Mehr NATO-Soldaten in den Osten (mit Nachtrag)
Die NATO will ihre militärische Präsenz an der Ostflanke der Allianz, also an der Grenze zu Russland, deutlich ausweiten. Ein entsprechender Grundsatzbeschluss stand am (heutigen) Mittwoch im Mittelpunkt des Treffens der Verteidigungsminister des Bündnisses in Brüssel, auch wenn in der öffentlichen deutschen Wahrnehmung ein NATO-Einsatz gegen Schleuser im Mittelmeer oder ein AWACS-Einsatz für den Kampf gegen ISIS bedeutsamer schien.
Die Minister hätten sich auf verstärkte, vorgeschobene militärische Aktivitäten verständigt, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Rande des Treffens. Das Ziel ist natürlich, wenn es auch so nicht öffentlich benannt wird, die Abschreckung gegenüber Russland. Einzelheiten nannte Stoltenberg nicht, sie sollen jetzt bis zum NATO-Gipfel im Juli in Warschau erarbeitet werden:
We have just agreed on a set of principles to modernise NATO’s defence and deterrence posture. As part of this decision, NATO Defence Ministers agreed on an enhanced forward presence in the eastern part of our Alliance. This will be multinational. To make clear that an attack against one Ally is an attack against all Allies, and that the Alliance as a whole will respond.
It will be rotational and supported by a programme of exercises. And it will be complemented by the necessary logistics and infrastructure to support pre-positioning and facilitate rapid reinforcement. Our military planners will provide the advice on the size and composition of our enhanced presence this spring.
Nach Berichten aus Brüssel, u.a. von Spiegel Online, ist im Gespräch, jeweils bis zu 1.000 Soldaten aus anderen NATO-Staaten in Lettland, Estland und Litauen, aber auch in Polen, Bulgarien und Rumänien bei Übungen einzusetzen. Allerdings, darauf deutet auch Stoltenbergs Aussage It will be rotational hin, sollen offensichtlich die Truppen nicht dauerhaft in diesen Ländern stationiert werden. Formal hält sich die NATO weiterhin an die so genannte NATO-Russland-Grundakte, in der die Allianz auf die dauerhafte Stationierung substantieller Kampftruppen in den osteuropäischen Mitgliedsländern verzichtet.
Was der heutige Beschluss konkret bedeutet, wird sehr von den Details abhängen – und auch davon, wie sich entsprechende Vorhaben der Allianz mit den Planungen der USA ergänzen oder gar aufaddieren. (Eine Übersicht zu den bislang geplanten deutschen Beteiligungen an Manövern im NATO-Osten habe ich in Vorbereitung.)
Nachtrag: Wenn man das Geschehen von Berlin aus beobachtet und nicht in Brüssel ist, nimmt man manches vielleicht anders wahr. Oder die Kollegen von Associated Press haben noch eine ganz andere Wahrnehmung – die haben Stoltenbergs Ankündigung einer enhanced forward presence nämlich als Ankündigung einer neuen NATO-Einheit, also quasi einer NATO-Brigade, verstanden. Ich weiß nicht, ob das so gemeint ist:
NATO defence ministers on Wednesday approved a new multinational force to beef up defences of frontline alliance members most at risk from Russia, the alliance’s secretary general announced.
Jens Stoltenberg said the new unit approved by the United States and NATO’s 27 other members will be multinational and rotate in and out of Eastern European member states rather than being based there. He said military planners will decide on its composition this spring.
(…)
One NATO official, speaking on condition of anonymity because he was not authorized to make public statements, told The Associated Press one proposal being considered calls for the creation of a brigade-sized unit: roughly 3,000 troops.
Auch da werden wir wohl abwarten müssen, ob nun eine generelle Verstärkung rotierender Einheiten im NATO-Osten gemeint ist – oder eine quasi feste Einheit mit wechselnden Partnern.
Stoltenbergs komplette Pressekonferenz zum Nachhören:
(Direktlink: https://youtu.be/bxPZ99yp5a0)
(Direktlink: https://youtu.be/ruWzCKKcUMU)
(Archivbild: Marder-Schützenpanzer bei einer Übung der NATO-Speerspitze in Zagan/Polen im Juni 2015)
Es wird also neben der VJTF in Brigadestärke zusätzliche umfangreiche Übungstätigkeit in den nächsten Jahren geben.
Während man im Heer schon nicht weiss wie man die VJTF materiell und personell stellen soll.
Da muss die Ministerin sich nun wirklich gegen Schäuble durchsetzen. Argumente gibt es ja genug.
In Sinne militärischer Wirksamkeit reichen 1000 Soldaten pro Land natürlich weiterhin nicht aus um gegen die zu erwartenden russischen Kräfte standzuhalten.
Von daher wäre es sinnvoll diese 1000 Soldaten gleich multinational zu mischen um eine „Tripwire-Funktion“ in Anlehnung der Funktion der Berlin Brigade zu entwickeln.
pi
Da eine substantielle Stationierung nach Nato-Ansicht nur mehr als eine Division wäre, könnte die Nato sehr wohl 6.000 Soldaten im Osten stationieren. Es ist also eher zu vermuten, daß die von Polen gewünschte dauerhafte Stationierung wegen deutscher Rücksichtnahme gegenüber Russland nicht kommt.
Und „it will be rational“ würde ich nicht als Truppen für Übungen verstehen, sondern als dauerhafte, aber rotierende Truppen, wie sich bisher die Nato-Kampfflugzeuge zum Schutz des Baltikums ablösen.
Interessant wird natürlich noch sein, ob und wie die BW sich beteiligen wird oder gerade nicht beteiligen wird?
@ politisch inkorrekt | 10. Februar 2016 – 20:19
Von daher wäre es sinnvoll diese 1000 Soldaten gleich multinational zu mischen um eine „Tripwire-Funktion“ in Anlehnung der Funktion der Berlin Brigade zu entwickeln.
Ich gebe Ihnen unbedingt recht.
Zumindest im Baltikum wird sich Deutschland langfristig engagieren. Hier hätten wir auch als Anlehnungsnation für das BALTBAT den Schwerpunkt setzen sollen, statt mit den Polen zu partnern und über Kreuz zu unterstellen. Wir verzetteln uns.
http://www.vm.ee/en/baltic-defence-co-operation
@ Closius
Vergessen sollten Sie dabei aber auch die geringe Neigung in den Staaten, die so eine Brigade überhaupt stellen könnten (USA, UK, Fra, De), das auch zu tun. Das hat auch etwas mit den Investitionskosten für alle nötigen Infrastrukturen, den Stationierungskosten und sonstigem finanziellem Kram zu tun. Obendrein, so besagten „Latrinenparolen“, scheinen die Polen nicht sonderlich geneigt zu sein selber Geld für die nötige Infrastruktur auszugeben.
UK verdoppelt seine maritimen Einsatzzusagen gegenüber der Allianz.
http://www.defensenews.com/story/defense/international/europe/2016/02/10/uk-maritime-aid-nato-east-frontier-russia/80182184/
Also, „die Polen und die Balten“ können mich so langsmam am A…. lecken……und nicht nur mich.
@KPK
Danke für den Hinweis – hier die britische Mitteilung im Original:
https://www.gov.uk/government/news/uk-to-step-up-nato-maritime-commitment
@csThor
Nicht zu vergessen, daß dann in der TCN eine Brigade „fehlt“ – auch das muß man politisch „verkaufen“.
Im übrigen bringt es taktisch eigentlich nichts, sich im ersten Gefecht in Grenznähe aufreiben zu lassen – Verzögerung und Kampf in der Tiefe sind angesagt. Jetzt ist eben nicht (West-) Deutschland Frontstaat, sondern Polen (u.a.), und somit auch – bei einem RUS Angriff – das sog. Schlachtfeld.
Hybride Konfliktformen lassen genügend Zeit zur Alarmierung und zur Verlegung – welche natürlich ausgeplant sein muß.
@klabautermann
Ehrlicherweise muß man auch zugeben, daß es bis heute nicht gelungen ist, Friktionen zu beseitigen und die LI / LL praktikabel umzusetzen.
Der unterstellte Bereich (Brig / Btl) muß daher jedes Mal das Rad neu erfinden. Aber immerhin gibt es ja nun die NFIU:
https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&cad=rja&uact=8&sqi=2&ved=0ahUKEwjUzp_Fie7KAhWDCpoKHbEPCgIQFggsMAE&url=http%3A%2F%2Fwww.nato.int%2Fnato_static_fl2014%2Fassets%2Fpdf%2Fpdf_2015_09%2F20150901_150901-factsheet-nfiu_en.pdf&usg=AFQjCNF9XDetkyM5gLks8b4sgfFvASlQiw&sig2=HOPG6TPc9GjlQnZBe-N1iw&bvm=bv.113943665,d.bGs
Schon 2013 hätte Europa reagieren müssen. Bei der Übung „Zapad 2013“ probte Russland die Besetzung des Baltikums (offiziell „Terrorismusbekämpfung“). 70.000 Soldaten aus Russland und Weissrussland nahmen teil.
@T.W.:
Hier schonmal die dänischen Beteiligungen in diesem Jahr:
http://www.fmn.dk/nyheder/Documents/nato-assurance-measures-2016.pdf
Es fällt auch auf, dass u.a. Grossbritannien und Dänemark die Mitarbeit bei den verstärkten Übungen im Rahmen der TACET-Initiative heute verkündet haben. Während Deutschland als Initiator (mit den USA) auch heute sehr wortkarg blieb (auch sonst liest man davon bei BMVg.de so gut wie nichts).
So wird man im Bündnis nicht wirklich glaubwürdiger.
@Memoria
Deutschland trommelt da nicht so laut und ist erster aber die Übungsbeteiligung der Bundeswehr im Osten war 2015 durchaus sehenswert. Hier darf auch nie die Verklemmungen unterschätzen, sowas zu kommunizieren.
Außerdem ist das doch gute Aufgabenteilung im Bündnis.
DEU verkündet was mit Flüchtlinge usw. und die ewig bösen anderen verkünden etwas zur Ostfront. Wichtig ist das Resultat, nicht wer wann was verkündet.
pi
@pi:
Natürlich war die Übungsbeteiligung im letzten Jahr erheblich.
Mir geht es auch nicht darum wer was verkündet, sondern ob man stringent handelt.
Offenbar hat die Bundesregierung noch keine fundierte Position zum deutschen Beitrag zur eigenen Initiative – ansonsten hätte vdL dazu sicher mehr gesagt.
Handwerklich mal wieder merkwürdig.
Aber wie bereits beschrieben herrscht im Heer ja bereits jetzt Ratlosigkeit wie man die Versprechungen bzgl. VJTF 2019 erfüllen soll. Aber Sommer kommt ja das Weißbuch und dann ist ja alle Weisheit gefunden…
@all
Siehe Nachtrag mit AP-Meldung oben (kommt mir allerdings bisschen merkwürdig vor).
@Memoria
Dass Deutschland zu derartigen Treffen ohne eigene Meinung erscheint und erstmal Stimmungen aufnimmt ist leider Tradition.
Zur VJTF 2019
Ich habe da schon einige gruselige Geschichten gehört. Führungsunterstützung, MILNW Personal, … das wird richtig weh tun. Nur leider erst ein Post2017-Thema.
Ich erwarte vom Weißbuch garnichts. Es könnte höchstens als Alibi herhalten für bereits vorbereitete aber noch nicht veröffentlichungsfähige Entscheidungen.
pi
@pi:
„Dass Deutschland zu derartigen Treffen ohne eigene Meinung erscheint und erstmal Stimmungen aufnimmt ist leider Tradition.“
Das ist aber sehr positiv ausgedrückt in Brüssel nennt man die deutsche Selbstblockade ja auch german vote.
Führungslosigkeit auf sehr hohem Niveau.
Zur VJTF:
Volle Zustimmung. Da gibt es sehr viele „Handlungsfelder“, aber bisher bleibt der Apparat überaus träge.
Wirklich gruselig.
Mir ist auch noch nicht klar, ob die verstärkte Präsenz der NATO mit der VJTF verzahnt wird (stand-up-phase) oder ob hierfür andere Truppenteile über Monate in Osteuropa bleiben sollen.
Aber wenn wir nach mehrmonatigen Diskussionen nicht einmal klar sagen können, wie wir uns beteiligen.
Aber bis zum Gipfel in Warschau wird man sich sicher einige Zusagen machen. Oder diese bereits in München ankündigen?
Sofern man die Hausaufgaben gemacht hat…
Meine Anmerkung zum Weißbuch war ironisch.
Aber so mancher erwartet sich davon ja wirklich einen inhaltlichen Gewinn. Woher dieser Optimismus kommt ist für mich nicht nachvollziehbar.
Also wie es auch gedreht und gewendet wird, verstärkte Manöverbeteiligung oder ständige Präsenz im Osten:
Sollte Berlin eine Entscheidung zur effektiven Beteiligung an diesen Maßnahmen mittragen, so muß an der Spree eine Entscheidung zur Aufwertung der Bundeswehr endlich getroffen werden.
Da hat Christian Thiels einen wirklich erhellenden Beitrag gefunden (und auf Twitter geposted), welcher die Struktur hinter den US-Planungen zu Vorpositionierung im Westen und rotierenden Einheiten im Osten erklärt. Da es mehrere Threads betrifft, dieser aber der Aktuellste ist, stelle ich es hier ein. Lesenswert.
http://csis.org/publication/european-reassurance-initiative
@Thomas Melbe
„Hybride Konfliktformen lassen genügend Zeit zur Alarmierung und zur Verlegung – welche natürlich ausgeplant sein muß.“
Ja, siehe Krim. Man muss eben erkenne, wann der Konflikt beginnt ;-)
Der Gag bei der hybriden Konfliktform ist ja gerade, dass man verdeckt vorgeht!
@zimdarsen woran lag den diese Kurzfristigkeit, die selbst Ukraine/Russland überrascht hat? Und was hätte man dagegen unternehmen können, wenn man schneller reaktionsbereit gewesen wäre?
noch ein heißes Bürgerkriegsgebiet in der Ukraine mehr?
Genauso die Frage nach Mehr und Besser bei der BW!
Was wäre anders gelaufen die letzten Jahre?
Es wären mit Sicherheit mehr Einsätze gewesen und vll. wäre das moralische Wohlbefinden der Soldaten besser, aufgrund materieller und psychologischer Wertschätzung, ABER was hätte das an der weltweiten Situation geändert, also auch nur an einem Punkt wie BW Gebiete in Afghanistan?
Wenn man nach Mehr ruft, dann muß man auch erklären, was das bringen soll und ich sehe nichts, was da strategisch besser würde!
Ausser der Stand einiger Leute im internationalen Politikgeschehen und dafür wären mir Geld undMenschen zu schade.
Ich halte eine Stationierung in den Baltischen Staaten für richtig – und das Bundeswehr Heer sollte insgesamt schnell verlegbar sein, nicht nur ein Bataillon für die VJTF. Einige Kommentatoren scheinen ja davon auszugehen, dass Russland im Baltikum genauso vorgehen würde, wie auf der Krim zu sehen gewesen. Warum sollte Russland noch mal so handeln? Wie einige hier schrieben, würde das der NATO Zeit geben, zu reagieren. Ich halte einen Handstreich für wahrscheinlicher. Wenn Putin tatsächlich das Baltikum besetzen will, sollte er dort einfallen, so schnell wie möglich besetzen und dann den Status quo verteidigen – bzw. die Eskalationsbereitschaft der NATO austesten. Davon werden ihn die Tripwire-Forces, die einige hier fordern, nicht abhalten.
Gesetzt den Fall, es käme im Baltikum zu separatistischen Bestrebungen – welche Aufgabe hätte dann dort die Bw? Aufstandsbewältigung?
Gehen wir einmal davon aus, daß es sich zunächst um nicht uniformierte „Zivilisten“ handelt, die dort Unruhe verbreiten.
In München gab es bisher leider wenig Neues zu den Planungen der NATO zu den zusätzlichen Kräften in Osteuropa.
Es ist weiterhin nicht klar wie dauerhaft die Kräfte vor Ort bleiben sollen, ob Material vor Ort eingelagert werden soll und inwieweit die NRF/ VJTF in der stand-up- und stand-down-Phase hierfür heran gezogen werden können und sollen.
Nach einem Bericht der FAZ gibt es von den Briten Ideen die Abschreckung zu stärken („Eine Doktrin für die Zweiklassengesellschaft“).
Am Rande der MSC gab es jedoch ein ganz interessantes Intverview:
http://www.defensenews.com/story/defense/policy-budget/leaders/interviews/2016/02/13/nato-deputy-secgen-russias-anti-accessarea-denial-build-up-biggest-worry/80343130/
2 Jahre nach der Invasion der Krim hat man immernoch kein schlüssiges Konzept, sondern viele Prüfaufträge.