von der Leyen für mehr Einsätze aus humanitären Gründen? Da passt was nicht zusammen

Das Interview, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (oben das neue offizielle Portrait) dem Spiegel gegeben hat, ist bislang nur als Zusammenfassung online; deshalb muss man das noch etwas vorsichtig anschauen. Doch schon die veröffentlichten Auszüge und Zitate zeigen eine merkwürdige Lücke zwischen dem Anspruch, den die (immer noch neue) Ministerin erhebt – und den Aktionen, die sie ins Auge fasst.

In Zentralafrika entfaltet sich ein blutiger Krieg zwischen Christen und Muslimen. Wir können nicht zulassen, dass der Konflikt die ganze Region in Flammen setzt.

zitiert Spiegel Online die CDU-Politikerin. Nun hat Frankreich genau aus diesem Grund 1.600 Soldaten in die Zentralafrikanische Republik entsandt, einige tausend afrikanische Soldaten kommen hinzu, und die Europäische Union hat ihre Unterstützung dafür im Grundsatz beschlossen, rund 500 Soldaten werden am Ende wohl am Flughafen der Hauptstadt Bangui eingesetzt werden. Da schaut man dann doch, bei so einer Ankündigung der deutschen Verteidigungsministerin, was die wirtschaftlich (und militärisch) potenteste EU-Nation dazu beizutragen gedenkt:

Von der Leyen sagte, sie könne sich vorstellen, dass die Bundeswehr einen Lazarett-Airbus (MedEvac) zur Verfügung stellt, um verwundete Soldaten aus Zentralafrika zu evakuieren.

Ach so. Übrigens darf der dann, wenn ich eine frühere Aussage von der Leyens sehe, nur dann fliegen, wenn es absolut ungefährlich ist:

Denn das ist eine Frage, ob der Flughafen gesichert ist, so dass man zum Beispiel Verwundetentransport unter absolut sicheren Bedingungen durchführen kann oder nicht.

Unter absolut sicheren Bedingungen macht das auch der ADAC, wenn seine Ambulanzflugzeuge nicht gerade für andere Dinge benötigt werden.

Ähnlich sieht es beim – bereits laufenden – Bundeswehreinsatz in Mali aus:

Derzeit liegt die Mandatsobergrenze bei 180 Mann, 99 Soldaten sind vor Ort. Dieses Engagement könnten wir verstärken, das erwarten auch unsere Verbündeten, allen voran die französische Regierung. Ich könnte mir vorstellen, dass das Mandat auf bis zu 250 Mann aufgestockt wird.

sagte von der Leyen laut SpOn in dem Interview. Das bedeutet: maximal 150 Soldaten zusätzlich, und auch das nur, wenn die Mandatsobergrenze ausgeschöpft wird – was ja bislang nicht der Fall ist.

Europa kommt im Spiel der globalen Kräfte nicht voran, wenn die einen sich immer dezent zurückhalten, wenn es um militärische Einsätze geht, und die anderen unabgestimmt nach vorne stürmen.

heißt es in dem Spiegel-Gespräch weiter. Was nach diesen Aussagen das für Deutschland bedeutet, ist mir aber ziemlich unklar. Ist die minimale zusätzliche Beteiligung angesichts der Region in Flammen nun dezente Zurückhaltung, nach vorne stürmen oder irgendwo in der Mitte?

Unterm Strich: Da passt was was nicht zusammen. Irgendwie, so der Eindruck, will von der Leyen was zu mehr militärischem Engagement Deutschlands vor allem bei schlimmsten Menschenrechtsverletzungen sagen:

Wir können nicht zur Seite schauen, wenn Mord und Vergewaltigung an der Tagesordnung sind, schon allein aus humanitären Gründen.

Doch die Konsequenz ist dann – sparsam. Ab wann ist wenig tun nicht ziemlich ähnlich wie zur Seite schauen?

Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt gute politische – und humanitäre – Gründe für den Einsatz bewaffneter Gewalt, also von Streitkräften. Und es gibt gute politische Gründe dagegen. Doch wer den Einsatz von Streitkräften aus den genannten Gründen bejaht, sollte auch die Konsequenzen ziehen – und nicht mit minimaler Beteiligung eine Alibi-Veranstaltung starten.

Aber noch kennen wir ja nicht das ganze Interview; und vor allem: noch wissen wir gar nicht, wofür sich die Bundesregierung letztendlich entscheidet…

Nachtrag: Im Zusammenhang mit dem vdL-Interview ist das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU) zu diesem Punkt interessant:

Röttgen: Also, erstens begrüße ich, dass solche Einsätze zunehmend jetzt auch danach definiert werden: Was ist das europäische Interesse? Und dann muss es eine europäische Willensbildung geben und auch gemeinsame europäische Aktionen. Das letzte und jüngste Treffen der Außenminister der EU hat ja deutlich gemacht, dass wir auf diesem Weg sind. Und der Weg, der sich abzeichnet ist, dass es insbesondere in Mali nun eine stärkere europäische Unterstützung der Franzosen gibt. Ich bin dafür, dass wir das europäisieren. In Zentralafrika geht es ganz zentral um humanitäre Hilfe, darum, dass eine humanitäre Katastrophe, die auch dort schon stattfindet, gelindert wird, indem wir Wege schaffen, um überhaupt Zugänge für humanitäre Hilfe zu gewährleisten. Und in Mali geht es, glaube ich, auch um eine Stabilisierung der Situation, die durch den französischen Einsatz eingetreten ist.

Frage: Warum gehen wir da hin, wenn schon ein nach deutschem Masstab massiver Auslandseinsatz, wie der in Afghanistan, nach vielen Kriegsjahren eine mehr als problematische Bilanz aufzeigt?

Röttgen: Man muss jeden Fall für sich sehen, analysieren und bewerten. Schon in Mali und Zentralafrika sind die Fälle unterschiedlich. In Zentralafrika geht es am allermeisten darum – wie ich eben sagte –, humanitäre Hilfe leisten zu können und dafür Wege zu sichern. In Mali ging es darum, das Land vor islamistischer Übernahme zu schützen. Und wir müssen uns klar machen, dass das alles ziemlich nah bei uns liegt. Wenn solche Konfliktherde entstehen, dann entstehen Flüchtlingsströme, und wir sind nur durch das Mittelmeer voneinander getrennt neben der humanitären Katastrophe, die uns auch menschlich und politisch fordert. Wir sind eben in einer Welt ohne Grenzen. Und die Probleme, auch wenn sie ein paar hunderte Kilometer entfernt sind, kommen dann sehr, sehr schnell zu uns. Sie kommen gewissermaßen in einem geschundenen Antlitz von Menschen zu uns und auf der anderen Seite eben auch in einer Form von Instabilität, die unseren Interessen politisch-wirtschaftlicher Art nie entspricht.

Frage:  Würden Sie auch deutsche Soldaten in die Zentralafrikanische Republik entsenden?‘

Röttgen: Es steht nicht an, das zu tun, sondern der Weg ist ein anderer, nämlich dass wir in Mali die Franzosen entlasten. Und ich plädiere auch nicht dafür, dass wir dieses Kapitel – jedenfalls im Moment – öffnen.

Auch hier stellt sich die Frage: Wenn es wirklich darum geht, in Zentralafrika humanitäre Hilfe leisten zu können und dafür Wege zu sichern – wie passt das zu der ebenso klaren Ansage, deutsche Soldaten dort stehen nicht an? Weil es ja die anderen machen?

Nachtrag 2: Auch die Grünen sehen bislang offensichtlich nur die Überschrift von der Leyen will Auslandseinsätze ausweiten und nicht die detaillierten Aussagen, die das de facto wieder zurücknehmen. Die Erklärung der verteidigungspolitischen Sprecherin Agnieszka Brugger zu dem Spiegel-Interview:

Das Vorpreschen der Verteidigungsministerin ist gefährlich und kopflos. Von einer Strategie und einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Einsatz militärischer Gewalt fehlt dabei jede Spur. Die Ministerin fordert, Deutschland solle sich stärker militärisch in Afrika engagieren. Von der Leyen verwechselt diesen vielfältigen Kontinent offenbar mit einem einzigen Land. Das zeugt von einem naiven Blick auf die vielschichtigen und unterschiedlichen Krisen in einigen afrikanischen Staaten. Von der Leyens Vorstoß ist offensichtlich rein innenpolitisch motiviert .
Es ist ein riskanter und unseriöser Kurswechsel, Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Normalität der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu erklären. Diese waren bisher zu Recht kein Instrument wie jedes andere auch, sondern äußerstes Mittel. Konflikte können nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden. Statt blindem Interventionsoptimismus  braucht es endlich mehr Konzepte und Strukturen, um die Konfliktursachen mit politischen und zivilen Mitteln zu bearbeiten.
Der größte Geburtsfehler der Bundeswehrreform ist das Versäumnis, eine fundierte und breite Debatte über die künftigen Aufgaben der Bundeswehr zu führen. Der Einsatz von militärischer Gewalt birgt immer auch Risiken und stößt schnell an seine Grenzen.  Gerade eine kritische Bilanz des Afghanistan-Einsatzes gebietet es aber mehr denn je, diese überfällige Diskussion endlich in Angriff zu nehmen, statt unüberlegt  die Auslandseinsätze der Bundeswehr auszuweiten.

Nachtrag 3: Das in den Kommentaren schon erwähnte Interview der Ministerin im ARD-Bericht aus Berlin im Wortlaut:

Frau von der Leyen, die Bundeswehr soll sich mehr in Afrika engagieren. Was soll dieser Einsatz bringen? Mit Blick auf Afghanistan hat mal einer Ihrer Vorgänger gesagt, am Hindukusch werde die deutsche Sicherheit verteidigt. Was verteidigt die Bundeswehr in Afrika?
Von der Leyen: Nun, der afrikanische Kontinent ist unser Nachbarkontinent. Es trennt uns im Prinzip nur 14 Kilometer Seeweg. Und wir haben an den Dramen vor Lampedusa gesehen, was es bedeutet, wenn in Afrika Staaten vollständig destabilisieren und die Menschen fliehen. Insofern: Dadurch, dass wir die Globalisierung haben, rücken auch solche Konflikte sehr viel näher an Europa heran. Jetzt haben Anfang letzter Woche die europäischen Außenminister eine afrikanische Mission auf den Weg gebracht für Zentralafrika. Und wir sind Teil dieser europäischen
Gemeinschaft, die in Afrika ihren Einsatz leistet. Wobei ganz klar ist – die Kanzlerin hat schon vor Wochen gesagt: Kein Kampfeinsatz in Zentralafrika. Dabei bleibt es auch.
Frage: Aber was genau ist geplant, Frau von der Leyen? Wenn ich da mal einhaken darf. Es geht ja darum: Machen wir mehr in Mali, um die Franzosen zu entlasten? Oder fliegen wir auch direkt nach Bangui, in die Hauptstadt?
Von der Leyen: Ja, zunächst einmal ist geplant, dass wir in der Tat uns stärker in Mali engagieren bei der Mission für Training und Ausbildung afrikanischer Soldaten. Das hier wird jetzt im Augenblick gerade ausgeplant. Und für Zentralafrika planen derzeit die Europäer, wie sie den Einsatz gestalten. Für uns bedeutet das: Wenn wir Fähigkeiten haben, die nur wir am besten auch können – wir sind zum Beispiel absolut herausragend bei dem Thema Medizinische Evakuierung – dann würden wir nicht beiseite stehen. Eines muss aber auch ganz sicher sein: Wenn wir über medizinische Evakuierung sprechen, sprechen wir nur vom Flughafen Bangui, den wir anfliegen würden. Der müsste sicher sein. Und, noch wichtiger: Wir brauchen dazu ein Mandat. Das Parlament entscheidet darüber.
Frage: Frau von der Leyen, nun gibt es ja in Deutschland eine überwiegende Skepsis, wenn es um weitere, um mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr geht. Müssten Sie sich da nicht viel mehr einbringen? Stattdessen haben Sie in den vergangenen Wochen sich um eine familienfreundlichere Truppe bemüht.
Von der Leyen: Nun, zunächst einmal: Eine motivierte und einsatzorientierte Bundeswehr ist wichtig. Die Menschen, die in der Bundeswehr arbeiten, müssen im Grundsatz auch fähig sein, Einsätze zu leisten. Und deshalb muss der Grundbetrieb zuhause auch stimmen. Das Eine schließt das Andere nicht aus. Ich möchte aber auch ganz deutlich sagen, dass militärische Mittel allein Krisen und Konflikte mit dem Blick auf Afrika nicht lösen, sondern das muss immer Hand in Hand gehen mit zivilem Aufbau, mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit.
Frage: Frau von der Leyen, ganz grundsätzlich gefragt: Stehen Sie in Ihrem Amt als Verteidigungsministerin für mehr Auslandseinsätze? Muss Deutschland mehr Verantwortung übernehmen? Das wäre ja dann ein Wechsel in deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
Von der Leyen: Ich finde wichtig, dass Deutschland innerhalb unserer Bündnisse – das heißt innerhalb des europäischen Bündnisses und innerhalb der Nato – mehr Verantwortung übernimmt. Aber das muss man sehen vor der Folie, dass wir im Augenblick schon rund um den Globus in rund zwölf Missionen unterwegs sind: Horn von Afrika, Afghanistan – Sie haben eben die Orte auch genannt – an der türkisch-syrischen Grenze zum Beispiel mit hohem finanziellem und militärischem Einsatz. Aber ich finde wichtig, dass wir uns besser abstimmen als Europäer. Das ist das Entscheidende, dass wir zusammen eine kohärente, das heißt auch eine in sich stimmige Gesamtstrategie haben. Und das gilt jetzt für Afrika.

(Foto: Offizielles Portrait von Bundesministerin Ursula von der Leyen – Bundespresseamt/Kugler via Bundeswehr auf Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)