Mandat für neue Marine-Aufgabe vor Libyen kommt ins Kabinett (mehr Details)

Minenjagdboot DATTELN in See

Nachdem der UN-Sicherheitsrat eine Ausweitung der EU-Marinemission vor Libyen gebilligt hat und die Außenminister der Union die Operation Sophia um die Überwachung des Waffenembargos vor der libyschen Küste erweitern wollen, wird das Bundeskabinett am (morgigen) Mittwoch über ein ausgeweitetes Bundeswehrmandat beraten.

Die deutschen Kriegsschiffe im Einsatz mit den European Naval Forces Mediterranean (EUNAVFOR MED), künftig das Minenjagdboot Datteln (Foto oben) und der Tender Werra sollen dann neben der Aufklärung der Schleuserrouten und bei Bedarf Seenotrettung von Flüchtlingen als weitere Aufgabe durchsetzen, dass über See keine Waffen nach Libyen geschmuggelt werden – allerdings sind sie dabei weiterhin auf die internationalen Gewässer beschränkt und dürfen nicht in libyschen Hoheitsgewässern operieren. Neu wird wohl, dass  opposed boarding, das Stürmen von Schiffen auch bei Gegenwehr, in den Aufgabenkatalog aufgenommen werden soll.

Den Kabinettsbeschluss zum neuen Mandat kündigten Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am (heutigen) Dienstag in einem Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag an:

Es ist beabsichtigt, in der Kabinettssitzung am 22. Juni 2016 die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an einer erweiterten EU-Operation EUNAVFOR MED Operation SOPHIA zu beschließen und einen entsprechenden Antrag auf Zustimmung in den Deutschen Bundestag einzubringen. Die EU-Operation Sophia soll um die zusätzliche Aufgabe der Durchsetzung des vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Waffenembargos gegenüber Libyen sowie um Informationsaustausch, Ausbildung und Kapazitätsaufbau der libyschen Küstenwache und Marine erweitert werden.

(…)
Mit EUNAVFOR MED Operation SOPHIA geht die Europäische Union mit militärischen Mitteln gegen das menschenverachtende Geschäft von Schleuserbanden auf dem zentralen Mittelmeer vor. Gleichzeitig haben die an der Operation teilnehmenden Schiffe bereits mehrere Tausend Menschen aus Seenot gerettet. (…)
Um noch effektiver gegen die Schleuserbanden vorzugehen, hat der Rat der Europäischen Union am 20. Juni 2016 beschossen, Informationsaustausch, Ausbildung und Kapazitätsaufbau zur Unterstützung libyscher Küstenwache und Marine als zusätzliche Aufgaben in das Manda von EUNAVFOR MED Operation SOPHIA aufzunehmen. Die Unterstützung der libyschen Sicherheitsstrukturen im maritimen Bereich folgt einer Bitte der libyschen Einheitsregierung, berücksichtigt den Bedarf vor Ort und fügt sich als zusätzliches Element in den umfassenden Ansatz zum Aufbau selbsttragender staatlicher Strukturen in Libyen ein. (…)
Mit der am 14. Juni 2016 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedeten Resolution 2292 (2016) liegen nun zudem die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine aktive Rolle von EUNAVFOR MED Operation SOPHIA bei der Durchsetzung des VN-Waffenembargos gegenüber Libyen auf der hohen See vor. Der Rat der EU hat entsprechende Maßnahmen zur Durchsetzung des VN-Waffenembargos am 20. Juni 2016 als zusätzliche Aufgabe von EUNAVFOR MED beschlossen, um von maritimer Seite einen zusätzlichen Beitrag zur Stabilisierung Libyens und zur Eindämmung der Bedrohung durch die Terrormiliz Islamischer Staat zu leisten.

Die Seenotrettung, so heißt es in dem Schreiben, bleibe aber auch weiterhin als rechtliche und moralische Verpflichtung durch die deutschen Einheiten.

Wieder mal werden die Details interessant – zum Beispiel, wie und wo Aufbau und Unterstützung der libyschen Küstenwache stattfinden. Von entsprechender Aktivität an Land, also in Libyen selbst, ist ja weiterhin nicht die Rede.

Und ein weiterer neuer und möglicherweise kritischer Punkt ist bislang noch nicht zur Sprache gekommen: Bei der Schleuserbekämpfung wie der Durchsetzung des Waffenembargos können die beteiligten EUNAVFOR-Einheiten militärische Gewalt anwenden, das galt ja schon für die bisher festgelegten Aufgaben. Aber in der Bundeswehr wird auch erwogen, Boote mit Schleusern oder Waffenschmugglern auch bei Gegenwehr zu stürmen: Es gehe bei Sophia auch darum, opposed boarding möglich zu machen, sagte Generalinspekteur Volker Wieker Ende Mai bei einem öffentlichen Vortrag in Berlin.

Wer das unter welchen Bedingungen machen soll, wird eine interessante Frage.

Nachtrag: Weil inzwischen auch gerne mal als Gerücht kursiert, was schon in einer Pressemitteilung stand: Ein finnisches Boarding-Team wird auf der Werra eingeschifft:

Die „Werra“ unter dem Kommando von Korvettenkapitän Mirko Preuß (34) sowie die „Datteln“ unter dem Kommando von Korvettenkapitän Björn Fischer (36) werden gemeinsam Richtung Mittelmeer verlegen und am 1. Juli 2016 in Augusta (Italien) ihre Aufgaben von der Fregatte „Karlsruhe“ und dem Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“ übernehmen. Dort wird neben umfangreichem Material auch zahlreiches Zusatzpersonal eingeschifft werden, wie z.B. ein 12-köpfiges Boarding-Team der finnischen Marine auf die „Werra“. Diese Kooperation hat sich bereits seit Ende 2015 bewährt und wird noch bis Dezember 2016 fortgesetzt. Unter der Führung von Fregattenkapitän Torsten Eidam (42), der mit einem kleinen Stab ebenfalls an Bord des Tenders einsteigt, werden beide Einheiten für die nächsten Monate im Rahmen der „EUNAVOR MED – Operation Sophia“ zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität im Seegebiet zwischen Italien und der libyschen Hoheitsgewässer operieren.

Nachtrag 2: Der SpOn-Kollege Gebauer hat unten in den Kommentaren den kompletten Mandatsentwurf gepostet; der besseren Lesbarkeit halber stelle ich die wesentlichen Punkte hier auch noch rein:

Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:
1. Der Deutsche Bundestag stimmt der von der Bundesregierung am 22. Juni 2016 beschlossenen Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA zur Unterbindung der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer und der Erweiterung um die Beteiligung am Informationsaustausch, an der Ausbildung und Kapazitätsaufbau der libyschen Küstenwache und Marine sowie der Durchsetzung des VN-Waffenembargos gegenüber Libyen auf Hoher See zu.
In Bezug auf das Vorgehen gegen Schiffe, bei denen der Verdacht besteht, dass sie für Menschenschmuggel oder Menschenhandel genutzt werden, betrifft das vorliegende Mandat weiterhin ausschließlich das in Phase 2i) der Operation festgelegte Vorgehen auf Hoher See.
(…)
3. Auftrag
Für die Bundeswehr ergibt sich im Rahmen der EUNAVFOR MED Operation SOPHIA folgender Auftrag:
• durch Sammeln von Informationen und durch Patrouillen auf Hoher See im Einklang mit dem Völkerrecht die Aufdeckung und Beobachtung von Migrationsnetzwerken zu unterstützen,
• auf Hoher See Schiffe anhalten und durchsuchen, beschlagnahmen und umleiten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie für Menschenschmuggel oder Menschenhandel benutzt werden,
(…)
• Unterstützung der libyschen Küstenwache und Marine durch Ausbildung auf Hoher See oder in einem anderen Drittstaat, Informationsaustausch und Kapazitätsaufbau,
• Unterstützung sowie Durchführung von Maßnahmen auf Hoher See zur Durchsetzung des VN-Waffenembargos im Einklang mit anwendbarem Recht, (…)
Zudem gilt für alle im Rahmen von EUNAVFOR MED Operation SOPHIA eingesetzten Schiffe die völkerrechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung für in Seenot geratene Personen fort.
4. Einzusetzende Fähigkeiten
Für die deutsche Beteiligung an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA werden folgende militärische Fähigkeiten bereitgestellt:
• Führung,
• Führungsunterstützung,
• Militärisches Nachrichtenwesen einschließlich Abschirmung des Einsatzkontingents,
•  Seeraumüberwachung und -aufklärung,
• Lagebilderstellung- und -bereitstellung, einschließlich des Lagebildaustausches mit anderen Organisationen und Einrichtungen zum Zwecke der Bekämpfung der Menschenschleuser oder des Waffenschmuggels,
• Anhalten, Durchsuchen, Beschlagnahme und Umleiten, und damit im Zusammenhang stehende Sicherungsmaßnahmen,
• Sicherung und Schutz,
• logistische und administrative Unterstützung, einschließlich Transport und Umschlag,
• sanitätsdienstliche Versorgung,
• Kräfte zur Unterstützung der Ausbildung und des Kapazitätsaufbaus der libyschen Küstenwache und Marine,
• Seenotrettung.
(…)
7. Einsatzgebiet
Das Einsatzgebiet von EUNAVFOR MED Operation SOPHIA erstreckt sich über die Meeresgebiete südlich Siziliens vor der Küste Libyens und Tunesiens innerhalb der Region des mittleren und südlichen Mittelmeers. Hinzu kommt der Luftraum über diesen Gebieten.
Davon ausgenommen sind Malta sowie das umschließende Seegebiet innerhalb von 25 nautischen Meilen und die Territorialgewässer Libyens. Die Durchführung von Seenotrettungsmaßnahmen wird dadurch nicht beschränkt.

(Archivbild: Minenjagdboot Datteln – Bundeswehr/Björn Wilke)