Militäraktion gegen Schleuser im Mittelmeer: Erste (Aufklärungs)Phase vor dem Start
Während die Rettungsaktionen für Migranten im Mittelmeer weitergehen (unter anderem hat die deutsche Fregatte Schleswig-Holstein am heutigen Freitag 90 Menschen aus Seenot gerettet und auf das von Ärzte ohne Grenzen betriebene Schiff Bourbon Argos übergeben, Foto oben), steht die geplante Militäraktion der EU gegen die Schleuser der Migranten kurz vor dem Start. Allerdings nur für die erste Phase, die Aufklärung der Schleuser-Netzwerke – weitergehende Aktionen sind ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates kaum denkbar, und das gibt es (noch) nicht.
Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der EU billigte am Freitag den Operationsplan für EUNAVFOR MED, der politische Startschuss für die Operation soll kommende Woche fallen.
Aus der AP-Meldung:
Two diplomats from EU nations told The Associated Press the EU would start using ships, planes and drones for surveillance and intelligence-gathering on the traffickers but stay away from politically sensitive actions such as boarding or destroying smuggling boats, which are expected in later phases of the operation. (…)
In the first phase of the plan, the EU boats and planes will only operate in international waters and skies and will be involved in rescue work if needed. But EU nations want to get as much of the full operation ready to go as soon as possible. (…)
The later phases of the EU anti-trafficking operation would require U.N. clearance and some consent from authorities in Libya to operate in national waters and territories.
Zu den Planungen und zur Zusammensetzung von EUNAVFOR MED (European Naval Forces Mediterranean) gibt es weitere Informationen beim Bloggerkollegen von Bruxelles2, unter anderem zur italienisch-französischen Kommandospitze:
EUNAVFOR Med lancée lundi. Une opération grandes oreilles tout d’abord
Le dispositif de commandement d’EUNAFOR Med. Un Français à bord…
… mit ein paar interessanten Details: So soll das Hauptquartier der EU-Mission bewusst an anderer Stelle eingerichtet werden als die örtliche Koordinationsstelle zur Seenotrettung (wenn auch beide in der gleichen Stadt, nämlich in Rom). Und neben dem Operationshauptquartier in der italienischen Hauptstadt wird auch das Force Headquarters italienisch geführt, von Bord des Flugzeugträgers Cavour.
Nach einer Meldung der Süddeutschen Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht) soll sich die Deutsche Marine mit den beiden Schiffen, die schon für die Seenotrettung eingesetzt werden (neben der Fregatte Schleswig-Holstein der Tender Werra) zugleich an der Aufklärungsmission gegen die Schleuser-Netzwerke beteiligen. Eine Bestätigung dafür gibt es wohl noch nicht.
Nachtrag zum Thema: Die ARD hat ein Multimedia-Dossier zum Weltflüchtlingstag aufgelegt:
Das Geschäft mit Hoffnung und Verzweiflung
(Bei diesem Thema schalte ich wie üblich die Kommentare auf moderiert.)
(Foto: Bundeswehr/Achim Winkler)
„Militäraktion gegen Schleuser im Mittelmeer“
Wo man auch liest und hinsieht – nur bla-bla. Sonst nix.
Wenn man davon ausgeht, dass Netzwerke der OK denen von Aufstandsbewegungen recht ähnlich sind, dann zeigt die Erfahrung u.a. aus Afghanistan, dass wirkungsvolle Nachrichtengewinnung und Aufklärung eine signifikante Präsenz vor Ort voraussetzt. Gibt es die nicht, werden die Ergebnisse kaum ausreichen, um zuverlässig Ziele bekämpfen zu können.
@Abu Nasr al-Almani | 19. Juni 2015 – 20:44
Hinweis
Das jahrzehntelang gültige Begriffspaar „Nachrichtengewinnung und Aufklärung (NG&A)“ ist seit 05/2013 aufgelöst. Der Begriff „Nachrichtengewinnung“ ist nicht mehr zu verwenden, um Verwechslungen mit der dem BND vorbehaltenen „Nachrichtenbeschaffung“ auszuschließen.
Der zu verwendende Begriff ist „Aufklärung“, der somit auch eineindeutig „intelligence“ entspricht, was im multinationalen Umfeld zu Vereinfachungen führt und dem MilNW zugeordnet ist.
Die in klassischer deutscher Definition bekannte Aufklärung ist Aufgabe der HAufklTr und vom MilNW getrennt zu betrachten.
Im Rahmen des CPM (nov) laufende Vorhaben bleiben bis Abschluss derselben in alter Diktion.
„…………………………………………………………So soll das Hauptquartier der EU-Mission bewusst an anderer Stelle eingerichtet werden als die örtliche Koordinationsstelle zur Seenotrettung (wenn auch beide in der gleichen Stadt, nämlich in Rom). Und neben dem Operationshauptquartier in der italienischen Hauptstadt wird auch das Force Headquarters italienisch geführt, von Bord des Flugzeugträgers Cavour…………“
Mit Kriegsschiffen, MPA, Drohnen und AWACS außerhalb der Hoheitsgewässer Libyen’s will man also Aufklärung gegen Schlepper an Land und en passant Seenotrettung betreiben, geführt von zwei HQ, – in Rom und einem auf See – und schön getrennt vom FRONTEX HQ und vom MRCC….und man will schon im September führungsfähig sein………Man fragt sich wirklich ob diese Brüsseler Bürokraten noch alle Latten am Zaun haben.
@Klabautermann
Das „mit den Latten am Zaun“ erscheint beim ersten Lesen der Meldung berechtigt. Zwei HQ, feigenblattmäßig schön getrennt, mit mil Brille betrachtet: Wahnsinn.
Allerdings bin ich mir – leider – sehr sicher, die wurden militärisch beraten, die Bürokraten. Und zwar durch das „Politische und Sicherheitskommitee (PSK)“ der EU. Es stellt die oberste SiPo-Führung dar und überträgt die Verantwortung einem Operation Commander, der von jeder EU-Nation gestellt werden kann, die Truppe bereitstellt; naheliegend hier, dass dies ITA macht.
Damit wird der – diesmal – interessierten Öffentlichkeit signalisiert, hier die Guten – die Retter, dort die anderen, die (bösen) Bekämpfer.
Unsere Primaten des Politischen haben wieder einmal zugeschlagen. Dass Duplizitäten auch doppelt finanziert werden, wer will das wissen, wenn es um „Absaufende“ geht?
@Klaus-Peter Kaikowsky „Damit wird der – diesmal – interessierten Öffentlichkeit signalisiert, hier die Guten – die Retter, dort die anderen, die (bösen) Bekämpfer.“:
Ich sehe da eine viel einfachere Erklärung:
Strikte Neutralität zu wahren ist ein Grundsatz für jeden Rettungsdienst.
Ein Rettungsdienst muss sich darauf verlassen können, von niemandem als Partei wahrgenommen zu werden. Das ist Grundlage seiner Arbeit.
Warum sollte die Koordinationsstelle zur Seenotrettung bereit sein, sich mit der EU-Mission zusammenlegen zu lassen?
Das Thema Neutralität könnte übrigens auch bei den an der Seenotrettung beteiligten Fahrzeugen (Schiffen, Flugzeugen, Drohnen,…) noch zum Problem werden:
Bei einem Rettungsfahrzeug läßt man auch mal fünf gerade sein, z.B. wenn es das Gebiet irgendeiner Fraktion verletzt. Bei einem Fahrzeug, das als potentielles Spionageinstrument wahrgenommen wird oder als Teil einer militärischen Mission, ist man empfindlicher. Das hat weniger Bewegungsfreiheit. Mangelnde Bewegungsfreiheit kann Menschenleben kosten.
Schlimmstenfalls gibt es noch ein weiteres Problem: Dass Fahrzeuge zu Anschlagszielen von irgendwem werden, der sie als Bedrohung seiner Interessen ansieht.
Wenn sich Rettungsaktion und Militäraktion in der Wahrnehmung zu sehr verbinden, führt das leicht zu Problemen für die Retter.
Wenn die BW tatsächlich dieselben Schiffe für Seenotrettung und Schleuserbekämfung einsetzen will, wäre dies Inkompetenz ohne Ende. Selbstverständlich müssen für die Schleuserbekämpfung andere Schiffe verwendet werden. Denn wenn die Schleuser nicht wissen, welche Schiffe der Rettung und welche ihrer Bekämpfung dienen, ist zu befürchten, daß diese extra Flüchtlingsboote zum sinken bringen usw, weil so größer die Seenotgefahr, umso weniger können sie bekämpft werden.
Im Moment sind die deutschen Fregatten und Tender den Schleppern recht, aber wenn sie diese als Gefahr ansehen müssen, dann steigt das Risiko, daß mit den Flüchtlingen gleich ein Selbstmordattentäter mit an Bord geschmuggelt werden soll.
Die Seenotrettung und die Schleuserbekämpfung muss strickt getrennt werden, sonst gefährden wir das Leben von Flüchtlingen und ggf. das Leben unserer Soldaten.
@all in diesem thread
Wenn ich die obige AP-Meldung und die Darstellung T.M korrekt verstehe, werden die verfügbaren Kräfte für beide Aufgaben, nämlich Aufklärung und Seenotrettung, parallel eingesetzt.
Lediglich die HQ sind getrennt, zudem noch nach Land- und Seestationierung. Mögliche Gründe hatte ich aus – meiner Sicht -, 08:34 Uhr, bereits dargestellt.
Eine Trennung bei den Fahrzeugen erachte ich als sinnvoll, wird jedoch qua verfügbarer Masse nicht kommen können.
In einem gemeinsamen HQ reichte es aus, die wesentliche Abteilung, nämlich J3 / A3, doppelt auszulegen. Gegen ein Forward (Force) HQ zur See in Form der „Cavour“ spricht nichts, im Gegenteil. Aber alles doppelt, HQ und KoordSt Rettung, nein!
Bleibt abzuwarten, wie die Bemühungen um clearance bei UN und libyscher Regierung (Tobruk) verlaufen werden, um die „EU-anti-trafficking-Op“ nach der Phase „Aufklärung“ fortsetzen zu können.
Und falls dies alles gelingen sollte, gibt’s da noch die „Tripolis-Regierung“. Spannend!
Aufklärung, was wird konkret zu geschehen haben?
Eigentlich decken folgende Begriffe alles Erforderliche ab, nämlich:
HUMINT, SIGINT, SOCMINT, GEOINT, OSINT, MASINT, IMINT.
Fragt sich nur ob die Vor-Ort-Kräfte das drauf haben, bzw EU-Truppe diese Fähigkeiten bereitstellen kann. Es muss eine zentrale Lagebearbeitung erfolgen, getrennt für See- und (später) LandOps.
Zwei auschlagebende Qualitäten, die den Unterschied darstellen, nämlich Sensoren zur Aufkl der Netzwerke und das Targeting für ggf Jabo/KHubSchr in der Versenkung von Booten sind wesentlich. Im Bereich Targeting könnte mich die Einbindung des JFC Naples nicht wundern.
Die Schleswig-Holstein hat gestern wieder 471 Personen aus Seenot gerettet und an Bord genommen. Wie sollen die deutschen Schiffe angesichts dieser Situation auch nur Zeit haben, um Schleuser aufzuklären und wäre dies nicht eher eine Aufgabe der Seeaufklärer oder sonstiger Aufklärungsflugzeugen wie AWACS oder Tornados mit Aufklärungsbehältern?
@Closius
Seeaufkl, AWACS usw. Richtig!
Teil dessen was ich gestern, sorry für Selbstbezug (21. Juni 2015 – 11:30) aufgelistet hatte.
Was von Ihnen gefordert, ist Teil bei
– IMINT, imagery intelligence, -Bild- und VideoAufkl
– SIGINT, signals intelligence, ist die Auswertung von elektronischen Signalen =Fernmelde- und elektronische Aufklärung. Datenströme werden erfasst und bestimmte Inhalte gesucht. Innerhalb der SIGINT noch zwischen zwei Untergruppen: der Communications Intelligence (COMINT), also Fernmeldeaufklärung, dem Abhören von Funksprüchen, Telefonaten, E-Mails zwischen Personen, sowie der Electronic Signals Intelligence (ELINT).
Die Schlepper kommunizieren und organisieren (sich), und bei der Weite des Raumes geht dass nicht nur mit Kamel und Melder zu Fuß. Und selbst das ist Auftrag für u.a.
– HUMINT und
– OSINT.
Zu AWACS, das ist NATO-Einsatzmittel. Hier führt die EU eine Op durch. Inwieweit das zusammengeführt werden kann, ….per Antrag, man sitzt gemeinsam in Brüssel …?
Kann ggf mal einer von den Blauen Jungs erläutern, was denn Aufklärungsfähigkeiten unserer Schiffe, Boote, Orion (kein AWACS) so ausmacht, möglichst in Bezug auf die diversen „…int“?