Nach Luftangriff auf MSF-Klinik: Weiter wenig Klarheit, keine Deutschen im Untersuchungsteam
Die Umstände des tödlichen Luftangriffs auf eine Klinik der Organisation Ärzte ohne Grenzen am 3. Oktober in Kundus, bei dem 22 Menschen ums Leben kamen, bleiben weiterhin unklar. Da eine Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press am (gestrigen) Donnerstagabend (deutscher Zeit) recht spät kam und deshalb etwas unterging, ein Überblick über die Informationslage:
Nach dem AP-Bericht wussten Teile der US-Streitkräfte sehr wohl, dass das Gebäude das Hospital von Ärzte ohne Grenzen (Médecins sans Frontiéres, MSF) beherbergte – Vorrang habe aber gehabt, dass dort ein pakistanischer Geheimdienstmirarbeiter vermutet wurde, der Taliban-Angriffe in Kundus dirigiert haben soll:
US analysts knew Afghan site was hospital
American special operations analysts were gathering intelligence on an Afghan hospital days before it was destroyed by a U.S. military attack because they believed it was being used by a Pakistani operative to coordinate Taliban activity, The Associated Press has learned.(…)
The special operations analysts had assembled a dossier that included maps with the hospital circled, along with indications that intelligence agencies were tracking the location of the Pakistani operative and activity reports based on overhead surveillance, according to a former intelligence official who is familiar with some of the documents describing the site. The intelligence suggested the hospital was being used as a Taliban command and control center and may have housed heavy weapons.
After the attack — which came amidst a battle to retake the northern Afghan city of Kunduz from the Taliban — some U.S. analysts assessed that the strike had been justified, the former officer says.
Auf diese Vorwürfe gab es zunächst keine Reaktion. Am Donnerstag hatte ein Untersuchungsteam die Ruine des angegriffenen Gebäudes in Augenschein genommen. Dabei hätten sie sich gewaltsam Zutritt zu dem Gelände verschafft, beklagte Ärzte ohne Grenzen, berichtet AP:
A medical charity whose hospital in northern Afghanistan was bombed by the U.S. military said on Thursday that a U.S. tank forced its way through the closed gates of the compound, contravening an agreement that they would be informed.
Doctors Without Borders, also known as MSF, said they were informed after the „intrusion“ that it was by a delegation from a joint U.S.-NATO-Afghan team investigating the Oct. 3 bombing of the hospital. (…)
„Their unannounced and forced entry damaged property, destroyed potential evidence and caused stress and fear,“ it said in a statement, adding that an MSF team had arrived at the hospital earlier in the day.
Jenseits der Frage, ob es wirklich ein Panzer war (oder nur, was wahrscheinlicher ist, ein gepanzertes Transportfahrzeug), heizt das natürlich die Debatte über die Untersuchung des Vorfalls an. MSF verlangt ja eine unabhängige internationale Untersuchung und nicht eine Untersuchung nur durch das US-Militär, das den Luftschlag ausführte:
When a hospital is bombed, it should not be up to the doctors inside to prove why it shouldn’t have been. Neither is it sufficient for those who have already admitted responsibility to carry out the only investigations into the attack.
Allerdings haben die US-Truppen eine Untersuchungskommision unter Leitung eines Ein-Sterne-Generals zusammengestellt, der auch Soldaten aus anderen NATO-Nationen sowie Afghanen angehören. Deutsche Soldaten sind nach Angaben der Bundeswehr an dieser Kommission nicht beteiligt (obwohl die Bundeswehr im Regionalkommando im afghanischen Norden die Führungsrolle hat).
(Foto: An MSF staff member walks through the grounds of the Kunduz trauma centre, 03 October, hours after it was badly damaged from sustained bombing on Saturday October 3 – MSF)
Noch etwas neues gerade eingetroffen:
NBC News
Cockpit Crew in Doctors Without Borders Strike Questioned Legality
Thu, Oct 15 · Clip 2 of 10
NBC News has learned that the crew in the gunship that carried out a strike against a hospital in Afghanistan questioned whether it was legal.
(Video 2ter clip in der Bildleiste unten)
http://www.nbcnews.com/nightly-news/video/cockpit-crew-in-doctors-without-borders-strike-questioned-legality-545354307855
Im Video: „Die Cockpitaufzeichnung belegt die Rückfrage der Crew.“
Es hat also jemand entweder die Rechtmäßigkeit gegenüber der Crew falsch dargestellt oder den ausdrücklichen Befehl gegeben das Krankenhaus zu bombardieren. Aber egal wie, die Crew hat einen illegalen Befehl befolgt und wird vor ein Kriegsgericht müssen
Voher hörten wir:
„several civilians were accidentially struck“
„the hospital was mistakenly struck“
„we would never intentionally target a protectecd medical facility“
Das waren alles Falschaussagen. (Die letzten von Gen Campball vor dem Kongress). Aber ob das Konsequenzen hat darf man bezweifeln.
Die Geschichte von einem pakistanischen Miltärgeheimdienstler der von einem höchst aktivem Krankenhaus aus den Angriff der Taliban auf eine Stadt kommandiert hört sich auch erstunken und erlogen an und wäre, selbst wenn sie wahr wäre, keine menschlicher oder legale Rechtfertigung für einen solchen Angriff.
Update to the IHFFC statement of 8 October 2015 [14.10.2015]
Das Aussenministerium der USA lehnt anscheinend ein solche unabhängige Untersuchung ab.
Aus der PK des US-AA vom Mittwoch:
Wie die Untersuchungen des Defense Departments ablaufen weiss man ja aus hinreichend vielen Vorfällen. Vertuschen, geheimhalten, leugnen … und im Zweifel alles als „Geheim“ einstufen damit man nichts sagen muss. Falls dann doch etwas durchsickert wird alle Schuld auf einen unteren Dienstgrad abgewälzt. Siehe Abu Graibh etc.
@b
So wie die russische MH 17 Untersuchungen??????
b | 16. Oktober 2015 – 17:46:
“ … Es hat also jemand entweder die Rechtmäßigkeit gegenüber der Crew falsch dargestellt oder den ausdrücklichen Befehl gegeben das Krankenhaus zu bombardieren. Aber egal wie, die Crew hat einen illegalen Befehl befolgt und wird vor ein Kriegsgericht müssen. …“
Eben nicht „egal“ wie. Und die Crew hat alles richtig gemacht.
Hans Schommer | 17. Oktober 2015 – 18:08
oh, oooooooooooooooooh
Und schon, ein bisschen spät, grätsche ich hier rein.
@KlausK
Kurz noch mal nachlesen, was die IHFFC ist, ehe dieser Vergleich kommt
@all
Die Debatte zu diesem Thema ist schon mal entgleist, noch mal bitte nicht. Danke.
@b | 16. Oktober 2015 – 17:46
„Es hat also jemand entweder die Rechtmäßigkeit gegenüber der Crew falsch dargestellt oder den ausdrücklichen Befehl gegeben das Krankenhaus zu bombardieren. Aber egal wie, die Crew hat einen illegalen Befehl befolgt und wird vor ein Kriegsgericht müssen“
Soso und worauf stützen Sie diese Einschätzung?
Soso und worauf stützen Sie diese Einschätzung?
Ein bewusster Angriff auf ein aktives Krankenhaus von dem offensichtlich keine erhebliche Gefahr ausgeht ist nach geltendem internationalem Recht ein Kriegsverbrechen.
Die Einschätzung teilt übrigens auch das Pentagon. In dem oben verlinkten NBC Bericht zitiert der Pentagon-Reporter um 1:45 einen „Official“: „If the crew new that the target was a hospital filled with civilians and launched the attack anyway that was a war crime.“
Die Besatzung wußte ja offenichtlich das es ein aktives Krankenhaus war. Daher auch die Rückfrage. Sie hatte auch die Aufklärungsmittel um eine eventuell davon ausgehende Gefährdung beurteilen zu können. Eine Gefährdung bestand anscheinend nicht. Waffen waren in dem Krankenhaus offenbar keine, insbesondere keine schweren Waffen. Selbst wenn es eine Gefährdung gegeben hätte wären die eingesetzten Mittel nicht verhältnismäßig gewesen.
Der Fall scheint mir damit klar zu sein.
U.S. official: Doctors Without Borders ‚did everything right‘ before airstrike
Ein ziemlich obskures Rechtsverständnis, was da der Afghanische Verteidigungsminister heute gegenüber Associated Press (AP) zu Tage legte (vgl. http://www.ctvnews.ca/world/afghan-defence-minister-says-taliban-used-bombed-hospital-as-shelter-1.2616293 & http://www.khybernews.tv/newsDetails.php?cat=14&key=OTM0Mjk