmoralisch politisch korrekt rein deklaratorisch eine Armenien-Resolution, die außenpolitisch dumm ist. Anschließend distanziert sich die vom Bundestag gewählte/getragene Bundesregierung opportunistisch realpolitisch von dieser Resolution, um Bundestagsabgeordneten auch zukünftig Türkeireisen zu ermöglichen, die diplomatisch, militärisch und politisch meist wenig sinnvoll sind und von der Truppe oft als unnötige Belästigung aufgefasst werden. Aber im Wahlkampf und fürs eigene Ego macht es sich halt gut, die kämpfende Truppe an der Front inspiziert zu haben.
Für diesen geringen wahlkampfpopulistischen Wert opfert man das letzte bisschen außenpolitische Reputation, das Deutschland noch hatte und lässt sich als dummen Michel an Erdogans Leine auf dem diplomatischen Parkett blamieren.
Die Diskussion wird offenbar im Bällebad geführt. Gehört mein Kommentar dann dahin?
[Die Mehrheit der Kommentatoren sieht das derzeit so ;-) Und wie dort auch schon angekündigt: So wie die Nachrichtenlage derzeit ist, belasse ich das im Bällebad. Wenn sich das erhärtet, gibt’s einen Thread dazu. T.W.]