US-Armee legt Bericht zu Angriff auf Hospital in Kundus vor – Keine strafrechtlichen Folgen
Die US-Streitkräfte haben am (heutigen) Freitag den offiziellen (und öffentlichen) Bericht zum Luftangriff eines US-Flugzeugs auf das Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Kundus in Nordafghanistan vorgelegt, bei dem am 3. Oktober vergangenen Jahres 42 Menschen starben. Der Bericht listet zwar Versäumnisse und Fehler des Militärs auf, über die bereits bekannt gewordenen internen Disziplinarmaßnahmen hinaus wird es aber keine strafrechtlichen Folgen geben:
The US military will seek no criminal charges against service members for a volley of airstrikes that killed 42 civilians in a hospital in northern Afghanistan in October.
While the military announced on Friday it has disciplined a dozen troops for one of the most infamous episodes of the longest-ever US war, the lack of criminal accountability defies a call from the nongovernmental group that ran the hospital in Kunduz, which has characterized the 3 October episode as a war crime.(…)
At the Pentagon, the US commander in the Middle East and South Asia, Army General Joseph Votel, said it was “not a war crime” because striking the hospital was not an “intentional act” – something John Sifton of Human Rights Watch called “simply wrong as a matter of law”.
berichtet der Guardian vom Briefing im Pentagon.
Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) reagierte in einer ersten Stellungnahme fassungslos:
“Today’s briefing amounts to an admission of an uncontrolled military operation in a densely populated urban area, during which U.S. forces failed to follow the basic laws of war.”
Der ganze – nicht ganz einfach zu lesende, weil sehr technische – Bericht (mit einigen entfernten Informationen) steht hier zum Herunterladen bereit. Wichtiger Lesestoff im Hinblick nicht nur im Hinblick auf den Angriff auf das Krankenhaus – sondern auch im Hinblick auf die damalige Lage in Kundus. Aber vor allem hat sie Bedeutung für sehr fehleranfällige Prozesse innerhalb der (nicht nur amerikanischen) Streitkräfte.
Die vorangegangenen Berichte auf Augen geradeaus! zum Thema sind hier zu finden.
Nachtrag: Eine journalistische Spurensuche (allerdings vor Veröffentlichung des US-Berichts geschrieben) hier:
Death from the Sky – Searching for Ground Truth in the Kunduz Hospital Bombing
(Foto oben: Das Krankenhaus nach dem Angrif – Foto MSF; unten: Ausriss aus dem US-Bericht)
Grund genug für mich, meine frühere (und offensichtlich zu frühe) Einschätzung zu revidieren. Ich hatte in diesem Blog gepostet „Die Aircrew hat alles richtig gemacht“. Offensichtlich eine Fehleinschätzung. Wie mein Vater schon sagte: Erst mal den Ball flach halten. Hätt ich mal dran denken sollen.
Hans Schommer
Man stelle sich mal vor die Nazis hätten den Nürnberger Prozess selbst abgehalten.
Kannste dir nicht ausdenken…
Und stellt euch mal vor, VW würde seine eigenen Abgaswerte kontrollieren…ooohhh wait.
Das ist Realsatire oder?
Kein wunder das die Ärzte ohne Grenzen leicht erregt sind, wenn der Bock zum Gärtner gemacht wurde.
@ Hans Schommer
Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufrichtigkeit, die mich wirklich sehr beeindruckt.
Wie schon im Oktober letzten Jahres abzusehen war, lies sich der an den Haaren herbeigezogene Vorwurf eines Kriegsverbrechens nicht halten.
Erfreulich zu sehen, dass ultimativ auch das US Militär zu dieser Schlussfolgerung gekommen ist.
Irrtümliche, grob fahrlässige oder fahrlässige Kriegsverbrechen sind also keine Verbrechen……offenbar muß „man“ das vorher ankündigen / SCNR
Kriegsverbrechen würde ich immer mit Absicht gleichsetzten, das andere ist halt ein Unfall. Wenn dies durch eine grobe Fahrlässigkeit zustande gekommen ist kann man immer noch juristisch tätig werden, aber eben nicht als Kriegsverbrechen.
Ein Kriegsverbrechen würde nur vorliegen, wenn das Krankenhaus mit Vorsatz (wissen und wollen) bombardiert worden wäre. Sprich, hätte die Crew gewusst, dass es sich beim dem Ziel um ein Krankenhaus (no strike target) handelt und es trotzdem bombadiert, dann würde es sich um ein Kriegsverbrechen handeln. Ankündigen hat damit nichts zu tun.
Da die Crew gegen Einsatzregeln des US Militärs verstieß handelte sie zwar fahrlässig, aber nur im Rechtsbereich der ROEs. Und ein Vertoß gegen die ROEs muss nicht zwangsweise ein Verstoß gegen das Völkerrecht beinhalten, da diese wesentlich umfangreichere Auflagen für das militärische Handeln beinhalten.
Also: Alles richtig gemacht seitens der US Militärgerichtsbarkeit. Kriegsverbrechen nein, Verstoß gegen die Einsatzregeln und damit Disziplinarmaßnahmen ja
@ Forodir „Kriegsverbrechen würde ich immer mit Absicht gleichsetzten, das andere ist halt ein Unfall.“
@ Tobias Spiegler: „Ein Kriegsverbrechen würde nur vorliegen, wenn das Krankenhaus mit Vorsatz (wissen und wollen) bombardiert worden wäre.“
General Joseph Votel: „It was “not a war crime” because striking the hospital was not an “intentional act”“
Es ergeben sich durchaus unerwartete Konsequenzen, wenn man diese Grundsätze auf den Abschuss der malaiischen Boeing MH17 über der Ukraine im Juli 2014 anwendet.
FAKTEN:
a) Es ist wohl kaum anzunehmen, dass hier eine wissentlich zivile Maschine mit Vorsatz vernichtet werden sollte.
b) Vielmehr deutet alles darauf hin, dass aufgrund von menschlichem/technischem Versagen entweder das zivile Flugzeug als legitimes militärisches Ziel erkannt wurde (wie im vorliegenden Fall in Kundus) oder ein legitimes Ziel (Übungsziel wie beim Sibir-Flug 1812 oder z.B. ein ukrainisches Kampfflugzeug) verfehlt wurde und das zivile vernichtet.
c) Alle in Frage kommenden „Täter“ – Separatisten (Soldaten der „Volksrepubliken“), Angehörige der russischen oder ukrainischen Streitkräfte – sind Kombattanten im Sinne des Völkerrechts. So haben sie das Recht, legitime militärische Ziele zu bekämpfen, ohne sich strafbar zu machen.
d) Die Frage um die Rechtmäßigkeit des Konflikts an sich ist für die rechtliche Bewertung des Abschusses von MH17 unerheblich (sonst hätte sich jeder Angehöriger der Wehrmacht allein durch die Beteiligung an einem Angriffskrieg strafbar gemacht).
FAZIT:
Unabhängig davon, wer und wie die MH17 abgeschossen hat – es wäre offenbar kein Kriegsverbrechen.
Das ist doch sehr überraschend. Die öffentliche und politische Wahrnehmung des Abschusses der MH17 ist doch auf allen Seiten gleich: es war ein Verbrechen. Gestritten wird nur noch um die Täterschaft. Nun stellt sich heraus, dass der Täter keine rechtlichen Folgen zu befürchten hat (außer ggf. Disziplinarmaßnahmen).
Da bin ich auch etwas ratlos. Also entweder kann der obere Grundsatz „Kriegsverbrechen nur bei Vorsatz“ so nicht ganz stimmen, oder die öffentliche und politische Wahrnehmung des Abschusses der MH17 als Kriegsverbrechen (egal von welcher Seite) führt komplett in die Irre – mit dramatischen politischen Konsequenzen.
Oder weisen meine Überlegungen einen Denkfehler auf?
@ TW: Diese Frage ist m. A. n. kein OT, denn es ist ja gerade Sinn der Diskussion zu einem Fall, ihn mit anderen Fällen zu vergleichen, in einen breiteren Kontext einzuordnen und dann daraus Lehren zu ziehen.
Aus dem Bällebad in den thematisch treffenderen Thread verschifft (jetzt denke ich auch an den Link):
Die Washington Post zitiert aus einem Bericht eines Special Forces Offiziers zum Fall von Kunduz im letzten Jahr. Dieser geht ausgesprochen harsch mit so ziemlich der gesamten Kommandokette, der er im Rahmen von Resolute Support unerstand, ins Gericht:
Da hat mal jemand Dampf abgelassen.
https://www.washingtonpost.com/news/checkpoint/wp/2016/04/29/green-beret-officer-blames-moral-cowardice-for-doctors-without-borders-strike/
@ PS
der Abschuss der zivilen Maschine über der Ukraine stellt dann eben kein Kriegsverbrechen dar wenn es durch Fehler passiert ist, siehe auch der Abschuss der Iran-air-flight-655, es kann aber sehr wohl sein das fahrlässige Tötung oder Totschlag und all die anderen juristischen grau-Schattierungen angewandt werden können, nur weil es kein Kriegsverbrechen ist ist es nicht automatisch straffrei.
Das Öffentlichkeit und Politik zu Vereinfachungen greifen wäre nichts neues, aber das „Label“ Kriegsverbrechen ist eigentlich für andere Dinge gedacht.
Der Einsatz einer BuK durch vermutlich schlecht oder rudimentär ausgebildetes Personal ohne Feuerleitung in einem Raum und Höhe in der durchaus Zivil Maschinen noch zu erwarten waren stellt zumindest eine grobe Fahrlässigkeit oder ein in-kauf-nehmen dar.