Geld ausgeben in Afghanistan: Neues Verteidigungsministerium nicht erdbebensicher
Die USA haben der afghanischen Regierung ein neues, schickes Verteidigungsministerium spendiert. Das sollte ursprünglich 48,7 Millionen US-Dollar kosten und innerhalb von 18 Monaten fertig sein. Am Ende dauerte es fünf Jahre länger und kostete 154,7 Millionen US-Dollar, also gut das dreifache. Und dann noch der Knaller: In Kabul, einer immer wieder von Erdbeben geplagten Stadt, ist das neue fünfstöckige Gebäude noch nicht mal erdbebensicher.
Herausgefunden hat das der Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR), eine Art Spezial-Rechnungshof der USA für die ganzen Ausgaben in Afghanistan, der in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle von offizieller Verschwendung am Hindukusch aufgedeckt hat (hier und hier und hier schon mal erwähnt). Aus dem jüngsten Bericht vom (heutigen) Donnerstag:
We found other deficiencies (…) that could affect the building’s structural integrity during an earthquake or prolonged periods of rain. These include issues with building separation joints needed for seismic activity, lateral bracing of equipment needed for seismic activity, inadequate roof drains to remove storm water, and stairway handrails that were installed below the required height.
Nun sind zu niedrige Handläufe am Geländer nicht so das große Problem. Dafür die Erdbebensicherheit um so mehr:
During our 2014, 2015, and 2016 site visits, although the building generally met contract requirements and appears well built, we found some construction deficiencies that may have safety implications, such as improperly sized and improperly aligned building separation joints needed in the event of an earthquake. (…)
The headquarters building’s separation joints, needed to counter seismic activity, were (1) not continuous or aligned vertically from the foundation up to and through the roof; and (2) were spanned with non-structural systems, such as drain pipes, on the inside of the building without the required flexible connections. For example, we found that at least three of the seven separation joints did not provide complete breaks in the floors, walls and ceiling that would divide the building into discrete
sections. As a result, it is possible that one of the buildings seven sections will move more during an earthquake than is allowed.
Building equipment did not have lateral bracing needed for seismic activity. The contracts required that building standards be based on the Department of Defense’s Unified Facilities Criteria. Those standards require that lateral bracing be provided for items suspended from the ceiling or floor above. We found items, such as mechanical duct work and a 60-pound ceiling-mounted piece of heating/cooling equipment, with no lateral bracing. In addition, the fire suppression system’s
fuel supply tank located in the basement was installed without lateral bracing or containment, which could rupture and spill fuel in an earthquake.
Und wieder mal wünsche ich mir (vergebens), eine vergleichbare deutsche Instituion, vielleicht der Bundesrechnungshof, würde mal deutsche Ausgaben in Afghanistan – nicht nur die militärischen! – mal unter die Lupe nehmen…
Nachtrag: Die Washington Post zeichnet die Geschichte dieses Gebäudes nach, unter anderem gab es 2013 schon mal einen Baustopp, weil das Geld alle war.
Nachtrag 2: In der Tat hat die afghanische Armee ganz andere Probleme – vor allem im Umgang mit der Bevölkerung:
Three killed, including 15-year-old, in Afghan security raid on health clinic
(Foto: Das neue Verteidigungsministerium im Januar 2016 – Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction/Public Domain)
In Afghanistan wäre es durchaus verwunderlich, wenn die gesamten Kosten in Arbeitskraft und Baumaterial investiert wurden und nicht in irgendwelchen Hosentaschen/Konten gelandet sind!
@T.W.
Ist das nicht etwas O.T. ;-)
Es ist zum Weinen, die Morde in der Klinik meine ich.
Manchmal zweifle ich, ob Afganistan unserer toten und verletzten Kameraden wert.
War denn die bauausführende Firma eine amerikanische oder eine afghanische? Sollte es Letzteres sein sollte man in Zukunft nicht wieder darüber meckern wenn die Gelder für Afghanistan nicht in afghanische sondern in amerikanische Hände gehen.
Wer Erfahrungen mit den afghanischen Verhältnissen hat, weiss einfach, dass es völlig gleichgültig ist, wer der Auftraggeber einer Baumassnahme ist. In AFG entsteht kein Bauwerk, in dem nicht ein sehr hoher Prozentsatz der Mittel durch Korruption versickert, oft dann kompensiert durch schlampige Ausführung und Baumaterial minderwertigster Qualität. Und wenn dann auch noch die Bauaufsicht selbst aus korrupten Ingenieuren besteht (kein Wunder, wenn die Männer schwach werden, wenn sie das Geld eigentlich nur mit Händen greifen müssen und eine Kontrolle nur per Papier & Ferndiagnose -wenn überhaupt- stattfindet.) Interessant wäre sicher auch in diesem Zusammenhang einmal die Bauausführung & -kosten der von Deutschland vor Jahren errichteten Polizeischule in Kabul zu untersuchen. Aber dort ruht einfach still der See….
Haben sie endlich mal was von Deutschland gelernt :)
@Mustermann: Natürlich haben Sie recht. Die Strassenbeleuchtung von Kabul ist ja auch noch so ein Beispiel …. Mann oh Mann :-(
@Fafmir: Eher umgekehrt.
Sieht aber Chic aus….
Hhm,
bei Kasernenbauten fuer die ANA waren ueblicherweise amerikanische Firmen die Auftragsnehmer, mit afghanischen Subkontraktoren.
Bauueberwachung ueblicherweise durch United States Army Corps of Engineers.
Ob man hier anders vorgegangen ist?
Trotzdem kam es auch bei den Kasernenbauten zu einigen erheblichen Verzoegerungen (wer das Drama um die neue deutsche Pionierschule in MeZ oder die neue Artillerieschule in Kabul miterlebt hat, hat eine Vorstellung), andere Projekte, z.B. ANA Logistik Schule oder Panzertruppenschule liefen durchaus „planmaessig“. In Details kam es auch zu fehlerhafter Umsetzung der Plaene, afghanische Baufirmen sind da kreativ, wenn man Ihnen die lange Leine laesst. Problematischer war es eher, wenn die amerikanische Baufirma sich woanders spekuliert hatte, mit 30 Millionen Dollar in den Miesen Pleite geht, Rueckstaende von 10 Millionen bei den afghanischen Subkontraktoren hat und die amerikanischen Mitarbeiter fluchtartig ueber Nacht Afghanistan verlassen muessen, weil der afghanische Bauarbeiter sowas persoenlich nimmt und noch Platz fuer ein, zwei Mitarbeiter im Fundament des naechsten Gebaeudes haette. Dann verzoegert sich so eine Baumassnahme auch mal um 2 bis 3 Jahre bis ein neues Unternehmen einspringen kann (Ausschreibung!).
Bakhshesh ist in Afghanistan normal, hier zahlt halt nicht nur der Bauunternehmer an den Politiker oder staatlichen Pruefer sondern eben auch der Lastwagenfahrer an die Wache an der Baustelleneinfahrt. Jeder weiss, wenn eine Baufirma 50 Millionen fuer einen Auftrag kassiert hat und moechte seinen kleinen Teil oder Kruemel vom Kuchen. Muss man nicht moegen, wird sich aber in solchen Laendern nicht vermeiden lassen.
Aber im Vergleich zum Berliner Flughafen in unserem durchorganiserten, pedantisch verwalteten und voellig „korruptionsfreien“ Land doch alles Peanuts!
Ha, mal ein Archtitekten Thema! Eine Baukostensteigerung von 300 % ist auch in Zentraleuropa und Amerika aktuell ganz normal. Die Baubranche boomt gerade Weltweit, was zur Folge hat, dass sowohl Material, als auch Fachkraft teuer kommt. Der Stahlpreis ist weltweit ziemlich der gleiche. Und bei einem Komplex dieses Ausmaßes ist nicht gerade wenig Stahl verbaut. Ich denke nicht, dass hier exorbitante Summen in Hosentaschen verschwunden sind.
Die aufgeführten Baumängel sind nicht gravierend und können soweit ich das, nur anhand der Schilderungen abschätzen kann, behoben werden. Beispielsweise die fehlenden Aussteifungen kann man nachrüsten, Gebäudetrennfugen werden sich bei einem seismischen Ereignis entwerder erst mal selbsttätig bilden oder man baut sie noch ein. Das sind aber alles Sachen, die von den Planern vergessen wurden, nicht von den Firmen. Keine Firma baut im ganzen Gebäude etwas nicht nicht ein, wenn das in den Plänen ist und kein Bauleiter übersieht das im ganzen Gebäude, wenn es nicht in den Plänen fehlt.
Ohne Zweifel ist es unheimlich ärgerlich und es wird unnötig Geld verbrannt, aber was hier passiert ist, ist ganz normal. Wenn man mal beachtet, dass AFG immer noch strukturschwach und nicht gerade ruhig ist, dann passiert das selbe jährlich 3 Mal in Deutschland und das teilweise gravierender. Da werden Neubauten noch mal entkernt, weil der Planer sich bei der Dimensionierung von Leitungskanälen oder ähnlichem verrechnete hat.
Zum Thema Rechnungsprüfung: Wenn ich mich im Bund-Haushaltsrecht nicht ganz irre kommen die Investitionen aus dem Epl. 05 oder 14, was heißt, dass diese rein formal prüffähig wären. Ich glaube man macht das einfach nur nicht, weil das zu viel auf die Füsse fallen könnte.
Da fällt mir ein sehr passendes Zitat eines ehemaligen deutschen Außenministers ein, der zufällig bei den Grünen war. Aber abtippen werde ich es wohl lieber nicht.
@TW
Geld ausgeben in AFG
was soll die Überschrift dem Leser signalisieren oder aussagen ?
Dass AFG Officials deutschen Maßstäbe erreichen (Steglitzer Kreisel, Kölner Müllverbrennung; Berliner Flughafen) oder übertreffen?
Übrigens Erdbeben: war die Errichtung des AKW Mühlheim Kärlich auf einer tektonischen Besonderheit nicht Gegenstand jahrelanger Verfahren vor Gericht?
Oder dienen Überschrift und Nachricht der Selbstvergewisserung des Lesers
nach dem Motto: AFG ist an seinen Zuständen selber schuld? Subtext (Wir Eingeweihten wussten das alles schon ?)
Abgesehen vom MoD gibt es im Land erhebliche Rückschritte:
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/asia/afghanistan/12166750/Afghan-forces-withdraw-from-Musa-Qala-scene-of-so-much-British-bloodshed.html
Helmand und Kunduz stehen erneut auf der Kippe.
Was lernen wir daraus?
Interessanter Bericht aus Kunduz vom Herbst 2015:
https://news.vice.com/video/embedded-in-northern-afghanistan-the-resurgence-of-the-taliban
Dazu nochmal der Hinweis auf einen sehr guten NYT-Artikel:
http://www.nytimes.com/2016/02/07/world/asia/kunduz-residents-live-in-fear-of-talibans-return.html?_r=0
Da wird es im Frühjahr bzw. Sommer wohl wieder „Überraschungen“ geben.
Nicht nur Helmand und Kunduz, auch Baghlan und damit der Zugang zu Kunduz. In Baghlan ist eine Offensive der ANSF, verstärkt durch 2.500 ANA Soldaten und ANP Sondereinheiten und unterstützt durch Artillerie und Kampfhubschrauber, nach den ersten Hundert Meter Geländegewinn seit fast einem Monat keinen Schritt vorangekommen und die Initiative in fast allen Gebieten von Baghlan an die Aufständischen abgegeben.
Die haben mittlerweile, teilweise verstärkt durch geschlossene, mit erbeuteten Humvees und Rangern sowie auf Motorrädern mobil gemachten Einheiten von ca. 100 Kämpfern aus Char Darah, fast alle Außenposten der ANSF westlich des Baghlan-Flusses überrannt. Damit besteht eine Verbindung zwischen den von Aufständischen beherrschten Gebieten in Kunduz, in Baghlan-e Markazi und westlich von Pul-e Khumri (Dand-e Ghuri, Dand-e Shahbuddin und Cheshmesher). Das wiederum versetzt die Aufständischen in die Lage, die Verbindungsstraßen Pul-e Khumri-Aybak-Mazar-e Sharif und Pul-e Khumri-Baghlan-e Jadid-Kunduz beliebig zu unterbrechen und ggf. sogar Pul-e Khumri direkt anzugreifen (da stehen allerdings recht starke Milizen). Bereits während der Eroberung von Kunduz im September/Oktober 2015 waren die Aufständischen in der Lage, den Vormarsch von ca. 2.000 afghanischen Soldaten, Polizisten und Milizionären zwischen Baghlan-e Jadid und Jelow Gir massiv zu verlangsamen und zeitweise zum stehen zu bringen. Wäre den Aufständischen die Eroberung des ehemaligen OP North gelungen, wären die afghanischen Kräfte eingeschlossen worden.
@boots on the ground:
Laut UdÖ 7/16 wurde am 16.02.16 in Baghlan zudem die Hauptstromleitung von Tadschikistan nach Kabul gewaltsam unterbrochen. Bereits 2 Wochen zuvor wurde die Hauptstromleitung von Usbekistan unterbrochen. Im Ergebnis verfügen große Teile der Provinzen Kabul (einschl. der Hauptstadt) und Parwan über keine staatliche Stromversorgung.
Sicheres Umfeld ist wohl was anderes.
Ja, der Schwerpunkt der ANSF-Operation wurde daraufhin auch von Dand-e Ghuri nach Dand-e Shabuddin verlagert, um eine Reparatur zu ermöglichen, weil die von der ALP begleiteten zivilen Reparaturteams von den Aufständischen angegriffen und am Zugang gehindert wurden… angeblich sind die Mastern heute aber repariert worden (wobei die Regierung das schon seit Tagen sagt).
Interessanterweise kam es in Kabul bisher nicht zu größeren Protesten, und das obwohl die Stadt schon seit drei Wochen ohne Strom ist…