Geplante Irak-Mission der Bundeswehr: Verfassungsrechtlich doch nicht so einfach

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte sich im Dezember noch sehr zuversichtlich gezeigt. Die geplante Ausbildungsmission der Bundeswehr für kurdische Peshmerga-Kämpfer, die für den Kampf gegen die islamistischen ISIS-Milizen trainiert werden sollen, sei ungeachtet einer neuartigen Auslegung des Grundgesetzes möglich: Der Einsatz findet in einem System der kollektiven Sicherheit statt, ist damit verfassungsfest, hatte die Ministerin betont. Auch wenn sich das Bundeskabinett bei dem Beschluss dieses Mandats erstmals darauf gestützt hatte, dass das nach dem Grundgesetz vorgesehene System kollektiver Sicherheit nicht wie bislang UNO, NATO oder eine andere Organisation ist, sondern lediglich eine Koalition der Willigen. Nun scheint es an dieser Verfassungsinterpretation zunehmend Zweifel zu geben.

Die Rechtsansicht der Bundesregierung, hier schon mehrfach thematisiert, findet sich klar im Mandatsentwurf des Kabinetts:

Die deutschen Streitkräfte handeln im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes. Sie handeln bei ihrem Einsatz als Teil der internationalen Anstrengungen im Kampf gegen die Terrororganisation ISIS, die sich selbst auch „Islamischer Staat“ nennt, von der nach Feststellung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen eine Bedrohung für Weltfrieden und internationale Sicherheit ausgeht (Sicherheitsrats-Resolution 2170 (2014) vom 15. August 2014). Die internationale Gemeinschaft leistet damit der Aufforderung des Sicherheitsrats Folge, die irakische Regierung im Kampf gegen ISIS zu unterstützen (vom Sicherheitsrat im Konsens angenommene Vorsitzerklärung vom 19. September 2014). Die Ausbildungsunterstützung wird auf Bitten und im Einverständnis mit der Regierung des Irak sowie der Regierung der Region Kurdistan-Irak geleistet. Mit Schreiben vom 25. Juni 2014 an den Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN-Dokument S/2014/440) hat der irakische Außenminister alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen um Unterstützung im Kampf gegen die Terrororganisation ISIS auch im Wege militärischer Ausbildung gebeten. Der Einsatz zur Ausbildungsunterstützung ist daher völkerrechtsgemäß, ohne dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen Eingriff in die Hoheitsrechte des Irak autorisieren müsste.

Doch genau an diesem Verständnis des Grundgesetz-Artikels 24 Absatz 2 entzündet sich der Streit. So hatte es das noch nicht gegeben – das System kollektiver Sicherheit war bislang immer eine feste Organisation.

Übereinstimmend berichten tagesschau.de und Spiegel Online von einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, in dem diese Berufung auf eine Koalition der Willigen als problematisch eingeordnet wird:

Im Gutachten des Bundestags heißt es aber, um mit dem „System kollektiver Sicherheit“ zu argumentieren, wäre ein UN-Mandat notwendig, das den Einsatz völkerrechtlich legitimiert. Ohne Mandat gebe es auch kein „System kollektiver Sicherheit“. Daher finde der Unterstützungseinsatz keine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24, Absatz 2.

heißt es bei tagesschau.de; SpOn hat offensichtlich das gleiche Gutachten:

Klar sei, dass der Einsatz „nicht im Rahmen und nach den Regeln eines kollektiven Sicherheitssystems“ stattfinde. Auch die von der Regierung zitierte Uno-Resolution 2170 und eine Erklärung des Sicherheitsrats reiche „zur Autorisierung des Anti-IS-Einsatzes im Irak nicht aus“. Vielmehr vermögen die Äußerungen „eine förmliche (autorisierende) Resolution nicht zu ersetzen“. Folglich finde der Einsatz „keine verfassungsrechtliche Grundlage“ nach Artikel 24.
Das Gutachten nennt einen Ausweg, den auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angepeilt hatte. Demnach sei der Einsatz nach Artikel 87 des Grundgesetzes vertretbar. Dieser wertet die Nothilfe für andere Staaten als erweiterte Verteidigung der Bundesrepublik. Bisher hat Deutschland diesen Weg noch nie gewählt.

Ob dieses Gutachten Folgen hat? Das scheint eher zweifelhaft. Denn zum einen ist eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angesichts der zahlenmäßigen Größe der Oppositionsfraktionen im Bundestag schwierig. Zum anderen ist auch denkbar, dass das Karlsruher Gericht die Sicht der Bundesregierung bestätigt – und damit Gegner dieser Interpretation in den Oppositionsparteien noch weniger gegen ungeliebte Auslandseinsätze vorgehen können.

Andererseits: Das Verfassungsgericht wird sich ja ohnehin mit der Frage beschäftigen, was nun eigentlich ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland ist. Am 28. Januar, einen Tag vor der geplanten Billigung der Irak-Ausbildungsmission im Parlament.

Nachtrag: Einige Kernsätze aus der Zusammenfassung des Gutachtens (da der Bundestag bei den Gutachten seines Wissenschaftlichen Dienstes immer sehr auf die Einhaltung des Urheberrechts achtet, muss ich mich auf einige wenige Sätze im Rahmen des Zitatrechts beschänken):

Der geplante Unterstützungseinsatz der Bundeswehr findet nicht „im Rahmen und nach den Regeln eines kollektiven Sicherheitssystems“ (der VN) statt.. (…) Die Sicherheitsratsresolution 2170 (2014), welche die Terrororganisation IS verurteilt, reicht zur Autorisierung des „Anti-IS-Einsatzes im Irak nicht aus. Auch die (völkerrechtlich nicht bindende) Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 19. September 2014 vermag eine förmliche (autorisierende) Resolution nicht zu ersetzen.
Ad hoc-Koalitionen („Coalitions of the Willing“) stellen kein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit dar, da es ihnen an der für ein solches System notwendigen institutionellen und vertraglich begründeten Struktur fehlt.
Der Unterstützungseinsatz der Bundeswehr im Irak findet daher keine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG.

Das Gutachten nennt als mögliche verfassungsrechtliche Grundlage noch Artikel 87a Absatz 2 des Grundgesetzes. (Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.) Voraussetzung dafür sei aber, die kollektive Selbstverteidigung oder Nothilfe zu Gunsten eines nicht verbündeten Staates als erweiterte Verteidigung anzusehen. Ein solches Vorgehen außerhalb der sonst üblichen kollektiven Sicherheitsstrukturen wäre eine verfassungsrechtlich neuartige Interpretation, allerdings kommt der Gutachter auch zu dem Schluss: Es besteht aber kein verfassungsrechtliches Postulat, wonach Bundeswehreinsätze nur im Rahmen von kollektiven Sicherheitssystemen erlaubt sind.

Damit sagt das Gutachten in einem Satz: Die von der Bundesregierung gewählte verfassungsrechtliche Grundlage geht nicht, aber der Umweg über den erweiterten Verteidigungsbegriff wäre möglich. Genau das wollte allerdings das Auswärtige Amt nicht.

Nachtrag 2: Die Aussagen dazu in der Bundespressekonferenz am 16. Januar. Neben BMVg-Sprecher Oberst Ingo Gerhartz und Regierungssprecher Steffen Seibert äußert sich für das Bundesjustizministerium Piotr Malachowski:

FRAGE : Eine Frage an Herrn Gerhartz im Zusammenhang mit dem geplanten Irak-Einsatz: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat offensichtlich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken und sagt, es gebe keine verfassungsrechtliche Grundlage für diesen Einsatz. Sieht man in Ihrem Haus jetzt die Notwendigkeit, den Mandatsentwurf noch zu ändern? Es geht ja um die Begründung für den Einsatz.

GERHARTZ: Ich glaube, diese Frage könnten Sie an mehrere Ressorts hier stellen. Wir haben im Antrag der Bundesregierung eine ganz klare Position festgelegt, und zu der stehen wir auch. Was jetzt einzelne andere Stimmen und Meinungen betrifft, so möchte ich diese nicht näher kommentieren.

ZUSATZFRAGE: Vielleicht kann der Regierungssprecher weiterhelfen?

STS SEIBERT: Ich kann nur sagen, dass die Rechtsgrundlage durch die Rechtsabteilungen des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums sowie natürlich auch durch die beiden Verfassungsressorts, also das Innenministerium und das Justizministerium, eingehend geprüft wurde. Insofern ist dieser geplante Einsatz nach Auffassung der Bundesregierung rechtskonform, und zwar sowohl verfassungsrechtlich als auch völkerrechtlich. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kann sich davon unbenommen natürlich mit der Sache befassen und auch zu abweichenden Einschätzungen kommen; unsere Haltung ist aber, dass das ein Einsatz ist, der im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit des Grundgesetzes beschlossen wird. Es gibt ganz klare Aufforderungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen die Terrororganisation IS helfen sollen, und es gibt Anfragen und Bitten aus dem Irak selber in dieser Richtung. Insofern bleiben wir bei unserer rechtlichen Beurteilung.

ZUSATZFRAGE: Es ist dann wahrscheinlich müßig, die Verfassungsressorts dazu zu befragen, das ist bestimmt abgestimmt?

MALACHOWSKI: Das haben wir in der Tat abgestimmt, ja.

(Archivbild: Bundeswehrsoldat bei der Waffenausbildung für kurdische Peshmerga-Kämpfer im Oktober 2014 – Bundeswehr/Sebastian Wilke)