Dauerbrenner: Bundeswehreinsatz im Inneren?
Die Debatte über die Frage, ob die Bundeswehr auch im Inneren eingesetzt werden sollte, ist Jahrzehnte alt und kommt zu passenden Gelegenheiten immer wieder hoch – der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz verwies in einem Interview mit Bundeswehrmedien im Februar darauf, dass er schon in den 1990-er Jahren zusammen mit dem damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble für eine entsprechende Verfassungsänderung geworben habe. Verschiedene Ansätze dazu waren von der Union immer wieder zu hören, ebenso regelmäßig wurden sie von den anderen Parteien zurückgewiesen. Deshalb zur jetzt wieder aufgeflammten Diskussion ein Blick auf die Debattenlage:
Im Entwurf des neuen Weißbuches zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, so berichtet die Süddeutsche Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht), werde ein neuer Anlauf für den Bundeswehreinsatz im Inneren gemacht:
Bislang könne die Bundesregierung die Bundeswehr im Innern etwa im „Fall des inneren Notstandes“ einsetzen, heißt es in einem Entwurf für das neue Bundeswehr-Weißbuch, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt: „Charakter und Dynamik gegenwärtiger und zukünftiger sicherheitspolitischer Bedrohungen machen hier Weiterentwicklungen erforderlich, um einen wirkungsvollen Beitrag der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr an der Grenze von innerer und äußerer Sicherheit auf einer klaren Grundlage zu ermöglichen.“
Nun ist das bislang nur ein Entwurf, der aus dem Verteidigungsministerium kommt, das von der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geführt wird. Da das Weißbuch aber ein Dokument der gesamten Bundesregierung ist, wird es mit anderen Ressorts abgestimmt – in erster Linie mit denjenigen, die ebenfalls Berührung mit der Sicherheitspolitik haben, vor allem also das Auswärtige Amt. Und dessen SPD-Chef hat schon Wiederstand gegen eine solche Änderung signalisiert:
„Weißbuch hin oder her – eine Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr im Innern wird es mit der SPD nicht geben“.
zitiert Spiegel Online das Umfeld von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ähnlich auch die Deutsche Presse-Agentur: Mit der SPD ist eine Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren nicht zu machen.
Damit bewegt sich auch die aktuelle Debatte auf den gleichen Linien wie die Diskussionen vergangener Jahre, auch wenn der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der saarländische CDU-Politiker Klaus Bouillon, den Vorstoß seiner Parteifreundin von der Leyen befürwortete:
Ich begrüße es, dass die Anpassung des Grundgesetzes nun auch auf Bundesebene diskutiert wird. Nach dem schrecklichen Terror in Belgien und Frankreich müssen wir alle verfügbaren Kräfte bündeln, um die Menschen zu schützen. Für die Polizei wäre ein unterstützender Einsatz durch die Bundeswehr in gewissen Notsituationen hilfreich. Daher muss die Bundeswehr ein verlässlicher Partner für die innere Sicherheit werden.
Nun hat das Ganze jenseits der verfassungsrechtlichen Frage noch eine ganz praktische Komponente. Denn bei all diesen Wortmeldungen ist kaum davon die Rede, dass die Bundeswehr die Polizei mit spezifisch militärischen Mitteln unterstützen sollten, wie es zum Beispiel im Fall der Entführung von Flugzeugen sinnvoll ist, weil nur die Streitkräfte über eigene Abfangjäger verfügen. Statt dessen geht es offensichtlich darum, Lücken bei der Polizei in den Ländern (und vielleicht auch beim Bund) durch Personal aus den Streitkräften zu stopfen. Aus den Streitkräften, die personell nicht gerade über zu viel verfügbare Kräfte und Zeit verfügen – und zudem ganz anders ausgebildet sind als Polizisten:
Man kann nicht die Polizei erst jahrelang kaputt sparen und ihnen notwendige technische Ausrüstung vorenthalten und dann, wenn es gefährlich wird, nach der Bundeswehr rufen. Vor allen Dingen muss man ja die Frage stellen, wo dann eigentlich die Grenze ist und ob demnächst dann Panzer möglicherweise bei einer Demonstration oder bei einem Fußballspiel auffahren sollen. (…)
Erst Polizeiplanstellen streichen und die Ausrüstung der Polizei vernachlässigen und dann nach der Bundeswehr rufen, ist der falsche Weg.
sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, im Deutschlandfunk.
Mit anderen Worten: Die Debatte ist nicht neu, diegegensätzlichen Ansichten sind nicht neu, und die Wahrscheinlichkeit einer Realisierung ist bislang ähnlich hoch wie beim Vorstoß von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble 2007.
Nachtrag: Wie auch in den Kommentaren erwähnt, zur früheren Diskussion noch Fundstellen, zwei Geschichten von mir:
Im Mai 2006 zu den Beratungen über das neue Weißbuch:
Im neuen „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“, bislang noch nicht mit den anderen Ressorts der schwarz-roten Regierung abgestimmt, versucht sich das Wehrministerium an einer Definition. „Der Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung sowie der Spannungs- wie der Verteidigungsfall stellen traditionell auf eine äußere Bedrohung ab. Infolge der neuartigen Qualität des internationalen Terrorismus sind heute Anschläge Realität geworden, die sich nach Art, Zielsetzung und Intensität mit dem herkömmlichen Begriff des Verteidigungsfalls gleichsetzen lassen.“
Und 2008 waren Union und SPD schon mal fast schon einig über eine Grundgesetzänderung:
Deutsche Soldaten sollen künftig in Extremsituationen wie schweren Terroranschlägen auch im Inland eingesetzt werden dürfen.
Auf eine entsprechende Grundgesetzänderung haben sich Union und SPD am Sonntagabend im Koalitionsausschuss verständigt. (…)
Union und Sozialdemokraten stimmten im Koalitionsausschuss einer Verfassungsänderung zu. Danach soll der Artikel 35 des Grundgesetzes, der bereits jetzt dem Militär Amtshilfe bei Unglücksfällen erlaubt, erweitert werden: „Zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalles“, für die die Mittel der Polizei nicht ausreichen, soll die Bundesregierung „den Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Mitteln“ anordnen können, heißt es in dem Gesetzentwurf, der FOCUS Online vorliegt. Die Neufassung soll in den nächsten Wochen vom Bundeskabinett beschlossen werden. (…)
Mit der Neuregelung soll zudem die Bundesregierung – und in dringenden Fällen der Verteidigungsminister – das Recht bekommen, den Bundeswehreinsatz selbst anzuordnen. Bislang ist der Einsatz von Soldaten zur Amtshilfe daran gebunden, dass die für die Katastrophenabwehr zuständigen Bundesländer die Truppe anfordern.
Diese Verfassungsänderung kam dann doch nicht zustande, weil die SPD geltend machte, da sei von der Union mehr reingepackt worden als die Sozialdemokraten mittragen könnten.
(Die Links zu den Focus-Geschichten sind deutlich älter als ein Jahr; außerdem stammen beide Geschichten von mir; deshalb hier die Links.)
(Archivbild: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Gebirgsjägerbrigade 23 in der Hohenstaufen-Kaserne in Bad Reichenhall am 23.03.2016 – Bundeswehr/Marco Dorow)
Kleiner Zwischenruf:
Das Tornado-Beispiel hinkt ein wenig aus meiner Sicht:
1. Die Tornado flogen keinen bewaffneten Einsatz
2. Die Polizei hatte wohl nicht die Mittel, in so kurzer Zeit großräumig aus der Luft aufzuklären/zu suchen
Auf jeden Fall: kein Präzedenzfall für den bewaffneten Einsatz der BW im Inneren, auch nicht, weil die Tornado ja bewaffnet werden könn(t)en.
Dieses Beispiel geht also am Kern der hier geführten Diskussion imho a bisserl vorbei.
Ende Zwischenruf
@klabautermann | 18. April 2016 – 10:58
Ich bin der Ansicht, die Diskussion geht jetzt genau in die richtige Richtung und beschreibt gut die eigentliche Problematik. Weg von der Verengung auf den „Einsatz bewaffneter Soldaten im Inland“ hin zu den Fragen: Welche Fähigkeiten hat die Bundeswehr (bewaffnet, aber auch unbewaffnet)? Können diese Fähigkeiten bei der gegenwärtigen Bedrohungslage auch im Inland genutzt werden? Wenn ja, welche und unter welchen Voraussetzungen? Was sind die (rechtlichen) Grenzen und wie lassen sich diese durchsetzen?
Das alles lässt sich nicht mit dem Tatbestand „Amtshilfe“ lösen. Der Fall Heiligendamm zeigt dieses deutlich. Auch die Diskussion hierüber in diesem Blog.
@Simon K. | 18. April 2016 – 8:32 und 10:47
JA, ich kenne die Möglichkeiten von SIGNIT,
NEIN, ich möchte nicht das MALE-Drohnen über der Bundesrepublik kreisen und die elektronische Kommunikation überwachen,
JA, ich möchte, dass bei besonderen Bedrohungslagen unter engen Grenzen trotzdem auf diese Daten zugegriffen werden kann.
Und hierzu braucht es eine tragfähige gesetzliche Rechtsgrundlage jenseits der gegenwärtigen Amtshilfe-Regelung. Diese (Teil-)Ermächtigung schafft nämlich mehr Probleme bei einem Einsatz der Bundeswehr im Inland als sie löst.
@Patrick Horstmann
“ Das alles lässt sich nicht mit dem Tatbestand „Amtshilfe“ lösen. Der Fall Heiligendamm zeigt dieses deutlich. Auch die Diskussion hierüber in diesem Blog.“
Klasse, gutes Beispiel für ISR sind heute private Firmen besser, schneller und billiger in der Lage Aufklärung zu betreiben.
Selbst die Polizei hat mit ihren Wärmebildkameras Echtzeitaufklärung mit hoher Auflösung.
Die Frage die sich da stellt, wer ist wann anforderungsberechtigt und wer sagt zu.
Evtl muss Amtshilfe ohne Waffen besser definiert werden.
@ Patrick Horstmann | 18. April 2016 – 19:33
Ich bin ja dabei wenn wir über etwaige Präzisierungen bei der Amtshilfe sprechen. Dies hab ich weiter vorne im Faden bereits deutlich gemacht (wenngleich ich SIGINT in keinem Fall in D am Himmel sehen will).
Aber, und das hat auch der Hausherr weiter vorn schon angemerkt, die Lesart des neuerlichen Entwurfes, lässt leider nur den Schluss zu das man einen politischen Blankoschein im GG verankern möchte, um den Einsatz bewaffneter SK im inneren zu ermöglichen. Das ist das Problem an dieser Debatte. Es geht hier nicht nur darum, die Amtshilfe (oder andere Paragraphen) so zu gestalten das keine Horde von Juristen nötig ist um den Abwurf von Sandsäcken zu ermöglichen.
Würden die politischen Treiber dieser Idee nur davon sprechen eben genau nur dies zu wollen, hätten wir hier keine Diskussion. Vielleicht nur eine kleine, ob man SIGINT einsetzen sollte oder nicht ;)
Aber hier geht es darum, das man „mal wieder“, den Blankoschein ins GG meißeln will.
Guten Morgen Allseits :)
@Simon K. | 20. April 2016 – 8:58
„Es geht hier nicht nur darum, die Amtshilfe …so zu gestalten das keine Horde von Juristen nötig ist um den Abwurf von Sandsäcken zu ermöglichen. … Aber hier geht es darum, das man „mal wieder“, den Blankoschein ins GG meißeln will.“
Da mögen sie Recht haben, dass es Einigen um einen solchen Blankoschein geht. Dafür geht es Anderen darum, jede Diskussion über eine gesetzliche Neuregelung – mit oder ohne Verfassungsänderung – bereits im Keim zu ersticken.
Vielleicht findet die Politik ja etwas Sinnvolles zwischen diesen beiden Extremen. In den über 250 Kommentaren hier ist ja die eine oder andere Anregung enthalten.