Neues Mandat für ‚Active Endeavour‘: Deutschland beendet (faktisch) den NATO-Bündnisfall

BW Einsatz ACTIVE ENDEAVOUR Bandschnalle bronze

Über die deutsche Beteiligung an der Operation Active Endeavour (OAE), der Seeraumüberwachung im Mittelmeer, hatte ich heute morgen noch ein bisschen spekulativ geschrieben:

Nun hatte die SPD schon bei der letzten Beschlussfassung des Parlaments der Fortsetzung des Mandats nicht zugestimmt – vor allem aus Protest gegen die anscheinend endlose Fortsetzung des NATO-Bündnisfalls. Und mit so einer Problemlage kann natürlich eine Koalition aus Union und SPD nicht in eine neue Abstimmung gehen. Eine Weile wurde deshalb auf Regierungsebene der Gedanke diskutiert, Active Endeavour zu einem unbewaffneten Einsatz zu erklären (der ja faktisch auch nur Überwachungs- und Datensammelfunktion hat), damit die Schwelle einer nötigen Parlamentszustimmung zu unterlaufen und das Ganze per Kabinettsbeschluss zu erledigen.
Das scheint nun politisch nicht durchsetzbar – deshalb deutet einiges darauf hin, dass es doch bei dem Verfahren von Kabinettsbeschluss und anschließender parlamentarischer Billigung bleibt. (…) Den letzten Stand der Diskussion habe ich leider (noch) nicht; wir werden sehen, wie schnell da im Kabinett etwas zu Stande kommt.

Und schon gibt es einen neuen Stand. Mit Datum vom heutigen 7. Januar haben Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einen gemeinsamen Brief an die Bundestagsfraktionen geschrieben. Unterm Strich könnte man sagen: Deutschland beendet für sich schon mal faktisch den NATO-Bündnisfall, auch wenn das formal weiter die Grundlage für eine OAE-Beteiligung bleibt. Und mir scheint, dass die Neufassung sehr deutlich die Handschrift der SPD und ihres Außenministers trägt.

Zur Dokumentation der Brief der beiden Minister im Wortlaut:

Die Bundesregierung beabsichtigt, am 8. Januar 2014 einen Antrag zur fortgesetzten Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ACTIVE ENDEAVOUR unter veränderten Bedingungen zu beschließen. Ein entsprechender Antrag auf Zustimmung soll am 16. Januar 2014 in den Deutschen Bundestag eingebracht werden.
Die Seeraumüberwachungsoperation ACTIVE ENDEAVOUR (OAE) im Mittelmeer erstellt mit Schiffen, Luftfahrzeugen (AWACS) und unter Nutzung multionationaler, netzwerkgestützter Informationssysteme ein umfassendes Lagebild für den gesamten Mittelmeerraum. Durch Präsenz maritimeer Einsatzverbände hat sich die Operation zu einem präventiven Ordnungsfaktor im Mittelmeer entwickelt. Dem Einsatz kommt als Kooperationsplattform und Konsultationsforum zudem eine wichtige vertrauensbildende Frühwarnfunktion zu.
Die Umbrüche in der arabischen Welt und die Vielzahl involvierter staatlicher und nicht-staatlicher Akteure erfordern eine erhöhte Aufmerksamkeit des Bündnisses in der Region. Dies ist auch im deutschen Sicherheitsinteresse. Deutschland beteiligt sich seit 2001 substanziell an OAE und unterstreicht auf diese Weise seine internationale Verlässlichkeit und Bündnissolidarität.
Der deutsche Beitrag zu OAE soll sich künftig auf die Beteiligung an den ständigen maritimen Einsatzverbänden der NATO und an den NATO Aufklärungs- und Frühwarnflugzeugen (AWACS) sowie auf den Austausch von Lagedaten im Rahmen der  „assoziierten Unterstützung“ beschränken. Eine direkte Unterstellung zusätzlicher nationaler deutscher Transiteinheiten unter das Kommando des Befehlshabers OAE soll nicht mehr stattfinden.
OAE wurde durch die Mitgliedsstaaten beschlossen, um im Mittelmeerraum einen Beitrag zur maritimen Terrorismusabwehr zu leisten. Die Bedrohung durch einen maritimen Terrorismus wird derzeit jedoch als abstrakt bewertet. Vor diesem Hintergrund beschränkt sich die Operation auf Seeraumüberwachung und Lagebildaustausch. Eine bündnisgemeinsame Terrorismusbekämpfung unter Nutzung von Eingriffsbefugnissen oder mit Eingriffen in die Souveränität fremder Staaten ist weder mit entsprechenden Fähigkeiten noch mit den nötigen Einsatzregeln (ROE) hinterlegt.
Das künftige Bundestagsmandat enthält vor diesem Hintergrund einen deutlich reduzierten Auftrag für die Beteiligung der deutschen Streitkräfte. So wurde u.a. auf die Befugnisse „Kontrolle des Seeverkehrs“ sowie „Unterstützung spezifischer Operationen der NATO oder weiterer Partner in Reaktion auf mögliche terroristische Aktivitäten im Mittelmeer“ (vgl. Beschlussantrag der Bundesregierung vom 14. November 2012, BT Drucksache 17/11466) verzichtet.
Deutschland setzt sich im Bündnis kontinuierlich dafür ein, die Einsatzgrundlagen von OAE auch konzeptionell weiter an die tatsächlichen Einsatzrealitäten und -befugnisse anzupassen. Auf deutsche Initiative hat der Nordatlantikrat im April 2013 die Option eröffnet, OAE perspektivisch in eine Operation zu überführen, die sich nicht mehr auf Artikel 5 Nordatlantikvertrag stützt. Im Oktober 2013 hat Deutschland konkrete Vorschläge zur Überarbeitung des OPLAN eingebracht. Die Vorschläge zielen darauf ab, das im OPLAN genannte Aufgabenspektrum der Operation auf Seeraumüberwachung, Lagebilderstellung und regionale Zusammenarbeit zu beschränken. Darüber hinausgehende Befugnisse müssten gesondert vom Nordatlantikrat beschlossen und gegebenenfalls vom Deutschen Bundestag mandatiert werden. Sowohl die Anpassung des OPLAN als auch die Entkoppelung von Artikel 5 sind nur mit Zustimmung aller 28 NATO-Staaten möglich. Die Bundesregierung wirbt hierfür intensiv unter den Bündnispartnern.
Im Einklang mit der Reduzierung der durch das künftige Bundestagsmandat abgedeckten Aufgaben erfolgt auch eine Herabsenkung der personellen Obergrenze auf 500 Soldatinnen und Soldaten sowie Angehörige der Bundeswehr im Zivilstatus. Die Obergrenze deckt die Kräfte ab, die notwendig sind, um hinreichend flexibel sowie angepasst an die Lage und den Auftrag operieren zu können.
Das am 13. Dezember 2012 beschlossene Bundestagsmandat für die deutsche Beteiligung an OAE ist am 31. Dezember 2013 abgelaufen. Die Bundesregierung hat sichergestellt, dass sich seit dem 1. Januar 2014 bis zur Verabschiedung des neuen Bundestagsmandats keine deutschen Einheiten an OAE beteiligen. Das neue Mandat hat eine Laufzeit von lediglich elf Monaten und ist – angesichts der laufenden Bemühungen um Entkoppelung des Einsatzes von Art. 5 Nordatlantikvertrag und um Anpassung der Einsatzgrundlagen an die Einsatzrealität – als Übergangsmandat konzipiert.
Angesichts der noch geltenden völkerrechltichen Grundlagen für OAE (kollektive Selbstverteidigung gem Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und NATO-Bündnisfall gem. Art. 51 [sic] Nordatlantik-Vertrag) und des geltenden OPLANs wird eine Zustimmung des Deutschen Bundestages im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes für erforderlich gehalten.

(Foto: Bundeswehr-Einsatzmedaille Active Endeavour als Bandschnalle –  via wikimedia commons)