Dauerbrenner: Bundeswehreinsatz im Inneren?

20160323_vdL_Gebirgsjaeger

Die Debatte über die Frage, ob die Bundeswehr auch im Inneren eingesetzt werden sollte, ist Jahrzehnte alt und kommt zu passenden Gelegenheiten immer wieder hoch – der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz verwies in einem Interview mit Bundeswehrmedien im Februar darauf, dass er schon in den 1990-er Jahren zusammen mit dem damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble für eine entsprechende Verfassungsänderung geworben habe. Verschiedene Ansätze dazu waren von der Union immer wieder zu hören, ebenso regelmäßig wurden sie von den anderen Parteien zurückgewiesen. Deshalb zur jetzt wieder aufgeflammten Diskussion ein Blick auf die Debattenlage:

Im Entwurf des neuen Weißbuches zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, so berichtet die Süddeutsche Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht), werde ein neuer Anlauf für den Bundeswehreinsatz im Inneren gemacht:

Bislang könne die Bundesregierung die Bundeswehr im Innern etwa im „Fall des inneren Notstandes“ einsetzen, heißt es in einem Entwurf für das neue Bundeswehr-Weißbuch, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt: „Charakter und Dynamik gegenwärtiger und zukünftiger sicherheitspolitischer Bedrohungen machen hier Weiterentwicklungen erforderlich, um einen wirkungsvollen Beitrag der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr an der Grenze von innerer und äußerer Sicherheit auf einer klaren Grundlage zu ermöglichen.“

Nun ist das bislang nur ein Entwurf, der aus dem Verteidigungsministerium kommt, das von der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geführt wird. Da das Weißbuch aber ein Dokument der gesamten Bundesregierung ist, wird es mit anderen Ressorts abgestimmt – in erster Linie mit denjenigen, die ebenfalls Berührung mit der Sicherheitspolitik haben, vor allem also das Auswärtige Amt. Und dessen SPD-Chef hat schon Wiederstand gegen eine solche Änderung signalisiert:

„Weißbuch hin oder her – eine Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr im Innern wird es mit der SPD nicht geben“.

zitiert Spiegel Online das Umfeld von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ähnlich auch die Deutsche Presse-Agentur: Mit der SPD ist eine Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren nicht zu machen.

Damit bewegt sich auch die aktuelle Debatte auf den gleichen Linien wie die Diskussionen vergangener Jahre, auch wenn der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der saarländische CDU-Politiker Klaus Bouillon, den Vorstoß seiner Parteifreundin von der Leyen befürwortete:

Ich begrüße es, dass die Anpassung des Grundgesetzes nun auch auf Bundesebene diskutiert wird. Nach dem schrecklichen Terror in Belgien und Frankreich müssen wir alle verfügbaren Kräfte bündeln, um die Menschen zu schützen. Für die Polizei wäre ein unterstützender Einsatz durch die Bundeswehr in gewissen Notsituationen hilfreich. Daher muss die Bundeswehr ein verlässlicher Partner für die innere Sicherheit werden.

Nun hat das Ganze jenseits der verfassungsrechtlichen Frage noch eine ganz praktische Komponente. Denn bei all diesen Wortmeldungen ist kaum davon die Rede, dass die Bundeswehr die Polizei mit spezifisch militärischen Mitteln unterstützen sollten, wie es zum Beispiel im Fall der Entführung von Flugzeugen sinnvoll ist, weil nur die Streitkräfte über eigene Abfangjäger verfügen. Statt dessen geht es offensichtlich darum, Lücken bei der Polizei in den Ländern (und vielleicht auch beim Bund) durch Personal aus den Streitkräften zu stopfen. Aus den Streitkräften, die personell nicht gerade über zu viel verfügbare Kräfte und Zeit verfügen – und zudem ganz anders ausgebildet sind als Polizisten:

Man kann nicht die Polizei erst jahrelang kaputt sparen und ihnen notwendige technische Ausrüstung vorenthalten und dann, wenn es gefährlich wird, nach der Bundeswehr rufen. Vor allen Dingen muss man ja die Frage stellen, wo dann eigentlich die Grenze ist und ob demnächst dann Panzer möglicherweise bei einer Demonstration oder bei einem Fußballspiel auffahren sollen. (…)
Erst Polizeiplanstellen streichen und die Ausrüstung der Polizei vernachlässigen und dann nach der Bundeswehr rufen, ist der falsche Weg.

sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, im Deutschlandfunk.

Mit anderen Worten: Die Debatte ist nicht neu, diegegensätzlichen Ansichten sind nicht neu, und die Wahrscheinlichkeit einer Realisierung ist bislang ähnlich hoch wie beim Vorstoß von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble 2007.

Nachtrag: Wie auch in den Kommentaren erwähnt, zur früheren Diskussion noch Fundstellen, zwei Geschichten von mir:

Im Mai 2006 zu den Beratungen über das neue Weißbuch:

Im neuen „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“, bislang noch nicht mit den anderen Ressorts der schwarz-roten Regierung abgestimmt, versucht sich das Wehrministerium an einer Definition. „Der Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung sowie der Spannungs- wie der Verteidigungsfall stellen traditionell auf eine äußere Bedrohung ab. Infolge der neuartigen Qualität des internationalen Terrorismus sind heute Anschläge Realität geworden, die sich nach Art, Zielsetzung und Intensität mit dem herkömmlichen Begriff des Verteidigungsfalls gleichsetzen lassen.“

Und 2008 waren Union und SPD schon mal fast schon einig über eine Grundgesetzänderung:

Deutsche Soldaten sollen künftig in Extremsituationen wie schweren Terroranschlägen auch im Inland eingesetzt werden dürfen.
Auf eine entsprechende Grundgesetzänderung haben sich Union und SPD am Sonntagabend im Koalitionsausschuss verständigt. (…)
Union und Sozialdemokraten stimmten im Koalitionsausschuss einer Verfassungsänderung zu. Danach soll der Artikel 35 des Grundgesetzes, der bereits jetzt dem Militär Amtshilfe bei Unglücksfällen erlaubt, erweitert werden: „Zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalles“, für die die Mittel der Polizei nicht ausreichen, soll die Bundesregierung „den Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Mitteln“ anordnen können, heißt es in dem Gesetzentwurf, der FOCUS Online vorliegt. Die Neufassung soll in den nächsten Wochen vom Bundeskabinett beschlossen werden. (…)
Mit der Neuregelung soll zudem die Bundesregierung – und in dringenden Fällen der Verteidigungsminister – das Recht bekommen, den Bundeswehreinsatz selbst anzuordnen. Bislang ist der Einsatz von Soldaten zur Amtshilfe daran gebunden, dass die für die Katastrophenabwehr zuständigen Bundesländer die Truppe anfordern.

Diese Verfassungsänderung kam dann doch nicht zustande, weil die SPD geltend machte, da sei von der Union mehr reingepackt worden als die Sozialdemokraten mittragen könnten.

(Die Links zu den Focus-Geschichten sind deutlich älter als ein Jahr; außerdem stammen beide Geschichten von mir; deshalb hier die Links.)

(Archivbild: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Gebirgsjägerbrigade 23 in der Hohenstaufen-Kaserne in Bad Reichenhall am 23.03.2016 – Bundeswehr/Marco Dorow)