Baltic Air Policing: Friedensflugbetrieb an der russischen Grenze

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Deutsche Abfangjäger über dem Baltikum sind eigentlich nichts Ungewöhnliches. Seit mehr als zehn Jahren sichern Kampfjets der NATO-Staaten im Wechsel den Luftraum über den Bündnismitgliedern Estland, Lettland und Litauen, die über keine nennenswerte eigene Luftwaffe verfügen. Auch die Bundeswehr hatte bereits fünfmal mit Phantom- und Eurofighter-Kampfjets zu diesem Baltic Air Policing beigetragen.

In diesem Jahr der Ukraine-Krise ist jedoch alles anders. Bereits im Frühjahr hatte die NATO beschlossen, als Reaktion auf das russische Vorgehen auf der Krim die Zahl der im Baltikum stationierten Abfangjäger deutlich zu erhöhen – normalerweise steht eine Alarmrotte von zwei Maschinen auf der litauischen Basis Siauliai. Jetzt sind es insgesamt 18 Maschinen, die für diese Aufgabe außer in Siauliai auch in Ämari in Estland und Malbork in Polen zur Verfügung stehen: Die baltischen Staaten, direkt an Russland angrenzend, sollen mit dieser re-assurance, der demonstrativen Zusicherung der Bündnissolidarität gegenüber dem russischen Nachbarn gestärkt werden – der von der NATO zunehmend als Gegner angesehen wird.

Deutschland hatte im April sechs Eurofighter für diese Verstärkung angeboten, und seit dem 1. September ist es soweit: Vier Maschinen stehen auf der estnischen Basis Ämari(siehe Markierung auf der Karte unten), zwei weitere in Deutschland beim Taktischen Luftwaffengeschwader 74 aus Neuburg/Donau in einer 96-Stunden-Bereitschaft.

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Wie sich die geopolitische Lage seit dem NATO-Beschluss vor fünf Monaten geändert hat, zeigt ein Detail: Beim Angebot an die NATO war die Bundesregierung noch davon ausgegangen, dass die Jets zwar in Estland stationiert werden, aber nur für Trainingsflüge. Das sieht zum Einsatzbeginn ganz anders aus: Jeweils für eine Woche, die so genannte hot week, stehen zwei deutsche Eurofighter aufmunitioniert in einer 15-Minuten-Bereitschaft für den so genannten Quick Reaction Alert (QRA), den Alarmstart zum Abfangen eines Flugzeugs; die beiden anderen Maschinen dienen als Reserve. In der jeweils zweiten Woche gibt es nur – unbewaffnete – Trainingsflüge.

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Die Luftwaffe stieg Anfang September gleich mit einer hot week in ihre Mission ein, hatte aber keinen scharfen Einsatz. Dennoch, darauf sind die Piloten stolz, haben sie bei ihren Übungsstarts die vorgebene Viertelstunde  von Alarmierung bis Start mit neun Minuten deutlich unterboten.

Bewaffnet sind die Eurofighter bei ihren scharfen Einsätzen mit Iris-T-Kurzstreckenraketen und ihrer Bordkanone. Allerdings legen sowohl Luftwaffeninspekteur Generalleutnant Karl Müllner als auch der Kontingentführer Oberstleutnant Fabian Nolte Wert darauf, dass die Alarmrotte nach den gleichen Regeln fliegt, wie sie auch für die Luftraumüberwachung über Deutschland gelten. Also im Friedensflugbetrieb. Das ist kein Kriegseinsatz, sagt Nolte. Die Unterstützung der Balten soll, das ist erkennbar, nicht als aggressives NATO-Verhalten gegenüber Russland verstanden werden können.

Konsequent wurden deshalb auch die Piloten auf deeskalierendes Verhalten getrimmt – mit dieser Zielrichtung wurde dieser Einsatz auch im Simulator geübt, erzählt ein Hauptmann, ohne in die Details zu gehen. Von den Dänen, die zuvor in Ämari die Alarmrotte für das Baltic Air Policing gestellt hatten, ließen sich die Deutschen auch über die Erfahrungen mit dem Verhalten russischer Piloten an der Grenze informieren.

Zu dieser Grenze halten die deutschen Piloten, nach Vorgabe der NATO, einen Sicherheitsabstand von 15 Kilometern. Doch direkte Verletzungen des Luftraums über den baltischen Allianz-Mitgliedern waren in der Vergangenheit selten, auch wenn es in den vergangenen vier Monaten zwanzig Alarmstarts aller im Baltikum stationierten NATO-QRAs gab. Auf Begegnungen mit russischen Kampfjets und Bombern müssen sich die Piloten eher in den internationalen Gewässern über der Ostsee einstellen – wo sich die russischen Flugzeuge rechtlich einwandfrei im internationalen Luftraum bewegen. Aber es bisweilen gar nicht gut finden, wenn sich ihnen NATO-Kampfflugzeuge zur visuellen Identifizierung nähern.

(Foto oben: Ein Eurofighter eskortiert am 10. September 2014 über Estland eine Global 5000 der BMVg-Flugbereitschaft, mit der Luftwaffeninspekteur Müllner zum Besuch des deutschen Kontingents nach Ämari fliegt. Foto unten: Ein Eurofighter wird in Ämari für den Start vorbereitet. Karte: OpenStreetMap)