G36: 7.000 dicke Rohre? Und: Der Ärger der Abgeordneten – seit 2012

Operation Orpheus - Nawabad, Northern Afghanistan

Beim Bundeswehr-Sturmgewehr G36, das heißgeschossen nicht mehr richtig trifft, wird jetzt angeblich eine Nachrüstung der Waffe durch den Hersteller Heckler&Koch erwogen. Auf jeden Fall reden das schwäbische Unternehmen und die Verantwortlichen in Berlin jetzt auf hoher Ebene miteinander – nicht nur beim Besuch des H&K-Geschäftsführers Andreas Heeschen bei Mitgliedern des Verteidigungsausschusses, sondern auch direkt, in einem Treffen von Heeschen mit Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder, berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS). Das Blatt hat auch Details zum möglichen G36-Umbau:

Im Gespräch sind mittelfristige Änderungen an den rund 170.000 Bundeswehr-Exemplaren sowie die rasche Umrüstung von Gewehren für Soldaten in Auslandseinsätzen. Die Rede ist dabei von sechs- bis siebentausend Waffen, die unter anderem mit einem stärkeren Rohr versehen werden könnten. (…) Als Alternative wird erwogen, einige tausend Sturmgewehre bei einem anderen Hersteller als Zwischenlösung zu kaufen.

Auf die Sache mit dem dickeren Rohr hatte Heckler&Koch schon vor einigen Tagen hingewiesen. Am 21. April erinnerte das Unternehmen in seiner Stellungnahme Nr. 6 zum Sturmgewehr G36 daran, dass bei Beschaffung der Waffe in den 1990er-Jahren parallel auch ein leichtes Maschinengewehr dieser Bauart angeboten wurde: Das MG36 ist identisch mit dem G36, verfügt jedoch über ein wesentlich dickeres Rohr als das G36; das MG36 wiegt aber insgesamt nur ca. 135g mehr als das G36. Hauptargument, mal untechnisch ausgedrückt: Je dicker das Rohr, um so geringer das Problem, dass die Waffe durch die hohe Schussbelastung übermäßig erhitzt wird.

Ob’s daraus hinausläuft? Keine Ahnung, würde mich aber nicht wirklich wundern.

Neben der Frage, wie es mit dem G36 weitergeht, geht es natürlich auch, nicht zu unterschätzen, um die Rückschau – wer eigentlich wann in dem Riesenapparat Verteidigungsministerium, Ämter, Behörden und Truppe was wusste, wem gemeldet hat und welche Konsequenzen gezogen werden.

Für die Rückschau werden sicherlich in der nächsten Zeit noch viele einzelne Papiere ans Tageslicht kommen, hier mal der Blick auf einen Vorgang, der erklären könnte, warum sich die Abgeordneten im Bundestags-Verteidigungsausschuss ein wenig verschaukelt fühlen.

Denn nachdem es bereits im April 2012 die erste Meldung zu möglichen Treffproblemen der Bundeswehr-Standardwaffe gegeben hatte, und noch vor den ausführlichen Berichten über Untersuchungsergebnisse im Jahr 2013, hatten die damaligen Regierungsfraktionen Union und FDP im Verteidigungsausschuss einen förmlichen Antrag an das Verteidigungsministerium gerichtet. Aus der Ausschussdrucksache 17(12)1019 vom 16. Oktober 2012:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, schnellstmöglich zu prüfen, mit welchem finanziellen Aufwand die erkannten Mängel am G36 zeitnah abzustellen sind und wie für die im Einsatz betroffenen Soldaten umgehend verbesserte Waffen zur Verfügung gestellt werden können.
Begründung:
1. Im Zuge von Untersuchungen wurde u.a. festgestellt, dass bei hohen Schussbelastungen die Treffsicherheit der Waffe deutlich abnimmt.
2. Gerade in Gefechten kommt es jedoch immer wieder zu hohen Belastungen der Waffe durch eine erhöhte Feuergeschwindigkeit und dauerhaften Einsatz.
3. Die bisher vorgeschlagenen Lösungen stellen den Mangel nicht ab.
Kosten: sind erst nach Vorliegen einer Lösung zu beziffern.

Auf diesen Antrag, unterschrieben von den damaligen Koalitions-Obleuten Ernst-Reinhard Beck für die Union und Elke Hoff für die FDP, antworte das Verteidigungsministerium am 20. November, gut einen Monat später. Aus dem Schreiben des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Kossendey:

Zu dem in der 123. Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 17. Oktober 2012 beschlossenen Prüfauftrag zu Mängeln am G36 teile ich Ihnen mit:
Die Prüfung hat die bisherige Bewertung des Bundesministeriums der Verteidigung, dass für die aufgetretenen Effekte physikalische Gesetzmäßigkeiten ursächlich sind, bestätigt.
Es wurde kein Mangel am G36 festgestellt. Somit sind auch keine technischen oder konstruktiven Maßnahmen an der Waffe erforderlich, die einen finanziellen Aufwand nach sich ziehen würden.
Die Voraussetzungen für die Nutzung des Gewehrs G36 sind unverändert gegeben.

Nun, diese Ansicht sollte das Verteidigungsministerium in den Folgejahren mehrfach revidieren – bis zur Aussage von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der zurückliegenden Woche, das G36 habe in seiner heutigen Konstruktion keine Zukunft in der Bundeswehr.

Die Abgeordneten, die – wenn auch zum geringen Teil – schon 2012 im Verteidigungsausschuss saßen und ihm auch heute noch angehören, werden sich allerdings bei allen Antworten des Ministeriums auf ihre Fragen zum G36 auch an diese Antwort vom November 2012 erinnern.

(Archivbild 2011: Bundeswehrpatrouille in Nawabad bei Kundus in Afghanistan – Timo Vogt/randbild.de)