Auf in den Mandatsstau

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Ab dieser Woche wird wieder regiert, am (morgigen) Mittwoch gibt es – trotz und mit gesundheitlich angeschlagener Kanzlerin – die erste echte Arbeits-Kabinettssitzung der neuen Bundesregierung, und es werden ein paar aufgeschobene Probleme auf den Kabinettstisch kommen. Nun haben die anderen Ressorts da auch einiges zu bieten; aus verteidigungspolitischer Sicht stehen ein paar Dinge an, die mit Fristabläufen zu tun haben: Mandate für Auslandseinsätze, die entweder bald auslaufen oder sogar schon ausgelaufen sind, und nun bald in das parlamentarische Verfahren geschoben werden müssen, wenn sie denn fortgesetzt werden sollen.

Was unmittelbar ansteht und möglicherweise schon morgen geklärt wird:

Active Fence Turkey, der Einsatz der Patriot-Flugabwehrstaffeln im Süden der Türkei gegen eine mögliche Raketenbedrohung aus Syrien. Dieses Mandat (Bundestagsdrucksache 17/11783) ist bis zum 31. Januar befristet, muss also vom Kabinett möglichst rasch beschlossen werden, wenn das Parlament vor Ablauf noch zustimmen soll. Das scheint auch unproblematisch und innerhalb der großen Koalition unumstritten – oder besser: nicht mehr umstritten. Als im vergangenen Jahr nach einem syrischen Chemiewaffenangriff auf Rebellen ein Luftschlag der USA zu drohen schien, wurde in der innenpolitischen Debatte in Deutschland auch ein Abzug der deutschen Patriot-Einheiten gefordert. Inzwischen gibt es für die syrischen Chemiewaffen einen – mehr oder weniger eingehaltenen – internationalen Zeitplan zur Vernichtung; die syrische Regierung bombadiert weiterhin die Rebellen und auch Zivilisten, die bewaffneten Oppositionsgruppen bekriegen sich gegenseitig, so dass keine Gefahr besteht, dass einem militärischen Eingreifen der USA mit einem deutschen Abzug begegnet werden muss.

• Komplizierter wird es bei der Operation Active Endeavour (OAE), der Seeraumüberwachung im Mittelmeer. Das Mandat (Bundestagsdrucksache 17/11466) ist Ende vergangenen Jahres ausgelaufen (und ist deshalb auf der Übersicht oben gar nicht mehr erwähnt), was allerdings praktisch vorerst ziemlich egal ist: Schon seit langem beteiligt sich die Bundeswehr nur noch gelegentlich an diesem Einsatz; in der Regel dann, wenn ein deutsches Kriegsschiff auf dem Weg zum Antipiraterie-Einsatz vor Somalia (oder auf dem Rückweg) ist, in den UNIFIL-Einsatz (oder zurück) fährt oder eine AWACS-Überwachungsmaschine mit deutschen Besatzungsmitgliedern kurzfristig der OAE-Mission unterstellt wird.

Doch Active Endeavour ist der letzte Einsatz, der nach den Anschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington militärisch von dem übrig geblieben ist, was der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als uneingeschränkte Solidarität mit den USA angekündigt hatte: Das Mandat stützt sich auf den kurz nach 9/11 ausgerufenen NATO-Bündnisfall, der so nach mehr als zwölf Jahren immer noch weiter gilt. (Die andere Mission, Operation Enduring Freedom, hatte Deutschland nach einem letzten Flug der Solidarität vor Somalia im Sommer 2010 verlassen). Das lädt OAE mit politischer Symbolkraft auf – auch wenn vor allem die Union darauf pocht, dass diese Seeraumüberwachung insbesondere im östlichen Mittelmeer ein wichtiges und vielleicht auch kurzfristig benötigtes Lagebild liefere. Ende 2012, bei der Beratung des Mandats im Bundestag, hatten der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière und der damalige Außenminister Guido Westerwelle darauf verwiesen, dass angesichts der Umbrüche im arabischen Raum Active Endeavour eine Frühwarnfunktion habe: Die Operation Active Endeavour leistet  einen Beitrag dazu,  unser Lagebild zu verdichten.  Sie entfaltet  durch ihre abschreckende Funktion eine präventive Wirkung.

Nun hatte die SPD schon bei der letzten Beschlussfassung des Parlaments der Fortsetzung des Mandats nicht zugestimmt – vor allem aus Protest gegen die anscheinend endlose Fortsetzung des NATO-Bündnisfalls. Und mit so einer Problemlage kann natürlich eine Koalition aus Union und SPD nicht in eine neue Abstimmung gehen. Eine Weile wurde deshalb auf Regierungsebene der Gedanke diskutiert, Active Endeavour zu einem unbewaffneten Einsatz zu erklären (der ja faktisch auch nur Überwachungs- und Datensammelfunktion hat), damit die Schwelle einer nötigen Parlamentszustimmung zu unterlaufen und das Ganze per Kabinettsbeschluss zu erledigen.

Das scheint nun politisch nicht durchsetzbar – deshalb deutet einiges darauf hin, dass es doch bei dem Verfahren von Kabinettsbeschluss und anschließender parlamentarischer Billigung bleibt. Allerdings wird dafür voraussichtlich der Text neu gefasst. So wie das bisherige Mandat wird er vermutlich kaum anfangen:

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stimmt der von der Bundesregierung am 14. November 2012 beschlossenen Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf die terroristischen Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 1368 (2001) vom 12. September 2001 und 1373 (2001) vom 28. September 2001 zu. Es können bis zu 700 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden.

auch wenn diese Grundlagen natürlich irgendwo erwähnt werden müssen. Den letzten Stand der Diskussion habe ich leider (noch) nicht; wir werden sehen, wie schnell da im Kabinett etwas zu Stande kommt.

(Nachtrag: Schon am gleichen Tag ein neuerer Stand zu Active Endeavour hier.)

Wenn diese kurzfristig zeitkritischen Mandate erledigt sind, können sich das federführende Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium und die Bundesregierung insgesamt des nächsten größeren und ebenso zeitkritischen Mandatsproblems annehmen, des

• Einsatzes in Afghanistan. Das derzeit gültige ISAF-Mandat (Bundestagsdrucksache 17/11685) läuft bis Ende Februar, und auch wenn das noch ein paar Wochen hin ist, bleibt für das Folgemandat nicht mehr allzuviel Zeit. Genau das ist allerdings das Problem: Ehrlicherweise könnte der Bundestag zurzeit nur ein Mandat bis Ende dieses Jahres erteilen. Denn dann läuft die ISAF-Mission aus, und ob es die Folgemission Resolute Support (für die Deutschland schon 600 bis 800 Soldaten für zwei Jahre angeboten hat) geben wird, hängt nicht von Deutschland, noch nicht mal von der NATO ab.

Voraussetzung sind nämlich rechtliche Grundlagen für den Aufenthalt internationaler Truppen ab 2015, und da schauen alle auf die USA – so lange deren Bilaterales Sicherheitsabkommen mit Afghanistan nicht unterzeichnet ist, werden auch die anderen Nationen und/oder die NATO nicht zu einem entsprechenden Stationierungsabkommen (Militärslang: SOFA – Status of Forces Agreement) kommen. Die USA machen deshalb zunehmend Druck:

The United States wants the Afghanistan government to sign a bilateral security agreement in matter of weeks if a contingent of U.S. troops is to remain there after 2014, the White House said on Monday. (…)
U.S. officials say unless a deal is reached to keep upwards of 8,000 U.S. troops inside the country after 2014, the United States might instead completely withdraw from the country.

Auch da bin ich gespannt, wie bis Februar ein deutsches Mandat getextet werden kann.

• Und dann ist da noch das Mandat, dass es gar nicht gibt: Bis Dezember vergangenen Jahres hatte sich die Bundeswehr an der Ausbildung somalischer Soldaten beteiligt – allerdings nicht in Somalia selbst, sondern in Uganda. Nun hat die EU eine Verlagerung ihrer EU Training Mission Somalia (EUTM Somalia) in die somalische Hauptstadt Mogadischu beschlossen. Und da ist es deutlich gefährlicher als in Bihanga in Uganda, also muss dafür, das machte schon vergangenes Jahr der damalige Verteidigungsminister de Maizière im Interview mit Augen geradeaus! deutlich, sehr wahrscheinlich ein Mandat des Bundestages her:

Sie wissen, in Bihanga in Uganda bilden die Deutschen, im Rahmen der EUTM Somalia, somalische Soldaten aus. Nun hat die EU ja beschlossen, diese Ausbildungsmission nach Mogadischu zu verlegen. Die Deutschen haben bisher noch nicht erklärt oder noch nicht durchblicken lassen, ob sie in Mogadischu dabei sind. Konkret die Frage an Sie: Wird es in absehbarer Zeit, wahrscheinlich dann gegen Ende des Jahres, ein Mandat geben,
mit dem deutsche Soldaten nach Mogadischu geschickt werden?
Gegen Ende des Jahres werden wir diese Entscheidung zu treffen haben, das Mandat geht ja bis Ende 2013. Das ist ein nicht exekutives Mandat, ist bisher deswegen auch nicht mandatspflichtig, der Bundestag hat dem nicht zustimmen müssen, obwohl das Mandat große Zustimmung, auch in Reihen des Parlamentes findet. Es findet in Uganda statt und dort ist es nicht gefährlich.
Die Frage, ob es mandatspflichtig ist und ob wir das vorsetzen, hängt von einer Sicherheitsanalyse über Mogadischu ab und dort sind inzwischen Vorkommandos eingetroffen, die das im Einzelnen bewerten. Wir selbst spielen ja eine große Rolle bei diesem Mandat, alle wollen auch, dass wir dort mitmachen, auch die neue somalische Regierung. Aber, wenn es so bliebe, wie es jetzt ist, ist es ein mandatspflichtiger Einsatz, nicht wegen des exekutiven Mandats, sondern wegen der potentiellen Gefährdung durch die Shabaab Milizen und Andere in Mogadischu und dann wird das Ende des Jahres zu entscheiden sein. Und ähnlich abwartend wie wir verhalten sich unsere Verbündeten: Niederlande, Belgien, Schweden und Portugal. Wir sind da also in guter Gesellschaft. Die Verlagerung nach Mogadischu wird vorbereitet und ob wir uns daran beteiligen, entscheiden wir Ende des Jahres.
Ist denn vorstellbar, dass Deutschland als wichtiger Mitausbilder oder wichtiger Anteil an dieser Mission sich rauszieht, wenn die EU, die schon gesagt hat: wir wollen diese Verlagerung?
Ich will jetzt keine Prognose über diese Entscheidung geben. Es gibt Mandate, da machen wir mit und es gibt Mandate, da machen wir nicht mit. Dies ist ein erfolgreiches Mandat, an dem wir uns beteiligt haben und das werden wir dann in aller Ruhe Ende des Jahres entscheiden, da besteht auch kein Zeitdruck.
Sie wollen keine Aussage: Deutsche nach Mogadischu ja/nein?
Ich möchte kein Präjudiz in dieser Frage geben, außer, dass ich finde, dass dieses Mandat erfolgreich ist und, dass Deutschland dort erfolgreich mitarbeitet.

Wenn Deutschland wirklich, wie de Maizière sagte, eine große Rolle bei dieser Ausbildungsmission spielt – dann bin ich gespannt, wie viel Zeit sich Deutschland lässt, um politisch zu entscheiden, ob sich deutsche Soldaten nach Mogadischu trauen dürfen.

Wenn das alles abgearbeitet ist, ist der Mandatsstau auch schon fast vorbei – bis zum nächsten problematischen Einsatz bleibt ein bisschen mehr Zeit: Die Beteiligung der deutschen Marine an Atalanta, der Antipiraterie-Mission der EU, ist nach dem jüngsten Mandat (Bundestagsdrucksache 17/13111)  bis Ende Mai 2014 befristet, über eine Verlängerung muss erst im Frühjahr entschieden werden. Bis dahin ist zwischen den Koalitionspartnern vielleicht auch geklärt, ob die SPD bei ihrer Ablehnung wie bei der letzten Abstimmung bleibt – weil sie die erlaubte Ausdehnung auf Angriffe auf die Piratenlogistik am Strand, bis zu 2.000 Metern hinter der Wasserlinie, nicht mittragen wollten. Von dieser Möglichkeit, allerdings, hat Atalanta bislang genau einmal Gebrauch gemacht.

(Grafik: Screenshot von einsatz.bundeswehr.de am 6. Januar 2014)